20. Oktober 2011 Lesezeit: ~6 Minuten

Nichtichselbst-Portraits

Bewusst steht dieses Bild vor dem ersten Wort von mir. Ich wünsche mir, dass jeder, der das hier liest, erst das Bild betrachtet. Es ist nämlich eines der Bilder, die mich und was ich sagen will, am besten beschreiben. Worum geht es in diesem Bild? Was dieses Foto ausmacht, ist die Stimmung und was es erzählt, seine Geschichte und der Ausdruck in diesem Gesicht.

Es geht nicht darum, wer genau dieses Mädchen ist. Ob das Mädchen Laura oder Eva heißt, ist genauso unwichtig wie die Marke des gezeigten Handspiegels. Es geht nicht um den echten Menschen hinter diesem Gesicht. Es geht um das Bild an sich. Und das, was es erzählen will.

Fast alle meine Bilder sind inszeniert. Es entsteht eine Geschichte in meinem Kopf und ich überlege mir, wie ich diese durch nur ein Bild am besten erzählen kann. Ich suche Requisiten, überlege welche Lichtstimmung ich benötige, wie mein Schauspieler gekleidet sein muss und welche Pose er einnehmen soll. Und weil es praktisch ist, bin ich selbst dieser Schauspieler. Doch ich glaube, dass es der Fotograf ist, der durch sein Bild die Geschichte erzählt und nicht das Model.

Für mich selbst sind meine Fotografien keine „Selbstportraits“. Denn ich fotografiere nicht mich, sondern die Person, die ich in diesem Moment darstelle. Für jedes Bild schlüpfe ich in die Rolle der Person, um die es in der jeweiligen Geschichte geht. Was man auf dem Bild sieht, bin nicht ich. Es ist eine erdachte Figur und ihre erdachte Geschichte. Für mich spielt es keine Rolle, wer hinter dieser gespielten Fassade steht. Doch mich selbst als Schauspieler zu verwenden, hat sehr viele Vorteile.

Mit wenigen außer mir selbst, wäre ich in der Lage diesen intimen Moment auszubauen, der viele meiner Bilder trägt. Keinem außer mir selbst kann ich das Bild schon vorher vor seinem inneren Auge als perfekte Vorlage zeigen und nur ich selbst kann die Stimmung, die das Bild vermitteln soll, schon vorher spüren. Und was fast das Wichtigste ist, nur ich stehe mir selbst immer sofort und mit voller Begeisterung zur Verfügung.

Denn, wenn ich eine Fotoidee habe, will ich nicht erst das Modell, die Visagistin und den Assistenten für nächste Woche zusammensuchen. Ich muss das Foto jetzt machen. Und es soll mein Werk sein. Idee, Haare, Make-up, Modell, Foto, Überarbeitung. Ich will nicht nur der Finger sein, der auf den Knopf drückt.

Es ist ein gutes Gefühl, danach das fertige Bild zu sehen und sagen zu können, das hab ich ganz allein geschafft! Was für mich ein Foto ausmacht, ist die Stimmung, die es ausströmt und die Emotion, die es auf mich zu übertragen im Stande ist. Es ist nicht besonders schwer, ein „schönes“ Foto zu machen. Aber mit einem Foto einen Menschen zu berühren, ist eine große Kunst.

Ich wage nicht zu behaupten, dass ich es könnte, doch ich bin überzeugt, dass meine „Selbstportraits“ so viel näher an diesem Ziel sind als all meine anderen Fotografien. Ich beobachte seit Langem, dass Fotografen, die von Selbstportraits zu Modellfotografie wechseln, fast all ihren Reiz und ihr Vermögen, mich zu fesseln und zu berühren verlieren. Ich bin überzeugt, dass die besondere Stimmung, die von Selbstportraits ausgeht, durch nichts zu ersetzen ist. Klar, manchmal wäre es mit einem Modell so viel einfacher. Wie zum Beispiel bei diesem Bild.

Es besteht aus fünf Einzelbildern, die ich aus circa zwanzig Bildern ausgewählt habe. Das heißt zwanzig mal von der Kamera zum wackeligen, anderhalb Meter hohen Topf rennen, reinklettern, Pose und ‚klack’. Nur, um wieder heraus zu klettern, zur Kamera zu gehen und zu sehen, dass die Pose noch nicht stimmt – blaue Flecken inklusive. Aber was soll ich sagen? Es macht mich glücklich.

