Die Redaktion stellt sich vor: Anne Henning
Achtung, eine knappe Zusammenfassung: Anne. Denkt viel, liest oft, schreibt gern. Verkopft. Arbeitet dennoch bevorzugt mit den Händen. Bildhauerin. Fotografin. Über diese Beziehung wird im Folgenden nachgedacht.
Fotografie ist ein Fenster. Durch dieses Fenster blicken wir allein oder gemeinsam auf eine Wirklichkeit da draußen, ganz als sei der Träger unseres Bildes transparent und zeige die Welt dahinter. Für mich ist dieses Fenster aber nicht transparent. Es ist sichtbar. Es ist Oberfläche, es ist Material, es ist Haptik.
Diese Oberfläche interessiert mich genauso wie die Welt dahinter. Ich finde es großartig, Bilder anzuschauen, aber genauso wichtig ist es für mich, sie zu berühren. Dahinter steht ein längerer Entwicklungsprozess, denn vor zehn Jahren, als ich angefangen habe, mit Verstand zu fotografieren, war mir das Medium noch nicht so wichtig.
Anknüpfend an die alte Kinderkamera, die ich zu Grundschulzeiten hatte und mit der ich alles um mich herum festhalten konnte, habe ich mir mit 16 eine analoge Canon zugelegt und wieder angefangen zu fotografieren. Schnell bin ich vom Kleinbild ins Mittelformat gewechselt, das Rechteck forderte von mir immer zu viele Entscheidungen, die ich im Quadrat nicht mehr treffen musste.
Ich habe angefangen, Kunst auf Lehramt zu studieren und bin dadurch zum ersten Mal mit der Dunkelkammer in Berührung gekommen. In Berührung! Denn erst durch das eigene Entwickeln, das Fühlen von Fotopapier und den Geruch von Chemie habe ich angefangen, mich bewusster mit der Thematik der Materialität auseinanderzusetzen.
Was ist dieses Foto, dieses Fenster? Was kann es überhaupt darstellen und ist nicht alles Dargestellte nur ein Scheinbild der Wirklichkeit, nur Spuren auf lichtempfindlichem Material? Was ist das für eine Oberfläche? Und was ist Inhalt, was ist Träger?
Ich habe mich in den nächsten Jahren phasenweise von der Fotografie distanzieren müssen, um dieser Frage auf den Grund zu gehen. Ich studiere inzwischen in einer Bildhauerklasse an der Kunstakademie Düsseldorf und habe meine Antworten in der Bildhauerei gefunden. Hier gibt es keine Fenster oder Scheinbilder. Was ich aus Holz, Gips oder Metall baue, kann ich berühren, riechen, von allen Seiten betrachten.
Skulpturen kommen mir manchmal sehr viel ehrlicher als Fotografien vor und dennoch habe ich immer wieder das Gefühl, das beides wichtig ist und eigentlich gar nicht so unterschiedlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Ich musste nur genügend Gemeinsamkeiten finden, um mich auf beides einlassen zu können.
Ein Gefühl oder eine Frage, die man sowohl durch ein Foto als auch durch eine Plastik beantworten kann.
Chemiefehler in der Dunkelkammer oder reißendes Holz, weil man es nicht lange genug getrocknet hatte – es sind beides Zufälle, die im jeweiligen Medium passieren, die wichtig sein können und manchmal sogar ähnliche Spuren hinterlassen.
Oder das Abfotografieren meiner dreidimensionalen Arbeiten, die auf Film ganz anders wirken als im Atelier, losgelöst von Zeit und Raum und manchmal ephemere Zwischenschritte festhalten, die es sonst gar nicht mehr gäbe.
Erst durch diese Schnittstellen habe ich den Wert des parallelen Arbeitens in beiden Medien schätzen gelernt und die Haptik als verbindendes Element für mich erkannt. Denn nicht nur in der Bildhauerei arbeite ich mit meinen Händen, auch in der Fotografie ist das möglich, es kommt nur darauf an, wie man ein Foto interpretiert. Ist das Fenster transparent oder sichtbar?
