zwei Negativstreifen, die Abdrücke von Blüten und Blättern zeigen
29. September 2022 Lesezeit: ~14 Minuten

Gedanken zur ökologischen Dunkelkammmer

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist oft ein schwieriger – er ist allgegenwärtig geworden, aber scheint kaum jemals vollständig erfüllbar zu sein. Und doch steht es ganz außer Frage, dass eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und welchen Einfluss es auf andere, äußere Faktoren hat, von großer Wichtigkeit ist.

Auch der fotografische Arbeitsprozess und die dafür verwendeten Materialien sind davon nicht ausgenommen. Daher bin ich immer öfter dabei an Grenzen gestoßen, die mich meine Herangehensweise an etwa die Arbeit in der Dunkelkammer haben hinterfragen lassen.

Meine eigenen Bilder sind meist ursprünglich performativ – ich arbeite mit Selbstportraits unmittelbar in und mit der Natur. Wie kann ich also besser dafür Sorge tragen, dass die Auswahl der von mir verwendeten Materialien und mein Umgang damit, mit ebenso viel Bedachtheit passiert, wie die Auswahl der Thematik meiner Bilder? Was bedeutet generell die Nachhaltigkeit in der Fotografie, insbesondere den analogen Prozessen und inwiefern sind diese beiden Dinge zu vereinbaren?

Sowohl die Herstellung (und Herstellungsbedingungen) von digitalen Kameras, als auch die Chemikalien der analogen Fotografie oder die für beide Verfahren verwendeten Ressourcen sind in vielerlei Hinsicht problematisch. Da sich meine eigenen Arbeiten ausschließlich im analogen Bereich befinden, gilt meine Aufmerksamkeit in diesem Fall den Alternativen im Bereich der Dunkelkammer bzw. analogen, kameralosen Techniken.

Erwähnt sei an dieser Stelle auch, dass ich mich selbst immer hauptsächlich als Lernende verstehe – hier aufgeschrieben sind also lediglich Gedanken, Ideen und experimentelle Verfahren, die mich über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftigt haben. Während also Vieles vielleicht oft (noch) ohne konkrete Antwort bleibt, denke ich, dass gerade auch das Teilen all dieser offenen Fragen und Experimente in ein gemeinsames Weiter-, Um- und Neudenken führen kann, das die Fotografie als wesentlich mit der Umwelt verflochtene Praxis versteht.

drei abstrakte Bilder

drei abstrakte Bilder

Lumen-Drucke und Chemigramme mit Lebensmittelresten

Schon immer erforderte der fotografische Prozess eine Auseinandersetzung mit dem, das einen umgibt. Ein Bemerken, ein Aufspüren – was wiederum zu einer Interaktion werden kann, ein Austausch mit der Umgebung. Die analoge Fotografie scheint oft das Alte, das Nostalgische hervorheben zu wollen – inwiefern ist es nötig, nun auch eine mögliche Zukunft mit ihr zu erschließen? Wie kann die analoge Fotografie aktiv zu etwas werden, das sich auch ihrer Auswirkung auf äußere Faktoren (auf die Betrachter*innen, aber auch auf die Umwelt) bewusst ist, und diese berücksichtigt?

In alternativen Verfahren ist es unabdingbar, sich dem Wechselspiel von verschiedenen Materialien, wie sie aufeinander einwirken und woher sie kommen, bewusst zu werden. Und somit ist doch der vermeintlich alternative Prozess vielmehr der primäre, der ursprüngliche Prozess der Fotografie selbst.

Er macht jedes beteiligte Material zu einem essentiellen Teil des Ganzen: Vom gewählten Bildträger, über etwa die Stärke der Sonneneinstrahlung bis zur Beschaffenheit des verwendeten Wassers – alles spielt eine Rolle und muss berücksichtigt werden. Es geht dann nicht mehr nur darum, etwas zu dokumentieren, zum Ausdruck zu bringen oder abzubilden, sondern der gesamte fotografische Prozess ist es, der in Zusammenhang mit der Umwelt gebracht wird.

