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11. November 2022 Lesezeit: ~10 Minuten

Der Körper an sich als pures, zeitloses Kunstwerk

Die ersten Arbeiten von Gundula Blumi haben wir vor fast genau acht Jahren das erste Mal hier im Magazin gezeigt. Als sie ihre oft bonbonbunten Bilder vor Kurzem von Landschaften zu Portraits und Aktaufnahmen erweitert hat, lud ich sie zum Interview ein.

Darin sprechen wir darüber, was sie überhaupt dazu anregt, Menschen zu fotografieren und was das besondere Portrait ausmacht. Wir streifen das Problem der Zensur nackter Körper in sozialen Netzwerken und kommen auch auf die Parallelen und Unterschiede zum Fotografieren von Landschaften zu sprechen.

Hallo Gundula, danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview nimmst. Zuerst, erzähl uns doch einmal etwas über Dich: Wer bist Du und was machst Du?

Ich bin 35 Jahre alt und lebe seit 15 Jahren in Berlin, ursprünglich komme ich aus einer norddeutschen Küstenstadt. Ich arbeite bei einer Organisation, die sich für die Barrierefreiheit in Deutschland einsetzt, und fotografiere seit vielen Jahren experimentell, seit mich surreale Motive in ihren Bann gezogen haben.

Lange waren es einsame Landschaften, die ich zum Fotografieren aufsuchte, aber es kam mit der Zeit mehr und mehr der Wunsch auf, Menschen zu portraitieren. Ich habe lange gebraucht, dies in Angriff zu nehmen, da es für mich meist eine Herausforderung ist, auf Menschen zuzugehen.

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Modell: Irina Lozovaya

Woher kam der Wunsch, Menschen vor Deine Kamera zu holen? Was wolltest Du abbilden oder was hat Dich da vielleicht inspiriert?

In meiner Teenagerzeit und bis Mitte 20 habe ich exzessiv die Menschen in meinem engen sozialen Umfeld fotografiert – ganz automatisch irgendwie, um die gemeinsamen erlebten Momente festzuhalten. Ich bin jemand, der Vergänglichkeit oft als schmerzvoll empfindet und habe daher versucht, mit Bildern die Zeit, oder vielmehr die Emotionen, zu konservieren. Das hat mir eine Art Sicherheit gegeben.

Was mich heutzutage an der Portraitfotografie fasziniert, ist die Ebene, die über dem bloßen Portrait wahrnehmbar ist. Man sieht ja nicht nur einfach eine Person auf dem Bild, sondern es schwingt immer etwas mit; eine bestimmte Stimmung oder die Aura der Person. Ich mag es, wenn ein Portrait nicht steril und „glatt“ ist, sondern vielleicht sogar etwas hat, das irritiert, etwas, das stört. Denn das Wesen eines Menschen ist ja nie glatt, sondern komplex und widersprüchlich.

Während des Fotografierens von Landschaften habe ich irgendwann gespürt, dass es an der Zeit ist, etwas Neues auszuprobieren. Ich habe es daran gemerkt, dass das Fotografieren einfach nicht mehr funktioniert hat. Als ob mich etwas in eine andere Richtung schubst. Und als ich dann die ersten bewussten Portraits schoss, war der Flow plötzlich wieder da.

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Selbstportrait

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Modell: Aleksandra Debska

Du hast Dich ja nicht nur an Portraits gewagt, sondern auch ziemlich direkt Aktaufnahmen gemacht, wenn ich das richtig gesehen habe. Wen hast Du für diesen großen Schritt vor die Kamera gebeten?

Aktfotografie hat mich schon immer fasziniert: Dieses Pure und Zeitlose, der Körper als für sich stehendes Kunstwerk. Meine ersten Aktshootings entstanden aus der Situation heraus, mit guten Freundinnen. Charline ist eine von ihnen, wir verbrachten regelmäßig zauberhafte Rotweinabende, an denen ich Aktbilder von ihr machte und danach tanzten wir uns durch die Berliner Nacht.

