Die Schönheit des Alters
Im Frühjahr hatten wir das Adobe Creative Resident Programme beworben – ein Förderprogramm für Kreative. Als ich dann neugierig nachsah, wer mit welchen Projekten angenommen wurde, freute ich mich sehr, einen bekannten Namen zu lesen: Laura Zalenga.
Sie hatte in der Vergangenheit bereits einige Gastartikel für kwerfeldein geschrieben und war auch eine Weile als Redakteurin im Magazin tätig. Ich freute mich noch mehr, als ich von ihrer Projektidee las. Sie wollte die Schönheit des Alters zeigen. In einer Zeit, in der man auf Instagram gefühlt schon mit 30 alt ist und auf Werbeplakaten ebenfalls nur Menschen in ihren Zwanzigern sieht, wollte Laura Menschen jenseits der 80 portraitieren.
Hattest Du das Projekt schon lange vor Deiner Bewerbung beim Adobe-Programm im Kopf?
Ich hatte das Projekt bereits seit etwa drei Jahren im Sinn. Bei meinen „1001 Strangers“ habe ich gemerkt, dass je älter die Menschen waren, die ich angesprochen hatte, sie umso wahrscheinlicher sagten, dass sie sich nicht schön genug für ein Foto fänden. Gleichzeitig hatte ich aber auch die besten Gespräche mit ihnen, weil sie Zeit und vor allem die Ruhe hatten, sich mit mir als Fremder etwas zu unterhalten.
Aus diesem Grund wollte ich zeigen, wie schön ältere Menschen sind. Die Gesellschaft und sie selbst übersehen viel zu oft, wie schön sie inhaltlich sind und wie selten wir diese Quelle der Lebensweisheit in Anspruch nehmen.
In unserer Gesellschaft und Politik wird das Alter in den meisten Fällen als Last dargestellt, oft vor allem als finanzielle Last. Als könnten diese Menschen nichts mehr zur Gesellschaft beitragen. Und das Erschreckende ist, dass die älteren Menschen das oft auch selbst so sehen. Das finde ich schlimm und möchte es ändern. Zumal wir ja selbst alle auf dieses Alter zusteuern und tendenziell immer älter werden. Wir wollen doch auch alle alt werden. Und da macht es Sinn, wenn wir uns auch auf die schönen Dinge des Alters freuen können.
Wie läuft so ein Shooting ab?
Ich treffe mich mit den Menschen und lerne sie kennen. Meist in ihren Wohnungen, denn viele sind nicht mehr so mobil und es ist für sie einfacher. Oft unterhalten wir uns zunächst erst einmal vier Stunden lang miteinander. Wobei unterhalten das falsche Wort ist, denn ich höre eigentlich vier Stunden lang vor allem zu. Die Menschen vertrauen mir fast immer ihre ganze Lebensgeschichte an.
Natürlich stelle ich auch Zwischenfragen, wenn ich etwas besonders spannend finde und nachhaken möchte. Zudem habe ich eine kleine Fragenliste, die mir für das Projekt sehr wichtig ist. Zum Beispiel: Was finden Sie schön am Alter? Was war Ihr Lieblingsalter? Welche Momente haben Sie als besonders schöne Momente in Erinnerung? Was war die beste Entscheidung Ihres Lebens? Wie alt möchten Sie werden? Vor was haben Sie Angst?
Man muss mir nicht jede Frage beantworten. Es soll entspannt ablaufen und man soll mir nur erzählen, was man wirklich möchte. Niemand muss mir seine Lebensgeschichte erzählen, auch ganz abstrakte Berichte, was für die jeweilige Person wichtig im Leben ist, sind willkommen.
Nach dem ganzen Reden bleiben meist noch etwa 15 Minuten für die Fotos. Viele werden wirklich nicht gern fotografiert, das merke ich. Alle erzählen immer sehr gern, noch niemand wollte sich nicht mit mir unterhalten. Aber zum Fotografieren braucht es tatsächlich diese Kennenlernzeit. Es fühlt sich ein bisschen nach einem Tauschgeschäft an. Ich höre zu und darf dafür am Ende fotografieren.
15 Minuten klingt nach einer Herausforderung!
Ja und die Bilder sind auch so schon eine große Herausforderung für mich. Dokumentarisches Arbeiten ohne zu inszenieren ist insgesamt neu für mich. Ich kann für das Projekt nicht dirigieren und sagen, dass wir uns jetzt mal vor die schönen Blumen im Garten stellen. Wir machen die Fotos meist dort, wo auch das Gespräch stattfand. Meist auf dem Sofa, mit den bunten Kissen, Stickereien und Teddybären im Hintergrund.
Normalerweise suche ich mir meine Locations ganz gezielt aus und räume den Hintergrund so auf, dass nichts stört und von den Personen ablenkt. Das geht hierbei nicht. Gleichzeitig ist dies aber auch das Schöne am Projekt. Ich kann dabei lernen, meine Kontrolle abzugeben und mich auch mal auf das Gegebene einzulassen. Es muss nicht perfekt sein.