Anthotypie

Die Anthotypie ist wahrscheinlich das einzige, wirklich nachhaltige fotografische Verfahren, da es nur auf Pflanzenpigmenten und ihrer farblichen Veränderung unter Lichteinstrahlung basiert. Nicht alle Pflanzen bzw. Blüten funktionieren gleich gut und eine kräftige Blütenfarbe resultiert nicht zwingend in Pigmenten derselben Farbe oder Stärke. Manchmal liegt die „Belichtungszeit“ dieses Prozesses bei einigen Stunden, manchmal sind es ganze Wochen, die ein Bild in der Sonne gebleicht werden muss, um ein sichtbares Resultat zu erzielen.

zwei Papierblätter, auf denen 14 Farbbeispiele aufgeklebt und beschriftet wurden

Pflanzen-Farbtabelle

Anstatt mit einem Positiv auf Glas, Film oder digital gedruckt auf Overhead-Folien zu arbeiten, ist es ebenso möglich, herkömmliches Kopierpapier zu verwenden, das mit einem trocknenden Öl (wie etwa Lein- oder Hanföl) bestrichen lichtdurchlässiger wird.

Was ich an der Anthotypie schätze, mir aber gleichzeitig ebenso schwer fällt, ist der Umgang mit ihrer Kurzlebigkeit. Eine Anthotypie kann nicht fixiert, nicht beständig gemacht werden, sie bleibt etwas Flüchtiges und ist von Anfang dazu bestimmt, wieder zu verblassen, nicht für die Ewigkeit zu sein. Etwas, das sich also wohl einem der Hauptaspekte der Fotografie – der Bewahrung – vollkommen entgegensetzt.

An diesem Punkt stellt sich mir immer wieder die Frage, ob es möglich ist, das Ideal des archivfesten Werkes neu zu definieren. Wie kann sich unsere Beziehung zum Visuellen ändern, wenn dieses selbst ein lebendiger Prozess ist, der sich verändert, vergeht, verblasst? Außerdem scheint es mir unumgänglich, sich auch vor der Arbeit an einem Bild schon Gedanken darüber zu machen, was mit dem fertigen Abzug schlussendlich geschieht: Wird er ausgestellt, verkauft, in einer Kiste archiviert, digital weiterverarbeitet?

grün getönter Fotoabzug einer Person in der Natur

Spinat-Anthotypie, 2 Tage Belichtungszeit

pink getönter Fotoabzug einer Person in der Natur

Rosenblüten-Anthotypie, ca. 2,5 Wochen Belichtungszeit

Die alternative Fotografie befähigt andere Materialien, die ansonsten nichts mit Fotografie zu tun haben, aktiv zu werden – sie macht beispielsweise Erde, Pflanzen oder die Sonne zu Akteuren, die ebenso am Prozess beteiligt sind wie man selbst. Sie erinnert auch daran, dass Kreativität an sich nichts ausschließlich den Menschen Eigenes ist, sondern dass auch andere Lebensformen kreative Wege finden, um in der Welt zu sein und zu überleben.

Die amerikanische Autorin Ursula K. Le Guin schreibt in einer ihrer Science-Fiction-Kurzgeschichten von sogenannten „Phytolinguisten“, die sich mit der Sprache der Pflanzen beschäftigen. Wie kann nun das Fantastische auch am Realen andocken und wie können sich etwa die verschiedenen Sprachen der Natur in ein Bild einschreiben?

Chemigramm und Phytogramm

Vielleicht sind Chemigramme und Phytogramme eine mögliche Annäherung an diese phytolinguistische Idee: Beide stellen eine Möglichkeit zur Verwertung von altem oder vermeintlich defektem Fotopapier bzw. im Fall von Phytogrammen auch alten Filmen dar. Beide Verfahren lassen die Pflanzen oder andere organischen Substanzen, die auf die Oberfläche aufgetragen werden, eigenständige Muster oder Abdrücke entwickeln.

Erste Chemigramm-artige Bilder entstanden bereits im 18. und 19. Jahrhundert. Die Technik, wie sie auch heute noch ausgeführt wird, wurde allerdings erst im Jahr 1956 von Pierre Cordier begründet, der durch sie die „Physik der Malerei“ mit der „Chemie der Fotografie“ verband.

Hierfür werden zwar die gängigen Dunkelkammer-Chemikalien verwendet (wobei auch ein Arbeiten mit pflanzlichem Entwickler möglich ist), jedoch können auch bereits abgestandene Mischungen, die für andere Abzüge nicht mehr verwendbar sind, noch verarbeitet werden. Als „Resist“ (Abdeckmittel), also eine Substanz, die als erste Schicht auf dem Papier aufgetragen wird, können jegliche Haushaltschemikalien oder Lebensmittel, die vielleicht nicht mehr für den Verzehr geeignet sind, verwendet werden: Öl, Zwiebelsaft, Sirup, Rost, Handcreme, Marmelade oder Nagellackentferner, um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen.

