Die wichtigsten Fotobücher 2022 aus Verlagssicht
Was sind die beliebtesten und wichtigsten Fotobücher des Jahres gewesen? Eine Frage, die wohl kaum jemand eindeutig beantworten kann. Ich wollte mich einer Antwort aber zumindest annähern und habe mich an die Buchverlage gewendet. Ich habe ihnen drei Fragen gestellt:
- Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
- Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
- Wie war das Jahr für Euch persönlich? Welche Herausforderungen und Erfolge hattet Ihr?
Auf die zweite Frage wollte sich kaum ein Verlag einlassen und einer verglich es sogar mit der Frage nach dem Lieblingskind! Stattdessen nannten viele Verlage ein paar Titel, die dem Themenschwerpunkt des Jahres entsprachen.
Die Antwort auf die dritte Frage war bei jedem Verlag ähnlich, weshalb ich sie hier einmal zusammenfasse: Die steigenden Preise, Lieferengpässe und die Papierknappheit war belastend für die Verlage. Dazu kam, dass auch die Käufe durch die Inflation spürbar zurückgegangen sind. „Wenn alles teurer wird, ist es häufig zunächst die Kunst und die Kultur, auf die verzichtet werden muss.“, schreibt Calin Kruse von „dienacht“.
Natürlich möchte auch bei der Qualität der Bücher kein Verlag Abstriche machen. „Unsere Bücher haben auch für uns einen hohen ideellen Wert und wir möchten, dass sie auch künftig für alle erschwinglich bleiben, ohne dass wir an der bekannten Qualität sparen müssen.“, schreibt der dpunkt.verlag.
Ein positiver Aspekt des Jahres sind die wieder stattfindenden Ausstellungen, Messen und Festivals. Ausstellungskataloge helfen besonders den größeren Verlagen, wirtschaftlich zu arbeiten. Nach fast zwei Jahres Stillstand durch die Pandemie waren die großen Veranstaltungen wie die Paris Photo oder die Frankfurter Buchmesse ein Lichtblick für die Verlage.
„Sich wieder mit Leserinnen und Lesern persönlich austauschen zu können, Wissen und Begeisterung zu teilen, zu hören, was für sie gerade wichtig ist und welche Themen Gehör brauchen – das ist unsere Motivation und Grund genug, weiter Kraft in die Förderung und die Verbreitung von Kunst und Kultur zu stecken.“, erklärt der Verlag Scheidegger & Spiess.
Hatje Cantz
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Für uns gibt es tatsächlich drei Spitzenreiter in 2022: Unser hinreißender Evergreen Fred Herzog „Modern Color“, die beiden Neuerscheinungen Elizaveta Porodina „UN/MASKED“ und Sybille Bergemann „Stadt Land Hund. Photographs 1966–2010“ liegen in der Verkäufen gleichauf.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Wir haben in 2022 rund 20 Fototitel veröffentlicht. Unser thematischer Schwerpunkt lag auf Fotografie von Frauen. Hier waren die Bücher zu Charlotte March, Dayanita Singh, Ruth Orkin und auch der Titel „Female View“ für uns auch subjektiv sehr wichtige Bücher.
Edition Bildperlen
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Das meistverkaufte Buch war „Spitzbergen: Arktische Abenteuer unter Nordlicht und Mitternachtssonne“.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Jedes unserer Bücher und alle Autor*innen sind für uns gleich wichtig. Wir heben hier auch persönlich keinen Titel explizit heraus, denn jedes Werk hat seine einzigartige Botschaft und Berechtigung. Projekte, die nicht besonders wichtig für uns sind, kommen nicht ins Programm. Insgesamt sind 2022 fünf Bücher in der Edition Bildperlen erschienen.
dpunkt.verlag
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Rekorde verzeichnete erneut Scott Kelby: Mit seinem neuen Buch „Scott Kelbys Reisefoto-Rezepte“ begeisterte er sofort nach Erscheinen zahlreiche foto- und reisefreudige Menschen. Das Buch ist seit Monaten unser Verkaufsschlager. Kelby gelingt es aber auch unnachahmlich gut, fundiertes Wissen unterhaltsam und mitreißend zu vermitteln. Eine wirkliche Besonderheit ist auch „Die Seele der Kamera“ von David DuChemin. Das Buch ist vor mehr als fünf Jahren erschienen, verkauft sich aber noch immer wie am ersten Tag. Ein echter Bestseller.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
30 Novitäten allein im Bereich Fotografie haben wir in diesem Jahr veröffentlicht. Einen thematischen Schwerpunkt setzte unser Lektorat in diesem Jahr mit verschiedenen Neuerscheinungen zur Landschafts- und Naturfotografie. Mit den beiden Praxisbüchern von Albert Dros „Praxisbuch spektakuläre Landschaftsfotografie“ und Theo Bosboom „Praxisbuch Meer & Küste fotografieren“ haben wir unseren Status als Verlag für Naturfotografie bekräftigt, jetzt im späten Herbst schließt sich der Kreis mit einem „Kompendium der Vogelfotografie“. Wenn man durch diese Bücher blättert und all die beeindruckenden Fotografien sieht, die das Schöne und Natürliche unserer Welt festhalten: Dann stockt jedem und jeder von uns kurz der Atem.
