06. Juni 2023 Lesezeit: ~11 Minuten

Meeting Sofie

Snezhana von Büdingen-Dyba lernte 2017 die damals 18-jährige Sofie kennen. Seitdem hält die Fotografin die junge Frau und ihr Leben in wunderbar märchenhaften Bildern fest. Im Interview wollte ich wissen, wie es dazu kam und welchen Bezug die Fotografin bis zur Begegnung mit Sofie zu Menschen mit Down-Syndrom hatte.

Kannst Du Dich an Deine erste Begegnung mit Sofie erinnern?

Ja, natürlich, die erste Begegnung mit Sofie war im Oktober 2017. Sofie und ihre Mutter Barbara holten mich mit dem Auto vom Bahnhof ab. Sofie begrüßte mich mit einem kurzen Hallo und beachtete mich die ganze Fahrt über kaum. Zuhause bei der Familie angekommen, unterhielt ich mich mit Barbara und Sofie beobachtete uns ganz interessiert. Nach einiger Zeit, als ich gemerkt hatte, dass Sofie mich willkommen heißt, fragte ich sie, ob ich ein Portrait von ihr machen dürfte. Sie stimmte zu. Das war der Anfang der Serie „Meeting Sofie“ und unserer Freundschaft.

Ich habe ihr anschließend die Fotos per Post geschickt. Auf Papier „lebt“ das Bild und Sofie hatte jedes Mal ein kleines Erlebnis – Bilder auspacken und an die Wand hängen. Sofie liebt es, Geschenke per Post zu erhalten.

Portrait zweier Frauen

Wie kam es zu diesem ersten Treffen mit Sofie? Wie hast Du die Familie kennengelernt?

Da muss ich ein wenig ausholen. Alles begann mit meinem Fotoprojekt „Mutter“, bei dem ich Mütter mit ihren Kindern mit Down-Syndrom fotografiert und interviewt habe. Zu diesem Projekt kam ich durch ein Fotoshooting, bei dem ich eine Mutter mit ihrem Sohn mit Down-Syndrom fotografiert habe. Vor diesem Tag war ich noch nie so wirklich mit Menschen mit Down-Syndrom in Berührung gekommen. Die innige Mutter-Sohn-Beziehung vor meiner Kamera brachte mich auf die Idee, das Fotoprojekt „Mutter“ zu starten. Für dieses habe ich auf Facebook einen Aufruf geschrieben, der Mütter mit ihren Kindern zu mir ins Fotostudio in Köln einlud.

Sofies Mutter Barbara wollte gern mit Sofie für die Serie „Mutter“ fotografiert werden. Leider wohnen sie weit von Köln entfernt. Deshalb lud sie mich ein, für ein paar Tage zu ihnen auf den Hof nach Sachsen-Anhalt zu kommen. Barbara war sehr aufgeschlossen und herzlich. Im Oktober 2017 machte ich mich dann auf den Weg.

Du sagst gerade, dass Du vorher selbst kaum Berührungspunkte mit Menschen mit Down-Syndrom hattest. So geht es ja sehr vielen Menschen in Deutschland, weil das gesellschaftliche System diese Menschen stark ausgrenzt. Wir sehen zum Beispiel keine Menschen mit Down-Syndrom in Schulen oder Kindergärten.

Ja, leider gibt es immer noch zu wenige integrative Kindergärten und Schulen. Es gibt aber auch andere Probleme, die wir durch Veränderungen unseres Verhaltens und unserer Sicht auf Menschen mit Behinderung lösen können. Anja, eine der von mir portraitierten Mütter, bringt es in ihrem Interview auf den Punkt:

Ich will Spaß haben mit meinem Sohn. Und die Leute sollen sehen, dass Kinder mit Behinderung Freude und Spaß an Sachen haben, wie andere Kinder auch. Ich möchte alle ermutigen: Habt Mut und sprecht die Familien an, statt zu glotzen und zu tuscheln. Nur bitte lasst es mit dem Bemitleiden! Das ist unnötig. Ich brauche kein Mitleid, weil wir nicht leiden. Im Gegenteil: Wir leben mit viel Freude, Höhen und Tiefen, wie jede andere Familie auch.

Genau das ist auch das Ziel meiner Serie „Mutter“ gewesen: diese innige Mutter-Kind-Beziehung sichtbar zu machen.

