06. April 2023 Lesezeit: ~9 Minuten

Das Gefühl, das nur wir kennen

Tja, was ist dieses Gefühl? Ich war nie selbst bei den Pfadfinder*innen und habe im Gespräch mit Stephan Lucka versucht, herauszufinden, was das Besondere an dieser Gemeinschaft ist, die ich nur aus den Comics um Tick, Trick und Track kenne.

Stephan hingegen war bereits als Jugendlicher Mitglied und hat nun 20 Jahre später versucht, mit der Kamera das Gefühl von damals einzufangen. Herausgekommen ist ein Bildband über Nähe, Freundschaft und Freiheit.

Hallo Stephan. Du warst als Kind und Jugendlicher selbst bei den Pfadfinder*innen. Hast Du dieses Gefühl von damals denn jetzt wiedergefunden?

Im Prinzip ja. Natürlich ist nicht alles eins zu eins genauso wie damals, es liegen schließlich auch 20 Jahre dazwischen, aber viele Dinge und besonders dieses Gefühl war so, wie ich es damals schon empfunden hatte.

Pfadfinder*innen tanzen auf einem Festival

Ich frage das auch so konkret, weil ich festgestellt habe: Wenn man an Orte von früher zurückkehrt, wirken sie oft anders. Nicht unbedingt, weil sie sich verändert haben, sondern viel mehr, weil man sich selbst stark verändert hat. Ist Dir dieses Phänomen auch bei Deinem Fotoprojekt begegnet?

Ich bin im Grunde an einen ideellen Ort zurückgekehrt. Ich war auch dieses Mal wieder als Pfadfinder dort und habe das gemacht, was Pfadfinder*innen machen. Ich bin auf Fahrt gegangen, habe Zelte aufgebaut und habe am Lagerfeuer gesessen. Dieses Mal habe ich das alles jedoch gleichzeitig fotografiert. Deshalb ist es nicht komplett das Gleiche gewesen. Bestimmte Situationen waren aber tatsächlich genauso wie damals. Zum Beispiel das Gefühl, wenn es regnet und man das Zelt aufbauen muss, das ist immer noch dasselbe.

Was ich auch feststelle, ist, dass Pfadfinder*innen so eine Verbindung haben, die schwer zu beschreiben ist. Auch wenn es zum Teil viel jüngere Menschen sind als ich, komme ich mit ihnen sofort ins Gespräch. Es ist wie mit guten Freund*innen, mit denen man einfach Gespräche über irgendetwas anfangen kann. Diese Art von Verbindung habe ich in der Gemeinschaft sehr oft. Man gehört einfach dazu.

Das finde ich spannend, weil gerade der Altersunterschied in unserer Gesellschaft oft so eine große Kluft zu sein scheint. Als älterer Mensch hat man eine gewisse Verantwortungsposition.

Das stimmt und hat mich auch oft erstaunt. Selbst im Vergleich zu den Gruppenleitungen war ich meist doppelt so alt, aber das Alter hat nie eine Rolle gespielt. Ich weiß nicht, woran das liegt.

Pfadfinderinnen umarmen sich

Du schreibst über Dein Buch, dass Du die Bilder gemacht hast, weil Du dieses besagte Gefühl nicht beschreiben kannst. Du wolltest es stattdessen mit Deinen Fotos zeigen…

Ja, und jetzt fragen alle: Was ist denn nun dieses Gefühl?

Und dann sagst Du: Sieh Dir die Bilder an!?

Könnte ich natürlich machen und das Schöne ist ja, dass jede*r dieses Gefühl für sich selbst neu interpretieren kann. Ich versuche, eine Antwort zu geben, weil ich darüber in den letzten Jahren wirklich viel nachgedacht habe. Für mich steckt in diesem Gefühl sehr viel Freiheit. Das wird mir auch in Gesprächen mit den anderen Pfadfinder*innen bestätigt. Im Buch findet man einige Interviews, die ich geführt habe und da klingt dieses Freiheitsgefühl immer wieder an.

Das finde ich spannend, denn Pfadfinder*innenschaft wirkt nach außen hin schon ein wenig strikt und starr, mit vielen Regeln. Dann wird auch noch Kluft getragen! Dabei denkt man eigentlich nicht unbedingt an Freiheit. Meine Erfahrung ist aber, dass diese Gemeinschaft und ihr Rahmen die Freiheit bedingen und bei der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit helfen.

Besonders die Jüngeren, die in einer sehr beschleunigten digitalen Welt aufwachsen, erzählten mir, dass sie außerhalb der Gemeinschaft oft das Gefühl haben, sich verstellen zu müssen und bestimmten Anforderungen und einem Bild entsprechen müssen. Das fällt im Rahmen der Gemeinschaft weg. Da interessiert es nicht, wie man aussieht oder wie man rumläuft, da geht es um ganz andere Sachen.

Natürlich muss man sich auch auf Fahrt einbringen und Aufgaben erledigen, etwa abspülen oder Zelte aufbauen. Aber all diese Sachen sind kausal. Wenn Du Dein Zelt nicht aufbaust, dann schläfst Du draußen und wirst nass. Es gibt einfach logische Konsequenzen.

PortraitPfadfinder checkt smartphone im Zelt.

