Wer war Madame Yevonde?
Yevonde Philone Middleton war eine englische Fotografin und Wegbereiterin für den Einsatz von Farbe in der Porträtfotografie. In ihrer über sechzig Jahre dauernden Karriere benutzte sie den Künstlernamen „Madame Yevonde“.
Mit dem festen Willen, sich als Frau auf dem damals männerdominierten Feld der Studiofotografie zu etablieren und eigenständig ihr Geld zu verdienen, entwickelte sie nach Abschluss ihrer Lehre und Eröffnung ihres Ateliers rasch neue fotografische Konzepte und hatte damit schnell großen Erfolg in der feinen Londoner Gesellschaft, der sogar zu Aufträgen aus dem royalen Umfeld führte.
In den 1930er Jahren stieg Yevonde mit Farbfotos von bis dahin unerreichter Qualität, die sie einem neuen innovativen Verfahren verdankte, an dessen Entwicklung sie selbst maßgeblich beteiligt war, zur Doyenne der englischen Porträtfotograf*innen auf, bis ein schwerer Schicksalsschlag sie weit zurückwarf.
Kindheit und Schule
Yevonde Philone Cumbers wurde am 5. Januar 1893 in Streatham/Süd-London als älteste von zwei Töchtern einer wohlhabenden Familie geboren. Ihr liebevoller, liberal eingestellter Vater Frederik Cumbers war einer der Direktoren der Johnstone & Cumbers Ltd. Printing Ink Manufactures und hatte von daher ein natürliches Interesse daran, seine Kinder auch mit der faszinierenden Welt der Farben vertraut zu machen. Ihre Mutter war Ethel Westerton.
Yevonde erfreute sich einer Kindheit, die von zahlreichen Theaterbesuchen, häuslichen Kostümpartys und einem ausgefüllten sozialen Kalender geprägt war. Verkleidungen und Rollenspiele gehörten so zu ihren ersten Kindheitserlebnissen.
Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Verena zog die Familie 1899 nach Bromley/Kent. Yevonde wurde dort zunächst von einer Gouvernante und in einer örtlichen Tagesschule unterrichtet. Mit 16 Jahren kam sie in ein Konvent in Belgien. 1910 beendete sie die Schule an der Guilde Internationale in Paris.
Gelangweilt von der Schulausbildung und angetrieben von ihrem ausgeprägten Streben nach Unabhängigkeit sowie in der festen Absicht, ihren eigenen, selbstbestimmten Weg im Leben zu suchen, hatte sie nach Abschluss der Schule kein Interesse daran, ihre weitere Jugend mit dem Besuch zahlloser Tanztees und Theaterpartys zu verbringen, bis ein passender Ehemann für sie gefunden werden konnte. Stattdessen wandte sie ihre Aufmerksamkeit der Suffragetten-Bewegung zu. Ihr Vorbild war die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft.
Yevonde kehrte nach der Schulzeit in das Heim der Familie nach Bromley zurück und trat dort der WSPU (Women’s Social and Political Union) bei. Sie verkaufte WSPU-Schriften und organisierte Rekrutierungstreffen. Als aber die von der Vereinigung veranstalteten Demonstrationen ausuferten, Fenster eingeworfen und Brände gelegt wurden, stellte sie fest, dass sie nicht über die erforderliche Willensstärke verfügte, um ihr künftiges Leben allein dieser Bewegung zu widmen.
Dennoch war sie weiterhin fest davon überzeugt, dass „unabhängig zu sein, das Größte im Leben ist“ und trat stets leidenschaftlich für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Cumbers, die sich später als „ziemlich unbedeutende Suffragette“ beschrieb, zog sich aus Angst, sonst womöglich noch im Gefängnis zu landen, von der aktiven Arbeit in der WSPU zurück und machte sich auf die Suche nach einer Beschäftigung, die ihr völlige finanzielle und berufliche Freiheit bieten würde.
Einstieg in die Fotografie
I took up photography with the definite purpose of making myself independent. I wanted to earn money of my own.
Angeregt von einem Stellenangebot für eine Fotografen-Lehre, das sie in „The Suffragette“ gesehen hatte, hatte die 17-jährige Yevonde ein Bewerbungsgespräch bei der als Frauenrechtlerin und Fotografin berühmten Adelin Beatrice „Lena“ Connell (1875–1949; Künstlername: Beatrice Cundy), die streng formale Fotos von Adligen und den bekanntesten Suffragetten-Anführerinnen machte.
Bezeichnend für die Rolle, die die Fotografie in ihrem späteren Leben spielen sollte, bewarb sich Cumbers, die bis dahin kein Interesse an diesem Medium gezeigt hatte, jedoch aus pragmatischen Gründen – das Studio von Connell in St. John’s Wood lag zu weit von Bromley entfernt – eigeninitiativ für eine dreijährige Ausbildung bei der damals in der Curzon Street im Londoner West End residierenden, führenden irischen Gesellschaftsfotografin „Madame“ Lallie Charles (1869–1919).
