Ein Universum afrikanischer Geschichten
Yannis Davy Guibinga stammt aus Libreville in Gabun. Zurzeit lebt der 25-Jährige in Montreal, Kanada. Dorthin verschlug es ihn ursprünglich zum Studium, doch bald entdeckte er, dass er aus seinem Hobby, der Fotografie, die er zum Spaß mit Freund*innen betrieb, eine richtige Karriere machen konnte.
Die Hauptrolle seines bunten und poetischen Werks nehmen Schwarze Menschen ein. Deutlich abseits der oft kriminalisierten und entmenschlichten Schwarzen Körper, die überwiegend in den Medien zu sehen sind, geht es in seinen kraftvollen Portraits nicht darum, eine idealisierte Schwarze Person zu zeigen, sondern einzelne Menschen und ihre komplexen Identitäten.
Komplexes menschliches Erleben der eigenen Person und der Umwelt hat seine Wurzeln in vielen Aspekten. Eine neue Generation von Afrikaner*innen trifft mit ihrem Erbe vielfältiger Identitäten angesichts der Globalisierung auf den westlichen Kulturimperialismus. Sie schreiben eine neue Erzählung: lebensfroh, ohne Entschuldigungen und mit Entscheidungsfreiheit.
Yannis Davy Guibingas selbstgestellte Mission ist es, zur Veränderung dieser Erzählung vom afrikanischen Kontinent, seinen Bewohner*innen und ihrer Diaspora beizutragen. Negative Stereotype, die aus der Kolonialzeit immer noch präsent sind und nach wie vor die Annahme nähren, der Kontinent sei primitiv und bleibe unterentwickelt, bekämpft er mit nuancierten Bildern gelebter afrikanischer Erfahrung.
Aus der Überschneidung verschiedener Faktoren wie Geschlecht, Kultur und sozioökonomischem Status entstehen in jedem Menschen einzigartige Erfahrungen und Perspektiven. Durch die Verbindung dieser zeitgenössischen afrikanischen Identität und den Traditionen der Vergangenheit entsteht ein Blick in die Zukunft.
Mit der Geschichte im Gedächtnis entstehen durch die selbstbewusste Verwendung von Farben Erzählungen von würdevollen, schönen und mächtigen Afrikaner*innen, die danach streben, unabhängig von voreingenommenen und begrenzten Perspektiven auf ihren Herkunftskontinent und seiner verschiedenen Gemeinschaften eine Kultur zu ihren eigenen Bedingungen zu leben.
Solche Beiträge dienen nicht nur der Selbstermächtigung Schwarzer Gesellschaften, sondern sind auch für den weißen Blick wertvoll. Betrachtet sie aufmerksam, um dazuzulernen, wie facettenreich Schwarze Identitäten sind und was Menschen in den tieferliegenden, nicht so offensichtlichen Schichten ihrer Lebenswelten beschäftigt.
Yannis Davy Guibinga konzentriert sich auch auf Themen, von denen er den Eindruck hat, dass viele sie vernachlässigen. In aufsehenerregenden Mode- und Kunstportraits werden etwa Fragen der psychischen Gesundheit in Schwarzen Gemeinschaften, Traumata zwischen den Generationen oder das Stigma der Geisteskrankheit verhandelt.
Religiöse Doktrinen, die durch die Kolonialisierung nach Afrika kamen, sorgten dafür, dass unter anderem LGBTQ-Gemeinschaften als gesetzeswidrig eingestuft, verfolgt, inhaftiert und getötet wurden. Diese vormals lange Tradition nicht-binärer Gemeinschaften in afrikanischen Gesellschaften greift Yannis Davy Guibinga wieder auf.
Götter, Geister und Vorfahren zeigen in den Mythen sowohl die besten als auch die schlechtesten Seiten der menschlichen Existenz. Der nächsten Generation werden beim Geschichtenerzählen Prinzipien, Werte und moralische Werkzeuge vermittelt und spielt so eine wichtige historische Rolle.
