Wer war Thérèse Bonney?
Thérèse Bonney war eine US-amerikanische Fotografin und Schriftstellerin, die sich im sowjetisch-finnischen Winterkrieg und im Zweiten Weltkrieg mit ihrer Arbeit insbesondere mit den Opfern unter der Zivilbevölkerung sowie mit dem Schicksal von heimatlosen und allein umherirrenden Waisenkindern beschäftigte.
Mit ihren empathischen Berichten und Bildern von Flüchtlingen bei ihrem Massenexodus vor den anrückenden Feinden, die in führenden amerikanischen Magazinen und Tageszeitungen erschienen, erreichte sie große Betroffenheit und Anteilnahme bei der Leserschaft und weckte deren Spendenbereitschaft.
Sie zeigte die Flucht der Menschen in primitiven Fuhrwerken, in Notunterkünften und Auffanglagern und dokumentierte auch die urbanen Kriegszerstörungen in Finnland, Frankreich, Spanien und Portugal sowie die Arbeit der freiwilligen Helfer*innen und Hilfsorganisation. Sie sah es als ihre Aufgabe an, ihren Landsleuten die ungeschminkte Realität des Krieges in Europa und das dadurch ausgelöste Leid in der Zivilbevölkerung zu vermitteln.
Bonney beteiligte sich zeitweilig selbst aktiv an den Hilfeleistungen des amerikanischen Roten Kreuzes in Europa, dessen Jugendorganisationen sie vor dem Krieg in mehreren Ländern mit aufgebaut hatte. Sie war unter anderem als Fluchthelferin tätig und unterstützte die Verteilung von Hilfsgütern. Zusätzlich organisierte sie in den gesamten USA mehrere Ausstellungen mit ihren Fotos und verwendete die Einnahmen teilweise für die Arbeit der Hilfsorganisationen.
Schule und Ausbildung
Mabel Thérèse Bonney kam am 15. Juli 1894 in Syracuse im US-Bundesstaat New York als Tochter von Anthony Le Roy Bonney und Addie Elmina (geb. Robie) zur Welt. Sie wuchs zunächst im Bundesstaat New York auf, zog jedoch im Alter von fünf Jahren mit ihrer Mutter nach Kalifornien.
Dort verblieb sie bis zum Abschluss ihres Studiums an der University of California, Berkeley, an der sie 1916 den Bachelor of Arts erlangte. Von da an benutzte sie – vermutlich wegen ihrer Vorliebe zur französischen Sprache und Literatur – nur noch ihren zweiten Vornamen Thérèse.
Im folgenden Jahr machte sie den Master of Arts in romanischen Sprachen am Radcliffe College der Harvard Universität in Cambridge, Massachusetts, bevor sie nach einem kurzen Zwischenstopp an der Columbia University in New York City 1918 an die Sorbonne Université nach Paris wechselte.
Dort promovierte sie 1921 mit einer Dissertation über die moralischen Ideen in den Theaterstücken von Alexandre Dumas, dem Älteren, zur Doktorin der Philosophie. Sie war damit die jüngste Person überhaupt, die vierte Frau und die zehnte Person amerikanischer Herkunft, die einen solchen Titel an der Sorbonne erwarb. Auch war sie die erste Amerikanerin, die von dieser renommierten Institution ein Stipendium erhielt.
Wegen dieser beeindruckenden Leistungen wurde sie in den folgenden Jahren bei ihrer Arbeit von mehreren amerikanischen Universitäten und Institutionen mit weiteren Stipendien gefördert. Zuletzt 1936 mit dem Oberlaender Trust der Carl Schurz Memorial Foundation, um den Beitrag Deutschlands zur Geschichte der Fotografie zu erforschen.
1919 gründete Thérèse Bonney in Paris den europäischen Ableger des American Red Cross Correspondence Exchange. Einer Einrichtung, deren Zweck es vornehmlich war, den Briefaustausch zwischen Kriegsgefangenen und ihren Familien zu ermöglichen, die aber auch Brieffreundschaften zwischen Mitgliedern der jeweiligen Jugendorganisationen des Roten Kreuzes in Europa und den USA initiierte und förderte.
Von der Akademikerin zur Unternehmerin
Bonney, die nach Abschluss ihrer universitären Ausbildung eigentlich eine akademische Laufbahn hatte einschlagen wollen, änderte aufgrund ihrer in Europa gesammelten Eindrücke ihre Pläne dahingehend, künftig die kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und den USA zu entwickeln.
