25. Mai 2023 Lesezeit: ~11 Minuten

Frühling im Muldental

Hast Du schon einmal etwas vom Muldental gehört? Mit Sicherheit nicht. Im Harzvorland aufgewachsen und in Thüringen studiert, kannte ich die Region nicht, bis ich beruflich nach Leipzig kam. Damals wollte ich an den Wochenenden raus aus der lauten Stadt und habe viele Ausflüge ins Leipziger Umland gemacht.

Der bekanntere Süden von Leipzig war als Braunkohletagebaugebiet nicht besonders attraktiv. Heute sind die ehemaligen Braunkohletagebaue größtenteils geflutet und es entstehen neue Naherholungsgebiete. Östlich davon liegt das fast unberührte Muldental. Seit fast 20 Jahren lebe ich in dieser Region, die mir zur zweiten Heimat geworden ist. Das Muldental ist landschaftlich und für mich als Naturfotografin etwas ganz Besonderes.

Es ist nicht nur sehr abwechslungsreich, sondern ich kann in dieser Gegend noch allein durch die Natur wandern. Es gibt keine überlaufenen, touristischen Hotspots, wo man sich mit vielen anderen Fotograf*innen einen besonderen Ort teilen muss. Das genieße ich: Allein mit der Kamera die Natur erkunden und Bilder machen, die eine besondere Stimmung zeigen.

Straße im Sonnnenlicht

Blumenwiese im Sonnenlicht

Gewöhnlicher Natternkopf

Wo liegt das Muldental?

Das Muldental gehört zu den weniger bekannten Regionen Ostdeutschlands. Es ist Teil des Mittelsächsischen Hügellandes zwischen dem Zschopautal im Südosten, dem Klosterbezirk Altzella im Osten und dem Kohrener Land im Westen. Im Norden schließen sich die Leipziger Tieflandsbucht und die Düben-Dahlener Heide an.

Grob gesagt liegt das Muldental zwischen Leipzig, Chemnitz und Dresden. Auch wenn es keine offizielle Bezeichnung in diesem Sinne gibt, sind Freiberger und Zwickauer Mulde bzw. nach ihrem Zusammenfluss die Vereinigte Mulde die prägenden Flüsse der Region. Nicht ganz so aufregend wie die südöstlich angrenzende Sächsische Schweiz oder das Erzgebirge, aber nicht weniger fotogen.

Die Motivvielfalt reicht von Naturschutzgebieten über historische Burgen, Klöster und Schlösser bis hin zu geologischen Besonderheiten. „Im Muldental atmet man Geschichte“, sagte mir einmal eine Besucherin. Wie alle Regionen Mitteleuropas ist auch das Muldental eine Kulturlandschaft: Wo heute Wälder sind, standen einst Siedlungen germanischer und slawischer Völker. Spuren und Hinweise finden sich überall.

So steht in Collm die älteste Linde Sachsens, eine etwa eintausend Jahre alte Sommerlinde. Es ist belegt, dass an diesem Ort vor etwa 800 Jahren, im 12. und 13. Jahrhundert, die Landgrafen von Meißen die oberste Gerichtsbarkeit ausübten. Das waren Gerichtsversammlungen nach germanischem Recht, in denen über Leben und Tod sowie über Besitzstreitigkeiten entschieden wurde.

Heute ist der Baum wieder in einem vitalen Zustand und wird zum Beispiel von der Langohrfledermaus als Tagesquartier genutzt. Diese Linde ist wirklich ein beeindruckender Baum, von dem man sich oft wünscht, er könnte erzählen, was er in den letzten eintausend Jahren alles erlebt hat. Wer sich fotografisch für alte Bäume interessiert, sollte unbedingt eine Rast einplanen.

Alter Baum

Das Muldental erleben

Wie kann man das Muldental kennenlernen? Wie so oft braucht es Zeit und Muße, auch wenn die Höhepunkte der Region in wenigen Tagen besucht werden können. Wer aber die Naturlandschaften erleben und besondere Fotos machen möchte, muss viel Zeit und Geduld mitbringen. Seit vielen Jahren weiß ich, dass rund um die Hängebrücke in Grimma jagende Eisvögel zu beobachten sind. Immer wieder hat man mir davon erzählt, aber gesehen habe ich sie nie.

Ich dachte schon, man hätte mir einen Bären aufgebunden. Doch dann, es war im Corona-Frühling 2020, passierte es: Bei einem meiner fast täglichen Spaziergänge (und an diesem Tag hatte ich keine Kamera dabei) sah ich sie am Ufer der Mulde. Am Rabenstein, einem Felsen an der Mulde, konnte ich über eine Stunde lang beobachten, wie das Eisvogelpärchen von ein und demselben Ast aus immer wieder ins Wasser flog und nach Beute tauchte.

