Mit der Lochkamera seltsame Körper gebären
Emma Louise Prin wurde 1996 in Nordfrankreich geboren. Von ihrer Mutter angeregt, praktizierte sie schon seit ihrer Kindheit die Filmfotografie. Während ihres Studiums an der École supérieure d’Art in Lille experimentierte sie und baute zum ersten Mal eine Lochkamera.
Später studierte sie der École supérieure d’Art dramatique in Paris mit dem Ziel, Schauspielerin und Regisseurin zu werden, ohne jedoch ihre bildnerische Praxis aufzugeben. Die Fotografie mit Lochkameras ist eine gewissermaßen primitive bildgebende Technik, mit der sie Geschichten erzählt.
Sie tut dies, indem sie fiktive Figuren in den Raum setzt und vereint mit diesem Medium ihre Leidenschaften für Fotografie, Theater und Lyrik. Durch Unvollkommenheit und Zufall vervollkommnet, sind ihre Bilder poetisch, wie von Geistern heimgesucht und mit Melancholie gefärbt. Ihre Arbeiten changieren zwischen Sinnlichkeit und Morbidität und fassen so intime Gefühle in Bilder.
Wie beeinflusst Dein Brotberuf als Schauspielerein und Regisseurin Deine fotografische Praxis?
Es gibt viele Verbindungen zwischen Theater und Fotografie. Auch wenn ich fotografiere, inszeniere ich die Körper, bringe sie ans Licht und in Bewegung. Ich mache so Fotos wie ich auch Schauspiele mache. Das sind meine Mittel, um ein Gefühl auszudrücken, das in mir steckt, es zu einem Bild oder auch einer Szene zu synthetisieren und die Menschen zu berühren, die das Ergebnis dann betrachten.
Was inspiriert Dich dazu, zu kreieren?
Meine größte Inspirationsquelle ist mein Privatleben. Meine Fotografien sind auch sehr intim. Ich bin inspiriert von meinen Gefühlen, von meinen Beziehungen zu anderen. Manchmal kommt mir beim Lesen eine Idee oder wenn ich einen gesprochenen Satz höre. Oft sind meine Bilder sehr eng mit einem Textfragment oder einem Gedicht verbunden.
Mir wurde gesagt, dass meine Fotografien einige skulpturale Merkmale haben und tatsächlich hilft mir das Studium von Skulpturen sehr dabei, meine Ideen weiterzuentwickeln. Von den Skulpturen von Camille Claudel oder auch den Gemälden von Egon Schiele habe ich mir bestimmte Körperhaltungen eingeprägt. Außerdem lasse ich mich auch von Fotograf*innen inspirieren, die ich bewundere, das sind etwa Sarah Moon, Paolo Roversi oder Miroslav Tichý.
Die Lochkamerafotografie ist ja sehr speziell. Hast Du auch andere Arten der Fotografie ausprobiert? Was hat Dich dazu bewogen, Dich auf Lochkamerafotografie zu spezialisieren?
Ja, ich habe mich auch ein wenig an sowohl Digital- wie auch Filmkameras versucht, aber die Lochkamerafotografie ist ein Phänomen, das mich fasziniert. Ich fühle mich, als würde ich zaubern! Als ich während meines Studiums der Bildenden Kunst mit dem Konzept in Berührung kam, habe ich es zuerst gar nicht geglaubt. Dass man sich ein fotografisches Gerät selbst herstellen kann, indem man ein kleines Loch in die Wand einer lichtdichten Dose bohrt!
Nach mehreren Versuchen mit einer metallenen Teedose hatte ich dann ein Bild. Ich war so erstaunt, dass ich weiter mit dem Prozess herumprobierte und immer erstaunlichere Ergebnisse erzielte. Die Lochblende ermöglicht es mir, Bilder so nah wie nur möglich an meinen Gefühlen zu erstellen.