Egal, wie viele blaue Flecken, wie viele Kratzer, wie viel rennen, wie kalt, wie nass. Wenn das Bild am Ende so wird wie ich es mir erhofft habe, ist das unbezahlbar. Außerdem würde ich mich nicht trauen, von einem unbezahlten Modell zu verlangen, sich halbnackt vor mich zu stellen und Ballett zu tanzen.

Oder sich in eiskaltes Wasser zu legen und sich die Knie am Betonboden blutig zu schürfen.

Aber als Selbstportraitist hat man ja auch Tricks auf Lager. Das Stativ ist der ständige treue Begleiter und auch ohne Fernbedienung bekommt man das mit dem Fokus hin. Ich stelle einfach immer einen passenden Gegenstand statt mir auf und fokussiere darauf. Und mit Hilfe von Photoshop kann man kleine Hilfskonstruktionen retuschieren.

Alles in allem denke ich, drückt das Motto meiner Fotografie, mein Denken zum Thema Selbstportrait am besten aus: Don’t look at me – just feel my soul.

Ich muss aber auch sagen, für mich selbst ist das Thema Selbstportrait schon lange Alltag und eigentlich auch nicht das, was für mich Fotografie ausmacht. Mich faszinieren die Möglichkeiten. Vor allem auch die der Nachbearbeitung. Oft ist es nur eine leichte Farbveränderung oder –verstärkung, aber manchmal kreiere ich etwas völlig Neues. Wie bei diesen drei Fotos.

Ich liebe es, dass Photoshop mir die Möglichkeit gibt, völlig unmögliche Dinge realistisch erscheinen zu lassen. Ich mag es, wenn meine Bilder den Betrachter verblüffen und man zweimal hinschauen muss. 

Früher hat es mich sehr verunsichert, dass ich viel negative Kritik zum Thema Photoshop und Selbstportrait bekam. Mittlerweile bin ich selbstbewusst genug, um zu sagen, dass nicht jeder analoge Schwarzweiß-Fashion-Bilder von Modellen machen muss.

Was ich mache, ist genau mein Ding. Es macht mir, so wie es ist, unglaublich viel Spaß. Und das ist doch die Hauptsache, oder?

22 Kommentare

Schreib’ einen Kommentar

Netiquette: Bleib freundlich, konstruktiv und beim Thema des Artikels. Mehr dazu.

  1. Ein wunderschöner Artikel mit wundervollen Bildern!
    Ich muss erlich sagen, ich habe mühe mit selbstportraits. Ich habe mühe damit, den Bildausschnitt nicht vor mir zu sehen und mich überraschen zu lassen. Und auch damit, den Fokus einzustellen. Ich habe das mit dem „Stellvertretenden Gegenstand“ auch schon probiert, jedoch ist der Fokus überall..nur nicht dort wo ich ihn gerne hätte. Kurz, die technische umsetzung beherrsche ich nicht. An Ideen mangelt es mir nicht. Ich wäre froh über ein paar tipps, wie ich das technisch besser hinbekomme.

    Und nochmal ein riesen Kompliment zu den Bildern! Und ich kann dir sagen, sie berühren mich!

    • @Luana C.
      Wegen dem Fokusieren kann ich einen Fernauslöser wärmstens empfehlen. Kabelgebundene gibt es bereits für kleines Geld ( < 20€ ) Das mit dem Bildausschnitt ist etwas schwieriger,
      für zwei Situationen ahbe ich hier zwei für mich gangbare Möglichkeiten gefunden.

      Studio: Hier habe ich keine Referenz durch die Umgebung, den Abstand zum Objektiv kann man irgendwann gut einschätzen, zu beginn muss man evtl. etwas öfter hin und her laufen, aber das findet sich recht schnell. Dann als bezug genau Mittig vor das Objektiv stellen, und dann je nach Bildausschnitt (Welche Brennweite verwendet wurde etc) leicht bzw. deutlich zur Seite gehen um den Richtigen Blickwinkel zu erreichen. Klappt für mich super :)

      Outdoor: Wenn ich Outdoor ein Bild mache wähle ich den Bildausschnitt, merke mir genau was ich durch die Kamera sehe und da wo ich erscheinen soll merke ich mir etwas markantes (oder werfe einen Stein in die nähe ;-) ) und dann geh ich an den Platz den ich mir gemerkt habe. Hat bei mir von Anfang an Funktioniert, sollte also gut umsetzbar sein.