Bei ihr erlernte sie zunächst als Studioassistentin den Umgang mit Aristokraten und anderen hochgestellten Persönlichkeiten sowie die Schaffung künstlicher Welten von Glanz und Schönheit im Atelier, um den repräsentativen Ansprüchen dieser elitären Kundschaft zu entsprechen.
Bestrebt, auch praktische Erfahrungen als Fotografin zu sammeln, wurde sie nach dem ersten Lehrjahr in die „Arbeitsebene“ versetzt, wo man ihr beibrachte, Abzüge herzustellen, zu prüfen, zu retuschieren und zu rahmen.
1914 stelle Yevonde fest, dass Charles’ Glanzzeiten mit der ausklingenden Edwardischen Epoche vorüber waren. Die von dieser angefertigten, formal-steifen und hochgradig romantisierenden Portraits zeigten meist in extravagante Roben gekleidete Schönheiten mit Schwanenhals und riesigen Blumenbouquets in den Armen auf hochlehnigen Stühlen der Epoche. Frauen wurden immer noch vorrangig als unterwürfige Geschöpfe der Schönheit und schmückende Gefährtinnen an der Seite ihrer die Geschicke des Landes lenkenden Gatten abgelichtet, was jedoch nicht länger dem sich wandelnden Zeitgeist entsprach.
Eine stetig wachsende Anzahl selbstbewusster, um ihre Rechte kämpfender Frauen, auch aus den mittleren Gesellschaftsschichten, hatte damit begonnen, unterschiedliche Frisuren für sich auszuprobieren, sich die Haare – auch mehrfach – umzufärben, Nagellack, Lippenstift und Make-up zu benutzen und sich im Alltag der jeweils aktuellen Mode angepasst zu kleiden.
Zudem drohte Lallie Charles wegen Überschuldung infolge zurückgehender Aufträge und des Bezugs eines neuen Ateliers Pleite zu gehen. Yevonde, die aus diesen Fehlern und Versäumnissen ihrer Chefin dauerhafte Lehren für ihre eigene berufliche Zukunft zog, beschloss deshalb, sich selbständig zu machen. Sie verstand, dass der Moment für einen zeitgemäßeren Ansatz in der Porträtfotografie gekommen war.
Beginn der Selbständigkeit
Be original or die would be a good motto for photographers to adopt…
Mit den technischen Grundkenntnissen, die sie durch die Arbeit bei Charles erworben hatte, und einem Geschenk ihres Vaters von 250 £ als Startkapital eröffnete Yevonde im Alter von 21 Jahren ihr erstes Studio in der Victoria Street 91 in London und begann damit, sich unter der Bezeichnung „Madame Yevonde – Portrait Photographer“, die sie in Anlehnung an die Firma ihrer vormaligen Lehrerin gewählt hatte, einen eigenen Namen zu machen.
Ihr Stil entfernte sich schnell von dem steifen „Kropftauben-Look“ der Lallie Charles zu einer zwar immer noch formellen, aber deutlich abwechslungsreicheren Darstellung. Ihre Subjekte wurden oft in verschiedenen Posen abgelichtet, wenn sie vor einem dunklen Hintergrund aber gut ausgeleuchtet leicht von der Kamera wegschauten.
Auch begann sie, wechselnde Kulissen, farbige Hintergrundpapiere sowie passende Requisiten einzusetzen und erprobte unterschiedliche Beleuchtungssysteme. Anfänglich saßen Mitglieder ihrer Familie und Freund*innen ihr bereitwillig Modell. Später lud sie bekannte Persönlichkeiten, darunter beliebte Schauspielerinnen und Ballerinas – seltener deren männliche Counterparts – ein, sich kostenlos von ihr porträtieren zu lassen, um das Geschäft weiter zu beleben.
Alsbald erschienen ihre Bilder in angesagten Hochglanz-Gesellschaftsmagazinen wie der „Pall Mall Gazette“, „The Tatler“ und „The Sketch“, in denen über den Lebensstil der Zeit und seine Umsetzung in der Café- und Theatergesellschaft berichtet wurde. Ihre Bilder wurden ferner von führenden Modemagazinen wie Vogue und Harper’s Bazaar übernommen, nachdem diese über den Atlantik nach England expandiert hatten.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beflügelte das Geschäft. Damen der höheren Gesellschaft tauschten ihre Stirnreifen und Diademe gegen Schwesternhauben und „The Sketch“, „The Tatler“ und „The Bystander“ waren sehr daran interessiert, Aristokratinnen dabei zu zeigen, wie sie ihren solidarischen Beitrag an der Heimatfront leisteten.
