Ein paar Junge Leute auf Mofas und Motorrädern.
10. Dezember 2015 Lesezeit: ~9 Minuten

Fotografieren in der DDR

Als ich im Juli einen Vortrag von Dieter Demme höre, ist dies eher Zufall. Ein wenig Zeit und völlige Ahnungslosigkeit vom Thema „Fotografieren in der DDR“ bewegen mich schlussendlich doch, mir den Vortrag anzusehen. Reden und Vorträge seien nicht sein Metier, sagt Demme schon im Juli während des Vortrags und wird dies später im Interview wiederholen.

Demme erzählt frei, scheint kein Skript für den Vortrag vorbereitet zu haben, vielmehr dienen ihm seine Bilder als Grundlage. Immer wieder streut er Anekdoten aus seiner über 50-jährigen Zeit als Fotograf ein, fragt aber zumeist, ob das Publikum daran interessiert sei. Er unterschätzt sich oder vielleicht auch die Stärke seiner Erzählungen.

Auf jeden Fall aber sind Bilder im Vergleich zur Sprache das Medium, in dem sich Dieter Demme – der Fotograf – deutlich wohler fühlt. Seine Bilder zeigen den Alltag in der DDR, weit entfernt von Machtapparat und Inszenierung zeigen sie das Leben im ehemaligen „Arbeiter- und Bauernstaat“.

Damit sind Demmes Bilder heute ein wichtiges Dokument auch für die Forschung und wahrscheinlich noch deutlich wichtiger für die biografischen Erzählungen der Menschen, deren Lebenswirklichkeit sich mit der Deutschen Einheit teils so stark veränderte.

Bauarbeiter lachen in die Kamera.

Von Nord-Thüringen nach Helsinki

Dieter Demme wurde 1938, kurz vor Kriegsbeginn, im nordthüringischen Ebeleben geboren. Seine Ausbildung zum Fotolaboranten begann er bereits 1954. Nach einem Jahr Arbeit als Laborant folgte 1958 die Ausbildung zum Fotografen in Sonderhausen.

Während der Lehrzeit sind es vor allem die Bücher des „rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch, die den jungen Fotografie-Lehrling begeistern und seinen Weg in den Bildjournalismus zumindest ebnen.

Aber auch sein Ausbilder erkannte früh, dass sich Demme nicht für das Fotostudio eignet, das Talent zur Regie war ihm nicht gegeben und dies sollte sich über Jahre auch nicht ändern. Am Ende spielt ihm dies vielleicht sogar in die Hände und treibt ihn in eine Traditionslinie mit Straßenfotografen wie Cartier-Bresson und anderen.

Zwei Arbeiter*innen lehnen locker an der Haube eines LKWs

Arrangierte Motive oder gestellte Szenen kommen für Demme nicht in Frage: „Das war für uns einfach schlimm, was aufzubauen“, sagt Demme noch heute. Schon 1960 geht er nach Berlin und wird Bildreporter beim „Verlag Sport und Technik“. Für den 22-jährigen Fotografen ist es auch die Begeisterung für Motorräder, die ihn zum Verlag bringt.

„Es war eine interessante Zeit, als ich nach Berlin kam, eine Aufbruchszeit“, erinnert er sich rückblickend. Zwei seiner Portraits schaffen es 1965 und 1966 sogar in die „Word Press Photo“-Ausstellung: Es sind die Portraits eines sowjetischen Kampfschwimmers und einer Fallschirmspringerin, die ausgestellt werden.

Hinter einer Pferdebox lugen Beine einer rauchenden Frau hervor.

1967 folgt dann der Wechsel zum „Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst“ (ADN-Zentralbild), der einzigen Nachrichten- und Bildagentur der DDR. Gleichzeitig erfolgt aus privaten Gründen der Umzug von Berlin nach Erfurt, an den vielen Reisen und Terminen ändert sich damit aber kaum etwas. Für Demme eröffnet seine Tätigkeit bei ADN auch die Möglichkeit für zahlreiche Auslandsreisen.

