Maßlose, gefährliche Selbstüberschätzung. Hochmut, Ignoranz, Arroganz – Begriffe, die mir in den Sinn kamen, als ich mich vor fünfzehn Jahren ausgewählten Küstenabschnitten der wunderschönen Normandie näherte. In früheren Zeiten irritierten mich die Hinterlassenschaften großdeutschen Übermuts weniger, bis ich im Nachlass meines Vaters ein paar Fotos aus jener Zeit fand und diese Region zu hinterfragen versuchte.
Im Lauf mehrerer Jahre suchte ich bestimmte Bereiche des Atlantikwalls auf, manche mehrfach. Ich übernachtete in den Dünen und wo es möglich war, auch direkt an den Befestigungen am Strand oder auf pittoresken Campingplätzen unmittelbar zwischen ihnen.
Gerade an den stillen Abenden oder dem ganz frühen Morgen zwischen dem raschelnden Strandhafer empfand ich die tief unten von zarten Wellen umspülten, geborstenen, oft kopfüber liegenden Betonklötze im flachen Sonnenlicht vor dem fernen Horizont als Visionen.
Gezeiten, Wind und Sand wuschen die Kanten ab und ihrer Aufgabe enthoben treiben sie dahin. Vielleicht diente hier mein Vater vor der Invasion 1944, das großdeutsche Reich schützend, oder weiter süd- oder nördlich dieser malerischen Bucht?
Welch ein Wahnsinn, eine so lange Küstenbefestigung bei einem Angriff halten zu wollen oder von hier aus durch die Batterie Todt den Süden Englands zu beschießen. In ihrem furchterregenden Zustand kann sie als unzerstörtes Mahnmal und monströses Museum besichtigt werden.
In Berlin glaubte man damals, im frühen Dämmerlicht des 6. Juni – noch sekttrunken – nicht an den Beginn der Landung. Aber zu diesem Zeitpunkt befand sich mein Vater schon im Russland.
Mit einheimischen, älteren Herrschaften suchte ich gern das Gespräch und manche erzählten freundlicherweise, wie sie in Kindertagen nachts vom klack-klack nagelbewehrter Soldatensohlen hochschreckten. Es ging ihnen meist besser, weil die Väter die Bunker zwangsweise mitbauten.
Manche von ihnen sind noch heute unbeschädigt und dienen als Heustadel, Schafstall oder gar als Wohnhaus. Die hier gezeigten Aufnahmen sind zehn bis 15 Jahre alt und wurden auf Agfa APX 100 oder Ilford HP5 belichtet.
Vielen Dank für den kurzen Artikel und die für mich persönlich interessanten Bilder dazu.
Der Atlantikwall war auf der vollen Länge zwar nicht die „unbezwingbare Festung“, wie sie die Propaganda der damaligen Zeiten der Bevölkerung weismachen wollte, doch aber an vielen Stellen ein wirklich tödliches Hindernis für sehr viele der anlandenden Alliierten und natürlich auch letztendlich für deren Verteidiger.
Die Zeit/Energie an Menschen und Material, die für die Errichtung der Teilstücke des Atlantikwalls verschwendet worden waren, war schon enorm.
Vielen Besatzern ist angesichts der Armada vor der Küste und des nicht enden wollenden Stroms von Menschen an den Landungsstränden mit Sicherheit deren sinnloser Verteidigungsversuch sehr bald durch den Kopf gegangen.
Die Hubris, von der Herr Steiner schreibt, war dann zumindest an den Landungsstränden den Besatzungen der Verteidigungsstellungen bis zum späteren Nachmittag des 6. Juni 1944 durch eine Blick auf die brutale Wirklichkeit des Krieges abhanden gekommen.
Als ich vor einem Jahr begonnen hat, mich mit dieser Materie auseinanderzusetzen wurde mir sehr bald klar, dass meine fotografische Beschäftigung mit dieser Thematik nicht nach einem Besuch vorüber sein wird und auch nicht sein kann. Ich hatte mir persönlich einen fotografischen Komplex eröffnet, der mich in den kommenden Jahren immer wieder beschäftigen werden wird.
Mitunter wird der Wahnsinn der damaligen Zeit ein wenig überlagert durch die Ästhetik der Fotografien. Ein Problem, dass auch Susan Sontag bei vergleichbaren Themen schon angemerkt hat. Aber es ist wirklich schwierig, diese Brocken des Atlantikwalls adäquat abzubilden.
Mit der Ästhetik hast Du da sicherlich schon irgendwie recht. Eine Frage, die ich mir hier stelle ist „was ist überhaupt adäquat“ bei solchen Motiven. Muss man von solchen Motiven „angemessene“ oder „entsprechende“ Fotografien machen und vor allem für wen eigentlich?
Adäquat wären die Bilder für mich nur, wenn sie meine Gedanken, Ideen und Empfindungen während ich diese Orte dort erlebe entsprechen würden.
Ein interessanter Bericht mit tollen Fotos und anregender Diskussion. Für mich ist es wichtig, das diese Zeugnisse der Geschichte erhalten bleiben. Als Erinnerung oder als Mahnmal …
Und natürlich als Fotomotive für SW-Aufnahmen.
Gerne mehr davon …
Liebe Grüße
Elke
Naja, zu diesem Thema gibt es auch ein Buch/eine Arbeit von Stephan Vanfleteren, dessen fotografische Umsetzung in schwarz-weiß in einer anderen Liga spielt:
https://www.stephanvanfleteren.com/atlanticwall
Vanfleteren eine andere Liga? Liegt wohl immer im Auge des Betrachters. Mich stört der „Wille zur Kunst“, die geglätteten Wasseroberflächen durch Langzeitbelichtung / Live Composite halte ich bei diesen Motiven z.B. für überflüssiges Ästhetik-Gedöns.
Zu dieser Serie kann man dem Fotografen ein Riesenkompliment aussprechen. Erstens mag ich, dass er analog fotografiert hat und dass jedes der Bild der Serie auch als Einzelbild bestehen könnte. Bin echt begeistert.