Sie verbrachte deshalb einen Großteil ihres weiteren Lebens in Europa und schlug ihr „Hauptquartier“ in Paris auf, wo sie alsbald völlig in der dortigen Gesellschaft aufging, ohne jedoch zur Auswanderin zu werden. 1978 äußerte sie in einem Interview gegenüber der New York Times stolz:
I have made my headquarters in France since 1918… I am the dean of the American press corps in Paris. Nobody outdates me.
Bonney zeigte großes Interesse am französischen Design der 1920er Jahre, dem „Art déco“, und der „europäischen Moderne“, die damals ihre Hochphasen und in Paris ihr Zentrum hatten. Sie schloss Freundschaften mit vielen berühmten Künstler*innen und Schriftsteller*innen jener Zeit, wie etwa Raoul Dufy, Gertrude Stein und George Bernhard Shaw.
Auch war sie zeitweise ein gefragtes Fashion-Modell für Modedesigner in Frankreich und Spanien wie Sonia Delaunay und Madeleine Vionnet und machte damit „gutes Geld“. In ihrem Geburtsort wurde sie deshalb einmal vom Syracuse Herald als „most perfect da Vinci model in the world“ gefeiert.
Außerdem schrieb und veröffentlichte sie gemeinsam mit ihrer Schwester Louise eine Reihe von Ratgebern und Reiseführern für Paris: „Buying Antique and Modern Furniture in Paris“, „A Shopping Guide to Paris“, „Guide to Restaurants of Paris“ sowie „French Cooking for American Kitchens“.
Bonneys vielseitiges kulturelles Interesse galt auch dem europäischen Käse. Ihre umfangreiche Materialsammlung enthält einen mit „Fromages“ beschrifteten Zettelkasten, der zahlreiche Karteikarten enthält, auf denen sie sich penibel Notizen über französische und holländische Käsesorten machte. Außerdem sammelte sie als Hobby eifrig Käseetiketten.
Sie unternahm viele Reisen durch europäische Staaten, wo sie Kunst- und Designausstellungen besuchte, Vorträge hielt und dabei half, weitere Jugendorganisationen des Roten Kreuzes zu gründen. Damit einhergehend wuchs ihr Interesse am Journalismus und am Einfluss der Medien, den sie sich – nun ganz zur ambitionierten Geschäftsfrau geworden – für ihre künftige Arbeit zu Nutze machen wollte. Folgerichtig gründete sie 1923/1924 in Paris den ersten amerikanischen Bildpressedienst in Europa, den „Bonney Service“, der auch eigene Agenturfotograf*innen beschäftigte.
Ab 1925 begann sie vereinzelt damit, selbst Beispiele der von ihr so geschätzten angewandten dekorativen Künste zu fotografieren. Daneben erwarb und sammelte sie aber weiterhin leidenschaftlich derartige Aufnahmen anderer Fotograf*innen, von (Innen-)Architekt*innen, Designer*innen, Hersteller*innen von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen, Keramikartikeln, Schmuck sowie von einschlägigen Geschäften, aus Sammlungen und Ausstellungen. Allein diese Sammlung umfasst weit über 4.000 Fotos. Auch stattete sie ihre Wohnung mit entsprechenden Designstücken aus.
1932/33 organisierte sie in Paris aus ihren gesammelten Kunst-Fotografien unter dem Titel „Gay Nineties“ eine Ausstellung, in der die Lebensumstände und die Mode in allen gesellschaftlichen Klassen Europas, vorzugsweise jedoch diejenigen der Königshäuser in der ausgehenden edwardischen Epoche abgebildet wurden. Die Ausstellung wurde später auch in New York und anderen Städten des Mittleren Westens der USA gezeigt. Auch machte Bonney daraus einen Bildband unter dem Titel „Remember When“.
In den folgenden anderthalb Jahrzehnten verschickte Bonney über ihre Presseagentur unzählige dieser überwiegend noch aus fremden Quellen stammenden, aber mit auf der Rückseite aufgeklebten eigenen redaktionellen Anmerkungen versehenen Bilder – oft ohne Quellennachweis –, an die fünf damals führenden nationalen amerikanischen Presseagenturen sowie an weitere rund 150 Printmedien in 33 anderen Ländern und kassierte für deren Abdruck Lizenzgebühren.
