11. April 2023 Lesezeit: ~11 Minuten

Herzkampf – Im Gespräch mit Martin Neuhof

Herzkampf ist ein Fotoprojekt über Menschen, die sich gegen Rassismus, Homophobie und für eine gerechtere Welt einsetzen. Der Leipziger Fotograf Martin Neuhof möchte darin Personen zeigen, die sich engagieren und kämpfen. Egal ob sie im Verein aktiv sind, Politiker*innen, Musiker*innen oder engagierte Einzelkämpfer*innen. Anlässlich der ersten Ausstellung des Projekts in Leipzig wollte ich mehr über die Arbeit wissen.

Hallo Martin. Während ich das Interview vorbereitet habe, lief die Chemnitzer Band Kraftklub bei mir im Hintergrund. Sie sangen: „Und ‚Nazis raus!‘ ruft es sich leichter, da, wo es keine Nazis gibt.“

Ja, das fühle ich sehr.

Du portraitierst Menschen, die sich ganz klar politisch gegen Rechts positionieren. Wie viel Mut gehört dazu, in einem Bundesland, in dem jede vierte Person rechts wählt?

Ich unterscheide da zwischen Stadt und Land. Es ist ein riesengroßer Unterschied, ob Du das in Leipzig, Dresden, Chemnitz machst oder in kleinen Orten wie Grimma, Pirna oder Dippoldiswalde. Bei mir in Leipzig habe ich große linke Gemeinschaften, in denen ich mich aktiv zeigen kann, ohne dass ich nennenswert Gefahr laufen würde, angefeindet zu werden.

Wenn ich dasselbe in kleinen Städten wie Dippoldiswalde mache, ist das etwas ganz anders. Dort habe ich erst kürzlich die Friseurin Ines Eckstein portraitiert. Die ist gar nicht ausgesprochen links, sondern einfach sehr menschlich unterwegs. Sie hatte 2005 einen Syrer in ihrem Salon angestellt und fährt aktuell oft in die Ukraine, um Carepakete dorthin zu bringen. Sie kümmert sich einfach um ihre Mitmenschen.

Dafür wird sie angefeindet. Der Salon wurde schon besprüht, es gibt Aufkleber gegen sie in der Stadt. Es standen sogar schon Leute vor ihrer Haustür und das macht mir Angst. Es gibt wirklich in jedem noch so kleinen Dorf eine Person, die sich wehrt. Es gibt aktive Leute und Initiativen. Aber wenn die irgendwann aufgeben und weggehen, ist da niemand mehr. Wie ist es dann um diese Orte bestellt, wenn niemand mehr für eine weltoffene Gesellschaft eintritt? Das ist unglaublich gefährlich.

Ich bin selbst in einem eher ländlichen Teil Sachsens aufgewachsen, weshalb mir Dein Projekt wirklich sehr nah geht. Im Erzgebirgskreis, wo ich gelebt habe, steht die AFD bei 31,7 %. Wie bleibst Du zuversichtlich, angesichts solcher Zahlen?

Ich bin gar nicht zuversichtlich. Es kann zur nächsten Landtagswahl in Sachsen richtig übel werden. Das ist nächstes Jahr und es kann locker sein, dass Sachsen das erste Bundesland wird, in dem die AfD stärkste Kraft wird. Die Menschen vertiefen sich ja immer weiter rein, mit allem, was so passiert: Die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine. Viele radikalisieren sich dadurch und es werden mehr. In Leipzig bekomme ich das nicht so mit, aber auf den Dörfern kleben überall Pro-Russland-Aufkleber.

Aber noch einmal: Sachsen ist nicht überall so. In jedem Dorf existiert sicherlich eine Mehrheit von Menschen, die es nicht geil finden, dass jeden Montag 200 Leute über den Marktplatz laufen und skandieren, wie toll Putin ist oder Lügenpresse rufen. Aber dieser Großteil ist einfach sehr leise. Dadurch bekommt man das Gefühl, dass die Mehrheit rechts wäre. Das denke ich aber nicht. Im Vergleich zu anderen Bundesländern sicher ein größerer Anteil, aber nicht die Mehrheit.

Das empfinde ich auch als Stärke Deines Projekts: Du zeigst, dass Sachsen viel mehr ist und eben genau die Menschen, die oft übersehen werden. Menschen, die sich politisch engagieren und aktiv werden.