Nach nur wenigen Sprüngen hatten die kleinen Vögel einen noch kleineren Fisch im Schnabel. Welche Ausdauer ein Eisvogel haben muss, um so oft zu springen und immer wieder mit leerem Schnabel aufzutauchen! Ein schönes Sinnbild für die Naturfotografie im Muldental und überhaupt: Wir müssen immer wieder ins kalte Wasser springen, um ein paar Mal das Glück zu haben, ein schönes Motiv einzufangen. Es sind die Kleinode, die weniger spektakulären Orte, die das Muldental so sehenswert machen.

Das Muldental lässt sich auf drei thematisch unterschiedlichen Wegen erkunden, die sich immer wieder kreuzen. Wer lieber spirituell unterwegs ist, dem empfehle ich den Lutherweg, der auf zwei Routen durch das Muldental führt. Für sportlich Interessierte ist der Mulde-Rad- und Wanderweg ein guter Ausgangspunkt.

Wer sich eher für Natur und Geologie interessiert, kann sich auf die Spuren der Via Porphyria begeben. Das Muldental ist sehr weitläufig: Der Mulde-Radweg ist zum Beispiel etwa 366 km lang, die „Via Porphyria“ ist ein rund 200 km langer Rundweg. Alle Orte sind zu jeder Jahreszeit sehenswert, so wie jede Jahreszeit ihre eigenen fotografischen Reize hat.

Ich möchte einen kleinen Einblick in die Natur im Frühling geben und habe dafür drei meiner Lieblingsplätze im Muldental exemplarisch ausgewählt. Es gibt viele kleine Naturschutzgebiete, die zu verschiedenen Jahreszeiten eine ganz besondere Flora haben.

Nebel über einem Feld

Nebliger Waldweg

Buschwindröschen

Kloster Altzella

Das Kloster Altzella fasziniert mich besonders im Frühjahr. Dann blüht im Park der Storchschnabel in bemerkenswerter Fülle. Aber nicht nur das, auch die unzähligen Ruinen auf dem weitläufigen Klostergelände üben einen unglaublichen Zauber aus. Gefallen Dir die Landschaften von Caspar David Friedrich, seine berühmten Gemälde von Rügen und der Sächsischen Schweiz? Weniger bekannt sind seine Skizzen und Bilder von der Klosterruine Altzella – Friedrich besuchte den Park um 1800.

Allerdings zeigen Friedrichs Zeichnungen nicht, dass Altzella zu dieser Zeit wieder eine Baustelle war. An der Stelle der alten Klosterkirche ließ Kurfürst Friedrich August III. nämlich seit 1787 ein helles, tempelartiges Mausoleum als Gedenkstätte für seine mittelalterlichen Vorfahren errichten. Doch Caspar David Friedrich interessiert sich scheinbar nur für das Alte und Verfallene. Die Ruine des Sommerspeisesaals scheint ihn besonders beeindruckt zu haben. Aus der Skizze von 1800 wird dreißig Jahre später ein großes Gemälde: „Ruinen im Walde“.1

Schloss und Hängebrücke

Hängebrücke Grimma

Naturschutzgebiet Wachtelberg-Mühlbachtal

Weiter im Norden befindet sich direkt an der Mulde das Naturschutzgebiet Wachtelberg-Mühlbachtal. Das südlich von Wurzen gelegene Natur- und Geotopschutzgebiet liegt im Landschaftsschutzgebiet „Mittlere Mulde“ und weist im Kernbereich eine Felskuppe aus Porphyr auf. Der Wachtelberg erhebt sich mit einer Höhe von 148 m über das heutige Muldental. In den Steinbrüchen wurde seit dem 12. Jahrhundert Porphyr abgebaut und im 17. Jahrhundert geschlossen.

Der Grund, warum ich dieses Naturschutzgebiet einmal im Jahr besuche, ist nicht nur die große Artenvielfalt und die Verbindung von landschaftlichen, geologischen und botanisch-faunistischen Besonderheiten auf engstem Raum. Als ältestes Pflanzenschutzgebiet Sachsens beherbergt es auch das größte Vorkommen der im April blühenden Kuhschelle.

Der Erhalt der Kuhschelle war auch ausschlaggebend dafür, dass das Gebiet bereits 1911 als eines der ersten Naturschutzgebiete Sachsens unter besonderen Schutz gestellt wurde. Im Steinbruchgewässer laichen Amphibien. Im angrenzenden Mühlbachtal finden sich Spuren von Biber, Fischotter und Kammmolch.

