22. April 2022 Lesezeit: ~15 Minuten

Im Gespräch mit Jana Mänz über nachhaltige Fotografiebücher

Jana Mänz hat ein Buch über Naturfotografie herausgebracht, das komplett recycelbar ist. Bei der Suche nach einer passenden Druckerei stellte sie fest, dass ihr Bestreben nach Umwelt- und Klimaschutz nicht mit den gängigen Herstellungsmethoden der großen Firmen zusammenpasst und ging einen eigenen Weg. Im Interview mit ihr wollte ich wissen, was herkömmliche Fotografiebücher nicht nachhaltig macht und welche Alternativen sie gefunden hat.

Deine Webseite erreicht man unter dasplastikfreiebuch.de. Wenn ich an Bücher denke, denke ich an Papier und Holz, nicht aber an Plastik. Wo versteckt sich der Kunststoff im Buch?

Ich habe genau wie Du gedacht und es ist auch so, dass die Seiten aus Papier bestehen und der Umschlag aus Pappe. Der Kunststoff versteckt sich in allem, was drum herum ist: Etwa im Bezug der Buchdecken (etwa Buchbinderleinen, die heute aus Kunststoffen bestehen), dem Lesebändchen und dem Buchbinderleim.

Beliebt sind besonders in Kunststofffolien oder Heißfolienprägungen eingeschweißte Bücher. Gerade im Fotobuchbereich gibt es auch viele lackierte Papiere. Man sieht den Kunststoff nicht auf den ersten Blick, aber wenn man sich erst einmal damit beschäftigt, merkt man plötzlich, an wie vielen Stellen er verwendet wird.

Wieso war es Dir wichtig, dass Dein Buch frei von Plastik ist?

Ich wollte mein Buch so ökologisch wie möglich herstellen. Ich hatte zu Anfang meines Projekts eher biologische Tinten und Papiere mit dem Blauen Engel im Sinn. Das Thema Kunststoffe in der Buchherstellung war gar nicht in meinem Fokus. Es wurde zu meinem Kernthema, nachdem ich den Film „Plastic Planet“ gesehen hatte. Dieser hat mich so beschäftigt und geprägt, dass ich bis heute den Wunsch habe, an diesem Punkt etwas verändern zu können. Und auf meinen Fotospaziergängen sehe ich auch so viel Plastik in der Natur liegen.

Buchindex

Am Ende hast Du Dein Buch selbst gebunden. Hast Du Verlage und Firmen gesucht, die Dich bei Deinem Projekt unterstützen könnten?

Es war schwierig. Einen Verlag konnte ich von vornherein ausschließen, da ich als Autorin kein Mitbestimmungsrecht an der Produktion hätte. So blieb mir nur der Weg, das Buch herstellen zu lassen. Dafür sucht man normalerweise eine Buchdruckerei und diese hat dann wiederum Buchbindereien als Partner. Ich habe irgendwann bei meiner Suche beides getrennt und Kriterien formuliert, die mir für mein Buch wichtig waren und keine Firma gefunden, die das Projekt so umsetzen wollte.

Damals habe ich mich geärgert und gedacht, die wollen alle nicht. Heute sehe ich es etwas anders und weiß, dass sie es nicht können. Die modernen Maschinen sind komplex und speziell auf Kunststoffe eingestellt. Ich musste also bei meiner Suche scheitern. Im Grund genommen wird sich erst etwas ändern, wenn entweder gesetzliche Bestimmungen es erfordern oder wenn ein Umdenkprozess stattfinden würde – sprich: eine erhöhte Nachfrage mit hohen Auflagen nach einer kunststofffreien Buchproduktion.

Das wird ein langer Weg, denn es fängt schon bei den Materialen an, die die Buchbindereien einkaufen. Die Großhändler für Buchbindereibedarf können Dir meist nicht einmal sagen, woraus ihre Produkte bestehen. Die Firmen haben oft keine Informationen darüber, wenn man nachhakt.

Heftzwirne zum Binden bestehen beispielsweise meist aus Polyester. Meinen Baumwollzwirn für die koptische Bindung habe ich nach langer Suche im Kurzwarenbereich gefunden: bei einem jungen deutschen Start-up, das sich auf die Herstellung von Baumwollgarnen in Deutschland konzentriert hat. Bis dahin habe ich viel ausprobiert: Flachs, Leinen und anderes, das alles nicht für meine Bindungsart in Frage kam.

Auch wenn es bei Papier nicht konkret um das Kunststoffproblem geht, hat Papier dennoch viel mit Nachhaltigkeit zu tun. Welche Papiere nutzt Du für Dein Buch?

