Lucinda Devlin – Frames of Reference
Die Ausstellung „Frames of Reference“ in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln zeigt neun Werkreihen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten: Lucinda Devlin beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit Exekutionsräumen und Tiergehegen, mit Kurorten und Agrarlandschaften, mit Vergnügungshotels und amerikanischen Seen. Es ist die erste umfassende Werkschau der amerikanischen Künstlerin in Europa.
Große Aufmerksamkeit erhielt Lucinda Devlin Mitte der 90er Jahre für ihre Serie „The Omega Suites“. Darin fotografierte sie Räume in verschiedenen US-Bundestaaten, die für den Vollzug der Todesstrafe gebaut wurden: Die Gaskammer, den elektrischen Stuhl, die Liege für die Todesspritze, aber auch die letzte Gefängniszelle der Todeskandidat*innen und den Zeugenraum. 2001 wurden die Bilder auf der 49. Biennale von Venedig gezeigt. Meine Frage, ob die Serie in den USA anders aufgenommen wird, als in Europa, verneint Devlin entschlossen. Für die Menschen in den USA sind diese Räume genauso verschlossen wie für uns. Egal wo die Serie gezeigt wird, die Menschen sind geschockt.
Dabei legt Devlin keine Wertung in ihre Bilder. Sie fotografiert sachlich, was sie sieht, ohne Inszenierungen oder Arrangements. Alles bleibt genau so, wie sie es vorfindet. Nicht einmal das Licht wird gesetzt. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum die schlichten Fotografien so starke Gefühle auslösen. Es gibt keine Vorgabe, wie man sich beim Betrachten fühlen soll: keinen politischen Begleittext, keine Stellungnahme der Künstlerin, keine emotionale Stütze.
Devlin verweigert uns sogar die Menschen, die sich in diesen Räumen bewegen. Wir können keine Mimik lesen oder uns in Mitleid solidarisieren. So fühlt man sich in den Raum geworfen, steht vor einem gelb gestrichenen Stuhl und weiß: Dieser ganze Ort wurde entworfen, um einen Menschen zu töten. Was ich mit dieser Erkenntnis mache, ist ganz mir selbst überlassen. Das ist zum Teil durchaus frustrierend und erzeugt am Ende vielleicht sogar stärkere Gefühle, als würde die Fotografin eine Wertung voraussetzen.
Auch in ihren anderen Serien zeigt Devlin Orte ohne die Menschen, für die sie gebaut wurden. All diese Orte dienen einem gewissen Zweck und auch wenn dieser Zweck immer sehr unterschiedlich ist, sind sie sich teilweise auf makabre Weise sehr ähnlich. Das kleine Fenster für eine Peepshow aus der Serie „Pleasure Ground“ hat Parallelen zum Fenster eines Hochsicherheitsgefängnisses in den USA, durch das Zeug*innen Hinrichtungen ansehen müssen. Und der Anblick der Gefängniszelle für Todeskandidat*innen ist plötzlich seltsam nah am Gorillagehege des Miami MetroZoo aus der Serie „Habitats“.
Diese Assoziationen werden aber nicht künstlich forciert. In der Ausstellung hängt jede Serie für sich und die Gemeinsamkeiten zwischen den auf den ersten Blick so verschiedenen Serien werden erst beim aufmerksamen Betrachten deutlich. Nach dem Gang durch die Ausstellung hatte ich nicht nur das Gefühl, dass sich die unterschiedlichen Arbeiten gegenseitig stützen, sondern dass sie sich sogar nahezu brauchen.
Auch die landschaftlichen Themen, die seit den 2000er Jahren hinzugekommen sind, ergänzen das Gesamtwerk hervorragend: Die Serie „Field Culture“ beschäftigt sich zum Beispiel mit der industriellen Landwirtschaft in den USA. Ein ähnlich stark polarisierendes Thema wie die Todesstrafe. Die Staaten des sogenannten Corn Belt sind geprägt von Monokulturen, es gibt immer wieder politische Diskussionen um Gentechnik oder schädliche Chemikalien. Devlin fotografiert all diese Orte wie gewohnt nüchtern und sachlich.
