26. Oktober 2022 Lesezeit: ~4 Minuten

Filmtipp: In einem Land, das es nicht mehr gibt

Eine junge Frau wird auf dem Weg zur Arbeit zufällig von einem Fotografen entdeckt. Das spontane Portrait erscheint bald darauf zu ihrer Überraschung in einer der größten Modezeitschriften des Landes. Vorbei ist das Leben als Fabrikarbeiterin, denn nun steht sie auf den großen Laufstegen. – Zugegeben, es klingt wie eine kitschige Coming-of-Age-Geschichte. Aber das ist sie nicht. Denn dieses Land, von dem der Titel spricht, ist die DDR.

Allein dadurch verändern sich viele Parameter in der klassischen Selbstfindungsgeschichte. Denn wie schwer ist es, sich selbst zu finden, wenn schon das normale Ausprobieren und Rebellieren in der Jugend harte Konsequenzen haben kann? Wenn man weiß, dass schon das falsche Buch in der Tasche zu zwei Jahren Gefängnis führen kann?

Mann auf einem Motorrad

Das falsche Buch ist im Kinofilm „1984“ von George Orwell. Die junge Frau muss nach ihrer Festnahme zwar nicht ins Gefängnis, darf jedoch ihren Schulabschluss nicht fortsetzen und wird zur Arbeit in einer Fabrik verpflichtet. Ähnliches ist Aelrun Goette, der Regisseurin des Films, tatsächlich passiert. Auch sie wurde Ende der 1980er Jahre vom Studium ausgeschlossen, musste in einer Fabrik arbeiten und wurde als Modell entdeckt.

Der Film ist jedoch nur zum Teil autobiografisch und entfaltet ausgehend von dieser Geschichte einen Einblick in das Leben in der DDR und insbesondere in die Welt der Mode des Ostens. Wer waren die Modelle und die Kreativen hinter den Kleidern? Wie lief eine Modenschau vor hochrangigen Politiker*innen ab? Wie frei konnte man arbeiten?

Vielleicht habt Ihr auf diese Fragen ausgehend von bestimmten Klischeevorstellungen über die DDR schon Antworten im Kopf. Dann wird Euch der Film sicherlich überraschen. Die Mode in der DDR war alles andere als langweilig oder altbacken. Sogar die berühmte „Galerie Lafayette“ hatte noch kurz vor der Wende der DDR-Modemarke EXQUISIT eine beachtliche Verkaufsfläche in Paris zugesichert.

Zwei Menschen extravagant gekleidet in einem Auto

Solche interessanten Fakten werden hin und wieder in Nebensätzen im Film eingebracht und schaffen ein vielfältiges und auch ehrliches Bild des Ostens, ohne ihn zu verklären. Der Film schafft es auf angenehme Weise, mit Klischees über das Leben in der DDR gegenüber dem echten Leben und Empfinden der Menschen im Osten zu jonglieren. Natürlich war die Stasi allgegenwärtig und die Menschen mussten einfallsreich sein. Aber im Film sind diese Hürden keine Aufhänger für einen flachen Witz oder Vorlagen für schablonenhafte Handlungen.

Ich muss zugeben, dass ich beim Blick auf das Filmplakat etwas Sorge hatte. Der Fotograf wirkt, als hätte er noch nie eine Kamera in der Hand gehabt und auch sonst wird es dem Film nicht gerecht. Die Schauspieler*innen sind absolut überzeugend. Insbesondere möchte ich dabei Marlene Burow als Modell Suzie und Sabin Tambrea als den extravaganten Designer Rudi hervorheben.

Frau an einem Schreibtisch

Die Rolle des Fotografen Coyote wird von David Schütter gespielt und ist leider eine der schwächeren. Nicht, was die schauspielerische Leistung angeht, sondern weil seine Figur meiner Meinung nach einfach zu flach gezeichnet wurde: Coyote ist ein hochbegabter Fotograf mit Berufsverbot. Er ist super kreativ, gut aussehend und alle Frauen liegen ihm zu Füßen. Er macht dabei immer, was er will und das natürlich noch perfekt…

Auch die Rolle der Gegenspielerin wirkt leider sehr vereinfacht, weil man nichts über sie und ihre Geschichte erfährt. So bleibt sie den ganzen Film über die eifersüchtige arrogante Frau, die mit allen Mitteln gegen das junge Modell vorgeht. Ihre Motive bleiben ungeklärt.

Wenn man von diesem Kritikpunkt absieht, ist der Film auf jeden Fall eine Bereicherung, was die Aufarbeitung ostdeutscher Geschichte angeht und eine Empfehlung.

Der Film entstand in Zusammenarbeit mit der Fotografin Ute Mahler, die in der DDR für die Modezeitschrift Sybille fotografierte. Im Hintergrund sieht man auch immer wieder echte Aufnahmen von ihr oder ihrem Mann Werner Mahler. Auf einem der Bilder ist sogar die Regisseurin als Modell zu sehen. Wenn Ihr im Kino also ganz aufmerksam seid, könnt Ihr diese Details entdecken.

Der Film läuft erst seit zwei Wochen im Kino. Ob er auch bei Euch in der Nähe zu sehen ist, könnt Ihr hier nachsehen.

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