Für mein Buch nutze ich ein Graspapier. Das besteht zu 60 % aus Holzfrischfasern und zu 40 % aus Grasfasern. Das Papier wird in Deutschland hergestellt und das Heu wird auch auf einheimischen Wiesen geerntet. Diese Regionalität war mir sehr wichtig.

Mit dem Holz verhält es sich leider anders. Ich habe nachgefragt und erfahren, dass die Firma FSC-zertifizierte Papierrohmasse (Pulpe) aus zellulosehaltigen Pflanzenfasern (meist Fichte) ganz herkömmlich einkauft. Ich weiß aber, dass auch bei der FSC-Zertifikation zum Teil Raubbau betrieben und falsch deklariert wird.

Papier ist ein hochkomplexes und schwieriges Thema, bei dem es wirklich schwer ist, sich ohne Insider-Wissen einzuarbeiten, um Prozesse von Lieferketten und Herstellung zu verstehen. Für mich sind die 40 % einheimische Wiese zumindest ein Anfang.

Aufgeschlagenes Buch

Gerade beim Fotodruck gibt es ja große Anforderungen an das Papier. Es muss zum Beispiel die Farben gut aufnehmen und korrekt wiedergeben. Welche Herausforderungen hatte das Graspapier?

Ich habe mir mehrere Musterpapiere zuschicken lassen, auch Papiere verschiedener Graspapierfirmen. Tatsächlich war, je nach Firma, der Farbton der Graspapiere ein anderer. Zudem war mir wichtig, dass das Papier eine gewisse Grammatur hat, damit die Fotos nicht durch die Rückseite scheinen. Ich wollte ein 120 g/m² schweres Papier, was relativ dick ist. Zum Vergleich: Das Papier eines normalen Romans hat ein Gewicht von etwa 80 bis 90 g/m². Dadurch war meine Auswahl sehr begrenzt.

Am Ende bin ich auf die Firma Creapaper gestoßen und habe mir auch von ihr einige Muster schicken lassen, mit denen ich zufrieden war. Allerdings musste ich die Papiere dann noch an die Firma weiterschicken, bei der ich den Fotodrucker leasen wollte, um überprüfen zu lassen, ob das Papier mit den Druckern kompatibel ist.

Erschwerend kam hinzu, dass das Papier mit meinen Bindungsarten, einer Mischung aus japanischer, koptischer und Langstichbindung, kompatibel sein musste. Nicht jedes Papier ist dafür geeignet, da es bei der Bindung nicht ausreißen darf. Das war gar nicht so einfach.

Wenn ich an Gräser oder Heu denke, stelle ich mir ein sehr grobes Papier vor. Wie ist die Haptik Deines gewählten Papiers?

Ich finde, es fühlt sich ganz wunderbar an. Es ist dick und kräftig und dennoch nicht zu rau. Was ich an dem Papier aber besonders liebe – und das würdest Du auch direkt feststellen, wenn Du mich zu Hause besuchen kommen würdest: Es riecht wunderbar. Alle, die reinkommen, sagen, dass es nach Sommerheu riecht. Auch wenn man das Buch aufschlägt, riecht es nicht nach Kleber. Das Buch ist definitiv etwas für alle Sinne.

Bild von einem verschneiten Tannenzweig

Und wie ist die Struktur? Sieht man die verschiedenen Gräser im Papier?

Ja, hier und da findet man diese kleinen Gräsersamen auf dem Papier verteilt. Und wenn man es gegen die Sonne hält, dann glänzt es golden. Ähnlich wie Heu in der Sonne auch golden glänzt, wenn man es auf der Weide sieht. Jedes Bild, das auf diesem Papier gedruckt wird, ist dadurch auch ein Unikat, weil die individuelle Struktur leicht durchkommt. Jedes Buch ist anders.

Deine Bilder passen auch perfekt dazu. Du fotografierst Natur und sogar Wiese und Gräser, sodass am Ende durch das Papier alles wieder zusammenkommt. Für aufgeräumte Architekturaufnahmen kann ich es mir jedoch nur bedingt vorstellen.

Menschen und Portraits kann ich mir auf dem Papier auch gut vorstellen. Auch schwarzweiß sieht sehr schön aus. Aber ja, das Bankenviertel in Frankfurt passt vielleicht nicht so recht.

Ich habe ein wenig recherchiert und nach anderen nachhaltigen Papieren gesucht. Dabei bin ich auf Apfelpapier gestoßen. Dabei werden die Abfälle, die bei der Saftpressung anfallen, zu Papier verarbeitet. Hast Du das ausprobiert?

