16. Mai 2023 Lesezeit: ~8 Minuten

Der heimliche Star der Photoszene: BEISTE Kunstraum

Am unscheinbaren Gebäude in der Riehler Straße 36 nahe dem Kölner Ebertplatz hängt ein Plakat des Photoszene Festivals. Geht man hinein, steht man vor einem kaputten Fahrstuhl und einem Tisch voller Gummibärchen mit der Beschriftung: Stärkung für den Aufstieg ins 7. OG. Auf dem langen Weg nach oben kann man dann gut nachdenken. Zum Beispiel über das Anagramm: BEISTE – SIEBTE.

Oben angekommen wird man mit einem Ausblick über Köln und der Ausstellung „Strategic Fit“ von Alex Grein und Jan Hoeft belohnt. Die beiden beschäftigen sich mit der Umdeutung fotografischer Referenzen. Alex Grein nutzt dafür alte Schwarzweißaufnahmen, die sie spielerisch mit Alltagsgegenständen von heute verfremdet. So schwebt plötzlich auf einer alten Luftbildaufnahme Kölns eine Plastiktüte durch die Luft und eine Gruppe Tourist*innen, die eigentlich nur um eine Säule stehen, haben auf einmal Seile aus Bindfäden in den Händen und scheinen wie um einen Maibaum um diese Säule zu tanzen. In Jan Hoefts Arbeiten treten die Fotografien hingegen eher ganz in den Hintergrund und große Schlauchgebilde übernehmen das zentrale Motiv.

Auf einem Tisch stehen GummibärchenAus einem Kopf wachsen Schläuche

Dass diese empfehlenswerte Ausstellung in den schwer erreichbaren siebten Stock kam, ist den drei Künstler*innen Antonia Gruber, Mio Zając und Rafael Andrade-Córdova zu verdanken. Sie fanden den Raum vor einem halben Jahr und präsentieren dort mit „Strategic Fit“ bereits die fünfte Ausstellung unter dem Namen BEISTE Kunstraum.

In Köln einen leeren Raum für Kunst zu finden, ist ein Ding am Rande der Unmöglichkeit. Wer verschiedene Ausstellungen während des Festivals besucht hat, wird sich vielleicht gewundert haben, wie experimentell die Künstler*innen an ihre Ausstellungsorte herangehen: Marc Hillesheim stand für seine Vernissage im Schuppen einer noch aktiven Schreinerei und der BFF blieb am Ende gleich ganz auf der Straße und bespielte dort Plakatwände. Solche Ortswahlen sind weniger künstlerische Raffinesse als viel mehr pure Verzweiflung, denn in der Stadt gibt es einfach zu wenig Offspaces. Aber das nur am Rande, zurück zum BEISTE Kunstraum.

Dieser war als rein kuratorisches Projekt geplant und nicht, um dort eigene Werke der Kurator*innen zu zeigen. Für die raumfüllenden Polaroidarbeiten von Antonia Gruber wären die Wände dort auch zu klein. Um während der Photoszene nun auch selbst ausstellen zu können, begab sich die Künstlerin also erneut auf die Suche nach Leerständen und wandte sich an den Vermieter des Kunstraums in der Riehler Straße.

Dieser kannte jemanden, der wieder jemanden kannte und so stand Antonia Gruber kurz vor Festivalsbeginn vor einem ebenerdigen Gebäude in bester Lage – Brüsseler Straße 26 – mit dem perfekten Raum für ihre eigene Arbeit. Und daneben noch weitere etwa 600 m² Leerfläche. Da solche Räume in diesen Zeiten auf keinen Fall ungenutzt bleiben dürfen, lud sie gemeinsam mit ihrem Künstlerkollegen Mio Zając gezielt weitere Menschen ein, diesen Leerstand zu füllen. Und sie kamen! Die beiden kuratierten gemeinsam ein unglaubliches Programm.

Ausstellungsansicht

MATEREALITIES, 2023 © Antonia Gruber und Sebastian Klug

Unter dem Titel BEISTE_Satellite fanden sich im Programmheft der diesjährigen Photoszene weitere sechs Ausstellungen von über 60 Künstler*innen. Gerüchten zufolge hatten alle Beteiligten nur drei Wochen Zeit, um die alten Räume zu renovieren und die Ausstellungen aufzubauen. Ich spreche von Gerüchten, weil das nur sehr schwer zu glauben ist, wenn man es gesehen hat. Aber es war wohl wirklich so.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir am Abend die Arbeit von Elias Wessel und Natalia Kiés. Kam man in den weißen Raum, sah man zunächst ein großes, frei hängendes Bild, auf dem ein schwarzgraues Gebilde zu erkennbar war. Als hätte man aufsteigenden Rauch festgehalten und abstrahiert. Zu beiden Seiten des mysteriösen Rauchs hingen etwa 20 Kabel von der Decke. Erst auf den zweiten Blick erkannte man auch die iPhones samt Kopfhörern, die daran befestigt waren. Auf jedem einzelnen Handydisplay wurde ein anderes Schwarzweißgebilde angezeigt. Manche erinnerten weiterhin an Rauch, andere hingegen waren viel gegenständlicher. Aber nie konkret. Steckte man sich dann die daran hängenden Kopfhörer ins Ohr, konnte man die Bilder hören. Oder zumindest eine Idee davon, wie ein Bild denn klingen könnte. Die Erklärungen dazu fand man in einem kleinen Video an der Wand.