Soldaten in Khakiuniform und Seeleute standen bei Madame Yevonde Schlange, um sich von ihr stolz und kampfesmutig in heldischer Pose verewigen zu lassen, während Frauen daran gelegen war, sich bei ihren in den Krieg ziehenden Ehemännern, Brüdern und Liebhabern auch bildlich in allerschönster Erinnerung zu halten.
Diejenigen, die es sich leisten konnten, erschienen in Yevondes Studio zu einer formellen Sitzung. Einige Frauen brachten Abendkleidung mit, die sorgfältig in einen kleinen Koffer gefaltet war, einige wenige hatten sogar ein Dienstmädchen dabei, um sich von ihm in die passende Unterbekleidung schnüren zu lassen. Manchmal waren es aber auch Yevonde selbst und ihre Assistentin, die an den Bändern zogen. Abgesehen von ein paar Monaten, in denen Yevonde ein ziemlich unglückliches Mädchen auf dem Lande war, verbrachte sie die Zeit des Kriegs überwiegend in ihrem Studio.
Eheschließung
Liebe und Spaß und gute Zeiten?
Nach einigen kurzen Romanzen während der Kriegszeit lernte Yevonde Ende 1919 Edgar Middleton kennen: einen großen, dunkelhaarigen, ernst dreinblickenden Zeitungsjournalisten und aufsteigenden Bühnenautor. Sehr schnell, bereits am Freitag, den 13. Februar 1920, einem offenbar unheilvollen Datum, erfolgte die Hochzeit.
Noch während der Verlobungszeit hatte Yevonde Edgar angeboten, ihm zuliebe auf ihre weitere Karriere zu verzichten, was er jedoch zu ihrer Erleichterung als „großen Fehler“ bezeichnete und ablehnte. Umso heftiger war ihr Schock, als er ihr während der Flitterwochen erklärte, er sei nicht daran interessiert, Kinder zu haben, ohne die für sie eine Ehe eigentlich sinnlos war.
Auch sonst erwies sich die Beziehung für sie als ziemlich belastend. Sowohl in seinen Schreiben, wie auch nach Yevondes Schilderungen war Edgar ein selbstbezogener Arbeitswütiger, der meistens mit seinem Schicksal haderte. Er bestand darauf, dass sie in einer winzigen Wohnung im Londoner Inner Temple lebten, wo nur ein Vorhang Toilette und Bad von der Küche trennte und eine einzige Spüle allen Zwecken diente.
Wenn er am Ende des Tages von der Zeitungsarbeit heimkehrte, wandte er seine Aufmerksamkeit sogleich seinen Bühnenwerken zu und nicht seiner Frau. Mit aufrührerischen Zeitungsartikeln wie „Heirat kann die Karriere eines Mannes ruinieren“ und „Frauenemanzipation ist nur ein Bluff“ provozierte er hunderte Protestschreiben empörter Frauen an die Redaktionen und wütende Telefonanrufe in der Wohnung, was sich nicht mit Yevondes feministischer Einstellung vertrug.
Yevonde schätzte zwar die Unterstützung und die Ermutigungen, die Edgar ihr für ihre Karriere gab, und er war stets loyal zu ihr, indem er Dritten gegenüber stets behauptete, sie teilten „Liebe und Spaß und gute Zeiten“, aber aus ihren Briefen ging hervor, wie furchtbar schwierig es für sie war, ihn zu lieben und mit ihm zu leben.
Frauen können es besser
Portrait photography without women would be a sorry business. In no phase of modern life has women’s influence proved so stimulating as in photography.
1921 war Madame Yevonde trotz zahlreicher rivalisierender Wettbewerber*innen auf diesem hart umkämpften Markt zu einer bekannten und angesehenen Porträtfotografin geworden. Ihr Erfolgsrezept bestand darin, technische Fähigkeiten mit ausgezeichneter Beziehungsarbeit und kluger Markenbildung zu verbinden.
In diesem Jahr sprach sie als erste Frau in deren 93-jähriger Geschichte auf dem Jahreskongress der „Professional Photographers Association“, zu dem sie als Gastrednerin eingeladen worden war, über „Photographic Portraiture from the Woman’s Point of View“. Sie führte dabei unter anderem mit Verve aus, dass Frauen sich wegen der ihnen naturgegebenen Empathie, Geduld und Intuition stets als bessere Porträtfotografen erweisen würden als Männer.
Das löste vorhersehbaren Unmut unter ihren vornehmlich männlichen Zuhörern und Konkurrenten sowie eine lebhafte Diskussion in Form von Leserzuschriften an einschlägige Fachzeitschriften aus, die über den Kongress berichtet hatten. Später erhielt sie jedoch von prominenten Kollegen (!) auch Lob und Zuspruch für ihren couragierten Auftritt.
