28. Februar 2011 Lesezeit: ~13 Minuten

Doppelt hält besser

Als ein Kind des digitalen Zeitalters, das sich nur langsam in die analoge Fotografie vortastet, hat es bei mir sehr lange gedauert, bis ich eine meiner Portraitserien mal nur analog gemacht habe. Erst dann habe ich auch angefangen, typisch analoge Effekte dafür in Betracht zu ziehen. Daraus ist im letzten Sommer eine Serie entstanden, bei der ich zu den Portraitaufnahmen durch eine zweite Belichtung Blüten und Pflanzen hinzugefügt habe. Damit sind wir beim Thema: Doppelbelichtungen.

Wie entsteht eine Doppelbelichtung?

Ganz unabhängig von der verwendeten Kamera werden bei einer Doppelbelichtung zwei Bilder auf das gleiche Stück Film belichtet. An jeder Stelle addieren sich also die Lichtmengen, die auf den Film treffen. Und im Falle eines Farbfilms vermischen sich dort auch die Farben der zwei Belichtungen entsprechend den Gesetzen der additiven Farbmischung.


In Zusammenarbeit mit Tamara

Warum sieht eine Doppelbelichtung meistens nicht so aus wie man es von zwei übereinandergelegten Bildern erwartet?

Das Filmmaterial hat eine gewisse „Kapazität“ für Licht. Das heißt, dass zwei Stellen auf dem Film, die bei der Belichtung mehr als eine bestimmte Menge Licht abbekommen haben, beide nach der Entwicklung reinweiß erscheinen, auch wenn sie in Wirklichkeit eine unterschiedliche Helligkeit hatten.

(Man kann Film in einem gewissen Rahmen auch so entwickeln, dass die unterschiedlichen Helligkeitsstufen wieder sichtbar werden, dann gehen aber entsprechend die Abstufungen in den dunklen Bereichen verloren. Das liegt daran, dass Film genau wie jeder digitale Sensor nur einen begrenzten Kontrastumfang hat.)

Fotografiert man also bei einer Belichtung etwas, das allein schon hell genug ist, dann kann man darauf das Motiv der anderen Belichtung nicht mehr sehen, denn weiß bleibt weiß. Anders herum ist auf einer Stelle, die von einer Belichtung durch zu wenig Licht praktisch unbelichtet gelassen wurde, nur das Motiv der anderen Belichtung zu sehen.

Zwischen diesen beiden Extremen gibt es natürlich auch die Zwischenstufen: Beide Belichtungen haben den Film etwa gleich stark belichtet, dann scheinen sie wirklich übereinander zu liegen. Oder es sind beide Belichtungen sichtbar, eine aber etwas stärker als die andere. So entsteht der typische Charme einer Doppelbelichtung, bei der die zwei Ebenen nicht gleichberechtigt übereinanderliegen, sondern sich stellenweise durchdringen, hervortreten und unsichtbar werden.


In Zusammenarbeit mit Tamara

Soviel zur Theorie. Wie sieht das in der Praxis aus?

Damit die geplante Doppelbelichtung hinterher die richtige Helligkeit hat, muss jede der beiden einzelnen Belichtungen die Hälfte zur Gesamthelligkeit beisteuern. Die Lichtmenge lässt sich halbieren, indem Belichtungszeit, Blende oder Filmempfindlichkeit angepasst werden:

Belichtungszeit:
Halbieren, z.B. 1/30s -> 1/60s

Blende: Sind nichtlinear. Die jeweils kleinere (ganze) Blendenstufe entspricht der halben Lichtmenge, Z.B. f/2 -> f/2.8

Filmempfindlichkeit: Die ASA-Werte sind linear, man belichtet also wie für einen doppelt so empfindlichen Film. Z.B. ASA 100 -> ASA 200. Die DIN-Werte sind logarithmisch, 3° sind hier die doppelte Empfindlichkeit, Z.B. 21° -> 24°.

