Meine Mutter ist im letzten Jahr sehr plötzlich mit 62 Jahren an Krebs gestorben. Es hat mich nicht nur ihr Tod völlig unvorbereitet getroffen, sondern auch das Danach. Ich wollte ihre Wohnung zuerst überhaupt nicht betreten und dann versuchte ich, sie noch länger zu behalten, weil ich unfähig war, irgendetwas daraus herauszulösen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, etwas von den Dingen aus dem Gesamten der Wohnung herauszunehmen, um es als Erinnerung in meine Wohnung mitzunehmen. Ich konnte mich für kein Ding entscheiden und so besuchte ich die Wohnung meiner Mutter. Ich brachte den Müll runter. Ich bekam einen Bescheid, dass ich die Wohnung innerhalb von drei Monaten leerräumen müsste. Ich konnte mich immer noch nicht überwinden, etwas herauszulösen.
Ich begann, alles in der Wohnung zu fotografieren und alle Stillleben zu dokumentieren – aus dem Verlustgefühl, nicht mehr dorthin kommen zu können. Aus dem Gefühl heraus, aus all den Zeichen ihres Lebens noch etwas zu lernen. Ich besuchte weiter ihre Wohnung, immer noch unfähig, etwas herauszulösen. Immer wenn ich dort war, hatte ich das Gefühl, sie in den Räumen zu treffen. Als würde ihre Anwesenheit noch in der Luft schweben. Ich besuchte die Wohnung und versuchte dem nachzuspüren, was von ihr noch da war. Ich fotografierte Luft.
Ich konnte mich immer noch nicht zu Dingen entschließen, aber bei jedem Besuch wurde die Wohnung leerer. Freund*innen nahmen Erinnerungen mit. Dann Bekannte. Dann Bekannte von Bekannten. Ich konnte mich immer noch nicht entschließen. Ich kam und fotografierte die Luft, auf der Suche nach dem, was noch da war. Ein Gefühl von ihr. Je weniger Dinge und Möbel dort waren, desto weniger war in der Luft zu sehen, desto weniger Geruch und Gefühl von ihr war zu finden.
Die letzten Dinge flogen aus dem Fenster in einen Container. Wir saugten und putzten. Wir übergaben die Wohnung. Ein letztes Bild. Ein einziger, letzter Staubpartikel. Ein Abschied.
In der Garage standen noch Blumentöpfe voll mit ihren selbstgedrehten Zigarettenstummeln. Die stehen jetzt vor meiner Haustür voller bunter Blüten. Sie riechen immer noch nach Tabak.
Informationen zum Buch
„Wange an Wange“ von Marcia Friese
Einband: Hardcover mit Folienprägung
Sprache: Deutsch
Seiten: 96 Seiten
Maße: 22 x 28,5 cm
Verlag: Eigenverlag
Preis: 40 €
Bestellbar ist das Buch über mich direkt. Die Fotografien zeigen den Staub in der Wohnung meiner Mutter in den Monaten nach ihrem Tod. Ergänzt werden die Staubfotografien von Kalendereinträgen dieser Wochen.