Mit Hilfe der sehr langen Belichtungszeiten kann ich auf dem Fotopapier seltsame Körper gebären, sie verlängern und duplizieren. Ich verwende auch sehr alte, durch lange Lagerzeit bereits beschädigte lichtempfindliche Papiere, die den Bildern überraschende Texturen verleihen – Abdrücke von Traumgefühlen und Melancholie.
Der Zufall ist vollständig Teil des Prozesses. Man weiß nie genau, welches Bild aus der Kiste kommt und jedes Mal, wenn ich ein Papier in den Entwickler tauche, empfinde ich wieder diese Aufregung – wie ein Kind, das seine Weihnachtsgeschenke auspackt!
Wie sieht eine Fotosession bei Dir normalerweise aus? Wie entwickelst Du aus einer Idee ein Bild, wie arbeitest Du mit Modellen?
Die Lochkamerafotografie ist eine Praxis, die viel Geduld erfordert. Daher mache ich meine Fotos nur bei mir zuhause, wo ich mein Fotolabor eingerichtet habe und alle Räumlichkeiten und Geräte vorhanden sind, wie ich sie für diesen speziellen fotografischen Prozess benötige.
Fast alle meine Fotos entstehen im Freien, da der Prozess viel Licht erfordert. Je weniger Licht vorhanden ist, desto länger sind natürlich die Belichtungszeiten. Dies kann von einer Minute bei direkter Sonneneinstrahlung bis zu sogar 20 Minuten bei dunklem Wetter variieren.
In meinem Labor platzier ich bei Dunkelkammerlicht ein kleines Blatt transparentes, lichtempfindliches Papier in meiner Lochblende. Dann gehe ich nach draußen, baue die Kamera vor dem Modell, das vor schwarzem Hintergrund posiert, auf und starte eine Stoppuhr. Wenn die Zeit abgelaufen ist, ziehe ich mich wieder ins Labor zurück.
Dort entnehme ich das belichtete Blatt aus der Lochblende und tauche es in den Entwickler. Das Foto erscheint dann als Negativ. Ich wiederhole diesen ganzen Vorgang für jedes Foto. Am Ende der Sitzung scanne ich die Negative digital mit einem Negativscanner ein, erst dann sehe ich detailliert und positiv die von mir aufgenommenen Fotos.
Oft bin ich mein eigenes Modell oder habe enge Freund*innen, die für mich posieren. Aber am Ende spielt die Identität der Modelle gar keine Rolle für meine fotografische Praxis, denn sie alle werden gleichermaßen zu universellen Körpern oder geisterhaften Schatten.
Was denkst Du über die digitale Präsentation Deiner Werke im Internet, wenn man bedenkt, dass die analoge Fotografie ein sehr haptisches Erlebnis ist?
Natürlich ziehe ich es vor, meine Fotografien auf Papier gedruckt zu sehen. Aber das Internet ermöglicht es auch, schnell einem breiteren Publikum zu begegnen. Ich finde es sehr gut, dass soziale Netzwerke auch dazu genutzt werden, um die Werke von Künstler*innen zu verbreiten.
Instagram war der erste Ort, den ich genutzt habe, um meine Arbeiten zu präsentieren. Mir wurde dabei sehr schnell klar, dass sie so Menschen erreichen können, auch überall im Ausland. Das hat mir Selbstvertrauen gegeben und mich sehr darin bekräftigt, weiterzumachen.
Was sind Deine nächsten Projekte, kurzfristigen Ziele und langfristigen Träume?
Meine Fotografien werden demnächst in einer Pariser Galerie ausgestellt, dann in Aix-en-Provence. Ich beantworte gerade auch viele Anfragen für Projekte. Ich möchte sehen, wie weit mich meine Lochkamerafotografie bringen kann.
Ich möchte auch stärker die Kombination zwischen Lochkamerafotografie und digitalen Bildern erforschen. Ich veranstalte auch ein Schauspiel mit meiner eigenen Firma, die ich gegründet habe. Mein langfristiger Traum wäre es einfach, von meiner künstlerischen Praxis leben zu können.