Allein in den USA hatten auf diesem Wege beinahe 2.000 regionale und überregionale Tageszeitungen und ihre etwa 150 bebilderten Wochenendausgaben Zugriff auf das Material. Darunter befanden sich die zehn führenden amerikanischen Tageszeitungen, deren Gesamtauflage allein seinerzeit bei über 13 Millionen Exemplaren lag und die eine Leserschaft von etwa 65 Millionen Menschen hatten.
In Amerika traf die europäische Hochkultur der „Belle Epoque“ bei der wachsenden Mittelschicht und insbesondere bei weißen emanzipierten Frauen auf großes Nachahmungsinteresse, das durch entsprechende Veröffentlichungen in den gängigen Modezeitschriften wie Vogue und Harper’s Bazaar geweckt worden war.
Um- und Aufstieg zur Fotografin
1935 kehrte Bonney vorübergehend nach New York zurück, wo sie Leiterin der Galerie Maison Français wurde, einer französisch-amerikanischen Einrichtung zum Kulturaustausch, die ihren Sitz im Rockefeller Center hatte. Erst 1938, im Alter von 44 Jahren, begann sie ernsthaft damit, selbst zu fotografieren, um künftig als eigenständige Fotojournalistin arbeiten zu können.
Bereits im selben Jahr erlangte sie mit einer Bilderstrecke im Life-Magazin über das Leben hinter den Mauern des Vatikans, die sie ein Jahr später auch in einem Buch veröffentlichte, größere Bekanntheit.
Von der Liebhaberin der schönen Künste zur Nemesis des Krieges
Während sich nahezu alle Journalist*innen damals wegen der aufkeimenden kriegerischen Konflikte auf dem Balkan aufhielten, bereiste Bonney auf Einladung und im Auftrag des dortigen Nachrichtenbüros ab dem 27. Juli 1939 Finnland.
Sie sollte dort für die amerikanische Leserschaft „Land und Leute“ sowie die Vorbereitungen auf die Olympischen Sommerspiele fotografieren, um Tourist*innen und andere Besucher anzulocken. Im Zusammenhang mit diesem Auftrag hatte Bonney über ihre eigene Agentur weitere Bild- und Wortaufträge von 40 Zeitungen akquiriert, darunter 25 mit speziellen Themenvorgaben.
Ihr Plan sah vor, binnen einiger Monate etwa 2.000 bis 4.000 Fotos zu machen und mehrere Reportagen über das Land zu schreiben, die es in den USA und in weiteren Nationen zu einem attraktiven Reiseziel machen sollten. Indes wurde sie schon kurze Zeit später vom Ausbruch des sowjetisch-finnischen „Winterkriegs“ überrascht.
Bereits im August 1939 hatte sich die Möglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Sowjetrussland und Finnland angedeutet. Bonney entschloss sich deshalb in Abänderung ihres ursprünglichen Plans zu ihrem „War Assignment No. 1“ und nahm in Karelien ihre Arbeit als Kriegsreporterin auf.
Sie begleitete mit der Kamera die dortigen Manöver des finnischen Militärs und lernte bei dieser Gelegenheit gleich wesentliche Grundlagen dieses für sie neuen Metiers kennen: Transportmöglichkeiten für sich und ihr umfangreiches Gepäck zu organisieren, ihre Kleidung und Ausrüstung zu optimieren und den Truppen bei ihrer Arbeit nicht in den Weg zu kommen. Zu ihrem großen Leidwesen brauchte ihre erste Arbeit „Dress rehearsal of a great struggle“ („Generalprobe eines großen Kampfes“) vier lange Monate, bis sie endlich in den USA erschien.
Da erwies sich die Zusammenarbeit mit dem 28-jährigen Eliot Elisofon (1911–1973) bald als nützlich, der vom Life-Magazin auf seinen ersten Auslandseinsatz nach Finnland geschickt worden war, um dort ebenfalls die geplanten Olympischen Spiele zu fotografieren. Elisofon war erst kurz nach Bonney in Helsinki eingetroffen und sie hatte ihre dort bestehenden guten Kontakte benutzt, um ihm den Einstieg in die Arbeit vor Ort zu erleichtern.