Farbe ist das neue Schwarzweiß
When I started colour work I said, if we are to have Colour Photography for heaven’s sake let’s have a riot of colour, and none of your wishy washy hand tinted effects.
Ebenfalls im Jahr 1921 und dann nochmals 1933 wurde Yevonde vorübergehend assoziiertes Mitglied der Royal Photographic Society (RPS). Sie referierte dort am 6. Dezember 1932 unter dem Titel „Why Colour?“ ausführlich über die Gründe und ihre bisherigen Erfahrungen sowie wichtige praktische Aspekte ihrer Arbeit mit dem neuen Vivex-Verfahren im Studio (vgl. dazu später) und verstieg sich abschließend zu einem flammenden Plädoyer für den künftigen Einsatz von Farbe in der Porträtfotografie gerade bei den Kundinnen.
Denn bei Frauen spiele – anders als bei Männern – Farbe eine bedeutende Rolle im alltäglichen Leben, etwa bei der Wahl ihrer Kleidung, bei der Einrichtung ihrer Wohnungen, der Färbung ihrer Haare und Fingernägel und beim Make-up. Betreiber*innen von Fotoateliers sollten sich deshalb, wo diese Möglichkeit nun endlich gegeben sei, auf dieses typisch weibliche Bedürfnis einstellen, um weiterhin erfolgreich zu sein, und nicht länger an ihren tradierten Schwarzweißporträts und nachträglich handkolorierten Abzügen festhalten.
Colour photography has no history, no tradition, no old masters, but only a future!
Mit diesem Aufruf löste sie bei ihren Zuhörern, die der neuen Technik noch überwiegend skeptisch oder sogar ablehnend gegenüberstanden und die sich nicht gern – zumal von einer Frau, die ihnen auf diesem Gebiet bereits weit voraus war – belehren lassen wollten, eine hitzige Debatte aus. Erst 1940 wurde Yevonde endgültig ein Fellow der RPS, wo sie sich auch an den jährlichen Ausstellungen beteiligte. Die dortige Sammlung enthält seither Beispiele ihrer Arbeit.
Die Arbeit zahlt sich aus
1921 zog Yevonde in größere Räume in der Victoria Street 100 in London um. Dort erweiterte sie ihr Repertoire auf Werbe- und Fashionaufnahmen. Sie übernahm dabei auch Aufträge für so profane Produkte wie ENO’s Fruit Salts (Brausepulver) und für Lanoline (einer Handcreme aus Wollfett), denen sie mit ihren hochentwickelten kompositorischen Fähigkeiten und sprühenden kreativen Ideen erfolgreich zu mehr Glamour verhalf.
Auch erledigte sie neue Auftragsarbeiten für verschiedene Mode- und Gesellschaftsmagazine. Ein wichtiger Geschäftszweig war und blieb aber die Porträtfotografie. Viele führende Persönlichkeiten der Zeit – darunter A. A. Milne, Barbara Cartland, Diana Mitford und Noël Coward – suchten ihr Studio auf.
Parallel dazu ging Yevonde ihrem privaten Interesse an der Umsetzung ihrer unerschöpflichen mystischen „Stilleben-Fantasien“ nach, deren Ergebnisse sie – teils noch monochrom, teils bereits in Farbe – bei ihrer ersten, selbst organisierten Ausstellung 1932 in der dafür von ihr angemieteten Albany Galerie in London repräsentierte, lange bevor die surrealistischen Arbeiten von Man Ray und Salvador Dali dort gezeigt wurden. Es war die erste Ausstellung überhaupt, in der farbige Porträtfotos öffentlich zu sehen waren, und sie erhielt begeisterte Kritiken.
Yevonde war auch eine gute Netzwerkerin, die jede Gelegenheit ergriff, um einen großen Bekanntenkreis aufzubauen, aus dem sie dann erfolgreich für Fotositzungen rekrutierte. So nahm sie 1921 zusammen mit Edgar am Gründungsdinner der internationalen PEN-Vereinigung teil, wodurch sie Kontakte zu vielen bekannten Autor*innen knüpfte, die sie später fotografierte, einschließlich Rebecca West. Edgars Arbeit an Bühnenstücken und Drehbüchern verschaffte Yevonde Zugang zu einer Reihe von Theater- und Filmstars, die dann ebenfalls in ihrem Studio erschienen.
Oben angekommen
Royal patronage is the peak in a photographer’s career.