Sprung in die Zeit © Elias Wessel und Natalia Kiés

Ein weiterer Künstler, den ich nicht unerwähnt lassen kann, ist Mio Zając. Seine Bilder zeigen kunsthistorische Objekte, wie zum Beispiel einen Wandteppich. Aus der Ferne betrachtet scheint daran nichts Ungewöhnliches, doch sobald man sich ihnen nähert, stimmt etwas damit nicht. Sie bestehen im Detail ausschließlich aus Emoticons, die man erst aus nächster Nähe einzeln wahrnehmen kann. Die Fotografie wird in den BEISTE-Ausstellungen sehr weit gefasst und spielt mit der Vielzahl neuer technischer Möglichkeiten. Sie hinterfragt das Medium und lotet die Grenzen aus. Am Ende vielleicht sogar konsequenter als die eigens dafür ins Leben gerufene Co-Lab-Ausstellung „Photography in Progress: Fragile Infrastrukturen“.

Antonia Gruber, die auf der Suche nach einer passenden Wand für ihre Polaroidarbeiten diese Räume fand, zeigt zusätzlich noch eine Videoarbeit im Kino BEISTE Telescope. Ja, in den Räumen von BEISTE_Satellite gab es auch einen kleinen Kinoraum: Komplett mit schwarzem Molton ausgekleidet, konnte man sich dort auf Sitzkissen verschiedene Werke ansehen, die sich mit den Themen Identität, Gender und Rollenbildern auseinandersetzen.

THE GOOD WIFE’S GUIDE ist eine dieser Videoarbeiten. Antonia Gruber hat dafür hunderte Werbespots und Ratgeber der 1950er und 1960er Jahre genutzt, die das damalige Rollenbild der Frau erläutern. Aus heutiger Sicht wirken diese so absurd, dass man nicht umhin kommt, an Satire zu denken. Die Künstlerin verstärkt dieses Gefühl noch durch eine männliche Siri-Stimme, die „Das Handbuch für die gute Ehefrau“ vorliest und ein Deepfake-Programm, das die Gesichter der Frauen austauschbar und maskenhaft wirken lässt. Ein Werk, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Antonia Gruber? Wie das Ehepaar Leo Fritz und Renate Gruber? Beide sind untrennbar mit der Fotoszene, insbesondere in Köln, verbunden. Ohne L. Fritz Gruber hätte es wohl weder die Photokina noch die Deutsche Gesellschaft für Photographie je gegeben. Auf ihren Nachnamen angesprochen, lacht Antonia jedoch und verneint. Mit den beiden ist sie nicht verwandt.

Sie führt mich dann aber in ein Zimmer des Kunstraums in der Brüsseler Straße. An der Wand hängt ein großes Banner, darauf ist mittig das Ehepaar Gruber umringt von vielen weiteren historischen Persönlichkeiten zu sehen. Antonia und ihre Kolleg*innen fanden es beim Aufräumen des Gebäudes in einem Schrank. Das sind wohl die Momente, in denen man ganz kurz nicht mehr an Zufälle glaubt.

Die beiden Kurator*innen des BEISTE Kunstraums Antonia Gruber und Mio Zając bleiben jedoch bescheiden. Auf den großen Erfolg ihres Projektes reagieren sie eher ungläubig. Aber er ist ihnen nicht abzusprechen. Vielleicht hat der Popcorngeruch zur Vernissage am 12. Mai meinen Blick auf alles auch ein wenig romantisiert, aber sicher wird mir niemand widersprechen, wenn ich schreibe, dass BEISTE nach dem ganz offiziellen Festivalzentrum im Rautenstrauch-Joest-Museum mindestens das zweite Zentrum des Festivals war. Man muss sich nur mal ausmalen, was diese jungen Künstler*innen mit einem größeren Budget und mehr Zeit noch alles bewegen könnten!

Informationen zu den Ausstellungen

„Strategic Fit“ von Alex Grein und Jan Hoeft
Zeit: 12. Mai – 18. Juni 2023
Öffnungszeiten: Sa+So: 12–18 Uhr, Di–Fr: 16–20 Uhr
Ort: BEISTE Kunstraum, Riehler Str. 36, 50668 Köln

Concrete Vein
Channeling a Certain Amount of Light
Au Contraire #5
Pulsar
Materealities
Telescope
Zeit: 12. – 21. Mai 2023
Öffnungszeiten: Di–Do: 14–20 Uhr, Fr+Sa: 12–22 Uhr, So: 12–18 Uhr
Ort: BEISTE_Satellite, Brüsseler Str. 26, 50674 Köln

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