Als Sowjetrussland im September mit der Mobilmachung begann, wurden Bonney und Elisofon ein Team, das nun auch im Auftrag des Life-Magazin die finnischen Verteidigungsvorbereitungen dokumentieren sollte. Beide hatten damit Zugang zu den Kommunikationskanälen dieses finanzstarken Nachrichtenmagazins, weshalb ihr erster gemeinsamer Bildbericht über den finnischen Generalfeldmarschall Baron Carl Gustav Emil Mannheimer schon in der Ausgabe vom 23. Oktober 1939 erscheinen konnte.
Bereits eine Woche später erschienen im Life-Magazin zahlreiche weitere fundierte Beiträge über Finnland, die sich zusammen über acht Doppelseiten erstreckten und insgesamt 40 Bilder, einschließlich mehrerer Luftaufnahmen, zeigten. Die meisten dieser Fotos stammten wieder von Bonney, jedoch ohne diese namentlich zu erwähnen. Dabei hatte sie sogar noch Elisofon bei dessen Aufnahmen assistiert oder ihn zumindest bezüglich der Auswahl der Motive oder von Bildausschnitten beraten. Dennoch reklamierte dieser in der April-Ausgabe 1940 die gesamte Arbeit für sich.
Bonney wandte sich danach wieder ihrer eigenen Arbeit zu und fotografierte die vorsorgliche Evakuierung der Ortschaften an der Front. Sie lieferte die Bildstrecken, die ihre Auftraggeber erwarteten, insgesamt rund 4.000 Negative. Dabei wurde sie von mehreren von ihr betreuten, aber mit der Arbeit schnell überforderten Student*inneen unterstützt.
Nachdem sie alle ihre Aufträge abgearbeitet hatte, hatte sie zunächst keine Anschlussverpflichtungen und war zudem enttäuscht über die mangelnde Aufmerksamkeit, die ihr erster Bericht gefunden hatte. Sie machte sich deshalb als „Freie“ auf den Weg und fotografierte in den folgenden Monaten das Kriegsgeschehen auf eigene Faust.
Anstelle der kriegstypischen Bilder über Kämpfe, Leichen und Blutvergießen wollte sie jedoch die Lage an der Heimatfront zeigen und dokumentieren, welche Auswirkungen der Krieg dort auf die Zivilbevölkerung hat. Ihr besonderes Augenmerk galt dabei dem Schicksal der Flüchtlinge und der Kinder, die oftmals ohne Eltern oder Verwandte allein durch das Land irrten.
Diese Art von Fotoreportagen, die sie selbst „truth raids“ nannte, setzte sie während des gesamten Zweiten Weltkriegs in vielen Ländern fort. „I go forth alone, try to get the truth and then bring it back and try to make others face it and do something about it“, wurde zu ihrer Arbeitsdevise.
Ihre Feuertaufe erhielt Bonney, als die sowjetische Luftwaffe in den Morgenstunden des 30. November 1938 völlig überraschend Helsinki bombardierte. Bonney wurde aus dem Bett gerissen, als Fensterscheiben des Hotels, in dem sie logierte, durch die Detonationen zerbarsten. Zu ihrem Leidwesen gelang es ihr nicht mehr, Aufnahmen von dieser ersten Angriffswelle zu machen, weil sie ihre Ausrüstung nicht schnell genug einsatzbereit hatte.
Als am Nachmittag die zweite Bomberwelle anflog, saß sie gerade beim Mittagessen im Hotel, weshalb sie erneut nicht rechtzeitig zum Fotografieren kam. Sie verpasste den Angriff wieder nur um 10 bis 15 Minuten. Damit nicht genug Pech, verlor sie durch die angerichteten Zerstörungen zahlreiche ihrer Negative. In aller Eile packte sie deshalb am folgenden Tag alle ihre noch rund 5.000 vorhandenen Negative und Abzüge zusammen und übergab sie dem ihr als Fahrer zugeordneten Offizier der finnischen Armee, der sie über Nacht über die Grenze nach Schweden in Sicherheit brachte.