Weiße Blüten auf einem Waldboden

Bitteres Schaumkraut

Violette Blüten

Kuhschelle

Grimma und Umgebung

Schließlich habe ich mir meine Heimatstadt Grimma und die umliegenden Landschaften und Wälder ausgesucht. Jetzt im Frühling gibt es eine Vielzahl von Kleinoden, die ich immer wieder mit der Kamera besuche. Erst vor wenigen Tagen waren die Wälder von Blütenteppichen aus Lerchensporn, Buschwindröschen, Schneeglöckchen und Leberblümchen überzogen. Jetzt im Mai sind die Wiesen und Wälder voller blühender Maiglöckchen, Sternmieren, Milchsterne und Hahnenfuß. Wunderschön sind die dichten Pechnelkenwiesen, die in zartem Rosa bis Violett blühen.

Unweit von Grimma, in einem Wald mit slawischer Siedlungsstätte, blüht das Bittere Schaumkraut in Hülle und Fülle. In diesem Jahr ist es eine wahre Blütenpracht, die wir einem regenreichen Frühjahr zu verdanken haben. Da ich jedes Jahr die verschiedenen Standorte besuche, sehe ich, wie sehr die letzten trockenen Jahre den Pflanzen zugesetzt haben und gleichzeitig, wie schnell sich die Natur wieder erholt.

Maiglöckchen

Maiglöckchen

Käfer

Ölkäfer

Am liebsten fotografiere ich ganz puristisch, ich nehme immer nur ein Objektiv mit, wenn ich fotografieren gehe. Je nachdem, was ich dabei habe, gehe ich auch fotografisch ganz unterschiedlich vor: Weitläufige Blütenteppiche fotografiere ich mit der 50-mm-Festbrennweite, Details mit dem 100-mm-Makro. Natürlich kann es passieren, dass ich gerade das falsche Objektiv bei mir habe. Aber dann muss ich umdenken und versuchen, das Bild ganz anders zu gestalten.

Das Spiel zwischen Licht und Blende fasziniert mich und ich versuche, kreativ damit zu arbeiten. Dabei ist es mir wichtig, mein Sehen, meine Wahrnehmung, mein Gefühl für mich und die Natur mit der Technik und der Bildgestaltung in Einklang zu bringen. Für mich ist es wichtig zu wissen, was ich fotografiere. Dabei hilft mir oft die Bestimmungs-App „Flora Incognita“.

Der Frühling im Muldental endet mit der Fingerhutblüte. Die Pflanzen sind teilweise bis zu zwei Meter hoch. Im Grimmaer Stadtwald gibt es Stellen, an denen sie in großen Gruppen stehen. Ich mag es, eine Gruppe von Fingerhüten eine Zeit lang zu beobachten. Letztes Jahr konnte ich zusehen, wie die Blüten von Spinnen als Tarnung benutzt wurden, um Bienen zu fangen. Ein tolles und martialisches Schauspiel. Es ist unglaublich, dass die kleine Krabbenspinne, die gern die Farbe der Blüte annimmt, gegenüber der wehrhaften Biene im Vorteil ist und die Biene keine Chance hat, zu entkommen.

Spinne frisst Biene an einem Fingerhut

Spinne frisst Biene an einem Fingerhut

Natürlich gibt es noch viel mehr Standorte und zu jeder Jahreszeit eine botanische Besonderheit zu entdecken. Für mich als Naturfotografin ist das Muldental ein Juwel, in dem ich wunderbare Aufnahmen machen kann. Ich denke, dass es diese eher unbekannten Regionen überall gibt. Abseits der Ballungsräume, Großstädte und bekannten Nationalparks wir wissen es nur oft nicht, weil wir im Alltag unsere ausgetretenen Pfade begehen und uns nicht die Zeit nehmen, im weiteren Umkreis die Gegend zu erkunden.

Auch in Deiner Heimat wird es Gegenden geben, die noch nicht so stark touristisch erschlossen und überlaufen sind. Wie so oft reisen wir in die Ferne und übersehen dabei, dass die heimische Natur vor unserer Haustür am schönsten ist.

Wenn Du mehr über meine Art der Naturfotografie wissen möchtest, dann schau mal in mein neues Buch „Naturfotografie – natürlich anders“, das Du bis Ende Mai 2023 zum Subskriptionspreis vorbestellen kannst.

1 Quelle: wissen.schloesserland-sachsen.de

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