Für mich ist das ganz klar: Ein Negativ ist nicht nur eine Wiedergabe des aufgenommenen Moments in Komplementärfarben, es ist eine kleine Leinwand. Ich liebe es, nachträglich im Negativ zu arbeiten, durch Tesafilm, Flusen, Risse oder Löcher im Negativ entfaltet sich eine Art Vordergrund im Foto, es scheint, als schwebe das Element über dem Motiv, als habe das Bild eine neue Dimension erhalten und gewinne so an skulpturaler Qualität.
Und auch im Positiv reizt es mich, weiter zu denken. Analoge Bearbeitung durch Feuer, Stifte oder Hinzufügen von zusätzlichen Elementen verändert das Foto ganz ohne Photoshop.
Vielleicht liegt es an meiner täglichen Arbeit im Atelier, aber für mich gibt es so viele Schnittmengen zwischen Fotografie und Bildhauerei, dass es vor meinen Augen verschwimmt. Durch das Scannen meiner Negative verirren sich nachträglich bewusst oder zufällig Kleinigkeiten in meine Bilder, nehmen Raum ein, werden plastisch.
Das Weiterarbeiten am Foto, ob in der Dunkelkammer, am Negativ oder am Scanner, ist für mich wichtiger Teil des Prozesses, eben weil analoge Fotografie Material ist. Eben weil jedes Fenster auch eine Glasscheibe hat.
Vor einiger Zeit fiel mir ein Zitat des italienischen Künstlers Lucio Fontana in die Hände. Eines, das seinen Balanceakt zwischen Malerei und Bildhauerei auf den Punkt definiert und mich nachhaltig beeindruckt hat:
Ich mache ein Loch in die Leinwand, um die überkommenen bildlichen Formeln hinter mir zu lassen, das Gemälde und die traditionelle Kunstauffassung und ich entfliehe im symbolischen, aber auch im materiellen Sinne dem Gefängnis der gatten Oberfläche.
Und im ganz Kleinen möchte auch ich meine Spuren unter der glatten Oberfläche des Fotos hinterlassen. Es ist mir wichtig, nicht nur festzuhalten, was ich sehe, sondern dies auch mit einer Handschrift, einem Fingerabdruck zu tun. Wie ich erzähle, ist genauso relevant wie das, was ich erzähle.
Mit inszenierter Fotografie kann ich wenig anfangen und auch sonst würde ich mich keinem klassischen Genre zuordnen. Ich denke, meine Arbeiten sind relativ verkopft, meistens stehen eine ganze Geschichte und einige durchdachte Nächte hinter einem Foto und selbst, wenn diese Geschichte manchmal auch nicht lesbar ist, habe ich sie doch erzählt und aus dem Kopf befreit.
Schöpfen kann ich dabei immer aus der Literatur. Lesen ist für mich die nahrhafteste Inspiration und dabei kann mich der Begleittext zu einem Bildband von Jannis Kounellis genauso versorgen wie die 70er-Jahre-Journale Peter Handkes*. Und in jedem Roman von Günter Grass finde ich ebenso gedankliche Anregung wie in Wolf Erlbruchs Kinderbüchern. Zwischen den Zeilen steht alles, man muss nur genau genug hinsehen.
In Kauf nehmen muss ich dafür, dass ich sehr langsam arbeite, dass ich mir viel Zeit lasse, eine Idee durchzudeklinieren, bevor ich den Film einlege und dann wird es doch ganz anders als geplant. Dass ich auch mal wochenlang nur Bilder denke, aber keine schieße.
Dass in so vielen Büchern Zettel kleben und auf so vielen Blättern Notizen stehen, dass ich sie unmöglich alle jemals umsetzen werde. Und dass ich die meisten meiner Fotos niemandem zeigen möchte, weil sie auch still und leise in einem Koffer liegend funktionieren.