Zwei Menschen liegen zwischen Mohnblumen

Jetzt reden wir so viel über die Behinderung von Sofie. Natürlich ist sie ein Teil von ihr, aber sie macht sie nicht aus. Sofie ist viel mehr. Es gibt viele Facetten von Sofie und das zeigst Du in ihren Portraits sehr eindrücklich. Wie bewusst hast Du das verfolgt oder kam es ganz natürlich?

Das kam ganz natürlich. Ich wollte „Sofies Welt“ in Bildern festhalten. Mich hat unter anderem ihr Humor fasziniert, der ist wirklich super. Dazu hat sie eine ganz eigene warmherzige Art, wie sie mit den Menschen umgeht. Ihre Verbundenheit mit der Natur, intensives Leben, Fühlen und Lieben – das alles inspirierte mich und darauf habe ich auch mein Augenmerk gelegt.

Du hast Sofie kennengelernt, als sie 18 Jahre alt war. Eine Zeit, die für alle Menschen nicht leicht ist: Der Übergang vom Teenager zum jungen Erwachsenen. Wie bewusst war Dir zu Anfang, dass dies ein Hauptthema der Serie werden würde?

Ich war absolut offen und ließ es auf mich zukommen. Die erste Liebesbeziehung war zu diesem Zeitpunkt der Mittelpunkt in Sofies Leben. Ich weiß noch, wie sie auf ihren Freund gewartet hat, von morgens früh bis er kam. Sie hat eingekauft, was er gern mag und das dann in ihrem Schrank versteckt, damit es niemand sonst nimmt und er es auf jeden Fall bekommt. Alles drehte sich nur um ihn. Sie fragte ihre Mutter ständig: „Andi bald?“, weil sie wissen wollte, wann er endlich kommt. Sofies Wortschatz ist begrenzt, aber man kann sie gut verstehen.

Das Erleben der ersten Liebe zieht sich wie ein roter Faden über das gesamte Buch: das sehnsüchtige Warten voller Hoffnung, glückliche Zeit zusammen und leider die Trennung, die dann folgte. So beginnt das Buch mit dem Bild, wo Sofie an der Bushaltestelle sitz und wartet. Sie wartete jeden Tag an der Bushaltestelle auf ihren Freund, der von seiner Ausbildung nach Hause kam. Auf dem letzten Bild im Buch, aufgenommen zwei Jahre nach der Trennung, steht Sofie an der gleichen Bushaltestelle und wartet… immer noch auf ihn oder auf eine neue Beziehung? Das Ende bleibt offen. Das Leben geht weiter.

Eines der anderen wichtigen Themen des Buches „Meeting Sofie“ ist das Thema des Erwachsenwerdens: Bilder zeigen Idylle und Trägheit, träumerische Stunden zwischen Mohnblumen genauso wie zähe Tage an denen sich gar nichts ereignet. Sie beobachtet gern andere Teenager, schaut sich vieles ab und möchte natürlich dazugehören. Es ist eines unserer Grundbedürfnisse, zu kommunizieren, sich in der Gesellschaft dazugehörig zu fühlen. Alle Teenager beeinflussen sich gegenseitig und da ist Sofie natürlich keine Ausnahme. Sie hängt mit Freunden ab, flirtet mit Jungs, macht sich hübsch, geht zu Partys, verliebt sich, wird enttäuscht. Wenn man das Buch anschaut, erinnert man sich sicher auch an sich selbst in der eigenen Jugend.

Jugendliche an einem See

Absolut. Das sehe ich auch als Stärke Deiner Serie. Man merkt, selbst wenn man sonst keinen Bezug zu Menschen mit Down-Syndrom hat, dass der Unterschied zu sich selbst viel geringer ist, als man am Anfang vielleicht denkt. Jetzt hast Du gerade erwähnt, dass Sofie nicht gut spricht. Wie hast Du Dich mit ihr verständigt, vor allem in Bezug auf die Fotografie? Wie hast Du abgesprochen, wie Du sie fotografieren möchtest bzw. wie sie fotografiert werden möchte?

Das Schöne beim Fotografieren mit Sofie war, dass sie gar nicht diese Vorstellung hat, wie sie fotografiert werden möchte. Ich denke, deswegen ist jedes Bild, das ich von ihr gemacht habe, so natürlich, so unverstellt. Sie ist immer durchaus authentisch. Sie lebt einfach vor meiner Kamera. Natürlich zeige ich ihr alle Bilder, bevor ich sie veröffentliche und sehe dann auch an ihrer Reaktion, ob sie ein Bild mag oder nicht. Wobei es noch nie vorgekommen ist, dass sie ein Bild nicht mochte.