Nein, leider nicht. Aber gerade mache ich eigenes Gurkenpapier. Dabei schichtet man Gurkenscheiben übereinander und presst es über Tage in der Buchpresse zwischen Zeitungspapier. Das ist natürlich nicht besonders ökologisch, denn bevor man ein kleines Stück Gurkenpapier hat, verbraucht man einen ganzen Stapel Zeitungspapier. Es ist eher eine kleine Spielerei.

Aber ich finde die Papiersuche auch weiterhin sehr spannend. Mein Vorsatzpapier habe ich zum Beispiel bei Gmund gekauft und bin damit auch zufrieden gewesen. Aber mein Ziel ist es, das irgendwann auch selbst zu machen. Es gibt einfach so viel zu entdecken. Es gibt Gemüse-, Obst- und Blütenpapiere. Ich liebe auch die japanischen Papiere. Es wäre ein Traum, nach Japan fliegen und all diese Papierfabriken besuchen zu können.

BuchbindungBuchbindungswerkzeug

Tomas Wüthrich hat sein Buch „Doomed Paradise“ auf feuchtigkeitsbeständiges Papier aus Kalkmehl gedruckt. Für die Produktion des Papiers wurde kein Baum gefällt und kein Trinkwasser verbraucht. Ist das vielleicht eine bessere Alternative als Holz?

Das kann ich Dir nicht beantworten, es ist schwierig zu beurteilen. Kalkpapier war auf jeden Fall im Gespräch mit einer Druckerei. Ich weiß leider nicht mehr, was damals dagegengesprochen hat. Du musst Dir vorstellen, dass dieser Prozess von der Idee des Buches bis zur Fertigstellung über vier Jahre dauerte und einige frustrierende Erlebnisse und Absagen mit sich brachte. Allein die ersten zwei Jahre habe ich nach einer möglichen Druckerei und Buchbinderei gesucht.

Ich hatte ganz viele Druckereien in meiner Region angeschrieben und keine wollte Graspapier bedrucken. Eine Druckerei hatte sogar behauptet, die Farben würden darauf nicht halten und abfallen.

Es gibt auf jeden Fall viel mehr Möglichkeiten, als mir im Moment bewusst ist. Das Problem bei all den Alternativen ist, dass man Papier finden muss, das der Drucker auch verarbeiten und woraus man Bücher binden kann. Diese Gemüsepapiere würden zum Beispiel gar nicht funktionieren, denn sie werden hart wie Pergament, damit würde ich wohl tatsächlich eher den Drucker kaputt machen.

Bevor ich mir einen professionellen Drucker geleast habe, habe ich leider auch einen Tintenstrahldrucker von Epson zerstört, weil ich ein stark zellulosehaltiges Papier von Hahnemühle verwendet hatte, das einen hohen Abrieb hat, der in den Walzen hängen blieb und sie zerstörte. Deshalb hatte ich auch mit der Leasingfirma vorher abgeklärt, ob ich das Graspapier verwenden darf.

Hat die starke Beschäftigung mit der Buchherstellung die Art Deiner Fotografie beeinflusst?

Meine Fotografie in dem Sinn nicht, aber auf jeden Fall meine Selbstständigkeit. 2020 war sicher für alle Kreativen ein schlimmes Jahr. Von heute auf morgen sind alle Aufträge weggebrochen und ich stand vor dem Nichts. Die Arbeit am Buch hat mir geholfen, aus dem Tief herauszukommen. Ich habe zudem basierend auf dem Buch einen Workshop über Naturfotografie entwickelt, der ein Jahr lang geht und sehr gut aufgenommen wurde. Er geht jetzt in die zweite Runde.

Zudem bin ich durch das Buchprojekt, als es im Corona-Sommer 2020 eigentlich schon vor dem Aus stand, auf die neue Schaubuchbinderei in meiner Stadt aufmerksam geworden und habe hier tolle Menschen kennengelernt. Wie den Buchbindermeister Dieter Johst, der mir mit meinem Buch wahnsinnig geholfen hat. Ohne ihn hätte ich mein kunststofffreies Buch nie verwirklichen können. Seitdem lerne ich bei ihm ehrenamtlich die Handbuchbinderei an historischen Geräten.

WerkzeugBuchpressung

Du produzierst Dein Buch auch ganz im Sinne der Nachhaltigkeit immer erst mit der Bestellung. Wie lange brauchst Du für ein Buch?

