But a mermaid has no tears
Schon lange wollte ich mal ein Großprojekt starten, mich wirklich ausgiebig mit einem Thema beschäftigen und es in Ruhe ausarbeiten, ohne das Gefühl zu haben, etwas „vergessen“ zu haben. Die Idee dazu kam von einer befreundeten Künstlerin, Aloisia Köhler, die mir ein Gedicht über eine Meerjungfrau vorlas, das sie verfasst hatte.
Schnell erwuchs daraus der Wunsch, ein ganzes Konzept zu erstellen und fotografisch umzusetzen. Wir spannen eine Zeitlang herum, sandten uns gegenseitig Moodboards und Ideen zu. Bei der Umsetzung konnte Aloisia dann leider aus persönlichen Gründen nicht mehr dabei sein, aber ihre Ideen und Gedanken waren beim Projekt immer präsent.
Da ich aber Konzepte am liebsten als Team ausarbeite, holte ich mir recht schnell Mika mit an Bord. Ich hatte sie vor Jahren, als ich mit der Fotografie anfing, als eine sehr kreative Hair- und Make-Up-Artistin kennengelernt. Da wir inzwischen schon einige Shootings zusammen durchgeführt hatten, wusste ich, dass wir absolut auf einer Wellenlänge sein würden und so war es dann auch.
Was mich am Thema der kleinen Meerjungfrau so gereizt hat, war zum einen das Märchenhafte. Schon als Kind liebte ich Märchen aller Herren Länder und die etwas düsteren mochte ich besonders. Die kleine Meerjungfrau nach Hans Christian Andersen fand ich insofern besonders spannend, als dass sie ein klares Ziel vor Augen hat: Unendlichkeit, Unsterblichkeit. Dafür nimmt sie alles auf sich, lässt alles los, was sie kennt. Diese Sehnsucht nach etwas Unbekanntem, die Suche nach Bedeutung und dem Sinn fand ich sehr faszinierend und nachvollziehbar.
Zum anderen finde ich die „Unterwasserwelt“ spannend, da sie unscharf ist, keine klaren Konturen kennt, das Licht ist eine ganz eigene Gestalt dort unten. Dies wollte ich durch lange Belichtungszeiten, Schattenspiele und natürlich tatsächlichen (Unter-)Wasseraufnahmen visualisieren. Die Kompositionen sollten recht simpel mit einem nahen Naturbezug sein, den Malereien der Romantik ähnlich.
Zudem wollte ich nicht die äußere Handlung des Märchens fotografieren, sondern mehr die innere. Dazu war mir wichtig, viel sowohl mit Gesten als auch mit Symbolik zu arbeiten.
Umsetzung
Um die richtigen Orte zu finden, bin ich an den Wochenenden die bayerischen Seen abgefahren und wurde fündig. Nachdem ich feststellen musste, dass der Königssee einfach zu überlaufen ist, habe ich, mehr spontan, noch einen weiteren See erkundet, der einfach ideal war: Am Hintersee waren viele Felsen und es war recht wenig los, obwohl er fast schon kitschig im „Märchenwald“ liegt.
Meine Musen hatte ich auch recht bald zusammen. Neben dem andersweltlichen, zerbrechlichen Look war mir vor allem wichtig, dass alle sich mit der Story identifizieren können. Mika hat dann die Flosse auf Latex extra angefertigt, da ich keine kitschig-bunte Meerjungfrauenflosse wollte, sondern etwas sehr Reales, Hautfarbenes. Allgemein sollte der Look die Ambivalenz zwischen Zerbrechlichkeit und Stärke verdeutlichen.
Manche Bilder waren vorgeplant, andere entstanden aus der Situation heraus. Ich war bis dato ein rechter Analogneuling, da ich aber unbedingt diese ganz bestimmte Unschärfe haben wollte, habe ich mir aus der Universität eine Nikon ausgeliehen und für die Unterwasseraufnahmen günstig eine Nikonos (analoge Unterwasserkamera) auf Ebay ersteigert. Um die Grenzen weiter zwischen Realität und Märchenwelt zu verschwimmen lassen und auch, um den Betrachter*innen Interpretationsspielraum zu lassen, wurde offenblendig und mit längerer Belichtung fotografiert.
Zwischen den Shootings habe ich mich immer wieder mit meinem betreuenden Professor getroffen, der mir viel Input geben konnte und bei dem ich auch gezwungen war, meine Gedanken zu ordnen und zu erklären. Die entwickelten Filme habe ich dann in der Universität selbst gescannt. Auf alle Fotos wurde ein einheitlicher Farblook gelegt und stellenweise habe ich gröbere Bildfehler entfernt, ansonsten sind die Bilder relativ unbearbeitet, um eben die analoge Optik nicht zu zerstören.
Das Buch
Von Anfang an stand für mich fest, dass ich ein Buch machen wollte, kein klassisches Fotobuch, sondern mehr ein Märchenbuch mit Bildern statt Texten. Deshalb war auch für das Layout wichtig, dass nicht nur der Klang der Bilder auf den Doppelseiten zueinander stimmte, sondern dass auch die Reihenfolge, in der das Märchen erzählt wird, stimmt. Dazu habe ich mir die Fotos in klein ausgedruckt und so oft auf meinem Wohnzimmerboden herumgeschoben, bis ich mit dem Ergebnis glücklich war.
Für das Cover wollte ich einen Lasercut machen, sodass, wenn man das Buch im Sonnenlicht aufschlägt, der Lichteinfall durch die herausgelaserten Buchstaben an Licht, das sich im Wasser bricht, erinnert. Außerdem wollte ich schon immer den Laser Cutter unserer Universität ausprobieren. Mit einem Papierbohrer habe ich dann die Löcher ins Buch gebohrt und mit einem dicken Garn das Ganze im Stil einer Japanbindung genäht. Dann musste ich noch einmal die Seiten nachschneiden und das Buch war fertig.
Fazit
Für mich war das Projekt sehr lehrreich: Zum einen, weil ich noch nie ein größeres Projekt analog fotografiert habe und allein technisch schon sehr viel lernen musste. Zum anderen war es eine ganz andere Herangehensweise, sich ein ganzes Jahr lang auf ein einziges Thema einzulassen. Es fängt an, sehr viel vielschichtiger zu werden, aber manchmal hat es mich auch einfach nur genervt, sodass ich eigentlich etwas anderes machen wollte.
Ich bin froh, dass ich dran geblieben bin, ein Jahr lang mit einem tollen Team ein großes Projekt auf die Beine stellen konnte und jetzt alle ein Buch davon haben.