Grenzgeschichten aus der Provinz
Fast noch ein Kind und in einer klaren Sommernacht an einem Strand der Lübecker Bucht sitzend und über die Ostsee schauend: Auf „meiner“ Seite säumen die Lichter der Strandpromenaden und der Hotels die Bucht.

Juli 1987: Die bundesdeutsche Seite zur DDR-Grenze am FKK-Strand auf dem Priwall in Lübeck-Travemünde.
Den Blick über das Meer nach Osten gerichtet, wird die dort herrschende Dunkelheit nur gelegentlich durch kurz aufleuchtende Lichtkegel durchbrochen. Das sind die Suchscheinwerfer der DDR-Grenztruppen auf der mecklenburgischen Seite der Lübecker Bucht. So hat man es mir erklärt.

19.11.1989: Auf einem Parkplatz in Lübeck werden die Windschutzscheiben der Trabis mit Werbung zugepflastert.
Meine Eltern mochten es nicht, wenn ich DDR-Fernsehen schaute. Es gab eine Fernsehserie, die „Zur See“ hieß. Diese kumpelhafte Art, wie die zwischenmenschlichen Probleme gelöst wurden, gefiel mir sehr. Und dann ein väterlicher Kapitän, der als „Genosse Kapitän“ von den einfachen Matrosen angesprochen werden durfte, das klang für mich so freundlich. Gab es da tatsächlich ein Land, in dem die Menschen menschlicher sind?
Immer wieder zog es mich an die Grenzanlagen auf die Priwall-Halbinsel in Lübeck-Travemünde. Das war ein seltsames Ende der Welt. Das musste ich fotografieren. Und wenige Jahre weiter, 1989, geschah es dann. Nie habe ich das für möglich gehalten.
Unerfahren im Beruf, wurde das Ende des Endes für mich dann zu einer „dienstlichen Angelegenheit“. Ich war unzufrieden mit meinen Fotos. Meine unerbittlichen, strengen Auftraggeber der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in Frankfurt meistens auch.
Alles musste noch schneller gehen in diesen Tagen: Rückfahrt nach Kiel, wo ich inzwischen wohnte; Filme im Fahrrad-Keller entwickeln; Texte mit der Maschine schreiben und auf den Abzug kleben und dann die Bildübertragung mit dem „Trommelsender“, angeschlossen an das zerlegte Telefon.

16.12.1989 Kurz nach der Öffnung des Grenzübergangs Lübeck-Eichholz nimmt ein Bundesgrenzschützer (rechts) die Gelegenheit wahr, einen Blick durch die Dienstkamera seines ostdeutschen Kollegen zu werfen.
Es hat keinen Spaß gemacht. Staub, Fehlentwicklungen, viel zu kurze Wässerungszeiten; das alles war nicht die Art von Fotografie, die ich wollte. Auch entsprachen die Bilder nicht gerade dem, was von einer großen Zahl der Kunden der AP erwartet wurde:
Jubelnde Menschen, die sich unter einem Wachturm um den Hals fallen. Ja, die gab es auch. An den kleinen, ländlichen Übergängen war es leiser und fast nachdenklich. Mehr eine gegenseitige Neugierde und ein fragendes und vorsichtiges Herantasten auf fremdem Boden. Was wird die Zukunft wohl bringen?

24.12.1989: Auf der Ostseite des Grenzübergangs Lübeck-Schlutup empfangen Bürger der DDR am Heiligen Abend Besucher aus der Bundesrepublik.

Die wenigen Bilder, die ich aus der Zeit noch besitze, habe ich mir erst vor drei Jahren wieder angeschaut. Heute freue ich mich, dass ich nicht in Berlin war, sondern genau dort, wo ich so oft als Kind an der Lübecker Bucht das Ende der Welt vermutet habe. Es war ein großes Ereignis, vielleicht das größte meiner Generation.

20.11.1989: Besucher aus der DDR stehen Schlange vor einem Obststand in Lübeck. Über den Grenzübergang Lübeck-Schlutup strömten allein an diesem Tag stündlich 500 Besucher aus der DDR in die Hansestadt.
Den Kern des Geschehens zeigt heute für mich das unbeholfen fotografierte Bild der zwei älteren Herren, die sich nach über 40-jähriger Trennung im winterlichen Morgengrauen in Lübeck-Eichholz wiedererkennen und sich respektvoll zur Begrüßung die Hand reichen. Ich habe das Foto damals nicht übermittelt.
Spannend: eine ganz lokale und eigene Sicht auf das Ende der Grenze. Wirklich ein bereichernder Blickwinkel auf die Geschichte
Sehr nett zu lesen und anzusehen.
Diese Autos fahren bis jetzt in manchen europäischen Ecken.
Tretet ihr eine Reise an und überzeugt ihr euch selbst davon…
Was soll ich schreiben? Das hier ist echt und darum gut. Keine pseudointellektuelle Selbstbefriedigung. Danke für diesen leisen Beitrag.
Ich bedanke mich für Eure Kommentare und das Interesse!