Man sieht etwas weißes und dann etwas buntes und eine Blume, die sieht man auch.
19. August 2014 Lesezeit: ~10 Minuten

Zeichnung und Fotografie

Ich zeichne gern. Hauptsächlich Konstruktionsskizzen für Skulpturen oder kleine Kritzeleien, aber die Zeichnung begleitet mich genauso wie die Fotografie durch meinen Alltag. Und manchmal kombiniere ich sie auch. Und damit bin ich nicht allein.

Das erste Mal, dass mir bewusst die Kombination von Zeichnung und Fotografie aufgefallen ist, war vor einigen Jahren beim Durchblättern eines Auguste-Rodin-Katalogs. Der französische Bildhauer hat schon Mitte des 19. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, in der die Fotografie noch in den Kinderschuhe steckte und erst wenige Jahrzehnte erprobt wurde, seine Skulpturen abfotografieren lassen.

Diese Silbergelatineabzüge hat er stets behalten und sie zum Teil benutzt, um seine Arbeiten weiter zu skizzieren und Änderungen an den Skulpturen zu markieren.

„Er bearbeitete die Abzüge mit Gouache und Bleistiftmarkierungen und seine Kommentare führten oft zu kreativen Kreuzungen von Zeichnung und Fotografie“, ist es im Katalog FotoSkulptur (2011) zu lesen.

Zwei alte Skizzen von Rodin auf denen man das Foto einer Skulptur sowie feine Korrekturstriche Rodins sehen kann.

Es hat mich damals sehr beeindruckt, dass Rodin schon 1880 das Potential der Verbindung dieser beiden Medien erkannt hat und ich habe mich seitdem immer wieder bewusst oder unbewusst auf die Suche nach solchen Kombinationsmöglichkeiten gemacht, ob in meiner eigenen Arbeit oder beim Durchstöbern der Portfolios anderer Fotografen.

Herausgekommen ist dabei eine Vielzahl an Techniken und Möglichkeiten, die Zeichnung mit der Fotografie zu verbinden, um so ganz neue, gemeinsame Sinnpotenziale zu erhalten. Frei nach dem Motto „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ erzählen kombinierte Foto-Zeichnungen ganz eigene Geschichten, die das einzelne Bild oder die einzelne Skizze vielleicht nicht erzählen könnte.

Ich habe mich mit verschiedenen Fotografen und Fotografinnen darüber unterhalten, welche Bedeutung die Zeichnung in ihrem Werk einnimmt und habe speziell nach der Technik gefragt, durch die die beiden Arbeiten kombiniert wurden. Darum kann ich Euch heute eine kleine Übersicht über verschiedene Positionen geben, die mich besonders interessieren und die ich als gelungen und spannend empfinde.

Um dem Ganzen einen Rahmen zu geben, habe ich die Arbeiten nach ihrer Entstehungsweise und dem technischen Verfahren sortiert, von analog bis digital, mit all ihren Mischformen.

 

1. Kombinieren

Die Schweizer Fotografin Sarah Michel ist als „Böses Munggi“ mehr für ihre fotografischen Portraits als für Zeichnungen bekannt, dennoch gibt es in ihrem Portfolio ein großartiges Selbstportrait. Hierfür kombinierte sie ein Foto mit einer verwaschenen, düsteren Skizze von ihr. Die Kombination läd zum Vergeleichen ein und gibt einen Einblick in Sarahs Fähigkeiten, nicht nur mit der Kamera, sondern vor allem auch mit Stift und Papier.

Zwei Bilder, links das Foto einer Frau mit aufgezeichnetem verarzteten Mund und rechts eine Zeichnung eines Gesichts mit roten Flecken.

Ich zeichne hauptsächlich in meine Skizzenbücher. Zu manchen Zeichnungen gehören Fotos, die ich daneben oder dazu klebe. Das Polaroid einiger Origamivögel kam erst nachträglich dazu; bevor ich das Foto schoss, füllten gezeichnete Vögel die Buchseite. Manchmal wandern die Linien der Skizze auch auf das Foto, manchmal haben sie ihre Stärke durch reine Gegenüberstellung oder schriftliche Elemente.

Ein aufgeklapptes Buch, darin ein Foto mit Origamikranichen und gezeichneten Vögeln.

 

2. Auf Fotos zeichnen

Auch bei Sol Exposure wandern die Linien über ihre Fotos. Die Fotografin kombiniert Bild und Zeichnung ganz analog. Mit einem Fineliner malt sie kleine Tierskizzen auf Drucke ihrer Polaroids, wobei sie sich in der Wahl des Motivs vom Inhalt des Foto leiten lässt.

Zuerst suche ich das Bild aus und dann inspiriert das Foto mich ganz von allein, ob ich ein Tier oder ein Insekt darauf zeichne.

