Interaktiver Dreiklang in der Naturfotografie
Ich sitze auf einer schönen Bank im Dortmunder Rombergpark. Meine Kamera liegt auf meinem Schoß. Ich höre den Vögeln zu, freue mich über die Eichhörnchen. Und fotografisch? Nichts. Keine Idee, keine besondere Inspiration, kein Garnichts.
Doch wie entstehen denn eigentlich gute Fotos? Auf diese Frage wird jeder fotografierende Mensch wohl eine andere Antwort finden. Ich mache mir an den allermeisten Tagen keinen großen Plan. Alles, was vor Ort passiert, folgt einem interaktiven Dreiklang: Natur – Wahrnehmung – Gestaltung.
Zunächst versuche ich, mich von der Natur inspirieren zu lassen. Mal gehe ich einer wahrgenommenen Inspiration nach und erarbeite mir eine fotografische Umsetzung. Mal entdecke ich in einem Foto, das ich gemacht habe, etwas, was ich interessant finde und vorher gar nicht wahrgenommen habe.
Dann konzentriere ich mich darauf und versuche, dieses Detail weiter herauszuarbeiten. Mal stören mich Elemente auf einem gerade entstandenen Foto und ich versuche, diese durch Anpassungen zu eliminieren. Dabei ist es hilfreich, verschiedene fotografische Techniken im Gestaltungsrepertoire zu haben. Dazu ein paar Beispiele.
Ich bin in einem Waldstück und der erste Schnee fällt. Sofort umfängt mich Euphorie. Die Stimmung ist herrlich. Der Schnee fällt auf meine Haut, die dunklen Baumstämme heben sich vom schneebedeckten Boden ab. Aber da ist auch viel Unordnung im Wald. Ein Weg, der quer durch die Szenerie verläuft, stört auch noch. Ein klassisches Landschaftsbild fällt deswegen als Option schnell aus. Wischen könnte – so meine Überlegungen – die Probleme lösen. Aber der fallende Schnee käme dann als wichtiges Element nicht mehr in Frage.
Die Lösung: Ich blitze die Schneeflocken bei einer langen Belichtungszeit auf dem ersten Vorhang an und wische dann. Im folgenden Prozess richte ich die Elemente im Detail aus. Dafür braucht es viele Versuche mit jeweiligen Anpassungen.
An einem anderen Tag entdecke ich einen Steinpilz. Ich umkreise ihn. Achte auf das Licht im Hintergrund. Wo sind störende Bäume? Von welcher Seite sieht der Pilz am schönsten aus? Aus welcher Perspektive hat der Hintergrund die schönsten Konturen? Ich lege mich auf den Waldboden und arbeite mich immer weiter voran. Dann entdecke ich plötzlich einen Minipilz, der unterhalb des Steinpilzes wächst. Ich bin begeistert von den Größenunterschieden. Der Prozess geht immer weiter, bis alle Elemente stimmig sind.
Zurück zum Dortmunder Park. Auf der Bank sitzend merke ich, wie die Blattstrukturen eines Baumes, der vor mir steht, schön grafisch aussehen. Ich bleibe sitzen. Stelle eine kleine Blende ein, belichte so, dass ein Scherenschnitt entsteht. Ich warte, bis ein Vogel sich in die Formen schmiegt. Drücke ab und bin glücklich.
Gerade in den Bereichen Wahrnehmung und Gestaltung befinde ich mich in einem permanenten Entwicklungsprozess. Ich sehe jedes Jahr neue Dinge. Lerne neue Techniken, die meine Möglichkeiten der fotografischen Darstellung erweitern. Dieses Wissen führt wiederum dazu, dass ich andere Dinge wahrnehme. Fotografieren ist für mich ein dynamischer Prozess, der mir so unendlich viel Freude macht und mich immer wieder aufs Neue fordert.