Auch sehr spannend: Ich suche mir die Leute ja nicht aus. Sie rufen bei mir an oder schreiben mir eine E-Mail. Ich weiß nie, wie die Personen aussehen und was mich erwartet. Ich gehe dort hin und weiß nur das Alter und die Adresse. Wenn die Tür aufgeht, sehe ich die Person, mit der ich gleich die nächsten Stunden verbringen werde, zum ersten Mal.
Wie kommt es dazu, dass sie Dich anrufen und am Projekt teilnehmen möchten?
Das hat lange gedauert. Am Anfang hatte ich noch die Hoffnung, ich könnte die Menschen einfach auf der Straße ansprechen, wie bei meinem Projekt „1001 Strangers“. Aber das ging gar nicht. Ich habe es ein paar Mal versucht, aber dadurch, dass man nicht nur eine Minute braucht, sondern mindestens eine Stunde, geht es spontan einfach nicht. Und sich für später verabreden ging auch nicht, denn niemand hat jemals zurückgerufen. Sie kannten mich ja nicht.
Also habe ich in meiner Stadt alle Institutionen für Senior*innen angesprochen. Ich bin vor Ort gewesen, habe mich vorgestellt und das Projekt erklärt. Alle Organisationen waren von der Idee begeistert und haben mich stark unterstützt. Sie fanden es toll, dass sich ein junger Mensch für das Thema interessiert und haben mich weitergeleitet an den Strickkreis, den Mundharmonikakreis, den Gesangskreis und so weiter.
Es war wirklich witzig, wie ich zu Beginn bei all diesen Treffen dabei war, um die Menschen kennenzulernen. Ich war bei den Lokomotivführern und diversen Jahrgangstreffen. Wirklich überall und es hat Spaß gemacht. Und nach und nach haben Leute ja gesagt.
Dadurch, dass ich das Projekt in einer recht kleinen Stadt mache, hat es sich schnell herumgesprochen. Irgendwann kannten Leute, die ich auf diesen Treffen ansprach das Projekt bereits und es wurde dadurch viel einfacher.
Wie alt sind die Personen in Deinem Projekt?
Was ist alt? Das ist so eine schwierige Frage! Am Anfang hatte ich mir noch keine Grenze gesetzt und auch mal Leute dabei, die erst 74 Jahre alt waren. Irgendwann habe ich die Grenze auf ab 80 Jahren gesetzt, damit man zumindest ein paar Falten sieht und es auch optisch nach Alter aussieht.
Es hatten sich zum Beispiel auch Menschen gemeldet, die erst 62 Jahre alt waren. So alt ist mein Vater! Und der sagt über das Projekt, ich solle doch seine Mutter fotografieren. Eine Grenze zu ziehen war deshalb sehr wichtig. Von 80 bis 96 (die bisher älteste Person) gehören die Portraitierten jetzt grob zu einer Generation.
Das heißt auch, die Menschen haben zeitlich in etwa dasselbe erlebt.
Ja, genau, das ist sehr spannend. Wobei ich auch nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichten dieser Generation habe, denn die meisten Menschen von hier sind zum Großteil auf dem Land aufgewachsen. Das heißt, sie haben keine Stadtkriegsgeschichten erlebt und keine Bombenattacken gesehen. An einem anderen Ort würde ich sicher auch andere Geschichten hören.
Aber die Geschichten, die ich gehört habe, reichen mir. Ich habe bisher 23 Menschen besucht und in etwa 15 der Gespräche sind mir Tränen die Wangen hinuntergelaufen. Es sind zum Teil so unfassbare Erlebnisse, bei denen ich mir nur an den Kopf fasse und denke: Diese Menschen sitzen hier vor mir, haben Unglaubliches erlebt und sagen mir, dass sie zufrieden sind mit ihrem Leben.
Menschen, die ihr Kind verloren haben, als es gerade 18 Jahre alt war. Menschen, die 25 Jahre lang ihren Partner gepflegt haben bis sie ihn verloren. Das sind Schicksale, bei denen ich mich immer frage, woher sie ihre Kraft nehmen. Und das ist genau der Grund, warum ich dieses Projekt mache. Ich möchte zeigen, was für starke Menschen das sind, welche Werte sie haben und wie viel man von ihnen lernen kann.
Aber sie sitzen hinter irgendwelchen Haustüren und niemand bemerkt sie. Auch diese Langsamkeit und Ruhe, die sie in ihrem Leben haben, hat mir gezeigt, in was für einer verrückten Welt wir gerade leben, wie schnell alles ist und vor allem wie seltsam unwichtig vieles einfach ist.
Das Projekt verändert Dich?
Total und auf so vielen Ebenen. Zum einen natürlich fotografisch, zum anderen durch die Geschichten, die ich höre, aber auch durch die Tätigkeit selbst, einfach mal vier Stunden nur zuzuhören! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie bei einem Projekt auch nur ansatzweise so viel gelernt.
