24. Januar 2023 Lesezeit: ~9 Minuten

of Corse.

Ich denke, jeder Mensch kennt magische Momente, in denen man mit den richtigen Personen zur richtigen Zeit zusammenkommt. Dann entstehen großartige Gespräche, Ideen und wenn besagte Personen fotografieren, auch fantastische Bilder. Im Sommer 2021 trafen sich gleich neun Fotograf*innen auf Korsika. Sie kannten sich bis dato nur über das Internet und harmonierten wunderbar. Die Ergebnisse dieses Experiments sind aktuell in Basel zu sehen.

Zwei der Fotografinnen, Chantal Convertini und Felicitas Schwenzer habe ich zum Zoomtelefonat getroffen, um genauer über ihre Arbeiten und die Erfahrung zu sprechen.

Chantal, Du hast das Ferienhaus gemietet und die anderen eingeladen. Wie kam es zu der Idee?

Chantal: Da sind mehrere Wünsche zusammengeschmolzen. Ich wollte zum einen gern einfach in einem Haus am Meer sein, aber ich wollte auch viele kreative Menschen um mich herum haben. Und dann waren da noch all die tollen Künstler*innen, die ich zum Teil nur aus dem Internet kannte und mal im echten Leben kennenlernen wollte.

Du wusstest nur, dass Dir ihre Bilder gefallen? Klingt nach einem hohen Risiko. Was, wenn es menschlich nicht passt und die Fotografie die einzige Gemeinsamkeit ist?

Chantal: Ja, privat habe ich von vielen überhaupt nichts gewusst. Das war sehr spannend. Wir haben uns dann über die Fotografie kennengelernt und der gegenseitige Respekt für die jeweiligen Arbeiten hat Brücken geschlagen. Aber klar, unsere Gruppe ist unglaublich verschieden. Wir haben sehr extrovertierte, lustige, laute Leute, aber auch ganz stille Menschen. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, wie der Schweiz, Deutschland, Brasilien und den USA. Catia ist Anwältin, Dafni ist Chirurgin, andere studieren Kunst oder sind Freiberuflerinnen.

Warum hat es sich trotz dieser Unterschiede so harmonisch angefühlt?

Felicitas: Ich denke, unsere Art der Fotografie ist eine sehr persönliche Kunstform und dadurch auch ein guter Indikator dafür, wie man als Mensch ist. Wir alle brennen für die Fotografie und das ist natürlich ein vereinender Faktor. Ob wir langfristig gut zusammen leben oder zusammen arbeiten könnten, ist wieder eine andere Frage. Aber in diesem zeitlich begrenzten, künstlerischen Rahmen waren wir alle auf einer Wellenlänge.

„Zwölf gute Fotos im Jahr sind eine gute Ausbeute.“ Dieses Zitat wird Ansel Adams zugeschrieben. Ihr habt in wenigen Tagen weit über 100 Bilder erstellt. Wie fühlt sich so eine kreative Hochphase an?

Chantal: Nach dieser Woche war mir klar, dass das genau das ist, wofür ich atme. Die Kreativität hörte einfach nicht auf. Die Ideen, Motivation und Inspiration erfüllten alles. Ich konnte gar nicht nur zwölf Fotos machen, denn ich musste ja von jeder Person ein Foto machen, dann von jeder Person in jeder Konstellation und natürlich auch von jeder Person ein Foto machen lassen! Und am besten auch noch mindestens ein Selbstportrait. Es hat einfach immer irgendwo eine Kamera geklickt.

Das klingt schön, aber auch ein bisschen stressig. Wie nimmt man da den Druck für sich selbst heraus? Wie schafft man es, sich nicht mit den anderen zu vergleichen und klein zu fühlen?

Felicitas: Ich denke, es ist sehr individuell, wie man damit umgeht. Man kann es als Chance und Inspirationsquelle sehen, aber es kann auch einschüchtern sein. Ich empfand es als sehr spannend und schön, zu sehen, was die anderen machen und wie unterschiedlich wir die Dinge wahrnehmen. Wie Bilder entstanden sind, an die ich nie gedacht hätte. Das war für mich kein Druck, sondern eher Bestätigung: Wie schön, dass das jemand einfängt. Zu mir und wie ich arbeite, passt es aber nicht.

Natürlich sind auch ähnliche Ideen zustande gekommen. Bei einigen Fotos habe ich erst im Nachhinein gesehen, dass das Motiv schon eine andere Person für sich entdeckt hat oder es gab zum Beispiel sehr ähnliche Fotos mit derselben Lampe.

Was macht man in dem Fall? Spricht man sich dann ab, wer es veröffentlichen darf oder ist es ganz egal, wenn etwas sehr ähnlich ist?

Felicitas: Das Schöne ist, dass dasselbe Motiv am Ende doch ganz anders aussieht. Es ist vielleicht die gleiche Lampe, aber die unterschiedliche Umsetzung ist dann spannend. Wir benutzen alle eine andere Kamera, einen anderen Film, die Bearbeitung ist sehr individuell, einige belichten ihre Bilder sehr bewusst immer unter, andere wählen eher ungewöhnliche Bildausschnitte. Das empfanden wir als so spannend, dass wir daraus eine Challenge gemacht haben. Es gab eine Muschellampe im Haus, mit der alle ein Foto machen sollten. Dabei sind so unterschiedliche Dinge herausgekommen, von Doppelbelichtungen bis hin zu Spiegelselbstportraits.