Das Foto auf dem Buchcover ist übrigens ihr Lieblingsbild. An dem Morgen waren wir im Garten spazieren, sie stellte sich mit ihrer Zigarette vor meine Kamera und sagte zu mir: „Mach Toto.“ Sie wollte, dass ich sie genau in diesem Moment fotografiere. Auf mich wirkt sie auf diesem Bild so frei und selbstbewusst. Eine schöne rebellische junge Frau. Sie war begeistert, als sie dieses Bild zum ersten Mal sah. Es war für mich keine Frage, welches Bild das Cover des Buches sein würde.

Rauchende Frau

Ich finde erstaunlich, dass Du sagst, dass es nur ganz selten abgesprochene Bilder gab. Die Fotos wirken zum Teil wie ausführlich geplante Bühneninszenierungen.

Die Bilder wirken so märchenhaft, fast unrealistisch im Kontext unserer Zeit, nicht zuletzt dank der besonderen Kulisse des Hofes, auf dem Sofie mit ihrer Familie lebt. Die Eltern von Sofie sammeln und verkaufen Antiquitäten. Der Vater führt einen Antiquitätenladen in der nahegelegenen Stadt. Viele der Möbel werden, bevor sie verkauft werden, im Haus abgestellt. Deshalb sah die Einrichtung des Hauses bei jedem meiner Besuche immer anders aus.

Barbara war früher Designerin und hat auch viele der Kleider, die Sofie auf den Bildern trägt, selbst genäht. Sie hat ein wunderbares Gespür für Dekorationen.

Du hast die Familie über vier Jahre besucht. Man entwickelt sicher eine sehr enge Bindung über eine so lange Zeit.

Das auf jeden Fall. Ich war in den Jahren vor der Covid-Pandemie fast monatlich bei Sofies Familie. Das Gästezimmer im Haus hat sich schon wie mein eigenes Zimmer angefühlt. Bei meinen Besuchen bin ich drei oder vier Tage vor Ort und an manchen Tagen fotografiere ich gar nicht, sondern verbringe einfach Zeit mit Sofie und ihrer Familie.

Das sehen einige andere Fotograf*innen vielleicht auch kritisch. Manche vertreten die Meinung, man bräuchte eine gewisse Distanz zu den Protagonist*innen. Bei mir ist eher das Gegenteil der Fall. Nach vier Jahren noch eine Distanz zu behalten, würde aber auch allen sehr schwer fallen.

Mittlerweile sind wir sehr gut befreundet. Gerade freue ich mich sehr auf Sofies Besuch nächste Woche bei uns in Köln. Sie wird meinen vier Monate alten Sohn Vincent kennenlernen. Ich bin sehr gespannt auf die Begegnung der beiden, denn Sofie hat schon oft gesagt, dass sie später auch ein Kind haben möchte.

Frau badet draußen. Ein weißes Pferd steht daneben.

Das heißt, Deine Serie über Sofie ist mit dem Buch nicht abgeschlossen und Du fotografierst sie weiter?

Ja, ich werde Sofie sehr gern fotografisch weiter begleiten. Sie zieht demnächst in eine größere Stadt um. Sie möchte wieder jemanden kennenlernen, denn die erste Liebe hat leider nicht gehalten. Sie nabelt sich langsam von ihrem Elternhaus ab, auch wenn sie ihrer Mutter immer noch sehr nah ist. Vielleicht gibt es in 20 Jahren noch einmal ein neues Buch über Sofie. Dann mit ganz anderen Themen.

Was sagt Sofie eigentlich zum Buch?

Bald ist sie bei uns in Köln und wird es zum ersten Mal in die Hand nehmen können. Sie reagiert oft sehr emotional auf die Fotos. In diesem einen Buchband sind vier Jahre ihres Lebens und ihre erste Liebesgeschichte versammelt. Ich bin sehr aufgeregt und gespannt, wie ihre Reaktion auf das Buch sein wird.

Informationen zum Buch

„Meeting Sofie“ von Snezhana von Büdingen-Dyba
Einband: Hardcover
Sprache: Französisch, Englisch
Seiten: 112 Seiten
Maße: 24 x 28 cm
Verlag: le bec en l’air
Preis: 40 €
Bezug: über die Webseite der Künstlerin

Das Interview erschien erstmalig im fotoforum Magazin, ausgabe März/April 23.

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