Urban Ghosts – Mein Weg zur abstrakten Straßenfotografie
Die Entwicklung meines persönlichen Stils in der Straßenfotografie war für mich der wichtigste Prozess in den letzten Jahren in meinem Schaffen als Fotograf. Ich hatte als passionierter Landschaftsfotograf vor einigen Jahren hier einen Beitrag zum Thema Bergfotografie geschrieben.
Seither hat sich viel verändert. Meine Bergschuhe habe ich an den Nagel gehängt. Seit drei Jahren ist die Straßenfotografie in meiner Heimatstadt Wien der Schwerpunkt meines kreativen Schaffens.
Erste Erfahrungen in der Straßenfotografie
Zur Straßenfotografie kam ich eigentlich ganz zufällig, als ich mir Ende 2019 eine gebrauchte Leica M gekauft habe, um der modernen Kameratechnik ein wenig zu entfliehen. Mit dem neuen Werkzeug in der Hand habe ich mich mehr und mehr mit den Werken bekannter Leica-Fotograf*innen auseinander gesetzt und mein Interesse an der Reportage- und Straßenfotografie geweckt.
Straßenfotografie in meiner Heimatstadt Wien sollte ein Versuch werden, meine direkte Umgebung kreativ zu nutzen, ohne ständig in die Berge zum Fotografieren fahren zu müssen. Meine ersten zwei Jahre waren eine Zeit des Lernens und Experimentierens. Ich habe mir Zeit genommen, das Handwerk Straßenfotografie zu erlernen und versucht, mir die richtige Geisteshaltung anzueignen, die man für dafür benötigt.
Dazu zählte natürlich nicht nur die Handhabung der Kamera selbst, sondern auch das Gespür für funktionierende Fotos, das Isolieren von Motiven und Szenen aus dem hektischen Straßenleben und vor allem auch ein wenig Mut, näher an meine Motive heranzugehen, damit Fotos mit mehr Tiefe entstehen.
Letzteres war durchaus ein schwieriges Unterfangen und das viel zitierte (und anfangs bei mir äußerst verhasste) Zitat von Robert Capa – „If your pictures aren’t good enough, you’re not close enough.“ – hat mich anfangs durchaus herausgefordert! An das Fotografieren im öffentlichen Raum muss man sich gewöhnen. Aber mit der Zeit wurden meine Fotos besser und meine Passion für die Straßenfotografie war voll entfacht!
Inspiration und Bewegungsunschärfe
Neben der aktiven Fotografie auf den Straßen habe ich mir auch viel Zeit genommen, Werke der großen Meister der Straßenfotografie zu studieren und mir Inspiration zu suchen. Dabei haben mich vor allem jene Werke beeindruckt, die von der klassischen Straßenfotografie abwichen und eher einer experimentellen Richtung zuzuordnen sind.
Dazu zählt definitiv die Fotografie des großen Saul Leiter, der ein absoluter Meister darin war, abstrakte Fotos zu erschaffen. Seine malerischen Aufnahmen bei Regen und Schnee, das Fotografieren durch Fenster hindurch, Spiegelungen und die Kombination vieler Elemente in unterschiedlichen Ebenen, wodurch oft kräftige Farben in unscharfen Vordergrundelementen zum Vorschein kamen, haben mich wirklich sehr angesprochen.
Die beiden Künstler*innen, die mich allerdings am meisten beeinflussen sollten, waren Olga Karlovac und Alexey Titarenko, die beide Bewegungsunschärfe als ihr fundamentales Stilelement verwenden. Während Olga Karlovac ihren Schwarzweißfotos meist eine verträumt-melancholische Stimmung verleiht, sind die Werke von Alexey Titarenko eher geisterhaft, düster und unglaublich ausdrucksstark. Die starke Ästhetik, die beide in ihren Werken erzeugen, sollte mich in meinem Schaffen als Straßenfotograf ab jetzt weiter begleiten.
Inspiriert durch Olga Karlovac und Alexey Titarenko habe ich begonnen, in meinem urbanen Umfeld mit Bewegungsunschärfe zu experimentieren. Die Faszination bei der Verwendung von längeren Belichtungszeiten ist die Tatsache, dass man nie wirklich weiß, wie sich das Stilmittel auf das Foto auswirkt und wie es Menschen darstellt. Die Nicht-Vorhersehbarkeit dieser Art von Fotografie übt einen unglaublichen Reiz auf mich aus.
Während meiner Streifzüge durch Wien war es mein Ziel, meinen Motiven ein atmosphärisches, aber nicht zwingend düsteres Aussehen zu verleihen. Ebenso habe ich versucht, Vorder- und Hintergründe so auszuwählen, dass Kontrastunterschiede auf den Schwarzweißfotos möglichst gut zur Wirkung kommen. Begonnen habe ich zunächst mit einer rein monochromen Serie, um mich bewusst auf Kontraste sowie Tonwerte zu konzentrieren und ein wenig die Komplexität, die durch Farbe entstehen würde, herauszunehmen.
Alles passiert im Bruchteil einer Sekunde. Erschaffen habe ich spontane Stadtportraits mit einem geisterhaften Erscheinungsbild, das durch die längere Verschlusszeit entsteht. Entsprechend dem urbanen Umfeld, in dem ich fotografiere, nenne ich meine Werke „Urban Ghosts“, oder eben „Stadtgeister“. Meine ersten Werke, die ich in einer monochromen Bilderserie zusammengefasst habe, tragen den Namen „Monochrome Ghosts“.
Das Spiel mit Farbe
Ich hatte allerdings geplant, dass das Spiel mit Farbe ein wesentlicher Bestandteil meiner Fotos werden würde und so begann ich, parallel zu meiner Schwarzweißserie auch mit Farbe zu experimentieren. Durch die Farbe kommt mehr Komplexität ins Spiel, was meine Stadtgeister noch ein wenig interessanter macht und mich als Fotograf auch noch mehr bei der Auswahl meiner Motive fordert.
Ein gelungenes Foto beginnt meist mit der Suche nach harmonischen Farben und endet mit der Darstellung meines geisterhaften Protagonisten vor einem einfachen und am besten wenig strukturiertem Hintergrund, damit die Farben besser zur Geltung kommen.
Ziel ist es für mich zukünftig, meinen Stil weiter zu festigen, mehrere Bildserien abzuschließen und einfach Freude an meiner Fotografie zu haben.