Bonneys Fotos vom Winterkrieg erschienen alsbald in allen führenden skandinavischen Tageszeitungen, im „Le Journal“ in Frankreich, der „New York Herald Tribune“, der „Newsweek“ und „Harper’s Bazaar“. Bald galt sie in der Branche als die „schlaueste und geschickteste Kriegskorrespondentin“ vor Ort, denn dank ihrer guten Kontakte zu hohen Militärs und Politikern in Finnland gelang es ihr immer wieder, Orte zu erreichen, an die keine anderen Journalist*innen kamen und dort auch Bilder zu machen.
Sie erhielt Unterstützung durch Fotolabore des Militärs bei der Entwicklung ihrer Filme sowie bei der Fertigung von Abzügen und sie verstand es aufgrund ihrer Bekanntheit und den Sympathien, die sie sich mit ihrem Bildern in der Zivilbevölkerung und bei Offiziellen gemacht hatte, die Zensoren milde zu stimmen und die Sichtung ihres Material deutlich zu beschleunigen. Ihre größten Gegner waren kalte Hände, die sie beim Fotografieren behinderten, der Kampf gegen Lungenentzündung, das Schwinden ihrer physischen Kräfte und nächtliche Fahrten im Auto über vereiste Straßen.
Offiziell für ihre „Tapferkeit unter Feuer“, tatsächlich jedoch wohl für ihre Arbeit als Kriegsfotografin, wurde Bonney 1940 der höchste Orden des Landes, die „Weiße Rose von Finnland“ verliehen, den sie von nun an als eine Art persönliches Markenzeichen während des gesamten weiteren Krieges auch an anderen Fronten trug, selbst nachdem ihr später in Frankreich das „Croix de Guerre“ überreicht worden war.
Kurz vor der Invasion durch die Nazis verließ Bonney im März 1940 Skandinavien und kehrte über Belgien nach Frankreich zurück, wo sie ihre Arbeit für das amerikanische Rote Kreuz und die „Amerikanischen Freunde Frankreichs“ (wieder) aufnahm. Als der Krieg bald danach auch Frankreich erreichte, verlegte Bonney ihren Aufenthalt vorübergehend von Paris an die französisch-belgische Grenze, wo sie bei der Evakuierung von Flüchtlingen half, bis die Lage zu gefährlich wurde und sie sich wieder nach Paris absetzen musste.
Im Juni 1940 wurde sie vom französischen Militär-Hauptquartier als offizielle Fotografin der französischen Armee akkreditiert und erhielt sämtliche Befugnisse für ihre Arbeit in den Kriegsgebieten. Sie wurde zur einzigen ausländischen Journalistin, die frontnah während der Schlacht an der Maas zugegen war. Zusammen mit der vor den Angreifern zurückweichenden französischen Armee zog sich Bonney von der Front zurück und kehrte nach Amerika zurück.
1941 ging Bonney noch einmal als „Agentin“ des US Office of Strategic Services (OSS) nach Finnland. Dort versuchte sie vergeblich, die politische Führung davon zu überzeugen, die Beziehungen zu Deutschland aufzugeben und die Differenzen mit Sowjetrussland und anderen Alliierten beizulegen.
Dokumentarin und Wohltäterin
Bonney begnügte sich nachfolgend zur Verbreitung ihrer die Gräuel des Krieges aufzeigenden Botschaft nicht mit der Veröffentlichung ihrer Bilder und Berichte in den Massenmedien, sondern verfasste auch zwei Bücher mit Fotoessays unter den Titeln „War Comes to People“ (1940) und „Europe’s Children“ (1943), die besonders in den USA auf großes Interesse und rege Anteilnahme stießen.
Ferner organisierte sie eine Ausstellung ihrer Aufnahmen unter dem Titel „To Whom the Wars are Done“ in der Library of Congress, dem Museum of Modern Art und Dutzenden weiterer Museen in den USA und – nach dem Krieg – in Europa. Ihr Material bildete die Grundlage für den preisgekrönten Kinofilm „The Search“ (1948) über Kinder, die durch den Krieg zu „Displaced Persons“ geworden waren. Bonney wurde zum Medienstar und sogar zur Titelheldin im noch während des Krieges erschienenen True-Comic „Photo Fighter“ (1944).
Wegen der großen Aufmerksamkeit und Anteilnahme, die ihre Bilder vom Kriegsgeschehen und dessen Folgen in Europa bei der amerikanischen Bevölkerung hatten und in der Erkenntnis, dass die Aufnahmen erhebliche Bedeutung als primäre historische Quelle haben würden, stattete die Carnegie Corporation New York Bonney mit einem Stipendium aus. Damit sollte sie nach dem Krieg nach Europa zurückkehren und dort weiterhin das Schicksal der Zivilbevölkerung und die Auswirkungen von Krieg auf unschuldige Menschen fotografisch dokumentieren.