Neben Kuba oder Italien ist er auch als Fotograf bei den KSZE-Verhandlungen in Helsinki 1975 dabei. „Wie ich da hingekommen bin, weiß ich nicht, aber ich hatte viele Auslandseinsätze“, sagt Demme rückblickend.

Zwischen KSZE und dem Pferdemarkt in Buttstedt (Thüringen) – hier zeigt sich die große Spannweite der Arbeiten, die Demme als angestellter Bildjournalist und privat als Fotograf bearbeitete. Die wichtigste Reise sei Kuba gewesen, sagt Demme heute noch.

Drei Arbeiter sitzen auf einer Pritsche und schauen in die Kamera

Helsinki

Während der Konferenz trafen sich Leute für die Gespräche immer in den kleinen Räumen in den Katakomben. Auf einmal hieß es: Honecker trifft sich mit Schmidt. Ich kriegte die Mitteilung „sofort fertig machen“. Ich hatte meine Praktika und eine Pentax dabei, dann bin ich in die Katakomben. Da standen dann 70 bis 80 Journalisten aus dem Westen. Alle, die man damals aus dem Fernsehen kannte.

Dann öffnete sich die Tür und alle gingen rein in den Raum und drängelten. Erst habe ich gar nichts gesehen, Schmidt und Honecker standen am schmalen Ende des Raumes. Irgendwie habe ich versucht, ein paar Bilder zu machen. Ich bin dann unter den Armen der anderen Kollegen durchgekrochen und habe noch mein Bild gemacht.

Dann standen Schmidt und Honecker da und wussten nicht, was sie reden sollten: Honecker verklemmt wie er war und Schmidt jovial mit der Hand in der Tasche. Und dann sagte Schmidt: „Ach, die Fotografen aus der ganzen Welt, wenn ich hier gucke, arbeiten ja nur mit japanischen Kameras.“ Dann sagte ein Kollege: „Ich bin von DPA, ich arbeite mit Leica.“

Und was ich sonst nie gemacht hätte, ich sagte: „Hier ist einer aus der DDR und der arbeitet mit Praktika.“ Dann sagte Schmidt: „Ach, von Zeiss“ und Honecker antwortete: „Jaja, mit so einer fotografiere ich auch.“ Dann hatten die beiden ihren Gesprächsstoff …

Nach Westdeutschland gelangte er in der Zeit nie. Trotz seiner erfolgten Akkreditierung zu den Olympischen Spielen 1972 in München wurde ihm die Reise in letzter Minute verwehrt, ein anderer Kollege war für die Teilnahme ausgewählt wurden.

Blick auf sitzende und Tanzende Menschen.

Zwischen 1972 und 1977 studierte Demme berufsbegleitend an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und schloss als Diplomfotograf ab:

In Leipzig war die Bibliothek hervorragend bestückt, Zeitschriften und Bücher der bekannten Leute, Vorbilder waren vor allem die französischen Straßenfotografen wie Bresson oder Doisneau.

Für Demme sind die fast 20 Jahre zwischen 1960 und 1979 mit die wichtigsten als Fotograf. Bildreporter ist sein Traumberuf, lässt ihm aber kaum Freiraum: „Die Jahre vor 1979 waren stressig, ich war viel nicht da, ich wollte ein bisschen mehr Ruhe in mein Leben bringen, ich wollte freier arbeiten“, sagt Demme rückblickend.

Bei einem Trachtenfest greif ein Mann mit Hut einer Frau unter den Rock Zwei sich küssende Menschen sitzen vor stehenden Menschen auf einem Stuhl.

Der Abschied von der Arbeit als Bildreporter führte Dieter Demme 1979 in die Selbstständigkeit als Fotograf und auf das Feld der Werbefotografie. Im journalistischen Alltagsgeschäft war bekannt, dass nicht alle Bilder gedruckt werden würden. „Es sind keine kritischen Fotos gelaufen, das war die Schere, die bei den Redakteuren im Kopf war, es sind auch viele Bilder bei mir geblieben“, erklärt der Fotograf die damalige Situation.