Aus einem Maisfeld wächst in ihren Bildern ein Windrad. In einem anderen Foto werden Hanfpflanzen in einem riesigen Gewächshaus mit surreal pinkem Licht bestrahlt. Dieses Foto stammt aus dem Jahr 2022 und zeigt eine weitere Ebene des Werks: Die Zeit. Fast alle Serien der Künstlerin sind noch nicht abgeschlossen (ausgenommen „The Omega Series“ und „Lake Pictures“). Dadurch stehen Fotos nebeneinander, zwischen denen oft mehrere Jahre liegen. Und die Arbeiten verändern sich in Anbetracht der Zeit.
Die früheste Serie „Pleasure Ground“ zeigt Erotikhotels und Orte, die gezielt für die menschliche Lust geschaffen wurden. Die Farbe Rot dominiert die Serie. Das Foto einer herzförmigen Badewanne ist eines der bekanntesten der Serie; es wirkt heute wohl eher kitschig und überhaupt nicht einladend. Mitte der 70er Jahre war dieser Ort jedoch ein popkulturelles Phänomen. Erst die Zeit verändert unsere Sicht auf die Orte und damit auch auf Devlins Fotos.
Das besagte Bild ist aber auch noch auf andere Weise spannend, denn es wurde mit einem Fernauslöser aufgenommen. Die Kamera ist in der Wanne selbst zu sehen, das Objektiv nach oben auf einen Spiegel an der Decke gerichtet. So fotografiert sich die Kamera selbst in der Wanne stehend. Die Motivsuche war eher untypisch, erklärt Devlin. Während die Künstlerin normalerweise an einem Ort angekommen oft nur ein Foto macht, war die Suche nach dem richtigen Winkel in diesem Hotel eine Herausforderung. Sie nahm die Wanne aus mehreren Perspektiven auf, bevor sie am Abreisetag endlich das gewünschte Motiv festhalten konnte.
Die Ausstellung „Frames of Reference“ in der SK Stiftung Kultur wurde in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin erarbeitet und zeigt insgesamt etwa 100 Aufnahmen, die zwischen 1972 und 2022 entstanden sind. Sie gibt damit einen repräsentativen Blick auf das Gesamtwerk. Die frühesten Aufnahmen dienen jedoch eher der Dokumentation der Entwicklung der Künstlerin und liegen in Schaukästen. Sie sind, anders als die neun Werkgruppen, in schwarzweiß aufgenommen und zeigen hin und wieder Menschen, ja sogar richtige Portraits. Überraschend ist die Entwicklung zum jetzigen Werk aber nicht und auch in den alten Archivbildern lassen sich bereits erste topologische Aufnahmen entdecken.
Ein weiterer Schaukasten steht vor der Werkgruppe „The Omega Series“ und gibt einen Einblick in die vielen Hürden, die bei der Entstehung von Lucinda Devlins wohl bekanntester Serie zu überwinden waren. In ihr liegen Briefe, die Devlin an die verschiedenen Strafvollzugsanstalten schickte, mitsamt der vielen Absagen. Aus den wenigen Zusagen wird wiederum klar, wie streng die Vorschriften und wie begrenzt die fotografischen Möglichkeiten vor Ort waren. Zum Teil hatte die Künstlerin nur 30 Minuten Zeit, um ihre Aufnahmen zu machen.
Auch ihr persönliches Tagebuch aus der Zeit und ein Gästebuch aus einer Ausstellung, die 1997 in Schottland stattfand, liegen aufgeschlagen und zum Lesen bereit hinter Glas. Das Gästebuch ist dabei mein persönlicher Favorit zur Ausstellungsbegleitung, weil die zehn verschiedenen Kommentare Devlins Werk und seine Wirkung auf Menschen wunderbar beschreiben: Während eine Person attestiert „This needs to be seen“, erkärt eine weitere, dass sie beim Betrachten weinen musste. Eine dritte notiert nur: „The Lift looks like a part of the exhibit.“
Ergänzend zur Ausstellung erscheint im Verlag Steidl ein 300 Seiten starker Bildband. Er enthält etwa 200 Fotografien sowie Begleittexte und ein Interview zwischen Lisa Le Feuve und Lucinda Devlin.
Informationen zur Ausstellung
Lucinda Devlin – Frames of Reference
Laufzeit: 10. März – 16. Juli 2023
Ort: SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, 50670 Köln
Der Artikel erschien erstmalig in der PHOTONEWS, Ausgabe März.