Der euklidische Traum
Eines der möglichen Modelle, um die vierte, oder höhere Dimensionen, visuell zu veranschaulichen, besteht darin, einen dreidimensionalen Körper in einer weiteren Achse w zu erweitern, in der man diesen dort noch einmal abbildet. Eine mögliche Achse w stellt auch die Zeitachse dar, ähnlich wie in Einsteins Darlegung der Raumzeit in der Relativitätstheorie.
In der Fotografie spielt die Zeit eine bedeutende Rolle, auch wenn sie heute mehr und mehr zu einer abstrakten Zahl mutiert. Belichtungszeiten von 1/250 s und kürzer sind weder vorstellbar noch für den menschlichen Organismus wahrnehmbar, also abstrakt.
Bei historischen Fotografieverfahren, bei denen mit Belichtungszeiten von zehn Sekunden bis zu einer Minute gearbeitet wird, ist diese Achse noch spürbar. Dennoch: Ein fotografisches Bild ist keine absolute Momentaufnahme, wie es so oft heißt. Technisch und physikalisch gesehen dauert auch die kürzeste Aufnahme eine gewisse Zeit t lang. Das heißt, es fließt eine gewisse Menge Zeit in ein Bild, sei es digital oder analog.
Jedes der Bilder entsteht immer vorher in meinem Kopf. Es ist ein Reifeprozess, der manchmal Monate, manchmal aber auch nur ein paar Stunden braucht. Die eigentliche Umsetzung dauert im Schnitt einen Tag, manchmal aber auch mehrere Wochen.
Ich fotografiere für jede Arbeit ein und dasselbe Motiv wieder und wieder mit dem Ambrotypieverfahren auf Klarglas. Der einzige Unterschied zwischen jedem Bild ist ein gewisser Zeitabstand. Später überlagere ich mehrere Platten, also Fotografien ein und desselben Motivs, und erschaffe damit tatsächlich eine vierdimensionale Abbildung davon.
Vor allem durch die Teiltransparenz der Einzelplatten aus Klarglas bleibt jegliche Information trotz Überlagerung erhalten. Die Arbeiten zeigen je nach Blickwinkel ein anderes Bild, eine andere Facette des fotografierten Sujets. Die Überlagerung ist tatsächlich ein rein physikalischer Prozess. Es ging mir ja um eine Visualisierung von physikalischen Zusammenhängen; mein Ziel war es, diese visuell und haptisch deutlich zu machen.
Im Grunde arbeitete ich bei jedem fertigen Bild mit mehreren Ebenen. Das Ergebnis ist, dass je nach Blickwinkel sich ein anderes Bild ergibt und man nach ein paar Momenten auf die Idee kommen könnte, dass es man nicht nur ein Bild anschaut, sondern mehrere. Oder noch besser, der Betrachter ist einfach nur irritiert und bleibt minutenlang davor stehen. Es hat einen holografischen Effekt. So etwas digital hinzukriegen, vermag ich nicht.
Die Serie „Der euklidische Traum“ erinnert mit seinem Aufbau an ein wissenschaftliches Experiment. Tatsächlich empfand ich die Verbindung von Kunst und Wissenschaft schon immer als fundamental.
Es sind die zwei Enden eines Spektrums: Das eine stellt die Fragen, das andere liefert (hoffentlich) die Antworten. Fotografie, oder auch andere Medienkünste, sind ein gutes Beispiel für eine praktische Verbindung beider Welten. In dieser Serie versuche ich, aufzuzeigen, wie beide verstrickt sind oder sich auch verstricken lassen.
Raoul Schrott, einer meiner Lieblingsschriftsteller, verbindet gern diese Bereiche in seiner Arbeit. Ansonsten bin ich tatsächlich ein wenig vorbelastet, da ich in einer dunklen Vergangenheit Informatik studiert habe. Dann ist da noch die Quantenphysik, dunkle Materie, der Big Bang – die physikalische Realität steckt voller Poesie, die mich fasziniert und genau diese versuche ich, immer wieder in meine Arbeit einzubringen.