Basierend auf der chemischen Reaktion von Pflanzen und fotografischer Emulsion, sind Phytogramme, ähnlich dem Photogramm oder Lumen-Prozess, ein Direkt-Druckverfahren bei Tageslicht, das ohne Dunkelkammer und mit nur wenigen Materialien ausgeführt werden kann. Die Technik wurde von Karel Doing geprägt, der sie 2017 während der Recherche zu seiner Doktorarbeit entwickelte.

Die ausgewählten Pflanzen werden in einer Lösung aus Wasser, herkömmlichem Waschsoda (Natriumcarbonat, erhältlich in der Drogerie) und Vitamin C (grundsätzlich funktionieren auch Brausetabletten, empfehlenswerter ist aber eine pure Ascorbinsäure aus der Apotheke oder eine wiederum selbst angesetzte Lösung mit stark Vitamin-C-haltigen Pflanzen) eingeweicht und anschließend sorgfältig auf den Film bzw. das Papier gelegt. Dort beginnt die Emulsion mit der Lösung bzw. den Pflanzenstoffen zu reagieren.

zwei Negativstreifen, die Abdrücke von Blüten und Blättern zeigen

Phytogramm auf ECN-2-Film

drei Negativstreifen, auf denen Blüten und Blätter platziert liegen

mehrere Negativstreifen, die Abdrücke von Blüten und Blättern zeigen

Phytogramme auf Schwarzweißfilmen im Fixierbad

Pflanzen-Entwickler

Dieselbe chemische Basis verwendete auch Scott Williams 1995, als er seine mittlerweile etablierte Entwickler-Alternative, das Caffenol, vorstellte. Seither wurde eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten von Künstler*innen ebenso wie Amateurfotograf*innen entdeckt und getestet: Der Instantkaffee aus dem ursprünglichen Caffenol-Rezept kann durch so gut wie jedes pflanzliche Material ersetzt werden – von Rosmarin, Minze oder Seetang über Kompost bis hin zu überschüssigem Sauerkrautsaft.

Ausschlaggebend für den Prozess sind dabei Polyphenole (natürliche, chemische Stoffgemische), die in den Pflanzen vorkommen. Je höher der Polyphenol- oder Vitamin-C-Anteil einer Pflanze bzw. eines Lebensmittels, desto besser eignen sie sich als potentielle Entwickler. Dieser Anteil variiert aber nicht nur von Pflanze zu Pflanze, sondern ist auch etwa von Jahreszeiten und Standorten abhängig.

Dabei ist auch zu bedenken, ortsspezifisch zu arbeiten und zu recherchieren: Welche Flora wächst in meiner Umgebung bzw. was lässt sich vielleicht sogar vor dem eigenen Fenster anpflanzen? Wie kann ich mit den lokalen, mir verfügbaren Materialien arbeiten, anstatt etwa eine Entwicklerzutat nur zu diesem Zweck aus dem Supermarkt zu kaufen?

Meist verlassen wir uns auf das, was um uns herum und unter der Oberfläche wächst, ohne es wirklich zu bemerken oder zu berücksichtigen. Das Aufstöbern und Sammeln – sowohl von Wissen über die eigene Umgebung, als auch das physische Suchen und Sammeln von Kräutern und Pflanzen – kann wiederum etwas Verbindendes sein.

Akt in der NaturAkt in der Natur

Links: Abzug entwickelt in Kompost. Rechts: gescanntes Negativ, entwickelt in Caffenol. Unten: Abzug, entwickelt in Rosmarin und getönt in Schwarztee

Fotoabzug einer Aktaufnahme in der Natur

Salz-Fixierer

Während es für die Film- und Papier-Entwicklung also doch eine relativ große Auswahl umweltfreundlicher Möglichkeiten gibt, bleibt der vermutlich am schwersten mit pflanzlichen Alternativen zu ersetzende Teil der Fixierer. Eine Möglichkeit ist ein rein auf Salz basiertes Fixierbad, das die Silberhalide in der Emulsion denaturiert und somit lichtunempfindlich macht.

Ursprünglich hat auch William Henry Fox Talbot immer wieder mit einer solchen Salz-Lösung gearbeitet. Die langfristig haltbaren Erfolge damit blieben aber aus und man muss bei einer Fixierung in Salz mit mindestens 24 Stunden oder mehr Anwendungszeit rechnen. Es bleibt also ein offener Prozess.