Man kann sich also aussuchen, an welchem der Rädchen man drehen möchte, um korrekt halb so stark zu belichten. In den meisten Fällen ist es am bequemsten, die Filmempfindlichkeit am Belichtungsmesser zu ändern, damit man nicht jedes Mal kopfrechnen muss. Das übernimmt dann der Belichtungsmesser für uns, der die Änderung der Filmempfindlichkeit auch nur nach diesen Regeln in eine Änderung von Belichtungszeit und Blende umrechnet.

Natürlich sind auch mehr als nur zwei Belichtungen übereinander möglich. Möchte man drei, vier oder mehr Bilder kombinieren, muss man jedes Bild entsprechend ein Drittel, Viertel, usw. so stark belichten.
Ebenso kann man gezielt eine Belichtung schwächer machen, sodass sie nur schemenhaft erscheint, indem z.B. eine Belichtung 2/3 und die andere nur 1/3 zur Helligkeit beitragen.


Modell: Isa

Wie verklickere ich meiner Kamera, dass ich zweimal die gleiche Stelle des Films belichten möchte?

Das ist die schwierigste technische Frage, denn das richtet sich sehr stark nach dem verwendeten Kameramodell. Während einige über einen extra Knopf für genau diesen Zweck verfügen oder von ganz allein doppelt belichten, wenn man vergisst, den Film weiterzuspulen, müssen andere überlistet werden.

Bei (gewöhnlichen) Kleinbild-Kameras ohne Motor ist der Filmtransport mit dem Verschlussspannen kombiniert. Sie verfügen über einen Rückspulknopf, der den Filmtransport aussetzt und den man drückt, wenn der Film gefüllt ist und zurückgespult werden soll.

Diesen drückt man nach der ersten Belichtung und spannt den Verschluss. So wird nur gespannt, der Film aber nicht transportiert. Der Rückspulknopf springt dann von allein wieder heraus, sodass nach der zweiten Belichtung der Film normal weitertransportiert werden kann. Hierbei ist es auch hilfreich, den Film während des Spannens mit der Rückspulkurbel in der Kamera festzuhalten (vorsichtig zurückdrehen, bis der Restfilm in der Patrone aufgerollt ist, man merkt dann einen leichten Widerstand), damit er nicht doch ein kleines Bisschen verrutscht.

Im Zweifelsfall hilft hier eine kurze Internetrecherche um herauszufinden, ob es für das eigene exotische Kameramodell eine Möglichkeit für Doppelbelichtungen gibt. Nicht immer ist das jedoch der Fall. Dann sollte man aber nicht verzagen, sondern auf die zweite, grundlegend andere Methode zurückgreifen, um zur Doppelbelichtung zu kommen.

Dabei wird der komplette Film zweimal belichtet. Kleinbild-Filme werden also nach dem ersten Belichtungsdurchgang nicht ganz in die Filmpatrone zurückgespult, sondern nur soweit, dass noch die Lasche herausguckt, um ein zweites Mal eingelegt zu werden. Hier hilft, den Bildzähler beim Zurückspulen im Auge zu behalten und bis zum Einlegestand (z.B. ein „S“) zurückzudrehen oder nach Gehör zu spulen. Etwas Übung hilft hier, das richtige Geräusch zu erkennen. Im Notfall (oder bei Kameras mit Motor) lässt sich die Lasche auch wieder aus der Filmpatrone herausfriemeln (mit einem Filmrückholer oder Patrone etwas aufbiegen, Lasche rausholen, Patrone zubiegen).

Möchte man beim zweiten Belichtungsdurchgang die ersten Bilder genau überlagern, kann man sich beim ersten Einlegen des Films z.B. mit einem CD-Marker kleine Markierungen auf den Film machen, an der man beim zweiten Einlegen dann exakt ausrichten kann. Zum Beispiel links und rechts vom Vorhang, am Rand der Filmpatrone, an den Transportzähnen oder was es sonst so Charakteristisches im Kamerainnern gibt. Hierbei ist wichtig: Vorm Einlegen des Films den Verschluss noch einmal komplett spannen – je nach Filmende der letzten Belichtung steht der Hebel nur in der Mitte des Schwungs, dann hilft jede Markierung nichts.