dienacht
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Das Buch „The Three Corners of the Ocean“ von Claudia López Ortega war das beliebteste Buch. Das Projekt wurde vor einigen Jahren während meines Workshops in Mexico-City entwickelt und seitdem war es immer mein Wunsch, es zu veröffentlichen.
Es war eines meiner Lieblingsprojekte, aber es war mir klar, dass die Herstellung extrem teuer sein würde, weil das Papier sehr besonders ist und das Buch größtenteils per Hand gebunden werden muss. Ich wollte dabei auch keine Kompromisse machen. Am Ende konnte es nur gedruckt werden, weil wir eine NEUSTART-Förderung für Verlage bekommen haben, die einen Teil der Produktionskosten gedeckt hat.
Es geht um Beziehung der drei Frauen bzw. drei Generationen in einer Familie – die Tochter der Fotografin, die Fotografin selbst und ihre eigene Mutter. Die Beziehung ist nah und gleichzeitig problematisch, es gibt tiefe Wunden, schwarze Listen von Verletzungen, innere Konflikte auf alle Seiten.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Wir haben fünf Bücher herausgegeben. Das letzte Buch, das wir gedruckt haben, ist mir sehr wichtig: In „Relaxing Chamber“ von Aleksei Kazantsev geht es um das Bewusstsein von Tieren. Die Arbeit an sich erstreckt sich über zehn Jahre und das Thema interessiert mich persönlich: Inwiefern haben Tiere ein Bewusstsein, was spüren sie, was denken sie?
Untersuchungen an der University of Cambridge haben ergeben, dass viele Tiere (darunter alle Säugetiere und Vögel sowie Tintenfische) ein Bewusstsein haben müssen. Daraus ergibt sich die Frage, wie wir damit umgehen. Wir haben einen wissenschaftlichen Text darin, aber es ist am Ende ein Fotobuch – die Fotos finde ich großartig, sie haben mich sofort getriggert.
Verlag Prestel
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Unser erfolgreichstes Buch nach Verkaufszahlen war unser Bildband von Alessandra Mattanza über „Banksy“. Zu Banksy muss man ja nicht viel sagen, seine Kunst ist einfach so perfekt und politisch – er bringt so vieles auf den Punkt, wie jetzt auch in der Ukraine.
Knapp gefolgt wird Banksy von Josephine Ross: „Royals – Bilder der Königsfamilie aus der britischen VOGUE“. Auch ein schöner Erfolg und nach dem Rummel rund um die Familie Windsor und das bedauerliche Ableben von Königin Elisabeth II. einfach genau das richtige Buch zur richtigen Zeit.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Insgesamt sind etwa 15 Foto-Bücher erschienen. Unser erfolgreichstes Fotobuch war „Ernst Haas: The American West“. Ein wunderbarer Bildband über den Pionier der Farbfotografie, klar mein persönlicher Favourit. Ein weiteres Foto-Buch, das uns allen am Herzen liegt, ist „Jimmy Chin: Bilder aus einer Welt der Extreme.“ Ganz großer Abenteurer, toller Fotograf, beindruckende Bilder, vor denen man sich nur verneigen kann. Alle großen Namen der Extrem-Kletter-Szene sind dort abgebildet.
Verlag Scheidegger & Spiess
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Unser bestverkauftes Fotobuch dieses Jahr ist bisher Georg Aerni: „Silent Transition“.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Intern sind wir alle, natürlich neben all unseren anderen Büchern, sehr begeistert von „HR Giger“ von Camille Vivier. Die verlagsinterne Faszination für diesen Künstler zieht sich ja seit Längerem durch unser Programm: Schon 2007 erschien die heute vergriffene Monografie über Gigers Frühwerk vor Alien. Und als Schmankerl für 2023: eine Neuauflage dieses großartigen Buchs auf Englisch erscheint im kommenden Frühling!
Was uns am Buch von Camille Vivier so bewegt, ist die Tatsache, dass wir erstmals Einblick in Gigers Atelier und den Garten in Seebach/Zürich geben können. 2014 ist der Künstler gestorben und beim Anblick der Fotos in dem Band lebt so viel von ihm in ihnen weiter. Die Bilder geben Einblick in einen Alltag, der durchweg von künstlerischem Schaffen geprägt war, das auch für die Zukunft noch so viel Potenzial bietet.