Eines meiner Experimente mit Salz-Fixierer bei Dunkelkammer-Abzügen ist hier aufgezeichnet. Die beiden Bilder wurden am selben Tag in Kompost entwickelt; besonders deutlich ist der bleichende Effekt des Gebrauchsfixierers, nach dessen Anwendung der natürliche Sepiaton des Kompost-Abzugs fast gänzlich verschwindet:

Fotoabzug einer in der Natur liegenden Person

mit Salz fixiert

Fotoabzug einer in der Natur liegenden Person

Gebrauchsfixierer – fünf Tage nach der Anwendung (gelagert bei Tageslicht)

Weiter zu bedenken ist einerseits der hohe Wasserverbrauch, der beim Waschen von Filmen oder Abzügen entsteht und andererseits auch das verwendete Plastik in RC-Papieren, Folien für digitale Negative, Filmdosen und Filmen an sich. Für Letzteres liefert eine französische Firma namens „Film Washi“ seit 2013 eine Alternative und verwendet japanisches Washi-Papier für die Filmherstellung, die mit zum Teil recyceltem Werkzeug geschieht.

Erd-Chromatografie

In „The Mushroom at the End of the World“ schreibt Anna Lowenhaupt Tsing: „we are contaminated by our encounters“. So, wie wir also von Begegnungen „kontaminiert“ und geprägt werden, kann vielleicht im Gegenzug davon gesprochen werden, dass der Erdboden zu einem Werkzeug der Aufzeichnung wird – so wie man es sonst der Fotografie zuschreibt.

Die Chromatografie ist ursprünglich ein chemisches Verfahren, das die Einzelbestandteile von Stoffgemischen aufteilt und sichtbar macht. Bei der Erd-Chromatografie geht es jedoch weniger um die Aufteilung der Komponenten und vielmehr um die Beurteilung der Muster, die während des Filterns entstehen. Anhand dieser Muster, die je nach Bodenprobe stark variieren können, kann etwa abgelesen werden, wie gut ein Boden Nährstoffe speichern kann, ob er mit toxischen Substanzen belastet oder wie reich an Vitalstoffen er ist.

Ursprünglich war das Verfahren also als ein wissenschaftliches Hilfsmittel, insbesondere auch für die Landwirt*innen selbst, zur eigenen Anwendung gedacht. Aus den Pigmenten der gesammelten Erdproben werden Lösungen hergestellt und diese von einem mit Silbernitrat sensibilisierten Filterpapier aufgenommen. Das fertige Bild ist somit nicht nur eine Repräsentation der Erde bzw. ihrer Bestandteile, sondern es sind eben diese Komponenten an sich, die das Bild erst erzeugen.

Es zeigt die Erde, den Boden als Organ mit seinem eigenen Stoffwechsel. Während analytische Artikel zur selben Thematik, meist gefüllt mit Ziffern und Schlussfolgerungen, ein geschlossenes System darstellen, bleibt ein Bild etwas Offenes, ein Dialog, der von einer Frage zur nächsten führt und immer wieder neue Verbindungen und Assoziationen zulässt.

sechs abstrakte, kreisförmige Muster

Erd-Chromatografien

Diese Verästelung und Verwebung von unterschiedlichen Bereichen geschieht eben nicht nur an sich ähnelnden Stellen, sondern gerade auch dort, wo Verschiedenheit herrscht, wo man an Grenzen oder auf Komplikationen stößt.

So wie wir als Menschen durchlässig und nicht abgeschottet von der Umwelt sind, von ihr durchdrungen und beeinflusst werden, kann vielleicht auch die Fotografie noch durchlässiger werden, sodass es bei all dem weniger um ein exaktes Abbilden, ein Dokumentieren oder Festhalten gehen muss, sondern wesentlich um das Beobachten von und das Arbeiten mit den alltäglichen Rhythmen des Lebens und der Welt.

Das Bild an sich ist hier nicht mehr das Ziel, sondern eigentlich erst der Anfangspunkt des Experiments. Fotografie wird betrachtet nicht als etwas, das in Archivkisten gelagert oder auf Festplatten gespeichert wird, sondern als etwas durch und durch Lebendiges – ein Prozess des Sehens, Spürens und Bewegens.

Quellen und weiterführende Literatur

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