Genau, das Herzkampf-Projekt soll zeigen, dass wirklich jede*r etwas machen und aktiv werden kann. Ich habe in den letzten fünf Jahren über 120 Menschen fotografiert. All diese Leute strahlen für mich Hoffnung aus. Sie haben das Potential, andere mit dieser Hoffnung und ihrem Engagement anzustecken. 2018, als ich das Projekt begonnen habe, war noch eine ganz andere Zeit als heute. Das sind im Grunde nur fünf Jahre, aber was ist seitdem alles passiert! Aktivismus hat so viele Formen, Farben und Gesichter.

Aktivismus ist wirklich sehr vielfältig. Wie entscheidest Du, wen Du portraitierst?

Für mich macht es keinen Unterschied, ob die Person Politiker*in, Journalist*in oder Spieledesigner*in ist. Ich habe tatsächlich jemanden fotografiert, der ein Spiel entwickelt hat, das Kindern hilft, ihre Emotionen besser zu zeigen. Das ist auch Aktivismus, wenn auch anders als auf der Straße gegen Nazis zu demonstrieren. Das Ziel ist aber ebenfalls, unsere Gesellschaft positiv zu verändern.

Müssen die Menschen aus Sachsen kommen oder einen direkten Bezug zu diesem Bundesland haben?

Nein, der Fokus liegt auf Sachsen, weil ich selbst aus Sachsen komme. Aber ich habe auch schon Menschen in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hamburg und Berlin fotografiert. Wenn jemand in Dortmund cool ist und ich gerade in Dortmund bin, fotografiere ich auch dort gern.

Du hast mittlerweile auch sehr bekannte Menschen für das Projekt gewinnen können: Ricarda Lang und Bodo Ramelow zum Beispiel. Das hättest Du Dir am Anfang des Projekts sicher auch nicht vorstellen können, oder?

Nein, natürlich nicht. Ricarda Lang habe ich sogar fotografiert, da war sie noch gar keine Bundestagsabgeordnete. Das war vor dem Wahlkampf. Ich kannte sie damals nur über Twitter und über gemeinsame Bekannte. Ich fand sie spannend als Politikerin und plötzlich war sie eine der Bundesvorsitzenden der Grünen. Das ging echt schnell.

Bodo Ramelow zu fotografieren, war für mich tatsächlich ein kleiner Traum. Er ist ja ein sehr ruhig agierender, gesetzter Politiker, der gerade im Osten, in einem Bundesland an der Spitze steht, das von der Linkspartei geprägt wurde. Ich hoffe, dass er noch lange Ministerpräsident in Thüringen sein kann. Das Gefühl, ihn zu fotografieren, war auch interessant. Er hatte sich für die Fotos eine Stunde Zeit genommen, wir sind spazieren gegangen. Natürlich mit zwei Bodyguards, die ich immer verscheuchen musste, weil sie im Bild waren. Aber es war cool und hat Spaß gemacht. Er hat mir viel erzählt und es war toll, Einblicke in seine Gedanken und Arbeit zu bekommen.

Politiker*innen stehen mit ihrer Meinung und ihrem Gesicht schon klar in der Gesellschaft und haben Bodyguards. Andere Aktivist*innen haben das nicht und machen sich verletzbar, wenn sie sich portraitieren lassen. Wie gehst Du damit um?

Wenn Du sowieso öffentlich auf Facebook, Instagram oder wo auch immer aktiv bist, dann kennen die Leute Dich. Vor allem im Dorf. Ich denke, das Ganze hat zwei Seiten: Es kann gefährlich sein, aber Öffentlichkeit kann auch schützen.

Ich habe bereits Leute angefragt, die mir dann geschrieben haben, dass sie mein Projekt toll finden, aber keine Lust haben, mitzumachen, weil sie nicht mit Namen und Gesicht im Internet sein wollen. Aus Angst, auf Steckbriefen in Neonazi-Foren zu landen oder auch im privaten Umfeld Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Deshalb gibt es auch Städte und Dörfer in Sachsen, in denen es tolle Initiativen gibt, wo ich bisher aber noch nicht fotografiert habe. Ich verstehe diesen Selbstschutz durchaus. Es ist nur sehr schade, dass es schon so weit ist.

Du machst Dich mit dem Projekt ja selbst auch angreifbar und hast sicher schon negative Kommentare und Hassnachrichten bekommen.