Nur sehr selten entschließe ich mich, das eine oder andere Bild online zu zeigen, auszustellen oder gedruckt ins Atelier zu hängen. Vielleicht bin ich auch einfach zu kritisch. Aber ich arbeite daran.
Und wenn ich nicht daran arbeite, dann schreibe ich hier eben über Fotografie. Vorzugsweise über Phänomene, die mich aus dem heiteren Nichts gepackt haben und faszinieren. Gern über intermediale Positionen, da mich das auch in meinem Alltag beschäftigen. Oder über kunstwissenschaftlich angehauchte Themen, die ich hier zitieren und aufdröseln kann.
Ich hoffe, ich konnte und kann auch zukünftig kwerfeldein durch meinem Kopf bereichern. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine fotografische Entwicklung habe ich für das wunderschöne „I think we are alone now #3 – Magazin für analoge Fotografie“ nochmal etwas ausführlicher dargestellt. Das liebevoll gemacht Zine, über dessen letze Ausgabe hier auch schon berichtet wurde, kann ich aber ebenso für die anderen vier Beiträge sehr empfehlen. Bestellbar ist es für 4 € bei Weltschmerz Distro.
* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas bestellt, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.
Sehr schöne Vorstellung! Ich kenne deine tollen Bilder schon von flickr und habe auch hier schon den ein oder anderen Artikel von dir gelesen, das ergänzt sich zu einem interessanten Profil. Ich glaube so eine Position, die sich vielleicht nicht mit „klassischer“ Fotografie beschäftigt, ist eine gute Erweiterung des Kwerfeldein-Spektrums und tut dem Magazin gut. Daher, danke für die mal etwas andere Blickweise auf Fotos und ich freue mich auf weitere Artikel.
Schöne Bilder, schöner Text!
Ich versteh deine Intentionen gut, ich komme von der manuellen Druckgrafik (Radierung, Lithografie) und entdecke gerade das Negativ als eine Art „Druckplatte“ welche mir auch nach einer Belichtung noch viele Möglichkeiten bereithält. Eigentlich sagte ich immer: Ich will so fotografieren, wie ich radiert habe…es ist noch einiges zu tun :-)
antonio
Ein interessanter Beitrag.
Ich finde deine Bilder ganz unabhängig von der Hintergrundgeschichte total spannend, ich mag dass du nicht ’nur‘ dokumentarisch oder ’nur‘ mit Objekten oder ’nur‘ Geschichten erzählst, sondern dass es eine gute Mischung ist und die von dir angesprochene Materialität in den Fotos gut erkennbar ist. Vor allem das erste Bild von der Wiese ist ziemlich toll, ich mag wie sich das Bild durch das Licht in zwei Hälften teilt.
Das was du beschreibst ist ja eine ganz andere Herangehensweise als nur inhaltlich zu arbeiten, Szenen zu entwerfen, ein Genre zu bedienen – sich also prinzipiell erstmal mit dem Motiv zu beschäftigen, wie es wahrscheinlich 99% der Fotografen machen. Und so eine eigene Herangehensweise finde ich immer cool :)
Ich habe jetzt nichts weiter mit Bildhauerei o.Ä. zu tun, aber so eine künstlerische Betrachtung ist auf jeden Fall interessant, und die Bilder sprechen für sich, also mich sprechen sie sehr an :)
Liebe Grüße,
Maria
Die Idee etwas mehr über eure Redaktion zu erfahren gefällt mir.
Normalerweise meide ich Texte,die viel mit der Inspiration des Künstlers zu tun haben, weil sie meistens nur eine „teil“ Wahrheit auffangen und wiedergeben.