Bei Rollfilm ist diese Methode etwas schwieriger, da der Film nicht zurückgespult wird und auch nur an einem Ende am Papier festgeklebt ist. Den einmal belichteten Film direkt wieder einzulegen würde also nur ein großes Kuddelmuddel in der Kamera verursachen und im schlimmsten Fall irgendwas kaputt machen. Nach der ersten Belichtung muss der Rollfilm also erst noch einmal (Im Dunkeln, versteht sich!) auf eine neue Spule umgespult werden. Hierbei darauf achten, dass man richtig herum aufspult, sonst wird beim zweiten Belichtungsdurchgang aufs Papier anstatt auf Film belichtet – so entsteht leider kein Bild.

Wer seine Abzüge selbst macht, kann natürlich auch beim Vergrößern ganz gezielt zwei einzelne Fotos übereinander ausbelichten. Dass hier wieder andere Experimente wie das Drehen der Bilder möglich sind, deute ich mal nur als eine mögliche Idee an.


In Zusammenarbeit mit Tamara

Nachdem wir so viel darüber wissen, wie eine Doppelbelichtung hergestellt wird, ist es allerhöchste Zeit, sich zu überlegen: Warum eigentlich das alles?

Der Reiz von Doppelbelichtungen lässt sich kaum kurz zusammenfassen, denn durch diese Technik sind Bildkombinationen möglich, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise interessant werden. Ähnlich wie bei Diptychons und anderen Collagen kann man mit mehreren Bilder unterschiedliche Blickwinkel auf das gleiche Motiv zeigen oder ganz Fremdes zueinander in Bezug setzen. Dabei lassen sich aber viel surrealere Bildwelten erzeugen, denn beispielsweise löst das Portrait eines Menschen, neben dem ein Wald abgebildet ist in uns andere Assoziationen aus als ein Bild, auf dem der Wald aus dem Kopf des Portraitierten herauszuwachsen scheint. Auch Einzelkinder können auf Bildern plötzlich einen Zwilling haben oder über dem Horizont schwebt kopfüber eine zweite Welt.

Ich selbst habe bisher noch gar keine Doppelbelichtung gemacht, bei der ich die Bildkomposition aus zwei Einzelaufnahmen vorher genau durchdachte habe. Ich liebe den Zufall, der mitspielt, wenn ich meine Doppelbelichtungen anfertige, indem ich den ganzen Film nacheinander zweimal belichte und mir so gar nicht merken kann, an welcher Stelle ich welches Bild genau aufgenommen hatte.

Bei den Portraits von Isa sind so hauptsächlich Bilder entstanden, die nicht funktioniert haben, da ihr Gesicht von der zweiten Belichtung unkenntlich war oder sich beide Belichtungen auf einer Bildseite zu einem chaotischen Kuddelmuddel vermischt haben, während auf der anderen Seite Dunkelheit herrschte. Doch genauso produziert der Zufall auch Bilder, bei denen es klick macht, die einfach funktionieren. Bei denen ihr Gesicht von Blüten eingerahmt wird, sie eine außerirdische Pflanze im Arm hält oder sich ein Ästchen schützend um sie legt.


Modell: Isa

Während bei den Bildern mit Isa zumindest so viel Konzept herrschte, dass immer ein Portrait mit einer Pflanze kombiniert wurde, kam bei der ersten Doppelbelichtung, die ich mit Tamara gemacht habe noch mehr Zufall hinzu: Jede von uns hat den Film mit allem gefüllt, was ihr über den Weg lief: Ich habe auf einer Ausstellung Lichtinstallationen, Kabelgewirr, Füße von Kunstbetrachtern und Barhocker sowie Pflanzen und Matsch fotografiert; Tamara hat Hirsche, auch einige Pflanzen und Details ihrer Stadt abgelichtet.

Zur Spannung, ob interessante Doppelbelichtungen entstanden sind, kam also auch noch die große Überraschung dazu, welche Motive wir da miteinander kombiniert haben und ob sie gemeinsam eine Geschichte erzählen würden oder zumindest interessante Formen und Farben aufeinander getroffen sind.

