19. August 2022 Lesezeit: ~11 Minuten

Warum ungestellte Fotos von Postpartumkörpern so wichtig sind

Mit der Frage, wie das Selbstbild als Frau oder Mädchen durch das Rollenbild der Frau in der Gesellschaft und den Medien geprägt wird, beschäftige ich mich seit einigen Jahren – vor allem, weil ich Mutter von zwei Töchtern bin.

Als meine damals vierjährige Tochter vor einigen Jahren ihre Haare abschnitt, weil ihr jemand gesagt hatte, sie seien „hässlich“, war ich zutiefst schockiert darüber, wie ein einziger Satz über ihr Aussehen solche Auswirkungen auf so ein kleines Kind haben konnte.

Mir wurde bewusst, dass sie mit ihren vier Jahren ein bereits tief verankertes Bewusstsein darüber hatte, dass es wichtig für sie war, „schöne Haare“ zu haben und dass sie sich davon verunsichern ließ, dass ein anderes Kind sagte, etwas an ihr sei nicht schön.

Wer hatte ihr beigebracht, für andere schön sein zu wollen? Ich begann, mich damit auseinander zu setzen, wie man in unserer Gesellschaft als starkes, selbstbewusstes Mädchen aufwachsen kann und wie ich so etwas wie „body positivity“ oder „body neutrality“ als Mutter unterstützen könnte. Mir wurde klar, dass Kinder schon im Kleinkindalter eine Rolle auferlegt bekommen.

Dass also das gesellschaftliche Rollenbild schon von frühester Kindheit an beginnt, sich im Selbstbild zu verankern, indem es Frauen nur auf eine bestimmte Art, in einer bestimmten „Rolle“ zeigt und die Angebote für Mädchen in vielen Bereichen dahingehend beschränkt sind, dass sie in dieses Rollenbild passen.

Eltern mit zwei Kindern im Bett von oben

Zum einen kann man das in der Spielzeugindustrie beobachten, die von Geburt an Produkte für Mädchen und Jungen getrennt entwirft – aus dem einfachen Grund, doppelten Umsatz machen zu können. Die Produkte für Mädchen sind meist in Farbtönen des Bereichs rosa bis violett gehalten und kreisen thematisch um den Bereich der Haushaltsführung, Pflegetätigkeiten und um das Verschönern der eigenen Person (beispielsweise Prinzessinnenkleider und Schminke).

Währenddessen ist Spielzeug für Jungen thematisch sehr viel breiter aufgestellt, neben Superhelden und einer schier endlosen Variation von Waffen aller Sparten, finden sich nahezu sämtliche Berufe des Alltags wieder. Es drängt sich der Gedanke auf, dass in den Köpfen der Spielzeugfirmen Jungen im Spiel alles sein können und Mädchen vor allem eines: hübsch.

Ein anderes, besorgniserregenden Phänomen in der Spielzeugindustrie ist die Sexualisierung der Puppen, die immer weiter voranschreitet. Angefangen hat es mit der Barbie-Puppe als eine der meistverkauften Puppen der Welt, die mit ihrer extrem dünnen, großbusigen Form von Beginn an immer wieder in Zusammenhang mit Essstörungen bei jungen Mädchen gebracht wurde. Mittlerweile gibt es noch stärker geschminkte Puppen der Marke „Bratz“.

Neugeborenes wird von Frau gehalten

„Diese ultra-dünnen Figuren sorgen dafür, dass junge Mädchen mit ihrem eigenen Körper nicht mehr so zufrieden sind“, heißt es in der Studie der Universität Sussex, über die die „Sunday Times“ berichtete.

Für die Studie hatten die Forschenden unter Leitung der Psychologin Helga Dittmar rund 200 Mädchen im Alter von fünf bis acht Jahren Bilder von verschiedenen Puppen gezeigt – darunter auch eine Barbie-Puppe und eine Puppe, die natürlichere menschliche Körperproportionen hat. Anschließend wurden die Kinder befragt, wie zufrieden sie mit ihrem eigenen Körper sind. Bei den Mädchen der „Barbie-Gruppe“ war die Unzufriedenheit deutlich höher.