Die Aufmerksamkeit, die ihre Bilder in führenden Modemagazinen hervorgerufen hatte, führte dazu, dass Yevonde 1922 ihren ersten hochkarätigen Auftrag aus dem Umfeld der Royals erhielt. Sie wurde engagiert, das offizielle Verlobungsfoto von Louis Mountbatten und Edwina Ashley zu fertigen, den späteren 1. Earl and Countess Mountbatten of Burma.
Diese Sitzung markierte den Beginn einer langen beruflichen Beziehung zu den Mountbattens, während derer sie Edwina (mehrfach), deren Schwester und ihre Töchter fotografierte, einschließlich der Hochzeitsfotos.
Die auf fachlichem Vertrauen fußende Verbindung auch zu anderen Damen der High Society, die Yevonde bereits als Debütantinnen fotografiert hatte und die später für Verlobungs- und Hochzeitsfotos sowie für Sitzungen mit ihren Kindern zurückkamen, die sie dann ihrerseits wieder in ihrem Studio aufsuchten, wenn sie erwachsen geworden waren, waren einer der Schlüssel zu Yevondes lang andauernder Karriere.
1937 erhielt sie den höchst ehren- und verantwortungsvollen Auftrag, die an der Krönungszeremonie von König Georg VI. teilnehmenden, hochrangigen Gäste in Farbe zu porträtieren, wodurch dieser altehrwürdigen Tradition zusätzlicher Glanz verliehen wurde.
Viva Vivex!
Colour photography after dillying and dallying by the wayside, in the end arrived.
Als die 1930er Jahre heraufdämmerten, entwickelte eine Gruppe von Wissenschaftlern und Technikern um den Chemiker Dr. D. A. Spencer in Willesden/Nordwest-London ein neues fotografisches Verfahren, das sie Vivex nannten und das die Karriere von Yevonde grundlegend verändern sollte.
Hochglanzmagazine, Firmen und Geschäfte verlangten für ihre Produkte zunehmend nach Farbbilder, die sich in hoher Stückzahl vervielfältigen ließen, kostengünstig sein sollten und die Colour Photography Company hatte eine Lösung dafür gefunden.
Es handelte sich um eine neue Variante des damals bereits bekannten Trichrome-Carbro-Verfahrens, bei der zur besseren Farbtrennung jeweils drei speziell dafür vorbereitete Glasplatten unter Verwendung von Farbfiltern in den Primärfarben Gelb, Magenta und Cyan belichtet wurden. Die Platten wurden nachfolgend in getrennten chemischen Prozessen entwickelt.
Die auf ihnen befindlichen Gelatine-Pigmentschichten wurden anschließend vorsichtig vom Glasträger abgelöst und für die nachfolgende Fertigung des Abzugs jeweils vorübergehend von Hand auf einem weiteren dünnen Gelatineblatt als Zwischenträger übereinander gestapelt und ausgerichtet, wodurch auch leichte Bewegungsunschärfen ausgeglichen werden konnten.
So entstand temporär ein einziges, mehrschichtiges Negativ, durch das das Fotopapier im subtraktiven Farbmischungsverfahren belichtet wurde. Das Ergebnis waren dauerhafte, kräftig leuchtende und sehr scharfe Farbabzüge, die auch in den Schatten Struktur und Spitzenlichter aufwiesen. Kein anderes Farbfotoverfahren jener Zeit konnte solche Resultate liefern.
Yevonde erkannte sofort das Potential dieses revolutionären neuen Verfahrens für die Farbfotografie und verbrachte zahllose Stunden in ihrem Studio damit zu experimentieren, wie man die besten Ergebnisse erzielen konnte. Sie arbeitete mit unterschiedlichen Lichtquellen, transparenten Farbfolien, die sie vor die Lampen hängte und diversen Farbfiltern vor den Objektiven, um einen perfekten menschlichen Hautton zu erzeugen.
Zudem war eine sorgfältige individuelle Abstimmung auf den Hintergrund, das Make-up, die Kleidung und die Requisiten notwendig, denn während des Entwicklungsprozesses waren nur noch kleine farbliche Korrekturen möglich. Selbst die Wahl einer falschen Lippenstiftfarbe konnte sich als kostspieliger Fehler erweisen.
Yevonde ließ sich von Rückschlägen und Fehlversuchen nicht abschrecken. Zunächst experimentiere sie mit einer gewöhnlichen Plattenkamera, an deren Rückseite ein nach jeder Einzelbelichtung automatisch rotierender Plattenhalter angebracht war. Die Platten wurden während der Aufnahme, die insgesamt jeweils zwei bis drei Sekunden dauerte, nacheinander von einem Uhrwerk hinter passenden Farbfiltern vorbeibewegt, was jedoch den Nachteil hatte, dass es leicht zu Bewegungsunschärfen kam, wenn die aufgenommene Person in dieser Zeit nicht absolut stillhalten konnte.