      Hoffe ich konnte bissle helfen.

      greetz
      chris

  2. Ein super Artikel, und gerade zur rechten Zeit.
    Bin auch seit über 270 Tagen dabei ein „Projekt Every Day a Picture“ zu machen. Inzwischen gehen langsam die Ideen aus und da ist eine solch gut geschriebene und Inspirierende Motivationssprite genau das richtige :)

    greetz
    chris

  3. Wow! Choreographien in einem Bild.
    Das Gefühl der inszenierten Aufnahme (quasi als schauspielerische Leistung) über den gesamten (Arbeits)Prozess der Bearbeitung zu konservieren, oder andersrum wie vor einem „Bluescreen“ eine Geschichte/Person „vor Photoshop“ auszudrücken, halte ich für sehr schwierig.

  4. Da schmeckt der Kakao gleich noch viel besser. Danke, dass ich mit deinen Bildern und dem dazugehörigen Text aufwachen durfte.

    Ich mache zwar auch hin und wieder Selbstportraits, jedoch mag ich die wirklich emotionalen Fotos nie mit der Öffentlichkeit teilen.

  5. Sehr gut! Dazu gehört neben der Fähigkeit zur Bildgestaltung auch eine Menge schauspielerisches Talent, welches Du zweifelsohne besitzt. Die Ergebnisse können sich wirklich sehen lassen.

    Was mir allerdings bei der ganzen Sache fehlen würde, ist die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, gerade das macht die Ergebnisse eines Fotoshootings oft unberechenbar und um so spannender. Bei mir muss vor einem Shooting nicht alles vorbestimmt und festgelegt sein, es kann und soll sich dabei eine Eigendynamik entwickeln die zu ganzen neuen Resultaten führt und ich habe kein Problem damit, wenn sich als Resultat die Handschrift aller Beteiligten als eine Art Gemeinschaftswerk im Bild wiederfindet.

  6. Beeindruckend schön und aussdrucksstark Deine Bilder, Deine Ideen und Dein Talent. Auch die Gabe so zu sehen, sich etwas so vor zustellen ist dir gegeben und Du nutzt die intensiv. Ein bischen beneide ich darum! Respekt. Lieben Gruß

  7. Deine Arbeiten sind wirklich inspirierend, Laura. Du lässt uns sehen was du fühlst. Und das ist eine Gabe. Und die solltest du, und ich kann mich da nur wiederholen, nicht einfach an die Architektur verschenken.

    Du lebst Fotografie. Ich beneide dich um dein Talent. Ganz ehrlich. ;)

    Ein kleines „aber“ habe ich da jedoch schon:
    Du hast bewiesen, dass du’s kannst. Also raus aus deiner „comfort zone“. Das, was du zeigst, ist (in meinen Augen) nur ein kleiner Teil deines Potentials. Geh einen Schritt weiter. Ich glaube tatsächlich, dass du (uns das sage ich sicherlich nicht leichtfertig) das Talent hast eine wirklich herausragende Fotografin zu werden.

    Bitte weiter machen!

    LG,
    Malte

  8. Schön, etwas zu sehen, was mich so fasziniert. Und was ich einfach nur genießen kann, weil ich es nie versuchen werde, es als Inspiration zu nehmen. Denn ich bin kein Selbstportraitmensch. Meine Bilder bauen sich erst durch die Menschen auf, die ich sehe. Also genau umgekehrt zu hier.

    Aber viel Spaß macht es trotzdem, sich diese Sachen anzuschauen.

  9. Blogartikel dazu: Leseraktion: Selbstportraits - kwerfeldein - Fotografie Magazin

  10. Blogartikel dazu: Die Redaktion stellt sich vor: Laura Zalenga › kwerfeldein - Fotografie Magazin