Was wir an Körperbildern sehen, prägt also schon von Kindheit an unsere Wahrnehmung des eigenen Körpers und das Empfinden, was „normal“ oder „schön“ ist und Kategorien wie „gesund“ oder „ungesund“ bzw. „dick“ oder „dünn“. Ich schreibe diese Begriffe in Anführungszeichen, weil es eben nicht realistische Einordnungen sind, sondern stark verzerrte.

Neben Spielzeug ist auch in Kinderbüchern eine Einseitigkeit zu beobachten. Seit Jahren wähle ich für meine Töchter vorwiegend Büchern danach aus, ob es in ihnen eine oder besser mehrere weibliche Hauptfiguren gibt, die in ihrem Charakter vielschichtig sind.

Die aus sich selbst heraus Ideen haben oder etwas schaffen und nicht etwa auf die Rolle reduziert sind, (meistens von einem Prinzen oder Helden) gerettet zu werden und im Grunde nichts tun, außer wunderschön zu sein. Erstaunlicherweise werden diese Kriterien vom Großteil der Kinderbücher nicht erfüllt.

Neugeborenes wird gestillt

Ich habe also nach Wegen gesucht, wie ich meine Töchter in ihrem Weg stärken kann, zu selbstbewussten, starken Frauen heranzuwachsen. Neben der Erkenntnis, dass es sehr vieles wie Werbung, Spielzeug und Bücher gibt, das sie darin eher schwächt als stärkt, und bei dem ich als Mutter überhaupt einen Einfluss darauf habe, inwieweit meine Kinder sie konsumieren, hatte ich die Erkenntnis, dass Mädchen Vorbilder brauchen.

Kinder lernen über das Nachahmen und so liegt es doch nahe, dass sie auch für Dinge wie Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz Vorbilder brauchen.

Ich möchte hier den Begriff der „Selbstakzeptanz“ dem Begriff der „Selbstliebe“ vorziehen. Aus dem Grund, dass es mir um eine Stärkung des Selbstwertes geht und darum, die Reduktion weiblich gelesener Personen auf ihr Äußeres zu bekämpfen. Dabei geht es also nicht darum, zu lernen, sich selbst zu lieben – was natürlich auch schön ist, aber eben etwas anderes.

Sondern es geht darum, die Bedeutung des Schönheitsbegriffs für weiblich gelesene Personen an den Stellenwert anzugleichen, den Äußeres für männlich gelesene Personen hat. Dieser Ansatz wird auch unter dem Begriff „body neutrality“ besprochen, deren gleichnamige Bewegung ich sehr unterstütze.

Also habe ich im Frühling 2016 meinen Selbstversuch begonnen und versuche seitdem, an meinem positiven Selbstbild zu arbeiten, um meinen Töchtern darin ein Vorbild zu sein. Ich denke, dass eine starke, selbstbewusste Mutter zu sein die beste Möglichkeit ist, meine Töchter darin zu bestärken, selbstbewusste Frauen zu werden, die ihre Möglichkeiten ausschöpfen können.

Detailansicht von Babybeinen und dem Unterleib einer Person mit Netzunterwäsche

Ein Teil dieses Selbstversuches, zu mehr Selbstakzeptanz zu gelangen, besteht darin, nach Möglichkeit alle visuellen Eindrücke zu kontrollieren, die Einfluss auf mein Selbstbild haben – negativ wie positiv.

Auf der Suche nach positiven Einflüssen auf mein Körperbild bin ich auf Jade Beall gestoßen. Beall ist eine amerikanische Fotografin, die sich in ihrer Arbeit auf therapeutische Weise mit Körpern beschäftigt und nicht nur den abgebildeten Menschen durch ihre Sichtweise Selbstakzeptanz näher bringt, sondern auch einen Beitrag dazu leistet, ein breit gefächertes, natürlicheres Bild von Schönheit in die Welt zu tragen.

Jade Beall fotografiert Frauen so, wie sie sind – authentisch und natürlich schön. Mit all ihren Narben, Schwangerschaftsstreifen, Kilos, Falten und Widersprüchen. Was im Internet als „A Beautiful Body Project“ begann, ist später als Buch erschienen. Projekte wie dieses tragen dazu bei, dass auch natürliche Körper in der Medienwelt gezeigt werden und dadurch „normal“ wieder normal wird.

