30. November 2022 Lesezeit: ~5 Minuten

Körper und ihre Funktion

Für mich ist es aufregend, nach der Geschichte gefragt zu werden, warum ich angefangen habe, nackte Körper zu fotografieren, denn sie ist im Grunde eine ziemlich traurige. Der menschliche Körper war für mich schon immer ein Mysterium, vor ein paar Jahren noch jedoch aus einer anderen Motivation heraus.

Ich habe meine gesamte Kindheit und Jugend lang Leistungssport betrieben, war auf einer Sportschule und kannte Körper nur im Kontext der Funktion. Es ging immer darum, schneller, besser und perfekter zu funktionieren, um Leistungen abliefern zu können. Wir wurden regelmäßig auf die Waage gestellt, damit unser Körpergewicht dokumentiert werden konnte, um später die bestmögliche sportliche Leistung zu zeigen.

Um es kurz zusammenzufassen: Ich realisierte erst später, wie toxisch dieses gesamte Umfeld für mich war und begann, mein eigenes Selbstwertgefühl wieder aufzuarbeiten. Mir wurde einmal zu oft gesagt, meine Muskeln seien nicht groß genug, mein Ehrgeiz nicht stark genug, ich selbst nicht gut genug. Mein Körper veränderte sich, als ich aufhörte, jeden Tag eine neue Bestleistung abzuliefern und ich fühlte mich unglaublich unwohl in ihm.

Nackter KörperDrei Menschen nackt im Detail

Es war die Zeit, in der ich anfing, Selbstportraits zu fotografieren, später entstanden immer mehr Aktaufnahmen. Ich machte die Bilder aus der Motivation heraus, mich selbst kennenzulernen und neue Perspektiven zu entdecken. In den Aufnahmen ging es darum, meinen Körper überhaupt auf eine ästhetische Weise wahrnehmen zu können und zu akzeptieren, wie meine äußere Hülle aussieht.

Ich teilte die Bilder im Netz, bekam viele Kommentare und fühlte mich hübscher. Absurd, richtig? Andere Menschen über den eigenen Körper urteilen zu lassen, damit sie zu der Annahme kommen, ich sei hübsch genug, um einen Kommentar zu verfassen?

„Männer sehen Frauen an, während Frauen sich als Betrachtete wahrnehmen“, ist ein Zitat von Lothar Schirmer, das nicht nur den Bildband „Frauen sehen Frauen“, sondern auch meine künstlerische Abschlussarbeit für die Universität einleitet. Es ist ein Zitat, das mich schon sehr lange begleitet und der Auslöser dafür war, dass ich anfing, mir viele Fragen zu stellen.

Wie bin ich an den Punkt gekommen, zu glauben, das Aussehen meines Körpers wäre relevanter als seine Funktion? Warum bleibe ich in meiner Komfortzone und stelle in meinen Fotografien nur mich selbst dar? Was würde passieren, wenn ich die Rollen tausche und selbst zur Betrachterin werde?

Schwangere Person nackt auf der Erde liegendNackter Körper gebeugt

Ich fing damit an, immer mehr Menschen Akt zu fotografieren und stellte fest, dass ich es viel spannender finde, den Menschen in dem Körper kennenzulernen, seine Geschichte zu hören und zu schauen, was wir daraus machen. Ich liebe es, zu sehen, wie die Menschen vor meiner Kamera die Augen schließen, sich wohl fühlen und intuitiv in sich hineinfühlen. Schauen, in welche Richtungen sie sich eigentlich bewegen können und wie sie sich selbst dabei wahrnehmen. In meinen Augen ist dies der Punkt, den wir in der Aktfotografie viel zu oft vergessen: Körper dürfen unterschiedliche Formen haben, sie dürfen verschieden flexibel sein – das, was zählt und ausstrahlt, sind die Menschen darin.

Entstanden sind in den letzten Jahren viele Fotografien, auf denen verschlungene Körper abstrakt abgebildet werden und bei denen es vor allem um eins geht: Menschen, die sich wohlfühlen und für einen kurzen Moment vergessen, was die Gesellschaft ihnen über Körperideale, Nacktheit oder Sexualität erzählt. Vielleicht sieht man daneben in den Aufnahmen ebenfalls einen kleinen Teil von mir, meine geradlinige symmetrische Ästhetik, meine Liebe zur Natur und die Ruhe, die ich versuche, zu finden.

Das ist die Gedankenblase, die ich mir selbst aufgebaut habe und in der ich mich wohlfühlen kann. Bis die Gesellschaft kommt und mich fragt, warum die Menschen in meinen Fotografien immer nackt sein müssen. Menschen im Netz, die sich herausnehmen, über die Körperformen anderer zu urteilen und sich höchstwahrscheinlich mit sich selbst auch nicht wohlfühlen. Frauenkörper, die sexualisiert werden. Die soziale Plattform Instagram, die gar nicht mehr so sozial agiert, wenn sie mit ihrer Zensur Aktfotografien als Abbildungen sexueller Handlungen fehlinterpretiert.

Drei nackte Menschen ineinander gebeugtNackter Körper auf ausgetrocknetem Boden

Manchmal frage ich mich, warum wir diese Diskussionen überhaupt noch führen müssen. Wann werden wir alle verstehen, dass Nacktheit etwas Natürliches ist und wir wichtigere Dinge zu klären haben als das Aussehen unserer äußeren Hüllen? Dass alle Körper normal sind und auf ihre eigene Weise eine spannende Ästhetik haben?

Ich habe mich und meinen Körper schlecht gemacht, bis mich die Fotografie Besseres gelehrt hat. Solange sich Menschen vor meiner Kamera wohler fühlen, sich aus neuen Perspektiven entdecken, wird das meine Motivation sein. Gemeinsam mit ihnen Körperformen zu entdecken und ihnen ein gesundes Gefühl mit auf den Weg zu geben.

Ähnliche Artikel