Verlag Schirmer/Mosel
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Das beliebteste Fotobuch in diesem Jahr war ein Schirmer/Mosel-Klassiker: „Silver Marilyn. Marilyn Monroe und die Kamera“.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Bei Schirmer/Mosel sind 2022 zehn Fotobücher auf den Markt gekommen. Das wichtigste Fotobuch des Jahres erscheint nächste Woche: „Inge Morath. Hommage.“ Es erscheint zum 100. Geburtstag der ersten weiblichen Magnum-Fotografin.
Verlag Kehrer
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
Wir haben rund 40 neue Fotobücher veröffentlicht, einige haben tolle Presse bekommen und verkaufen sich entsprechend gut. Wie viele Fotobuchverlage haben wir natürlich unsere Longseller, die bereits in mehreren Auflagen vorliegen und das übrige Verlagsprogramm teilweise mittragen. Zum 4. Mal neu aufgelegt wurde in 2022 beispielsweise unser Buch zur großen Saul Leiter Retrospektive in Hamburg 2012 und zum 3. Mal der wichtige Band über die ältere Transgender-Generation in den USA „To Survive on This Shore“ von Jess Dugan und Vanessa Fabbre.
Ein weiterer, ganz neuer Bestseller war in diesem Jahr „Where the World is Melting“ des isländischen Fotografen Ragnar Axelsson. Die gleichnamige Ausstellung wird im Frühjahr 2023 in den Deichtorhallen Hamburg gezeigt und das Buch aus diesem Anlass voraussichtlich neu aufgelegt.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
Welche Eltern könnten sagen, welches ihrer Kinder ihnen das liebste ist? Jeder im Verlagsteam hat seine Herzensbücher und hier eine kleine, äußerst subjektive Auswahl:
Der amerikanische Fotograf Bob Newman hat mit „Shadows of Emmet Till“ einen beeindruckenden Beitrag zum Thema Black Lives Matter vorgelegt. Historisches Archivmaterial der grausamen Ermordung eines schwarzen Jungen im Mississippi der 1950er Jahre treffen auf aktuelle Fotografien der Gegend und es stellt sich die Frage, was sich wirklich verändert hat.
In ihrem neuen Buch „It’s Been Pouring. The Dark Secret of the First Year of Motherhood“ widmet sich die amerikanische Fotografin Rachel Papo dem Thema der postpartalen Depression, die sie selbst durchleben musste.
Der Südtiroler Roland Reinstadler stellt in „Gspell 111“ in anrührenden Bildern eine der letzten Bergbauernfamilien in seiner Heimat Passeiertal vor.
Die Niederländer Lotte Bronsgeest und Geert Broertjes visualisieren mittels analoger Fotografie die Erfahrungen eines Patienten mit den drei gängigsten Krebsbehandlungen: Chemotherapie, Bestrahlung und Operation. Der Patient war Geert Broertjes selbst, das von Teun van der Heijden gestaltetet Buch „Outside Room 8“ ist ein Kunstobjekt.
All diesen Büchern gemein ist die unmittelbare Nähe zum Thema und das spürbar hohe Engagement der Fotograf*innen, die gelungene Kommunikation mit dem jeweiligen Gestalter und die hohe Qualität des fertigen Objekts. Kurzum: Fotobücher mit „Seele“.
Verlag Kerber
Was ist das meistverkaufte Fotobuch des Jahres gewesen?
2022 sind bei uns 25 Fotobücher erschienen. Bei unseren meistverkauften Büchern liegen drei Bücher gleichauf: „Mother Tongue“ von Mika Sperling, „The Presence of Something Past“ von Gary van Zante und „Bella Italia“ von Christian Jungeblodt.
Welches Buch ist für Euch als Verlag unabhängig von den Verkaufszahlen besonders wichtig gewesen?
In „Adriatico“ spürt Riccardo Fregoso die Urlaubsorte seiner Kindheit und Jugend auf. Er bereiste dafür die Küsten der Abruzzen und des Molise, um dann den Blick Richtung Norden in die Marken und in den Süden nach Apulien zu richten. Die Adriaküste, die in Fregosos Erinnerungen ein fast himmlischer Ort war, besteht in Wahrheit aus einer unendlichen Aneinanderreihung von Betonbauten, die während des italienischen Wirtschaftsbooms in aller Eile errichtet wurden. Fregoso fängt in seinen Aufnahmen die vom Massentourismus geprägte Region mit all ihren Widersprüchen und dem ihr eigenen Licht ein.