25. September 2019 Lesezeit: ~6 Minuten

Die letzten Penan im Regenwald von Borneo

Auf dem Coverbild von „Doomed Paradise“ lächelt mich ein junger Mann in Jeans an. Er hält dabei einen riesigen, toten Vogel an den Flügeln nach oben. Kein schönes Bild, aber ein sehr gutes. Denn ja, der arme Vogel! Aber ich weiß auch, dass ich mich an dieser Stelle mit dieser Reaktion selbst vorführe.

Denn der Mann kann den Vogel im Gegensatz zu mir benennen. Er wird ihn nutzen – von den Federn, über das Fleisch bis hin zum Blut. Gleichzeitig sterben in diesem Wald täglich Tausende Tiere durch Rodungen und unser Konsumverhalten. Und Menschen wie der junge Mann auf dem Cover verlieren ihre Heimat.

Mann mit totem Fasan

Udi mit einem männlichen Argusfasan. Die schönen Federn lassen sich zu Geld machen.

Zwei Menschen unter einem großen Baum

Peng und sein Sohn Ulen am Fuß einer Würgefeige.

Er heißt Udi und gehört zur indigene Volksgruppe der Penan, die in den Regenwäldern Borneos lebt. Seit den 80er Jahren kämpfen sie gegen Holzkonzerne und für ihre Heimat. Heute sind nur noch 10 % des ursprünglichen Waldes intakt und viele der 10.000 Penan sind auf Druck der Regierung und wegen des eingeschränkten Jagdreviers sesshaft geworden.

Größere Bekanntheit erlangten die Penan durch den Menschenrechtsaktivisten Bruno Manser. Er schloss sich den Penan 1984 an und unterstützte sie beim Widerstand gegen die Holzindustrie. Im Jahr 2000 verlor sich jedoch plötzlich jede Spur von ihm, 2005 wurde er für verschollen erklärt.

20 Jahre nachdem Manser auf die Probleme der Penan aufmerksam machte, begann der Fotograf Tomas Wüthrich, die Penan mit seiner Kamera zu dokumentieren. Er lebte von 2014 bis 2018 zum Teil mehrere Monate lang unter ihnen. Entstanden ist dabei eine starke Reportage, die einen tiefen Einblick in das Leben und die Kultur einer Volksgruppe gibt, die erst seit 120 Jahren überhaupt bekannt ist.

Hütte im Regenwald

Méri Peng mit Tochter Yonani in ihrer Hütte.

Auf den 160 Seiten des Bildbandes finden sich 100 Fotos des Schweizer Reportagefotografen. Sie zeigen die Penan in ihrem Alltag. Man sieht sie beim Jagen, Kochen und Schlafen. Und man sieht auch, wie fragil die ursprüngliche Lebensweise ist. Denn einige Bilder irritieren beim Durchsehen: etwa ein Kind im Pokémon-T-Shirt oder eine Frau, deren Gesicht vom Schein eines Handys erhellt wird. Weder romantisiert Tomas die Lebenswelt, noch bewertet er sie auf eine andere Weise in seinen Fotos.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht die teilnomadische Gruppe um Häuptling Peng Megut. Allein mit ihr verbrachte Tomas Wüthrich sechs Monate. Tomas begleitete den Häuptling auch bei seinen Bestrebungen, Landrechte bei der Regierung einzufordern. Eine Bildserie des Buches, die Mut macht.

Zwei Personen an einer Barrikade

Peng Megut und sein Sohn Ulen an der Blockade, die sie gegen die Holzfäller errichtet haben.

Zwischen den Fotos gibt es Texte von bisher nur mündlich überlieferten Mythen der Penan, die der kanadische Linguist Ian Mackenzie sammelt und untersucht. Der Eingangstext von Lukas Straumann ordnet die aktuelle Situation historisch und politisch ein und verschafft einen Überblick über ihre jüngste Geschichte. Das Besondere dabei ist, dass alle Texte im Buch dreisprachig sind: zuerst in Penan, dann auf Englisch und Deutsch.

Das Buch ist nicht nur eine wertvolle Einsicht in das Leben einer indigenen Volksgruppe, die ums Überleben kämpft. Es ist auch ein Projekt für sie. Das wird deutlich an den ungewöhnlichen Materialien, die bei der Erstellung des Buchs verwendet wurden: Es wurde auf feuchtigkeitsbeständiges Papier aus Kalkmehl gedruckt. Für die Produktion des Papiers wurde kein Baum gefällt und kein Trinkwasser verbraucht.

Selbst die Metallklammern, die das Buch zusammenhalten, sind rostfrei, um im Regenwald Borneos lange zu bestehen. Lediglich über die Wahl des Plastikumschlags konnte ich nichts herausfinden. Vielleicht war er ein Kompromiss, um das Buch möglichst wasserbeständig und so auch nachhaltig zu gestalten.

Eine Frau mit zwei Kindern schauen ins Handy

Telefonieren ist nicht möglich, aber Videos, Bilder und Musik werden fleißig getauscht.

Der Nachteil des verwendeten Papiers: Es riecht nicht gut. Beim Auspacken stieg mir ein wirklich starker Geruch in die Nase der nach einigen Tagen verfliegt. Und das Papier ist unglaublich dünn. Man sieht auf den Bildern zum Teil die Vorderseite durch. Bei jedem anderen Buch würde mich das sehr stören.

So kann ich es durchaus im Gesamtkonzept verschmerzen, dass die gewohnte Buchqualität hinter dem Nutzen zurückbleibt. Denn insgesamt ist es ein großartiges, sehr gut durchdachtes Projekt mit unglaublich starken Reportageaufnahmen. Tomas selbst schrieb mir auf meine Frage zu den verwendeten Materialien zurück:

Ich wollte nicht ein herkömmliches schönes Buch machen. Ich wollte nicht, dass das Buch ein Grab wird für eine aussterbende Kultur. Ich wollte ein Buch, das zurückgeht; ein Buch, das den Penan dient. Ich finde, es geht heute nicht mehr an, an einen exotischen Ort zu fahren, dort zu fotografieren und dann ein Buch zu machen – nur für uns sogenannte Zivilisierte. Dieses postkolonialistische Gehabe ist vorbei.

Die Welt ist globalisiert, wir sitzen mit den Penan im gleichen Boot. Es hat Auswirkungen auf unser Klima, wenn dort der Wald gerodet wird und unser Palmölkonsum hat Auswirkungen auf die Penan. Ich wollte nicht nur nehmen, sondern auch geben. Wir werden das Buch zurückbringen. Es wird in Malaysia in den Bibliotheken landen. Es gibt nun ein Buch auf Penan. Eine Sprache, die nur 10.000 Menschen sprechen und es wird beständig sein in ihrem Lebensraum.

Auf der Rückseite des Buches findet sich auch ein QR-Code, mit man akustisch in die Welt der Penan eintauchen kann. Durch ihn kann man sich die Geräusche des Regenwaldes anhören sowie Häuptling Peng Megut, der die Geschichte erzählt, wie der Vogel auf dem Cover zu seinen schönen Federn kam.

Informationen zum Buch

„Doomed Paradise“ von Tomas Wüthrich
Sprachen: Deutsch, Englisch, Penan
Einband: Taschenbuch mit Plastikumschlag
Seiten: 160
Maße: 22,8 x 31,2 cm
Verlag: Scheidegger & Spiess
Preis: 48 €

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