Viele der Jugendlichen berichten in Deinen Texten davon, dass sie ihr Handy auf den Treffen nicht vermissen. Das hat mich überrascht, weil es die Relevanz in ihrem Alltag hervorhebt. Oder hattest Du sie gezielt danach gefragt?

Vielleicht habe ich ein wenig darauf abgezielt, ja. Nicht direkt auf das Handy, aber ich habe nach Unterschieden zwischen Alltag und der Welt der Pfadfinder*innen gefragt. Es gibt ja aktuell das Klischee von typischen Jugendlichen, die ständig am Handy hängen.

Das Handy ist bei den Pfadfinder*innen nicht verboten, aber zumindest nicht gern gesehen. Einer der Kleineren meinte auch sinngemäß: „Die anderen ersetzen das Smartphone.“ Man muss nicht nachschauen, ob jemand geschrieben hat, weil ja alle neben einem sitzen. Oft passiert auch so viel, dass man gar keine Zeit dafür hätte.

Wie lange hast Du an diesem Fotoprojekt gearbeitet?

2015 habe ich die ersten Bilder gemacht und dann immer wieder zwischendurch neben Alltag und Job daran gearbeitet. Ich war auf verschiedenen Lagern und Fahrten dabei, aber auch recht regelmäßig einfach bei den Gruppennachmittagen.

Pfadfinder stehen an der Straße

Wie hast Du das Fotografieren und Dein Projekt mit den Pfadfinder*innen kommuniziert? Sie haben Dir anscheinend sehr vertraut, wenn ich mir die Bilder ansehe.

Dass ich selbst Pfadfinder bin, hat natürlich geholfen. Ich kenne die ganzen Rituale und Abläufe und war nicht fremd. Es gibt auch viele Fotos von Pfadfinder*innen aus meinem Verband, zu denen ich einen direkten Zugang hatte, weil ich sie schon vorher kannte.

Ich habe aber auch viel in Dortmund mit einer Gruppe gearbeitet, die ich vorher anrufen musste, um mein Projekt zu erklären. Viel ist auch eine Frage von Zeit. Zu der einen Gruppe bin ich jede Woche gegangen, oft auch ohne zu fotografieren. Das schafft Vertrauen und Normalität und ist für diese Art der Fotografie wahnsinnig wichtig.

Es muss alltäglich und normal sein, dass da einer mit einer Kamera rumrennt. Das war am Ende auch so. Ich habe dazugehört und kam so an Bilder, für die sich die Leute nicht mehr verstellt haben. Meistens habe ich gar nicht fotografiert, sondern war einfach da, habe mitgeredet und geholfen. Ich war also keine neutrale Person vor Ort.

Standen der Titel und das Thema schon zu Beginn fest oder haben sie sich im Laufe des Prozesses ergeben?

Der Titel kam später. Der Ausgangspunkt des Projektes war, dass ich zu Beginn der Fotos die Leute gefragt habe, was das Besondere daran ist, Pfadfinder*in zu sein. Die meisten konnten das nicht beschreiben, wussten aber, was es ist. Es ging also um etwas Ungreifbares, das man vielleicht nicht in Worten, aber in Fotos festhalten könnte.

Im Grunde gibt es ja ganz viele Begrifflichkeiten, die man nicht beschreiben kann. Es gibt tausend Versuche, Liebe oder Freundschaft zu beschreiben und es gibt einfach keine eindeutige Antwort. Es geht in meinem Buch um Emotionen, Intimität und Nähe. Das kann man natürlich versuchen zu beschreiben, aber ich bin halt Fotograf.

Wie hält man dann ein Gefühl in einem Foto fest?

Ja, das ist Interpretationssache. Pfadfinder*innen werden mein Buch sicher anders sehen, als Menschen, die gar keinen Bezug zu dem Thema haben. Vielleicht ist aber gerade deshalb Fotografie das bessere Medium.

Hast Du Rückmeldungen von Menschen aus anderen Jugendgruppen bekommen? Können die das Gefühl nachvollziehen? Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass in einem Sportverein ähnliche Erfahrungen und Freundschaften entstehen können.

Ich werde häufig gefragt, ob es einen Unterschied zwischen einem Sportverein und den Pfadfinder*innen gibt. Die Antwort darauf ist für mich ein klares Ja. Beim Sport geht es um Leistung. Wenn Du gut bist, darfst Du mitspielen und wenn nicht, dann sitzt Du auf der Ersatzbank. Das gibt es bei den Pfadfinder*innen nicht. Da findet sich für jede Person eine Aufgabe und alle können ihre Talente einbringen. Vielleicht gibt es das auch in anderen Jugendgruppen, aber zum Sportverein ist das für mich ein klarer Unterschied.

Ist das Projekt für Dich mit dem Buch abgeschlossen?

Ja, für mich ist das Thema fotografisch erst einmal auserzählt. Jetzt möchte ich zunächst wieder nur Pfadfinder sein, ohne die Kamera. Ich war vor Kurzem das erste Mal auf einem Lager und hatte die Kamera zuhause gelassen. Im ersten Moment hat sich das etwas komisch angefühlt, aber es war auch sehr schön.

Danke für das Gespräch!

Informationen zum Buch

„Das Gefühl, das nur wir kennen“ von Stephan Lucka
Sprache: Deutsch
Einband: Hardcover
Seiten: 120
Maße: 19,7 x 23,8 cm
Verlag: Spurbuchverlag
Preis: 32 €

Ähnliche Artikel