In diesem Jahr bin ich dann endlich mal über meinen Schatten gesprungen und habe Frauen und Männer fotografiert, die ich noch nicht oder kaum kannte. Männerkörper sind so unterrepräsentiert in der Aktfotografie, ich finde, das sollte sich ändern. Außerdem experimentiere ich mit Selbstportraits. Das ist ein Kanal, durch den meine Gefühle fließen können.

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Modelle: Marcus (links) und Konrad (rechts)

Hast Du beim Veröffentlichen von Aktfotos statt Landschaften auf Instagram schon ‚interessante‘ Erfahrungen gemacht? Zensierte Bilder oder völlig anderes Feedback des Publikums?

Oh ja, dieses Thema der Zensur ist ein großes! Dass der natürliche weibliche Körper nicht gezeigt werden darf, finde ich hochproblematisch. Ich empfinde es als Unterdrückung und als Gewalt Frauen gegenüber – das ist ein Thema, das mich richtig wütend macht. Das Schlimmste daran ist diese Ohnmacht – man muss sich dem beugen oder fliegt halt raus. Das ist pervers.

Und ich denke, dass diese Zensur die Entwicklung der Kunst bzw. Portraitfotografie beeinflusst, weil sich ein großer Teil der Fotoszene auf sozialen Netzwerken abspielt, wo Künstler*innen sich finden, inspirieren, austauschen und ausdrücken.

Als ich fast ausschließlich Landschaftsbilder veröffentlicht habe, war ich ja sozusagen „systemkonform“, da habe ich das Problem nur am Rande beobachtet, aber es hat mich nicht selbst betroffen.

Das Feedback des Publikums ist eigentlich nicht völlig anders, im Großen und Ganzen ist es sehr positiv und darüber freue ich mich jedes Mal, aber es gibt auch einige belästigende Nachrichten die Nacktheit betreffend. Leider.

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Modell: Irina Lozovaya

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Modell: Irina Lozovaya

Wie denkst Du, ist es noch möglich, besondere Portraitaufnahmen zu machen in einer Zeit, die von Selfies und der scheinbaren Besessenheit jedes einzelnen (besonders jungen) Menschen von Details des eigenen Aussehens geprägt ist? Und selbst das Genre der Aktfotografie wird ja inzwischen ähnlich massenweise bespielt.

Ich finde es toll, wenn Menschen den Mut haben, sich mit ihrem Körper auszudrücken, zu experimentieren und sich vor der Kamera auszuprobieren. Es ist ein bisschen wie Theater spielen und kann sehr bereichernd sein, weil man sich selbst in einem neuen Licht sieht. Wichtig ist, dass man dabei Spaß hat.

Manche Bilder haben diese Würze, man bleibt mit dem Blick an ihnen hängen. Was man speziell tun muss, damit ein Bild ein besonderes wird, ist schwer zu sagen. Es passiert einfach – oder eben nicht. Es ist der entscheidende Moment, der entscheidende Ausschnitt, das entscheidende Licht, der Gesichtsausdruck oder eine spezielle Bewegung – eben die sehr persönliche Entscheidung des Künstlers für genau dieses eine Bild, diesen Moment – man fühlt dann einfach, dass es das ist.

Ein Bild stellt eine Symbiose zwischen dem Modell mit seinem Ausdruck und der Fotografin mit ihrer Entscheidung dar. Und für mich ist genau das die Herausforderung, die Spaß macht und aufregend ist bei der Portraitfotografie. Das Besondere zu erwischen. Und wenn man das mit einem Selbstportrait schafft, bei dem man ja Fotograf*in und Modell zugleich ist, der Ausdruck also komplett von einem selbst kommt, ist das ein tolles Gefühl.

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Modell: Sophie Giménez

Immer, wenn ich eine neue Portraitarbeit von Dir sehe, schaue ich unweigerlich auch darauf, ob ich Parallelen oder Unterschiede zum Stil Deiner Landschaftsbilder entdecke. Wie siehst Du selbst diese beiden Ausdrucksformen mit ihren stilistischen Brücken und Eigenständigkeiten?