Die Buchdecken habe ich alle in einem Rutsch produziert. Dafür arbeitete ich einen Monat lang in der Buchbinderei: habe die Buchbinderpappen mit Graspapier bezogen, geprägt und die Löcher für die Bindung gebohrt. Die Buchdecken sind also bereits fertig.

Wenn jetzt eine Bestellung reinkommt, drucke ich die Einzelseiten aus, falze sie zu Druckbögen und loche diese für die Bindung anschließend mit einer Ahle. Dann binde ich die Druckbögen zu einem Buchblock, der anschließend beschnitten wird. Daraufhin werden die Buchdecken an den Buchblock angeheftet und die Vorsatzpapiere angepappt und eingepresst. Danach muss alles einen Tag lang trocknen. Es gibt also einige Arbeitsschritte, für die ich pro Buch etwa sechs Stunden benötige.

Dein Buch kostet 148 €. Im Hinblick auf die Arbeitszeit klingt das viel zu günstig.

Ja, wenn ich einen normalen Stundenlohn von, sagen wir mal, 40 € nehmen und die Materialien sowie die Vorbereitung mit einberechnen würde, wäre das Buch schlicht nicht bezahlbar. Trotzdem sind 148 € eine stolze Summe für ein Buch und ich möchte ja am Ende, dass das Buch auch gekauft wird. Es ist ein künstlerisches Projekt, das man nicht mit einer industriellen Buchproduktion messen und mit Geld aufwiegen kann. Dafür steckt auch zu viel Herzblut in diesem Projekt.

Zumal es inhaltlich über die reine Fotoschule hinausgeht und einen philosophischen Anspruch hat. Es geht um die japanische Ästhetik und das Warum der Fotografie. Es geht weit über die herkömmlichen, technischen Themen hinaus. In der handgemachten Herstellung spiegelt sich damit auch der Inhalt wider – Text, Fotografien und Form verbinden sich zu einer kunstvollen Einheit.

Wie lang ist Dein Buch im Vergleich zu den gängigen Büchern haltbar? Du bewirbst es damit, dass es komplett recyclingfähig ist. Wird es in 100 Jahren noch nutzbar sein?

Aus meiner Arbeit in der Schaubuchbinderei kann ich Dir sagen, dass wir hier Bücher aus dem 17. Jahrhundert bekommen, um sie zu reparieren. Diese Bücher sind natürlich komplett kunststofffrei produziert worden und halten bis heute. Was wir reparieren, sind meist die Bindung und die Buchdecken, die sich langsam auflösen. Aber das ist normal, wenn ein Buch viel benutzt wird. Wenn man ein Buch pfleglich behandelt und nicht gerade Holzwürmern, Wasser oder Feuer aussetzt, dann hält es viele Jahrhunderte. Auch ohne Plastik.

Gleichzeitig denke ich auch, wenn der Inhalt nicht mehr aktuell ist, dann ist es doch gut, wenn das gesamte Buch recycelt werden könnte. Aktuell werden Bücher jedoch thermisch verwertet. Sinnvoller wäre es, wenn man aus dem Altpapier neue Bücher oder andere Produkte machen und sie so wieder in den Kreislauf zurückführen könnte.

Aktuell wird Papier immer teurer und der Gedanke an Nachhaltigkeit bei den Menschen größer. Siehst Du eine Entwicklung in dem Bereich auch bei den Verlagen und Druckereien?

Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber gerade bei meiner Suche hatte ich das Gefühl, dass aktuell noch wenig Interesse besteht. Im Gegenteil: Ich wurde teilweise ausgelacht und beschimpft. Daher war ich so verzweifelt und habe es am Ende in die eigene Hand genommen.

Bei meiner Recherche musste ich auch immer wieder feststellen, dass nicht alles, wo „öko“ draufsteht, auch wirklich ökologisch ist. Mein Lieblingsbeispiel sind Bücher zum Thema „plastikfrei leben“, die mit Kunststoffmaterialien in China produziert werden.

Es gibt auch die Klimabuchmesse. Dort geht es unter anderem um nachhaltige Buchproduktion und dennoch werben sie mit großen Firmen, von denen ich weiß, dass sie ihre Bücher nicht ökologisch herstellen und eher auf Siegel wie „klimaneutral drucken“ und CO2-Zertifikate setzen. Es nützt meines Erachtens nichts, wenn ein Baum in Afrika gepflanzt wird und wir hier weiter umweltschädlich produzieren. Wir müssen etwas vor Ort verändern und können dann zusätzlich einen Baum (Apfelbäume!) pflanzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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