Ja, sehr viele. Ich hatte vor dem Fotoprojekt NoLegida in Leipzig mitgegründet. NoLegida hat sich für eine tolerante Stadt und ein weltoffenes Leipzig eingesetzt. Es stand klar gegen den Pegida-Ableger in Leipzig. Damals habe ich schon viel Hass gegen mich erlebt.

Die schlimmsten Anfeindungen kamen, als ich gegen die AFD geklagt habe. Mein Opa war auch schon Fotograf und hatte ’89/’90 die Wende fotografiert. Die AFD hatte zum Europawahlkampf 2019 ungefragt ein Bild von ihm für ihre Plakate genutzt. In diesem Zuge habe ich die AFD verklagt und das auch öffentlich gemacht. Ich musste herausfinden, wie viele Standorte dieser Plakate es gibt und das ging mit Hilfe der sozialen Medien sehr gut. Aber es kamen natürlich auch Nachrichten von der anderen Seite. Mein Auto wurde auch schon zerkratzt, es gab Drohbriefe und -Mails. Das ist leider heutzutage schon Standard.

Gerade ist es zum Glück aber sehr ruhig. Vielleicht auch, weil das Projekt etwas sehr Positives bewirkt. Wer das Projekt nicht toll findet, schaut es sich wahrscheinlich auch gar nicht erst an.

Das kann gut sein. Das Projekt wird wahrscheinlich eher Menschen, die bereits aktiv sind, helfen, nicht den Mut zu verlieren.

Genau das ist der Hintergrund. Den Fokus mal verrücken, weg von den negativen Dingen hin zu den positiven Initiativen und Entwicklungen. Auf Sachsen wird nur geschaut, wenn mal wieder Wahlen sind oder irgendetwas Schlechtes passiert.

Du portraitierst die Aktivist*innen nicht nur, sondern stellst ihnen auch immer dieselben zehn Fragen. Hat Dich eine Antwort bisher besonders überrascht?

Das ist eine schwere Frage bei über 120 Menschen. Was ich spannend finde, ist eher, wie ähnlich die Leute antworten. Eine meiner Fragen ist: „Wenn ich Dir 5.000 € schenke und Du müsstest das Geld spenden, wohin würdest Du es aktuell spenden?“ Sicher 70 % nennen Sea-Watch oder Mission Lifeline, weil das Thema Flucht die Leute sehr bewegt.

Eine Antwort, die mich so komplett überrascht hat, gibt nicht, denke ich. Ich stelle auch bewusst immer dieselben Fragen, damit ich eine Vergleichbarkeit habe. Wie tickt ein Politiker wie Bodo Ramelow und wie tickt jemand, der bei Fridays for Future jede Woche auf die Straße geht?

Am Samstag werden die Bilder das erste Mal ausgestellt. Sind die Antworten zu Deinen Fragen dann auch zu lesen?

Ja, absolut! Vor zwei Stunden kamen die Druckplatten an. 90 Stück mit jeweils den beiden Portraits und dem dazugehörigen Interview. Ich habe dafür noch Staffeleien gekauft, auf die ich die Platten dann in der Kirche stellen kann.

Stimmt, Du stellst in der Peterskirche in Leipzig aus. Eine Kirche ist meistens sehr dunkel und wäre zur Präsentation von Bildern nicht unbedingt meine erste Wahl.

Ich habe den Pfarrer schon für Herzkampf fotografiert und er hatte mir daraufhin seine Kirche als Ausstellungsort angeboten. Die Peterskirche ist eine der größten Kirchen in Leipzig und ich mag den Gedanken sehr, wie viel damit verbunden ist. Zur Wendezeit ging zum Beispiel gerade in Leipzig ganz viel Aktivismus von den Kirchen aus.

Die Ausstellung sollte eigentlich schon im Mai 2020 stattfinden und wurde wie so vieles dann wegen der Pandemie abgesagt. Ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder aufgerafft und weiter Leute fotografiert. Jetzt muss diese Ausstellung einfach endlich stattfinden.

Dann wünsche ich Dir ganz viel Erfolg und vor allem Freude bei der Ausstellung. Danke für das Gespräch!

Informationen zur Ausstellung

Herzkampf von Martin Neuhof
Vernissage: 15. April 2023, 18:00 Uhr
Zeit: 15. April – 5. Mai 2023
Ort: Peterskirche Leipzig, Schletterstraße 5, 04107 Leipzig

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