02. August 2023 Lesezeit: ~5 Minuten

TIMELINES – Meine Sichtweise

Wie entdeckt man den besonderen Moment? Ich habe dafür kein allgemeingültiges Rezept, das man so einfach anwenden kann. Es kommt meiner Auffassung nach immer darauf an, wie wir uns selbst und unsere Umgebung wahrnehmen. Wir sind alle Individuen und jede Person sieht diesen einen besonderen Moment auf eine ganz eigene Art und Weise. Und das ist gut so. Ich kann jedoch versuchen zu erläutern, an welchen Kriterien ich meine eigenen Momente festmache.

Das Geschichtenerzählen ist seit jeher das große Ding in der bildenden Kunst. Wir lassen uns beim Betrachten von Kunst und hier im Speziellen von Fotografien gern treiben, bilden uns unsere eigenen Gedanken und Assoziationen. Das Foto mit dem Titel „Rue Trigance“ ist für mich so ein Bespiel: Der schwarze Kater, dem die Zigarette aus dem Mund fällt, als die Frau um die Ecke kommt, lässt in mir die Fantasie spielen.

Person läuft an einer bemalten Wand vorbei

Oder das Foto „ZOU“: Das Mädchen vor dem halbdurchsichtigen Vorhang, in einem alten Schlachthof, das den Gang nach draußen bestreitet, vermittelt ganz subtil ein bestimmtes Gefühl. Für den einen ist es ein bisschen gruselig, für den anderen vielleicht melancholisch oder doch ein Gefühl von Aufbruch.

Silhouette vor einem durchsichtigem Vorhang

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, was fremde Menschen in meine Bilder hineininterpretieren und was die Bilder in den Menschen auslösen können. Da kann von Melancholie über Humor, Stress oder auch Liebe alles dabei sein. Das macht die Kunst und die Fotografie für mich so spannend. Aber: Meine Geschichten müssen nicht Eure Geschichten sein!

Ein Straßenfoto, das einfach nur ein Hingucker ist, kann ebenfalls ein toller, festgehaltener Moment sein, wenn die spektakuläre Komposition oder die kontrastreichen Bildanteile unsere Augen verwöhnen und machen, dass der Blick am Bild förmlich kleben bleibt. Das ist es doch, was wir wollen. Wir wollen ein Bild gern betrachten, wollen es ansehen und uns darin fallen lassen.

Glück und Zufall sind die ständigen Begleiter. Trotzdem liegen diese Momente direkt auf der Straße. Man braucht nur die richtigen Sensoren dafür, um sie zu bemerken und der wichtigste Sensor ist man dabei einfach selbst. Deine Persönlichkeit, Deine Ausrichtung, Deine Haltung und Deine Botschaft.

Wir alle kennen den Satz „das Foto macht der Fotograf, nicht die Kamera“. Dem stimme ich auch uneingeschränkt zu. Trotzdem möchte ich einen kleinen technischen Aspekt meiner Fotografie erwähnen. Die Fotos sind fast ausschließlich mit einer 35-mm-Festbrennweite entstanden. Ich habe mich hier bewusst begrenzt und ich kann dadurch nicht aus der Ferne an ein Motiv heranzoomen.

Wenn ich Menschen auf meinen Fotos gut sichtbar haben möchte, muss ich in ihre Komfortzone gehen und ich muss meine verlassen. Es ist nur fair, dass sie durch diese Nähe selbst die Möglichkeit haben, mich zu entdecken, wenn ich sie schon ungefragt ablichte. Diese Vorgehensweise hat mich viel Überwindung gekostet und es hat lange gedauert, bis ich mich das traute.

Zwei FrauenPerson trägt eine große Uhr

Transparenz und Offenheit sind der Schlüssel. Ich habe gemerkt, dass genau darin meine Stärke liegt: Die Fähigkeit zur Kontaktaufnahme mit fremden Menschen, sie für meine Fotografie zu begeistern und sie nicht nur einfach zu benutzen. Es hat immer bestimmte Gründe, warum ich auf den Auslöser drücke. Das kommuniziere ich direkt und ehrlich.

Ich möchte die Menschen respektieren und lasse sie auf diese Weise Teil meiner Kunst sein. Ich spreche sie direkt nach dem künstlerischen Akt an, gebe ihnen meine Visitenkarte und sende ihnen später einen Druck zu. Auf diese Art habe ich schon sehr viele tolle und einzigartige Menschen kennengelernt.

 

Informationen zur Ausstellung im Kunstverein Schallstadt

TIMELINES // LebensPhasen von Ralf Scherer
Vernissage: Samstag, 16. September 2023, 16–20 Uhr
Zeit: 17. September – 15. Oktober 2023
Öffnungszeiten: Sa: 15–17 Uhr, So: 11–17 Uhr
Ort: Kunstverein Schallstadt, Am Käppele 2, 79227 Schallstadt

 

Der Text „Meine Sichtweise“ findet sich auch im Ausstellungskatalog TIMELINES wider, welcher zur Vernissage druckfrisch im Kunstverein Schallstadt ausliegen wird. Da der Verein sich nur über einen sehr moderaten Mitgliedsbeitrag finanziert und alle Ausstellungen kostenlos besucht werden können, ist er sehr stark von einer Beteiligung vom Verkauf der ausgestellten Kunstwerke abhängig – das heißt, dass alle ausgestellten Werke käuflich zu erwerben sind. Wer eine digitale Einladung zur Vernissage möchte, kann sich gerne über das Kontaktformular eintragen.

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