Yevonde wechselte deshalb zu einer speziell entwickelten Kamera, der „Vivex Tri-Colour“ (Typ A), die alle drei Farbplatten gleichzeitig belichtete – ein schweres Ungetüm, das um die sechs Kilogramm wog. Auch sonst machte sie diverse Verbesserungsvorschläge und stellte viele Forderungen an das Willesden-Team, die seinen Standardverfahren völlig zuwiderliefen, aber sie wurden alle ausprobiert, um die Grenzen der neuen Technologie auszuloten und zu erweitern.
Göttliche Welten
1933 zog Yevonde abermals um, dieses Mal in den Berkeley Square 28 im vornehmen Londoner Stadtteil Mayfair. Sie begann, Farbe sowohl für ihre Werbearbeiten wie auch für ihre Porträts zu benutzen und nahm auch andere Aufträge an.
Ihre berühmteste Arbeit wurde von einem Wohltätigkeitsball inspiriert, der am 5. März 1935 stattfand und bei dem die Gäste als römische und griechische Göttinnen und Götter gekleidet erschienen. Yevonde fertigte daraufhin mit 23 Frauen, die sie von früheren Sitzungen oder aus ihrem persönlichen Netzwerk kannte, eine Serie von Studioporträts mit mythologisch oder historisch verkleideten Charakteren.
Das war ein beachtliches schöpferisches und logistisches Unterfangen: Göttinnen und historische Figuren mussten ausgewählt und ein Konzept für jede Aufnahme entwickelt werden. Sobald sie Frauen zur Teilnahme überredet hatte, mussten passende Kostüme, Ausstattungsgegenstände und Bühnenrequisiten gefunden oder eigens hergestellt werden und bereit sein, wenn das Modell im Studio erschien.
Yevondes Assistentinnen huschten durch ganz London und trieben falsche Perlen, Plastikschlangen, ausgestopfte Eulen und einen riesigen Stierkopf auf. Requisiten, die Yevonde für frühere Aufnahmen benutzt hatte, wurden reaktiviert. Später folgten ähnliche Serien mit Bezug zu den Tierkreiszeichen und den Monaten des Jahres.
Die Serie unter dem Titel „Godesses“ zeigte Yevonde im Juli 1935 in ihrer ersten reinen Farbfotoausstellung in ihrem eigenen Studio auf der Höhe ihres Schaffens. Obwohl die Show außerhalb des Kreises der unmittelbar Beteiligten, deren Angehörigen und Freund*innen, die in Scharen herbeiströmten, keine große allgemeine Aufmerksamkeit erzielte, schätzten Kunstkritiker*innen, die sie sahen, sie als bahnbrechend ein, weil sie die Kreativität und technischen Meisterleistungen erkannten, die dahinter steckten. „Abgesehen vom Einfallsreichtum bei der Komposition gehören diese Fotos zu den besten direkten Farbabzügen, die wir gesehen haben“, berichtete The Times.
Ermutigt von dieser Reaktion und zudem angetrieben vom königlichen Auftrag, im November 1935 die Hochzeit von Lady Alice Scott mit dem Duke of Gloucester zu fotografieren, stellte Yevonde ein Portfolio zusammen und machte sich im Februar 1936 auf nach New York.
Im Fortune Magazin war man von ihren Farbfotos begeistert und engagierte sie auf der Stelle, um die letzten Schritte bei der Ausstattung des neuen Cunard-Liners, der RMS Queen Mary, zu fotografieren. Das unterschied sich sehr von ihrer üblichen Tätigkeit. Yevonde musste ihre komplette Studioausrüstung, sämtliche Kameras, Lampen und Laborgegenstände zusammenpacken und von London zum Liegeort des Schiffes auf dem River Clyde in Schottland schaffen lassen, was in jenen Tagen eine logistische Herausforderung für sich war.
Sie verbrachte mehrere Tage auf dem Schiff und machte insgesamt 46 Aufnahmen von sämtlichen Künstler*innen und Handwerker*innen, die an verschiedenen Stellen im Dampfer letzte Hand anlegten. Die Bilder waren ein voller Erfolg. „Fortune“ druckte zwölf Aufnahmen, die auch von Beaumont Newhall angesehen wurden, der die erste der Fotografie gewidmete Ausstellung „Photography 1839–1937“ im Museum of Modern Art in New York kuratierte.
Als diese noch nicht besonders repräsentative Ausstellung im März 1937 eröffnet wurde, war Yevonde nur eine von zwei Frauen, deren Bilder in der Farbsektion gezeigt wurden. Eines ihrer Porträts zeigte die Künstlerin Doris Zinkeisen, die zusammen mit ihrer Schwester Anna damit beschäftigt war, mehrere Wandgemälde auf der Queen Mary anzufertigen.