Yannis Davy Guibinga ließ sich etwa von den aus dem Südsudan stammenden Dinka und der mythologischen Geschichte von Abuk inspirieren. Oder von Ganga Ya-Chibanda, einer Figur der zentralafrikanischen Region, die sich als Frau kleidete und von seinen Untergebenen als Großmutter bezeichnet wurde. In west- und zentralafrikanischen Regionen waren spirituelle Figuren, die sich als Frauen kleiden, eine gängige Praxis.
So wird mit verbreiteten afrikanischen Stereotypen gebrochen, neue Perspektiven öffnen sich. Es entstehen Verbindungen zwischen Identität und Geschlechterfluidität, die in den Futurismus weisen. Ausgehend von den Mythologien der Vergangenheit, überwinden allegorische Geschichten von Gottheiten die Epochen, um uns Einblicke in vielfältige Zukunftsmöglichkeiten zu gewähren.
Von den Fulani im Westen bis zu den Dinka im Osten wird die Kunst der afrikanischen Skarifizierung typischerweise als Körperschmuck verwendet. Skarifizierungsnarben werden etwa zum Übergang ins Erwachsenenalter angebracht, kennzeichnen Zugehörigkeiten oder erinnern an wichtige Lebensereignisse.
Yannis Davy Guibinga kombiniert diese traditionelle Praktik mit traditioneller Kleidung aus Bogolan, die von den Dogon aus Mali getragen wird. Aus der Verschmelzung kultureller Traditionen mit zeitgenössischer Fotografie entsteht so eine Hommage an einzigartigste Identitätsmerkmale des Kontinents und Kunstformen, die jeden Tag mehr und mehr verloren gehen.
Auf die kulturelle Bedeutung des Bodypainting weist der Fotograf mittels Anleihen der frei fließenden und kurzlebigen Bemalungen von Surma und Mursi hin. Um dem besonderen künstlerischen Ausdruck des Körperschmucks dieser Stämme zu huldigen, verbindet er sie mit modernen Elementen. Es entsteht ein Dialog zwischen Tradition und Gegenwart, bei der die Kreativität im Mittelpunkt des Gesprächs steht.
Noch allgemeiner richtet Yannis Davy Guibinga seinen Blick auf die kulturelle Bedeutung der Farbe Schwarz an sich. Diese ist in vielen Kulturen dem Tod gleichgesetzt, läutet Tragödien ein oder verkörpert alles Schlechte. Er stellt diesen negativen Konnotationen Darstellungen von Weichheit und Leichtigkeit gegenüber, die Schwarz ebenso sein kann.
Ich betrachte meine Fotos als kleine Geschichten, die Teil desselben größeren Universums sind. Es geht nur darum, mit welcher Art von Geschichte und auf welche Weise ich das Universum fortschreiben kann. Ich frage mich: Wie kann ich dieses Universum mit den Einschränkungen erweitern, die ich mir selbst auferlegt habe?
Yannis Davy Guibinga begnügt sich nicht damit, farbenfrohe Bilder zu kreieren und Kulturen zu dokumentieren. Im internationalen Dialog erhebt er seine Stimme, um zu kritisieren und vermeintlich aufgeklärte Symbole als die Feigenblätter, die sie sind, zu benennen.
Die Tatsache, dass es immer noch eine große Sache ist, wenn ein Schwarzer Fotograf das Cover der Vogue fotografiert, entlarvt die bisherige Integration kultureller Vielfalt lediglich als Trend. Solche großen Institutionen sind zwar immer noch wichtige künstlerische Bezugspunkte, bei Kreativität oder Innovation selbst aber nicht führend, sondern konservativ und bremsen wirkliche Weiterentwicklung aus.
Wer besitzt und kuratiert die Plattformen tatsächlich? Finden sich in einflussreichen Positionen Schwarze Menschen, die eine freie Entscheidung darüber haben, vielfältigen afrikanischen Perspektiven Raum zu bieten? Der Weg ist noch lang und Yannis Davy Guibinga noch jung.