Wir sehen einen gezeichneten Gecko und einen Hirsch.

 

3. Aufmalen auf das Modell

Eine weitere rein analoge Kombinationsweise ist das direkte Zeichnen auf das Modell. Für mich ist es eine wunderschöne Arbeit, sich vorher Gedanken zu machen, welche Elemente ich meinem Motiv noch zusätzlich hinzufügen könnte, um dem späteren Foto eine Botschaft mit auf den Weg zu geben.

Das Malen auf der Haut bringt mich dem Ganzen sehr viel näher als ein nachträgliches digitales Rumbasteln, ich fühle lieber Haut, halte den Stift und habe eine intensive haptische Nähe zu dem Modell oder der Situation, die ich fotografieren möchte. Einer Freundin die Muttermale auf dem Rücken wie bei Malen-nach-Zahlen verbinden zu dürfen, hat uns in dem Moment sehr nah gebracht.

Eine Melodie im Kopf zu haben und mir dabei in aller Seelenruhe Klaviertasten auf die Wade zu malen, hat mir Ruhe und Zeit gegeben, das Foto genauer durchdenken zu können. So verbinde ich auch heute noch ein sehr intensives Gefühl mit dem Moment, in dem ich die Bilder geschossen habe.

Ein Rücken, auf dem die Punkte mit einer Linie verbunden wurden.

Zwei Bilder, auf denen man ein Menschen mit aufgemalter Klaviertastatur auf dem Bein sieht.

 

4. Papierskizze digitalisieren

Nur noch zum Teil analog arbeitet die Künstlerin Aliza Razell. „Ich liebe es die Möglichkeiten der Fotografie zu überschreiten“, hat sie mir erzählt und ich kann ihr darin nur zustimmen; es ist wunderbar fruchtbar, die Grenzen des einen Mediums zu verlassen und sich in neue Grenzgebiete vorzutasten. Aliza spricht von einem spannenden Spiel, wenn sie ihren Fotos „real-world elements“, wie sie ihre Zeichnungen nennt, durch Digitalisierung hinzufügt.

Man sieht die Zusammensetzung von Zeichnung und Fotografie. Ein Junge am Strand dreht uns den Rücken zu und hält die Hand eines Mädchens, das aber nur gezeichnet ist.

Eine Frau verbirgt sich hinter einer Zeichnung und wischt mit ihren Händen einen Teil davon weg.

Mit den hybriden Arbeiten aus analogen Zeichnungen und digitalen Bildern arbeitet auch Monique Zimmer unter dem Namen Bumbleandbee. Für sie sind es spannenderweise gerade die Fotos, die der realen Welt ensprungen sind:

Ein Foto zeigt einen realen, eingefrorenen Moment, der eine im Bild kombinierte Zeichnung oder Malerei zum Leben erwecken kann.

In jedem Fall lassen sich durch solche Hybride zwei Welten miteinander kombinieren, die sich sonst vielleicht nicht treffen würden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der Enstehungsprozess oftmals in die Länge zieht und viele Stunden oder Tage nach der richtigen Kombination gesucht wird.

Erst, wenn mich das Zusammenspiel von Zeichnung und Bild in irgendeiner Weise berührt, wenn in mir ein zärtliches, komisches, staunendes oder bedrückendes Gefühl keimt, belasse ich das Zusammenspiel so wie es ist.

Gezeichneter Hirschkopf neben einem Frauengesicht

Für Yuliana Mendoza, unter dem Künstlernamen Silence Effects, ist das Kombinieren eine Möglichkeit, eine Balance zwischen zwei Leidenschaften zu schaffen, die sie liebt: Zeichnen und Fotografieren. Sie hat es mir wunderschön poetisch mit „volare con i piedi per terra“ (mit den Füßen auf dem Boden stehend fliegen) versucht, zu erklären.

Ein zweigeteiltes Bild einer nackten Frau, die eine Hälfte ist ein Foto, die andere gezeichnet.

Ich bewundere die drei Fotografinnen dafür, dass sie es schaffen, Zeichnungen anzufertigen, die sich dann in einem zweiten Schritt perfekt in das Foto einfügen. Um möglichst wenig Änderungen digital an den Skizzen durchführen zu müssen, sollte das Bild auf dem Papier schon in Größe und Form auf das Foto abgestimmt sein.

Ebenfalls gut mitdenken muss Ben Heine. Er fotografiert seine Modelle mit Papierskizzen in der Hand, die er vorher weitestgehend an Ort und Stelle angefertigt hat. Ben bemüht sich, so präzise wie möglich die Linien von Skizze und realer Szene ineinander übergehen zu lassen, sodass er später am Rechner nur noch die Linien überarbeiten oder verstärken muss.