Indes machte sich Bonney schon im Februar 1941 wieder auf nach Europa und zog dort zunächst durch Portugal und Spanien, wo sie die schlimmen Nachwirkungen des Spanischen Bürgerkriegs dokumentierte: den Hungertod zahlloser Menschen. Anschließend reiste sie weiter in den unbesetzten Teil Frankreichs und nahm auch dort wieder ihre Arbeit für das Rote Kreuz bei der Verteilung von Hilfsgütern auf. Im Mai desselben Jahres verlieh das französische Kriegsministerium ihr das „Croix de Guerre mit Stern“ für ihre Bemühungen, die Aufmerksamkeit der Vereinten Nationen auf die Notlage von Kindern in den vom Krieg heimgesuchten Ländern zu lenken.
Im gesamten Zeitraum der Jahre 1941 und 1942 fuhr Bonney damit fort, in ganz Europa die Auswirkungen des Krieges zu fotografieren. Daneben unterstützte sie überall, wo sie sich gerade aufhielt, die Arbeiten des Roten Kreuzes vor Ort. Mit ihren Fotos organisierte sie 1943 eine Spendenausstellung, deren Einnahmen der Koordinationsstelle für die französischen Hilfsorganisationen zugute kamen.
Außerdem fasste sie die berührenden Fotos in ihrem bekanntesten Buch zusammen: „Europe’s Children“. Dieses verbreitete sie im Eigenverlag, nachdem zuvor zehn Verleger die Veröffentlichung abgelehnt hatten. Erst als sich das Werk als großer Erfolg erwies, erhielt Bonney dafür mehrere Verlagsangebote.
Die Zeit nach dem Krieg
Bis ins hohe Alter setzte sich Bonney, die nie verheiratet war oder dauerhaft in einer partnerschaftlichen Beziehung stand, die jedoch nach eigenen, urkundlich nicht bestätigten Angaben ein Kind adoptiert hat, weiterhin für die Unterstützung notleidender Menschen ein. Dabei gerieten zunehmend die „Alten“ in allen Teilen der Welt in ihren Fokus, über die sie ein ähnliches Buch gestalten wollte, wie über die „Kinder Europas“.
Sie bemühte sich um die Verbesserung der medizinischen Versorgung betagter amerikanischer Staatsbürger*innen im Ausland und allgemein um eine bessere Wahrnehmung alter Menschen in der Gesellschaft. Für diese Bemühungen erhielt die 80-jährige Bonney von der Pariser Sorbonne die Ehrendoktorwürde in Gerontologie. Kurz danach verstarb sie im Alter von 83 Jahren am 23. Januar 1978 im amerikanischen Hospital in Paris an Herzversagen.
Thérèse Bonney unterschied sich dadurch von anderen Kriegsfotograf*innen, dass sie nicht die typischen Bilder von Soldaten im Kampf, von Kriegsgerätschaften und allgemein von der Militärmaschinerie ablieferte, sondern sich auf das erbarmungswürdige Schicksal der unschuldigen Menschen konzentrierte, die diesen schrecklichen Geschehnissen weitgehend hilf- und wehrlos ausgeliefert waren.
Sie wusste um die Macht solcher Bilder und nutzte sie bewusst, um einer breiten Öffentlichkeit die Barbarei einer jeden kriegerischen Auseinandersetzungen vor Augen zu führen, in der Hoffnung, dadurch Einsicht, Betroffenheit und Hilfsbereitschaft auszulösen. Bonney wurde mit dieser zutiefst humanitären Sichtweise zum Vorbild von Kriegsreporter*innen in späteren Konflikten wie etwa Anja Niedringhaus oder Camille Lepage.
Titelbild: Spanien: Krankenhaus des Roten Kreuzes, Madrid, 1941. Thérèse Bonney, © The Regents of the University of California, The Bancroft Library, University of California, Berkeley. CC BY 4.0.