Chantal: Hier findet man dann auch die Übersetzung zum Ausstellungskonzept. Jeder Raum in der Ausstellung hat ein bestimmtes Themengebiet. Es gibt diesen Abend am Strand, den Pool, den blauen Raum und den grünen Raum. Die einzelnen Bilder von uns ergänzen sich gegenseitig und ergeben am Ende immer ein Gesamtbild im Raum. Sie repräsentieren ein Thema oder ein Gefühl. Man reist in der Ausstellung von Thema zu Thema. Im Eingangsbereich wird man an den Strand gespült, dann kommt man auf die Insel und wird ins Haus eingeladen.

Dass aus Eurem Treffen eine Ausstellung wird, wusstet Ihr damals noch nicht. Denkt Ihr, es wären mit dem Wissen andere Bilder entstanden? Hättet Ihr anders fotografiert?

Chantal: Du hast vorhin den Druck angesprochen. Der wäre dann natürlich viel größer gewesen. So waren wir komplett frei und hätten auch einfach gar nicht fotografieren können, wenn uns nicht danach gewesen wäre. Für das Ausstellungskonzept haben wir uns später noch einmal eine Woche lang getroffen. Es war schön, alle wiederzusehen, aber es war plötzlich auch viel schwieriger, sich zu einigen und die Bilder und Themen auszuwählen.

Felicitas: Ich habe für mich auch gemerkt, dass meine Bilder von Korsika gar nicht repräsentativ für meine bisherige Arbeit sind. Normalerweise habe ich ein festes Konzept und treffe mich mit meinen Modellen für eine sehr begrenzte Zeit. Während unseres Treffens konnte ich wirklich Tag und Nacht fotografieren. Ich hatte die große Freiheit, kurz nebenbei ein Foto zu machen, weil die Lichtsituationen gerade so besonders war. Das geht sonst nicht, weil ich immer auf ein Modell angewiesen bin. So sind viele Bilder aus dem Moment heraus entstanden. Mit Blick auf eine Ausstellung wäre da der Druck, dass ich immer das abliefern will, was ich wirklich von mir zeigen möchte. Ich hätte nie so frei arbeiten können.

Wie ist es zur Ausstellung in Basel gekommen?

Chantal: Ich hatte bereits länger Kontakt zum Direktor des Hauses und er bot mir in der Vergangenheit an, wenn ich mal eine Arbeit habe, die für eine Ausstellung in Frage kommt, soll ich auf ihn zukommen. Ich habe nach dem Treffen dann meinen Mut zusammengefasst und ein Portfolio unserer Bilder zusammengestellt und geschickt. Fotoausstellungen gibt es Tausende und gute Fotografien gibt es Millionen. Was er an unserem Projekt gut fand, war, dass wirklich alles gemeinsam entstanden ist. Es gab nicht einen Fotografen, der ein Model bucht und dann etwas distanziert fotografiert…

… ja, Eure Arbeit ist vor allem sehr gleichberechtigt.

Genau. Ich denke deshalb hat er auch gesagt, dass wir die Ausstellung kuratieren sollen. Es ist einfach ein großes Gemeinschaftsprojekt.

Wie sind denn die Rückmeldungen zur Ausstellung?

Felicitas: Es war wohl der erfolgreichste Eröffnungsabend bisher. Für mich besonders schön: Meine Familie hat mit Fotografie eigentlich nichts am Hut, aber sie waren alle in der Ausstellung und fanden sie toll. Ich bekomme sehr viel Wertschätzung für die Arbeit, vor allem auch von Menschen, die bisher keinen Kontakt zu Aktfotografie hatten.

Chantal: Ja, das Feedback ist überwältigend positiv. Beim Aufbau hatte ich hin und wieder kalte Füße. Die Ausstellung ist wirklich groß, es ist ein anderes Niveau, eine andere Visibilität; auch eine andere Verletzlichkeit, wenn Bilder von Dir oder Bilder, auf denen Du zu sehen bist, so riesig an den Wänden hängen. Es war beängstigend, aber jetzt ist es vor allem unglaublich schön. Das Interesse ist riesig und jede Führung überlaufen. Jedes Mal stehen 30 bis 40 Menschen vor uns, die zuhören, die es wirklich interessiert und die die Bilder zum Teil auch stark berühren.

Das einzig Negative sind bisher die Medien. Sie greifen immer nur die Nacktheit auf und titeln „Neun nackte Fotografinnen auf Korsika“ und Ähnliches. Ja, wir sind oft nackt auf den Bildern, aber darum geht es überhaupt nicht.

Ausstellungsansicht

Ich konnte die Ausstellung bisher leider nicht sehen und kenne nur einzelne Bilder. Ich sehe darin aber auch vorrangig starke Gefühle von Vertrautheit, Natürlichkeit und Verletzlichkeit. Schade, dass der Fokus so falsch gelegt wird, wenn über die Ausstellung geschrieben wird.

Chantal: Ja, deshalb macht Euch gern ein eigenes Bild und kommt alle nach Basel! (lacht)

Informationen zur Ausstellung

of Corse
Zeit: 8. Dezember 2022 – 12. Februar 2023
Ort: Kulturstiftung Basel, H. Geiger | KBH.G, Spitalstrasse 18, 4056 Basel (Schweiz)

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