Ich möchte zeigen, dass es möglich ist, Zeichnung und Fotografie auf einem fantasievollen, harmonischen und dennoch ins Auge springenden Weg zu kombinieren. Ich habe diese Technik extra dafür erfunden, sie erlaubt mir, mich mit starken Botschaften auszudrücken und zwar mit den Werkzeugen, die ich am meisten benutze.

Der Fotograf hat sich in zahlreichen Ausstellungen einen Namen gemacht und vielen sind seine meist humorvollen Szenen ein Begriff.

Eine Ziege sehen wir und eine Hand, die vor den Ziegenkopf ein Stück Papier hält, auf dem der Ziegenkopf gezeichnet ist.

Auch für Ryan Grees geht es um die Erweiterung des Realen durch das Fantastische.

Für mich ist und bleibt die Fotografie ein Abbild des „realen“ Momentes und meine Illustration dazu, das, was ich für mich selbst ausdrücken bzw. kommunizieren möchte – das macht es für mich zu einem persönlichen und einzigartigen Bild.

Seine Papierzeichnungen, weiterentwickelt in Photoshop, sind surreal und eindringlich, manchmal bedrohlich oder verwirrend. Ich verfolge seine Arbeiten seit einigen Jahren und es lohnt sich, immer mal wieder auf Ryans Webseite zu schauen.

© Ryan Grees

Eine rotrosa Zeichnung eines Portraits.

 

5. Analoges Foto, digitale Zeichnung

Die Fotos von Dilsad Aladag entstehen analog und ihre Geschichte über Zeichnung und Fotografie begann durch einen Zufall: Sie fotografiert mit einer Minolta XG-1 und hat sich oft darüber geärgert, dass das letzte Foto ihres Film halb weggebrannt war. Einmal hat sie eine Freundin portraitieren wollen, doch unglücklicherweise war die Hälfte ihres Gesichts nicht mehr auf dem Film.

Dilsad entschloss sich kurzerhand dazu, den fehlenden Teil comicmäßig und bewusst undetailliert hinzu zu skizzieren. Damals benutze sie noch Paint als Hilfe, inzwischen hat sich daraus eine ganze Serie entwickelt, sodass Dilsad immer wieder mal auf das letzte halbierte Foto eines Films zurückgreift und es in Photoshop vervollständigt. Ihre wunderbaren Hybriden aus gescanntem Foto und digitaler Zeichnung sind im Album „Little Drawings“ in ihrem Flickr-Portfolio zu bestaunen.

© Dilsag Aladag

 

6. Komplett digital

Vollständig digital arbeiten viele Fotografinnen und Fotografen, von denen ich Euch zu guter Letzt noch die kolumbianische Künstlerin Andrea Carvajal vorstellen möchte. Sie ist Grafik-Designerin und erstellt all ihre Zeichnungen auf dem Wacom Bamboo Fun.

Für sie ist jede Zeichnung wie eine Erinnerung an ihre verlorene Kindheit, lauter kleine Hinweise, die sie auf ihrem einsamen Weg verstreut.

Meine Zeichnungen sind Brotkrumen, wie die, die Hänsel gestreut hat, für diejenigen, die sie und mich sehen.

Man kann sich durch Andreas märchenhaft-melancholische Welt klicken, versuchen, ihre Zeichnungen zu verstehen und gerade in der Kombination mit Fotografien sind sie noch viel verschlüsselter.

Eine zweigeteilte Frau, die Augen sieht man nicht.

Ich hoffe, ich konnte Euch eine kleine Übersicht über die vielen Möglichkeiten aufzeigen, denn das Feld der Kombination aus Zeichnung und Fotografie ist weit und sowohl analog als auch digital zu bestreiten.

Ich freue mich immer wieder, wenn ich solche Mischformen in Portfolios entdecke und es gibt sicherlich noch eine Vielzahl toller Künstlerinnen und Künstler, die ich hier nicht vorgestellt habe. Auf jeden Fall kann ich jedem, der sich in beiden Medien zuhause fühlt, nur raten, das Skizzenbuch und die Kamera einander mal vorzustellen.

17 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. Dieser Überblick ist inspirierend. Wunderbar verknüpfst du hier systematische Beschreibung, persönliche Auseinandersetzung und die Vorstellung fantastischer Arbeiten. Die Vielfalt der Techniken und wie kunstvoll sie eingesetzt werden, ist atemberaubend. Obwohl mir das Zeichentalent nicht vergönnt ist konnte ich viel Impulse aus den Artikel ziehen. Danke sehr!

  2. Eine tolle Sammlung großartiger, strichhaltiger Arbeiten! ;-)
    Gerade der Einstieg mit Rodin zeigt, dass Cross-Media nicht erst ein Schlagwort der digitalen Epoche ist!

