drei Bücher „werden“ aufgestellt
17. Dezember 2021 Lesezeit: ~4 Minuten

Rezension: Kristina Feldhammmer – „werden“

Zu meinen liebsten Entdeckungen in diesem Jahr zählt die Künstlerin Kristina Feldhammer aus Wien. In ihren Bildern verbindet sie im weitesten Sinne Aktfotografie mit der Liebe zur Natur als Urform der Heimat mit den Mitteln experimenteller analoger Fotografie.

Gerade frisch erschienen ist ihr Buch mit dem Titel „werden“. Dabei handelt es sich nach „Inlumaeh“ (2014) und „Tera“ (2015) um ihre dritte große Publikation, die ausgewählte Selbstportraits aus den Jahren 2015 bis 2020 zeigt. Diese sind auf 220 Seiten zu finden, das Format ist mit ca. 24 x 29 cm etwas größer als A4, gebunden in ein stabiles Softcover, das sich haptisch zwischen Hardcover und dem klassischen Taschenbuch verorten lässt.

Fotobuch Doppelseite mit zwei experimentellen Fotografien

Fotobuch Doppelseite mit zwei experimentellen Fotografien

Eröffnet wird „werden“ durch ein kurzes Vorwort von Jonathan Berman, der auf die Besonderheit eingeht, dass Kristina Feldhammers Arbeiten auf spezielle Weise das Werk einer einzelnen Person bzw. eines einzelnen schaffenden Geistes sind. Sie ist ihr eigenes Modell – oder genauer: Darstellerin –, zugleich die Fotografin der Szenerie und auch mit dem entstandenen Material in der Dunkelkammer experimentierende Künstlerin.

Sie nutzt ihren Körper eher wie ein Werkzeug, geleitet unter anderem von Butoh, einer japanischen Technik des abstrakten Tanztheaters, um die Orte durch Interaktion zu erforschen. Auf die fließenden Übergänge ist sie in „Zergliedere mich in Tausende Stücke, immer wieder“ im Juni hier schon eingegangen:

Wo endet etwa der Körper und wo beginnt die Umwelt? Was geschieht, wenn diese Grenzen verschwimmen? Dieselbe Idee verfolge ich in der Dunkelkammer: Wo genau endet mein Werk, mein Schaffen, und wo beginnt die Eigenständigkeit eines Bildes?

Fotobuch Doppelseite mit experimenteller Fotografie und abstrakter Zeichnung

Fotobuch Doppelseite mit zwei experimentellen Fotografien

Der vorliegende Band kommt insgesamt mit sehr wenigen Worten aus. Nach dem fast 200 Seiten umfassenden Bildteil finden sich noch eine Kurzbiografie, verfasst von Isabel Biederleitner, sowie eine Werkliste, in der anhand der Seitenzahlen die Titel, das Entstehungsjahr sowie die verwendeten Medien der Bilder nachvollziehbar sind.

Die Entscheidung, diese Informationen nicht direkt neben den Bildern unterzubringen, führt dazu, dass man so etwas wie eine verschlüsselte Schatzkarte in den Händen hält. Ich habe in den letzten zwei Tagen schon viel Zeit damit verbracht, einerseits nachzuschlagen, mit welchem Medien dieses oder jenes Bild umgesetzt wurde und andererseits zurückzublättern, um zu sehen, welches Bild sich hinter einem zutiefst poetischen Titel in der Werksliste verbirgt.

Fotobuch Doppelseite mit zwei experimentellen Fotografien

Fotobuch Doppelseite mit zwei experimentellen Fotografien

Auf eine Schatzsuche in die eigenen Gedanken führen außerdem ein paar eher kurze, assoziative Gedankenfetzen, die sich vor und hinter dem Bildteil finden sowie eine Art von Referenzliste mit Zitaten bzw. Stichworten zu anderen Künstler*innen, die sich mit dem großen Thema „das Selbst und das Andere“ befasst haben.

Darin dürften sich für die meisten Menschen bekannte sowie unbekannte Bezüge finden. Ich lese etwa die Zeile „the agony of self-existence“ und daneben den Namen Hermann Hesse. Sogleich öffnet meine Erinnerung ein ganzes Füllhorn weiterer Werksbezüge zu Hesse, die ich wie eine Brille aufsetzen und durch dieses Glas hindurch die Bilder erneut betrachten kann.

Andere Namen wie Sondra Fraleigh oder Yukio Waguri sind mir noch unbekannt. Ich mache mich auf die Suche nach ihnen und finde mir neue Zugänge zur Welt. Auf eine wieder andere Weise interagieren einige abstrakte Skizzen mit den ihnen gegenübergestellten Dunkelkammerarbeiten. Linien und Texturen hier wie dort und doch ganz anders.

Buchumschlag „werden“

Kristina Feldhammers künstlerische Praxis wirkt auf mich ungemein inspirierend, obwohl oder vielleicht gerade weil sie ähnliche Themen und Bezüge – Natur, experimentelle Analogtechniken, künstlerische Medien abseits der Fotografie – bearbeitet wie ich und doch bei völlig anderen Ergebnissen landet. Nicht zuletzt ist sie ein goldener Streif am Horizont der Aktfotografie.

Allen, die jetzt interessiert, aber vielleicht nicht abschließend überzeugt sind, möchte ich ihre Zines ans Herz legen: Sie erscheinen quartalsweise und sind ebenfalls über ihren Etsy-Shop beziehbar. Kristina Feldhammers Arbeiten findet Ihr auf ihrer Webseite sowie auf Instagram oder Facebook. Außerdem könnt Ihr sie auch via Patreon unterstützen und dort tiefere Einblicke in ihre Arbeiten erhalten.

 

Informationen zum Buch

„werden“ von Kristina Feldhammer
Sprache: Englisch/Deutsch
Einband: Softcover
Seiten: 220
Maße: ca. 24 x 29 cm
Auflage: limitiert, 500 Stück
Verlag: Cyclic Press
Preis: 40 €

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