Es ist aus, aber nicht vorbei
Als Ende 1939 die Neujahrsglocken läuteten, hatte Yevonde angesichts dieser Entwicklungen allen Anlass, freudig in die Zukunft zu sehen, aber ihre persönliche und berufliche Welt gerieten bald aus den Fugen.
Kurze Zeit später wurde bei Edgar Krebs diagnostiziert und im April 1940 war er tot. Am Boden zerstört, verstreute Yevonde seine Asche unter dem Magnolienbaum im Temple Garden und zog aus der Wohnung aus, die in den letzten zwanzig Jahren ihr Heim gewesen war.
Vier Monate später brach der Zweite Weltkrieg aus. Die meisten Mitarbeiter*innen wurden zum Kriegsdienst eingezogen und die Farbchemikalien der Colour Photography Company als kriegswichtige Güter beschlagnahmt. Das brachte sowohl den Vivex-Prozess wie auch die erfüllende, von gegenseitigem Respekt geprägte professionelle Partnerschaft zwischen Yevonde und der Firma zu einem abrupten Ende.
Ein Selbstporträt von 1940 ist daher voller Symbolik: Yevonde sitzt in einem Schmuckrahmen und hält eine alte fotografische Platte hoch, umgeben von weiteren Glasplatten und Chemikalien, die sie nicht länger beziehen und benutzen konnte, während über ihr unheilvoll eine ihrer Aufnahmen von 1935 aus der Godesses-Serie wacht: Hekate, Göttin der Unterwelt. Yevonde arbeitete danach nie wieder in Farbe.
Während des gesamten Krieges blieb Yevonde weiter als Fotografin tätig. Als ihre Londoner Wohnung zerbombt wurde, zog sie vorübergehend in ein Provisorium aufs Land und danach in ihr Studio im Berkeley Square. Ihr Studio und ihr Archiv überstanden den Krieg überwiegend intakt, aber das Geschäft erholte sich nur langsam.
Sie experimentierte – nun wieder in Schwarzweiß – mit Montagen und Porträts „vor Ort“ in den Wohnungen und Häusern ihrer Kund*innen, die sich dort gern auch zusammen mit ihren Haustieren ablichten ließen. 1947 vermittelte ein Manager von Ilford, einer ihrer Unterstützer, ein Treffen zwischen ihr und Maurice Broomfield, einem Maler und aufstrebenden Fotografen sowie Filmemacher.
Sie gingen eine geschäftliche Partnerschaft ein, basierend auf Yevondes Berkeley-Square-Studio, die er später als „wundervolle Erfahrung der Zusammenarbeit mit einer wundervollen Person“ beschrieb. Nach einigen Jahren nahm die Porträtarbeit jedoch wieder an Fahrt auf und Yevonde und Broomfield gingen getrennte Wege.
1958 brachte bedeutende Veränderungen in die Landschaft der Porträtfotografie. Es wurde bekanntgegeben, dass dies das letzte Jahr sei, in dem es eine höfische Vorstellung der Debütant*innen geben werde, womit ein zentrales Ereignis der gesellschaftlichen Saison in London entfallen und damit ein Eckstein des Geschäfts der Gesellschaftsfotograf*innen wegbrechen würde.
Die alte Garde der Fotograf*innen begann, Platz für die neuen zu machen: Tom Hustler (1934–2006) und Antony Armstrong-Jones, 1. Earl of Snowdon („Lord Snowdon“), fanden einen weitaus informelleren Zugang zur Hochzeits- und Gesellschaftsfotografie.
Yevonde wandte sich für neue Inspirationen Man Ray zu, als sie begann, mit Solarisation zu experimentieren, einer Technik, die er und Lee Miller in den 1930er Jahren entwickelt hatten. Sie war damit in kreativer Hinsicht auch zufrieden, aber kommerziell nicht erfolgreich, weil ihre Kundschaft eher traditionelle Porträts bevorzugte.
Aktive Feministin
Some Distinguished Women
Während ihrer gesamten Karriere arbeitete Yevonde aktiv daran, die Anzahl von Frauen, die in der Fotografie arbeiteten, zu steigern. Sie wies in ihren Stellenangeboten für gewöhnlich darauf hin, dass sie nach einer weiblichen Assistentin suchte und hatte einen frühen Erfolg als Mentorin, als ihre erste Assistentin Muriel Oliver nach Manchester zog und dort unter dem Namen ihrer Chefin ein Studio eröffnete.
Yevonde zählte wiederholt in ihren Vorträgen die Vorteile einer Karriere in der Fotografie auf: Man könne mit der Ausbildung gleich nach der Schule beginnen, mit vergleichsweise wenig Kapital ein eigenes Geschäft eröffnen und die Tätigkeit auch nach einer Heirat fortsetzen. Ihre Ansichten gründeten offensichtlich auf ihren eigenen Erfahrungen:
To fritter away the years between seventeen and twenty-two in having a good time and then hope to settle down to learn the work is all wrong.