Mich hat die Arbeit von Bell zutiefst beeindruckt und persönlich geprägt. Ich folge ihr, anderen Accounts wie melodie_michelberger, kim_____hoss und etlichen Kanäle der Geburtsfotografie, die ähnliche Bilder zeigen, seit 2016 auf Instagram und habe so regelmäßig Bilder von ganz normalen, nackten Müttern in meinem Feed.

Frau hält Baby

Dieses Gegengewicht zum Bodyshaming und retuschierten Frauenbildern, die uns im Alltag in der Presse und Werbung allgegenwärtig begegnen, musste ich mir bewusst selbst schaffen. Ich habe zudem jegliche Art von „Klatschpresse“, Werbung im Fernsehen und Magazinen vermieden – Außenwerbung konnte ich leider nicht ausblenden.

Weiter mache ich einen Bogen um jede Art von Medien, die ein negatives Selbstbild propagieren, indem sie sich auf ein junges, dünnes Frauenbild beschränken, Fotos von Frauen retuschieren oder weibliche Nacktheit zum Bewerben von Dingen verwenden, die inhaltlich in keinem Zusammenhang mit Nacktheit stehen. Dieser Selbstversuch hat mein Körpergefühl in den letzten Jahren stark verändert.

Ich konnte also selbst erleben, welchen Einfluss das Körperbild in meiner Außenwelt auf mein eigenes Körper- und Selbstbild hat. Daraus schließe ich, dass das Selbstbild durch das vorherrschende Rollenbild in der Gesellschaft und den Medien geprägt ist. Dieses Rollenbild schwächt Frauen, weil ihm Vielfältigkeit, Attribute wie Stärke, Intelligenz und reale körperliche Herausforderungen wie Schwangerschaft, Geburt und Postpartum oder das Älterwerden fehlen.

Für ein positives, selbstbewusstes Selbstbild braucht es jedoch Vorbilder. Es braucht normale, starke, selbstbewusste Rollenvorbilder in den Medien, um konstruktiv das Rollenbild in der Gesellschaft zu verändern.

In der Geburtsfotografie sehen wir Frauen in Momenten ihrer größten innerlichen und körperlichen Stärke und Kraft. Wir sehen Nacktheit und Körper in jeglicher Farbe und Form ohne einen sexuellen Zusammenhang.

Wenn es schon einen positiven Einfluss auf das Selbstwertgefühl hat, Bilder normaler unterschiedlicher Körper zu sehen, so lässt es zumindest vermuten, dass Bilder von Frauen unter der Geburt einen umso größeren, stärkenden Einfluss auf uns nehmen können.

Frau stillt ein Baby, Milch läuft aus der Brust

Als 2019 Jule Tilgners und mein Buch „Mutter werden“ mit vielen meiner Fotografien von Geburt und Wochenbett veröffentlicht wurde, erreichten mich zahlreiche emotionale Nachrichten von Frauen, die sich bei mir bedankten, „so etwas“ sehen zu dürfen.

Ich finde diese Nachrichten sehr bezeichnend dafür, was es für Frauen bedeutet, Bilder von tropfenden Milchbrüsten, weichen Bäuchen und Netzschlüpfern zu sehen. Was es umgekehrt im negativen Sinne bedeutet, diese eigene Realität niemals irgendwo repräsentiert zu sehen.

Auch in den Monaten und Jahren nach der Veröffentlichung des Buches wurden meine Bilder in zahlreichen Mainstream-Medien gezeigt und jedes Mal kamen ähnliche Reaktionen von Frauen, die sich bedankten. Es schien wirklich etwas Großes und Neues zu sein, solche echten Bilder von echten Frauen unter und nach der Geburt in deutschen Medien zu sehen.

Es freut mich unheimlich, dass diese Bilder es zu so einer gesellschaftlichen Sichtbarkeit geschafft haben. Was mich aber noch viel mehr freut ist, dass ich mittlerweile nicht mehr so viele Nachrichten bekomme, wenn meine Geburtsbilder und Postpartumbilder veröffentlicht werden.

Weil das bedeutet, dass sie ein Stück weit angekommen sind in der Gesellschaft. Dass wir es geschafft haben, dass Bilder von echten Frauen unter der Geburt und von Postpartumkörpern ein Stück weit normalisiert wurden. Das stimmt mich außerordentlich hoffnungsvoll!

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