Das war für mich auch deshalb eine tolle Erfahrung, weil ich mich zu dem Zeitpunkt schon sehr auf Portraits konzentriert hatte. Bevor ich Menschen portraitiert habe, war mein Blick beim Gang durch die Stadt immer offen für Details. Sie waren es, die ich festhalten wollte, die mich fotografieren ließen. Mit der Konzentration auf meist langfristig geplante mehrstündige Portraitshootings ist mir dieser offene Blick schnell verloren gegangen. Ein Projekt wie die konzeptlose Doppelbelichtung mit einer Freundin war genau das Richtige, um mich wieder einmal ganz ohne Ziel durch die Gegend streifen und nach Kuriositäten Ausschau halten zu lassen.


In Zusammenarbeit mit Tamara

Natürlich kann man auch mit Konzept den gleichen Spaß haben, deshalb haben wir noch eine zweite Doppelbelichtung gemacht, bei der wir Kaugummiautomaten abgebildet haben. Obwohl wir beide schon viele Automaten fotografiert hatten, war es gar nicht so einfach, einen ganzen Film damit zu füllen. Neue Blickwinkel auf die Motive und mehr interessante Exemplare der Spezies Kaugummiautomat mussten dafür gefunden werden. Die schrägen Farben des cross-entwickelten Diafilms haben dann auch noch ihren Charme dazu beigetragen.

Wer also mit seiner Fotografie gerade in einer Sinnkrise steckt, zu verkrampft nach guten Bildern strebt, um wirklich eins zu machen oder wer einfach nur gern experimentiert, dem sei also die Zufallskur empfohlen: Schnapp dir einen befreundeten Fotografen deiner Wahl, füllt einen Film nacheinander mit interessanten Details, die euch über den Weg laufen oder auch zu einem Thema, auf das ihr euch geeinigt habt.

Dabei muss man auch nicht zwangsweise darauf achten, dass man die Belichtungen exakt übereinander legt, denn der Bildzwischenraum der einen Belichtung fällt meist kaum auf, wenn er bei der anderen Belichtung mitten im Bild liegt. Im Gegenteil führt das manchmal dazu, dass eine Doppelbelichtung sogar mehr als zwei Ebenen zu haben scheint und der Betrachter lange ins Bild versunken ist, während er versucht, die verschiedenen Motive zu erkennen, die dort ineinander verschlungen sind.

Oder man belichtet den Film selbst nacheinander zweimal mit Zufallsmotiven. So liegen bei mir Blüten in den Regalen einer Drogerie oder aus einem Strauß Blumen ragt auch ein Treppengeländer. Gerade diese Bilder sind es, die mich faszinieren: Bei denen zufällig die Richtungen und Flächen im Bild miteinander funktionieren. Daher wollte ich schon lange einmal die Bildkompositionen meines ersten Belichtungsdurchgangs skizzieren und beim zweiten Durchgang so kombinieren, dass die Linien zusammenarbeiten. Ich habe mir aber nie die Zeit genommen, diese Idee konsequent umzusetzen, daher ist jeder herzlich eingeladen, sie aufzugreifen.

Für alle, die sich weiter inspirieren lassen möchten, gibt es bei den üblichen Verdächtigen auch Gruppen, in denen Doppelbelichtungen gesammelt werden oder halbbelichtete Filme getauscht werden.

Gruppen, die sich „experimenteller“, „alternativer“ oder „künstlerischer“ Analogfotografie verschrieben haben, sind ebenfalls ein guter Anlaufpunkt auf der Suche nach mehr spannenden Doppelbelichtungen.

Außerdem habe ich auf flickr eine Galerie mit einigen meiner persönlichen Favoriten zusammengestellt, die gleichzeitig auch ein wenig die Bandbreite der unterschiedlichen Konzepte und Bildwirkungen illustrieren sollen.

Und zu guter Letzt gibt es noch eine Empfehlung, die ich besonders herausheben möchte: „Bildräume“, das Doppelbelichtungsprojekt einer Bildhauerin und einem Fotografen, bei dem sich Innen- und Außenräume in phantastischen Symbiosen von Architektur und Natur durchdringen.

Was sind eure liebsten Doppelbelichtungen? Oder eigene, die euch besonders am Herzen liegen? In den Kommentaren ist Platz dafür.

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