Von daher passte es, dass die letzte Ausstellung, die Yevonde 1968 von ihrer eigenen Arbeit organisierte, „Some Distinguished Women“ hieß. Sie fiel zeitlich mit dem 50-jährigen Jahrestag der Erlangung des Wahlrechts für Frauen zusammen, hob die seither stetig gewachsene Bedeutung und Stellung von Frauen in der Fotografie hervor, ehrte die vielen berühmten und denkwürdigen Kundinnen, mit denen sie in diesem Zeitraum zusammengearbeitet hatte und die sich von ihr hatten porträtieren lassen und zeigte noch einmal exemplarische Beispiele ihrer zahlreichen Porträtstile und -techniken.
1971 organisierte die Royal Photographic Society zu ihren Ehren eine Retrospektive. Im gleichen Jahr zog Yevonde sich aus dem aktiven Geschäft zurück und vermachte ihre in sechzigjähriger Arbeit gesammelten Ausstellungsabzüge sowie alle noch in ihrem Besitz befindlichen Vivex-Negative großzügig der National Portrait Gallery in London.
Sie fotografierte noch fast bis zu ihrem Tod am 22. Dezember 1975, kurz vor ihrem 83. Geburtstag, weiter. Sie wird hauptsächlich wegen ihrer Arbeit in den 1930er Jahren in Erinnerung bleiben, die viel dazu beigetragen hat, der Farbfotografie zur Anerkennung zu verhelfen.
Die nach dreijähriger Umbauphase am 22. Juni 2023 wiedereröffnete National Portrait Gallery in London widmet Yevonde aktuell unter dem Titel „Life and Colour“ noch bis zum 15. Oktober 2023 eine Retrospektive. Zu dieser Ausstellung gibt es auch einen umfangreichen Hardcover-Katalog .
Titelbild
A Day in the Life of a Debutante. An hour’s serious reading (Elizabeth ‘Betty’ Cowell) by Yevonde tricolour separation negative, 1932 © National Portrait Gallery, London
Quellen
- Zeitschriften: The Sketch 17/6/1914; The Pall Mall Gazette 21/4/1921; The Times 21/4/1921; Westminster Gazette 02/06/1922; The Times 13/2/1923; Westminster Gazette 3/8/1927; „Talk of London“ im Sheffield Independent 27/4/1932; Dundee Evening Telegraph 21/03/33; Western Mail and South Wales News 11/5/1933; The Times 11/7/35; New York Herald Tribune 1/8/1936; The Times 8/2/1965; Sunday Times 12/5/1968; The Times 3/6/1974; The Spectator 17/6/2023
- „In Camera“ (1940), Yevonde
- „It Might Have Been a Success“ (1935), Edgar Middleton
- Vortrag „Why Colour“ von Yevonde im Royal Photographic Society Journal Vol. 73, 1933
- Wikipedia deutsch / englisch
Bücher und Ausstellungskataloge
- Robin Cousins, Pam Roberts: „Madame Yevonde: Colour, Fantasy and Myth“, National Portrait Gallery (1990), Ausstellungskatalog
- Brett Rogers, Adam Lowe: „Madame Yevonde – Be Original or Die“, The British Council (1998), Ausstellungskatalog
- Lawrence N. Hole: „The Godesses – Portraits by Madame Yevonde“, Darling and Company, Seattle (2000)
- Lawrence N. Hole: „Madame Yevonde and the RMS Queen Mary“ (2003)
- Adam Lowe, Brett Rogers: „Madame Yevonde“ (2001), Ausstellungskatalog
- Kate Slaway: „Godesses and Others – Yevonde: A Portrait“, Balcony Books (1990)
- Clare Freestone: „Yevonde: Life and Colour“ (2023), Ausstellungskatalog
Ausstellungen (unvollständig)
- „Photography 1839–1937“, Museum of Modern Art, New York, 17. März – 18. April 1937
- „Dove or Predator?“, 1961 im eigenen Studio in Knightsbridge
- „Some Distinguished Woman“ 15.–29. Mai 1968
- „Madame Yevonde – Colour, Fantasy and Myth“ in der Royal Photographic Society/National Portrait Gallery, London 1990
- „Madame Yevonde – Be Original or Die“ in der Villa Stuck in München, 23. Dezember 1999 – 19. März 2000, danach im Kunstmuseum Wolfsburg, 17. Dezember 2002 – 9. März 2003
- „Yevonde: Life and Colour“ in der National Portrait Gallery in London, 22. Juni – 15. Oktober 2023