So entstanden zahlreiche Bilder, die in der DDR nie veröffentlicht worden wären, sie sind bis heute in seinem privaten Besitz. Für den Fotojournalisten wurde vor allem die Straßenfotografie ein zentrales Element seiner fotografischen Arbeit.

Seine Kamera immer dabei, reiste er privat durch die DDR und schoss zahlreiche Bilder, die verschiedene Facetten des Lebens im Arbeiter- und Bauernstaat zeigen. Auch schon vor 1989 wurden zahlreiche dieser Bilder ausgestellt.

Ein Mann hält zwei Tauben in den Händen.

Dabei war das fehlende Kunstverständnis der Zensoren oft ein Vorteil für Demme: „Die wussten nie so richtig, ist das nun Kunst oder nicht“, erklärt Demme. So gelang es ihm, seine Fotografien auch jenseits der Zensur auszustellen, ohne dass er zu starke Einschränkungen akzeptieren musste.

Es sei denn, sie waren selbst auferlegt, wie Demme anmerkt: „Bei meinen Ausstellungen habe ich immer gedacht: Naja, man muss Ulbricht nicht zeigen.“

Und so findet sich unter den Aufnahmen, die Demmes Privatbesitz nie verlassen haben auch eine Aufnahme von Ulbricht, die es während der DDR-Zeit wohl eher nicht in die Öffentlichkeit geschafft hätte und doch so schön ironisch das Verhältnis der Parteiführung und ihrer Haltung zur Meinungsfreiheit auf den Punkt bringt.

Menschen in einem Aussichtsturm, auf dem „Freies Wort“ steht.

„Ich hatte die Kamera immer dabei“

Zu den wichtigsten Aufnahmen Demmes, die heute als Dokumente des Alltagslebens in der DDR gelten, gehören jene, die er privat geschossen hat: Egal ob „Jugendliebe in Weimar“, „Palmsonntag im Eichsfeld“ oder die „Dorfjugend in Mezels“ – Demmes Bilder liefern einen wunderbaren Einblick in das Alltagsleben der 1970er und 1980er Jahre.

Von besonderem Interesse waren für Demme dabei immer auch die traditionellen Volksfeste, „wo die Leute sich selbst darstellen, sich präsentieren […] sie zeigen eine bestimmte Form ihres Lebens“, wie Demme findet.

Junge Leute auf Mofas und Motorrädern

Diese Art der Fotografie ist es, die der Fotograf selbst wertschätzt. Auch, wenn er auf fast 20 Jahre Werbefotografie zurückblickt, ist seine Wertung deutlich: „Die Werbung ist doch nichts, was bleibt.“

In seiner über 50-jährigen Laufbahn als Fotograf hatte Demme Tausende Bilder geschossen. Rund 700 dieser Aufnahmen liegen heute im Bundesarchiv in Koblenz. Einige Dutzend weitere hat das Museum für Angewandte Kunst im thüringischen Gera übernommen. Aus jenen Fotografien entstand unter anderem die Ausstellung OstMenschen – WestMenschen, zu der auch ein Katalog vorliegt.

Foto von einem Buch auf dem Boden.

Auch heute ist Dieter Demme immer noch mit seiner Kamera unterwegs. Doch seine Art der Fotografie ist in Deutschland kaum mehr möglich. „Eigentlich ist die Straßenfotografie ja tot“, sagt er heute wohl auch etwas schwermütig. Dennoch hat er die Kamera oft dabei.

Sein jüngstes Projekt ist eine Ausstellung über das „Haus der Kultur Erfurt“. Der Bau sollte Mitte der 1980er Jahre ein Prestigebau der Landeshauptstadt werden, wurde aber vor der Deutschen Einheit nicht vollendet und verfiel schlussendlich bis zum Abriss.

Demme dokumentierte nicht nur den Bau, sondern auch den Verfall dieses ehemaligen DDR-Prestige-Projektes und damit auch den Übergang in das geeinte Deutschland. Die Ausstellung ist zunächst in Berlin und ab Ende November in Erfurt zu sehen.

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