    • Ja, das fand ich auch so spannend an dem Thema, es ist eben nicht erst im Zuge der Digitalfotografie und mit Photoshop entstanden. Rodin war für mich damals auch eine sehr wichtige Entdeckung. Es ist auch toll zu sehen, dass noch viele Fotografen analog mischen oder einen Teilprozess analog durchführen, weil es so schön der digitalen Mixed-Media-Debatte widerspricht.

      • Waren die gemixten Bilder für Rodin denn ein Teil seiner Kunst oder eher nur ein praktisches neumodisches Skizzen-Tool, eine Art „App für Bildhauer“? Hast Du dazu etwas gefunden oder hast Du eine Vermutung?

      • Hallo Andreas!
        Das ist schwer zu sagen, ich tippe mal darauf dass er sie eher pragmatisch verwendet hat und als Hilfsmittel gesehen hat. Für einen Bildhauer seiner Zeit war er aber äußerst modern, er hat die Fotografie sehr geschätzt, was für das beginnende 20. Jahrhundert nicht alltäglich war. Er schrieb beispielsweise schon 1908 in einer Zeitschrift: „Ich glaube, dass die Fotografie Kunstwerke hervorbringen kann.“ Und das ist wirklich revolutionär, weil Fotografie noch viele Jahre danach um ihre Anerkennung als Kunstform kämpfen musste, während dieser Bildhauer es schon längst erkannt hatte.
        So gesehen wäre es vielleicht auch möglich dass Rodin seine überarbeitetetn Skizzen als wichtig erachtet hat, zumindest habe ich gelesen dass er alle Rechte an den Fotos (die er übrigens nie selbst gemacht hat, das waren immer Aufträge!) wollte und schlechte Abzüge sofort vernichtet hat. Somit waren ihm die Skizzen selbst als „App für Bildhauer“ :) schon ein wichtiges Medium.
        Aber genau weiß ich es eben auch nicht!

      • Anne, danke für die Hintergrundinfos und die Werkstattschau! An Rodin sieht man auch ganz gut, wie eng die zweite und die dritte Dimension der Subjekte und Objekte vor unseren Linsen zusammenhängen. Also: Mehr bild-hauern!

        (Ich kann hier in 4./5. Ebene scheinbar nicht mehr antworten, nur noch einmal hier oben.)

      • Ah doch, ich glaube das wird automatisch an die richtige Antwortstelle geschoben :)

        Ja, absolut mein Reden! Ich merke auch immer wieder wie sich meine bildhauerische Praxis mit der Fotografie überschneidet, und wie es sich auch umgekehrt berührt. Irgendwie hat alles sehr viel miteinander zu tun, vorallem wenn man in der Werkstatt und hinter der Kamera die gleichen Gedankengänge verfolgt.

  3. Gefällt mir sehr gut die Übersicht. Ich selbst mache auch immer mehr „Mixed Media“ indem ich Texte mit Tinte und Muster/Flächen mit Farben male, Grafiken vom Goldenen Schnitt und das alles dann einscanne und über ein digitales Foto lege.
    Diese Art von Bildern kann schnell ganz anderes transportieren, als reine Fotografie und der Enstehungsprozess ist spannend.

  4. Ein klasse Artikel – wobei mir hier die Beispiele von Sol Exposure und Ben Heine am besten gefallen. Manchmal wünsche ich mir, ich könnte zeichnen – aber nachdem gerade Linien da schon eine zu große Herausforderung sind bleibe ich wohl doch eher bei der „reinen“ Fotografie :)

  5. Kann mich nur anschließen. Super inspirierender Artikel!
    Wenn man im web nach Aritkel über die Kombination der Medien sucht ist dort nichts zu finden.
    Danke Dir!

    Hast du zufällig noch neue Arbeiten entdeckt?
    Kannst du Bildbände/ Bücher empfehlen zu dem Thema?
    Oder kennst Aritkel über diese künstlerische Arbeitsweise?

    Würde mich sehr über eine Antwort freuen.

    • Hallo Ramona!

      Leider habe ich deinen Kommentar gerade erst entdeckt, Verzeihung!
      Ich habe bei der Recherche für diesen Artikel keine brauchbaren Bücher darüber gefunden, die Anregungen zu den Bildern von Rodin habe ich in einem Seminar bekommen, weitergeschaut habe ich dann hier: FotoSkulptur – Die Fotografie der Skulptur 1839 bis heute. Aber da ist auch kein Fokus auf die Zeichnungen gesetzt. Den Rest habe ich einfach durch Suchen und Sammeln im Netz und Gespräche mit den Fotografen herausgefunden. Wenn du mal ein Buch zu dem Thema findest, sag mir gerne Bescheid, finde das Thema immer noch super spannend :)

      Liebe Grüße, Anne