Gleichzeitig klingt es emotional sehr anstrengend. Wie gehst Du mit diesen belastenden Geschichten um?
Ja, ich nehme viel emotionalen Ballast mit. Das hätte ich am Anfang nicht gedacht. Ich hatte einfach nicht erwartet, dass die Leute so offen erzählen. Dass mir jemand erzählt, dass er zusehen musste, wie seine Mutter vergewaltigt wurde – da kann ich nicht nach Hause gehen, die Tür hinter mir schließen und mich auf einen Partyabend freuen.
Gerade in der intensiven Phase, in der ich sehr viele Menschen getroffen habe, bin ich jeden Morgen um 5 Uhr wach geworden und hatte diese Geschichten noch im Kopf. Psycholog*innen hatten vielleicht ein Training und wissen, wie sie so etwas nicht so stark an sich heranlassen können. Das fehlt mir völlig.
Dennoch motivierst Du junge Menschen dazu, ältere Menschen zu treffen.
Ja, absolut. Das Ziel meines Projekts ist es, dass andere junge Menschen sich regelmäßig mit einer Person über 80 treffen und Zeit mit ihr verbringen. Dieser regelmäßige Besuch ist bei mir auch mit einer Frau bereits entstanden. Ich besuche sie alle drei Wochen, wir gehen zusammen spazieren, trinken gemeinsam Tee.
Ich denke, in dieser Intensität mit nur einer Person bringt es beiden Seiten sehr viel. Für mich ist es fast ein wenig Meditation: Ich nehme mir Zeit und lerne viel durch die Gespräche. Auf der anderen Seite bringe ich ihr Wertschätzung entgegen, zeige ihr, dass sie wichtig ist. Ich denke, so etwas macht die Welt ein wenig besser.
Auf Instagram zeigst Du das Projekt etwas anders. Du zeigst Close-ups Deiner Portraits und überlagerst diese mit einem Zitat aus den Gesprächen. Wieso hast Du Dich für diese Art der Präsentation entschieden?
Ich wollte zum einen nicht von vornherein alle Bilder online zeigen. Ich arbeite an einer Ausstellung und einem Buch und es soll spannend bleiben. Zudem geht es mir auch viel mehr um die Zitate, als darum, wie die Personen genau aussehen. Man sieht hier die schönen Falten und liest die Zitate, die mir besonders wichtig sind.
https://www.instagram.com/p/BnB1_TMBdxg/?taken-by=beautyofage
Das Instagramprojekt hast Du auch nach außen geöffnet. Wenn ich richtig gesehen habe, kann man Dir eigene Portraits und Zitate schicken?
Ja, denn ich meine es mit meiner Idee, dass sich mehr junge Menschen mit älteren Menschen treffen sollten, ernst. Ich hoffe, so fühlen sich noch mehr dazu animiert, mitzumachen.
Müssen es Fremde sein?
Nein, es kann auch die eigene Oma sein. Meine Oma ist kurz vor dem Projekt verstorben und ich habe auf jeden Fall viel zu wenig mit ihr gesprochen, viel zu wenig gefragt. Und ich bereue es im Nachhinein, dass ich diese Gespräche nicht mir ihr geführt habe. Meine Oma hat immer gesagt „gehts bergnauf bergna“. Das ist Schwäbisch und bedeutet so viel wie „es geht den Berg hoch und hinunter im Leben“. In unserer Familie war dieser Satz wichtig und wir haben ihn übernommen.
Vielleicht haben Deine Leser*innen auch so einen prägenden Satz, eine Lebensweisheit und ein Foto ihrer Großeltern. Dann können sie mir das für die Instagramseite gern schicken!
https://www.instagram.com/p/BmfWDVfHE5d/?taken-by=beautyofage
Wie reagieren die Menschen auf Ihre Fotos? Du hast gesagt, Du triffst Dich mit einer Frau regelmäßig. Was hat sie zu ihrem Portrait gesagt?
Die Frau ist fast blind und ihre Sehkraft lässt immer weiter nach. Sie nutzt so ein Gerät, um Zeitung zu lesen. Es zoomt nicht nur die Buchstaben heran, sondern erhöht auch die Kontraste noch etwas. Als ich die Fotos mitbrachte, war ich schon etwas traurig, weil es meine Lieblingsfotos sind und sie sie wahrscheinlich nicht so sehen kann, wie ich sie sehe.
Sie hat sie aber dennoch mit ihrem Gerät betrachtet und gesagt, dass sie sieht, dass ihre Augen strahlen und sie sich erkannt fühlt. Das war so ein tolles Kompliment.
Oft verschicke ich die Bilder auch per E-Mail über die Kinder der Menschen. Und hier kommt auch oft das positive Feedback dann von den Familien selbst, denn sie sehen die Bilder als wichtige Erinnerung. Oft werde ich auch nach den Audiodateien gefragt, um die Stimme in Erinnerung behalten zu können.