Wenn ich Landschaften fotografiere, versinke ich total in mir, bin meist ganz für mich allein und bleibe manchmal gefühlt ewig an einem Ort und arbeite mit dem Motiv, dem Licht und Prismen.

Das Fotografieren von Menschen fühlt sich anders an, da ist ja dann noch jemand anderes da und es entsteht eine Verbindung zwischen der Person und mir, man spielt sich aufeinander ein, kommuniziert. Und es ist am Ende im wahrsten Sinne des Wortes Leben im Bild. Landschaft ist natürlich auch Leben, aber die Wirkung ist einfach anders.

Ich finde, Landschaftsbilder sind eher kühl, weiter, befreiender. Ich habe immer das Gefühl, durchatmen zu können, wenn ich Landschaftsbilder sehe und Portraits sind lebendig und warm und fühlen sich irgendwie „näher“ an, so nehme ich das wahr.

Beide Ausdrucksformen haben bei mir einen surrealen Touch, da sehe ich schon Parallelen, auch in der Licht- und Farbkomposition.

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Modell: Irina Lozovaya

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Selbstportrait

Mal abgesehen von den Motiven selbst, die oft einfach dazu einladen, fotografiert zu werden, was gibt es für weitere Einflüsse, die Dich inspirieren?

Meist staut sich irgendetwas in mir an und dann sehe ich plötzlich etwas in einem Motiv; der Blick aufs Motiv ist gleichzeitig ein Blick nach innen. Wenn der Blick nach innen blockiert ist, sehe ich auch „nichts“ durch die Kamera bzw. ich spüre dann kein Motiv. Der innere Zustand ist also auf jeden Fall ein Einfluss. Und natürlich auch alles, was von außen kommt und etwas in mir auslöst, das kann vieles sein. Aber es ist immer das Außen, das eine Verbindung mit dem Inneren eingeht.

Bei der Portraitfotografie ist das, was mich inspiriert, die Person vor der Kamera und das Spannende ist dann für mich, zu verstehen und aufzunehmen, was die Person mitbringt, welche Schwingung, welche Aura. Auf den Bildern kristallisiert sich dann oft ein bestimmter Stil heraus, der bei jeder Person etwas anders ist.

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Selbstportraits

Mit welcher Ausrüstung arbeitest Du und welche Rolle spielt in Deinem Prozess die gewählte Technik?

Nach Gefühl wähle ich eine analoge oder digitale Kamera. Ich mag die digitale Sterilität in bestimmten Landschaftsbildern, analoge Bilder sind wärmer und wirken schwerer. Meistens fotografiere ich mit einer Leica R-E, die mir mein Opa überlassen hat, oder mit einer Canon A1. Und meine prismatischen Linsen sind immer mit dabei, seltener auch ein Blitz. Die Polaroidkamera benutze ich meist nur, wenn ich meine Stimmung in Selbstportraits verarbeite.

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Selbstportrait

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Modell: Irina Lozovaya

Was sind Deine nächsten Projekte, kurzfristigen Ziele und langfristigen Träume?

Zurzeit arbeite ich an einer Polaroidserie zum Thema Overload und Dissoziation, es ist ein fortlaufendes Projekt. In Zukunft möchte ich mich noch intensiver mit der Portraitfotografie beschäftigen, mich ausprobieren und mit anderen Personen austauschen und mit ihnen gemeinsam kreieren. Ganz aus den Augen lasse ich die Landschaftsfotografie natürlich nicht. Dafür zieht es mich ganz in den Norden, geplant ist eine Zugreise nach Nordnorwegen, die ich wegen Corona immer wieder verschoben habe.

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Modell: Natalie

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Modell: Marcus

Gundula, vielen Dank für diese Einsichten in Deine Arbeit und Deine Gedanken dazu. Ich bin gespannt darauf, diese Projekte in der Zukunft von Dir sehen zu können.

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