Artikel und Bildquellen
- Timothy Rothang, Friedsam Memorial Library via Internet Archive: Therese Bonney Collection at St. Bonaventure University
- Andrew Breiner, Library of Congress Blogs: Thérèse Bonney: Curator, Photographer, Syndicator, Spy
- UC Berkeley Library Digital Collections: Thérèse Bonney Photograph Collection circa 1850-circa 1955
- Finna: Thérèse Bonney
- Smithsonian Libraries: Thérèse Bonney Photographs
- Sara Ferguson, UC Berkeley Library Update: Celebrating Women’s History Month: Rare Images of the Winter War by Photojournalist Thérèse Bonney
- Wikimedia Commons: Thérèse Bonney
Zeitungsartikel
- Blanch, Lesley: „History in the Taking“, Vogue vom 1. Juli 1943, S. 52–55
- Blume, Mary: „The First and Only Therese Bonney“, International Herald Tribune vom 29./30. Dezember 1973
- Downes, Bruce: „Europe’s Children“, Popular Photography von Dezember 1943
- „Europe’s Children“, America vom 11. März 1944, S. 632
- Robertson, Nan: „In a Life of Firsts, She Has Few Regrets“, The New York Times vom 25. Juli 1976, S. 38
- Simms, Wm. Philip: „Starvation Weapon“ in Scripps-Howard Newspapers, März 1944
- „Syracuse Model Increases Income From $600 to $12,000 in Year by Writings“ in Syracuse Herald vom 17. Februar 1924
- „Therese Bonney“, Current Biography, 1944, S. 51–54.
- „Therese Bonney, at 83; a Journalist in France.“, The New York Times vom 26. Januar 1978
- Witherspoon, Frances: „Horror of Horrors“, The New York Times, Book Section vom 26. März 1944
- Mann, Carol: „Paris Between the Wars“, New York: Vendome, 1996
- Bonney, Claire: „Thérèse Bonney: The Architectural Photographs“, a doctoral dissertation, Zürich: University of Zürich, 1995
- Schlanaker Kolosek, Lisa: „The Invention of Chic: Thérèse Bonney and Paris Moderne“, New York: Thames & Hudson, 2002
- Gourley, Catherine: „War, Women, and the News: How Female Journalists Won the Battle to Cover World War II“, Atheneum Books for Young Readers 2007, S.58
Bücher
- „Buying Antique and Modern Furniture in Paris“ von Thérèse Bonney in Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Louise; veröffentlicht von Robert M. McBride and Company, New York, 1929
- „French Cooking for American Kitchens“ von Thérèse Bonney in Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Louise; veröffentlicht von Robert M. McBride and Company, New York, 1929
- „Guide to The Restaurants of Paris“, veröffentlicht von Robert M. McBride and Company, New York, 1929
- „A shopping Guide to Paris“ von Thérèse Bonney in Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Louise; veröffentlicht von Robert M. McBride and Company, New York, 1929
- „Remember When – A Pictorial Chronicle of The Turn of The Century and of The Days Known as Edwardian“ von Thérèse Bonney“; veröffentlicht von Coward McCann, New York 1933
- „The Vatican“; The Riverside Press, Cambridge Massachusetts, 1939 mit einer Einführung von Pater John LaForge, S. J.
- „Europe’s Children“; Rhode Publishing, New York, 1943
- „Bernard Shaw: A Chronicle“ von R. F. Rattray mit Fotos von Thérèse Bonney; Roy Publishers, New York, 1951
- „Miss Bonney Reporting from the Arctic Front“ von Henry Oinas-Kukkonen in „Reporting World War II“ von G. Kurt Pichler und Ingo Trauschweizer (Hrsg.), Fordham University Press, New York, 2023
Ausstellungen
- „War Comes to People: History Written with a Lens by Thérèse Bonney“, The Museum of Modern Art, New York, 1940
- „Selections from the Thérèse Bonney Collection of the Cooper-Hewitt, National Design Museum“, International Center for Photography, New York, 1976
- „Paris Recorded: Thérèse Bonney Collection“, Cooper-Hewitt National Design Museum, New York, 1985
- „Aren’t They Lively?: An Exhibition of the Bequest of Thérèse Bonney, Class of 1916, University of California“, Berkeley Art Museum, Juni bis September 1992
- „Women Come to The Front – Journalists, Photographers, and Broadcasters During World War II – Therese Bonney“, Library of Congress, Sammelausstellung, 27. Juli 2010