Deine Ausführungen haben mir da gut gefallen, weil ich mich in den Zetteln und Notizen zu Ideen total wiedergefunden habe ;)
Danke für diese Einsichten :-) Für solche Artikel liebe ich querfeldein. Ich mag auch das Haptische, den anderen Blickwinkel, das andere Zeitgefüge welches das Bildhauern und Modellieren einfordert. Das dreidimensionale Erfühlen dürfen was da erschaffen wird, überhaupt der ganz Prozess und wie sich das Unterbewusste immer wieder mit einbringt und Pläne kreuzt. Dagegen wirkt die Fotografie… vor allem die digitale Fotografie – flach, kühl und wie fast food. Trotzdem liebe ich die Fotografie weil sie so zugänglich und direkt ist. Dafür braucht es halt kein Atelier. Ich versuche das auch immer wieder durch „kaputtmachen“ zu durchdringen, und durch Imperfektionismus (was ein Wort) Leben ein zu hauchen und das Gefühl und die Stimmung des Moments zu geben. Es ist spannend damit zu spielen. Auch wenn vieles für mich dann später wie Effekt wirkt, weil sich Gefühle und Ansichten ändern. Sind halt persönliche Zeitzeugnisse. Lucio Fontanas Zitat mag ich „…mache ein Loch in die Leinwand, um die überkommenen bildlichen Formeln hinter mir zu lassen, das Gemälde und die traditionelle Kunstauffassung und ich entfliehe im symbolischen, aber auch im materiellen Sinne dem Gefängnis der gatten Oberfläche.“ …Meine Hände, Möglichkeiten und Fähigkeiten kommen auch nicht mit dem Kopf mit, und so stapeln sich die Gedanken und Ideen zu Türmen. Die analoge Fotografie entdecke ich gerade für mich. Die ersten selbst entwickelten Filme hängen bereits auf der Leine, und ich bin sehr gespannt was mich auf diesem Gebiet kommendes Jahr erwartet :-)
Hallo Carsten,
danke für deinen Kommentar. Ich finde gerade in der analogen Fotografie kommt es zu vielen Parallelprozessen, die man in der bildhauerischen Tätigkeit oder auch im Handwerk ebenfalls erfahren kann. Daher denke ich du wirst dich dort mit deiner haptischen Vorerfahrung auch sehr schnell zuhause fühlen und viele gute Erfahrungen machen. Es ist eben rein medial betrachtet etwas völlig anderes als digital, und man kann die sinnliche Erfahrung einfach nicht vergleichen. Auch wenn das Bildergebnis bestimmt auf vielen Wegen erzeugbar wäre, der Weg ist eben ein anderer, und den muss man für sich suchen und gehen.
Liebe Anne,
ich habe schon einmal einen Artikel von Dir bei kwerfeldein gelesen. Deine Gedanken, die Beschreibung Deiner Entwicklung und Herangehensweise ist unglaublich inspirierend.
Ich vermische auch oft Materialien, übermale Bilder mit Acryl- oder Öl, setzte sie in Verbindung mit Holz, Stahl oder Beton oder baue Textcollagen ein. Seelenlose und sterile Beschreibungen vom Gebrauch von Photoshop oder Kameratechnik erzeugen bei mir keine Resonanz und ich bin so dankbar für Künsterlinnen wie Dich, in deren Ideen und Blick auf die Dinge ich mich wiederfinden kann und neue Aspekte entdecke.
Vielen herzlichen Dank in der Hoffnung auf weitere Beiträge bei kwerfeldein!
Viele Grüße
Tina
Vielen lieben Dank, das freut mich wirklich sehr zu lesen!
Alles liebe, Anne
Ich mag dich.
:)
Spannende Einsichten, ich habe sowas wirklich noch nie gelesen :)
Aber ist eigentlich super toll dass es so viele Verbindungsmöglichkeiten zwischen zwei Medien gibt, da lohnt es sich auf jeden Fall über den Tellerrand zu schauen!
Ich bin gespannt was du noch so für Bilder machst und was man hier noch so von dir zu lesen kriegt, die letzten Artikel fand ich auf jeden Fall interessant und irgendwie so schön abseits des Mainstreams, das hat mir gut gefallen.
Und das Foto mit der Hand ist echt wunderschön!!!
Blogartikel dazu: Anne Henning stellt ihr Equipment für analoge Fotografie vor › kwerfeldein - Fotografie Magazin | Fotocommunity