Gebundene Füße
In den letzten neun Jahre hat die Fotografin und Kulturanthropologin Jo Farrell einige der letzten überlebenden Frauen mit gebundenen Füßen in China fotografiert. Sie hat sie interviewt über die Fußbindung, ihr Leben während der Kulturrevolution und der großen Hungersnot in China. Das schmerzhafte Schönheitsideal geht mit ihnen verloren. Mit den Bildern möchte die Fotografin ein Stück Geschichte für die kommenden Generationen bewahren.
Die Anfänge des Brauches enstanden vor etwa 1.000 Jahren und verbreiteten sich bis ins 20. Jahrhundert unter allen Gesellschaftsschichten Chinas. Die sogenannten Lotusfüße sollten die Form eines geschlossenen goldenen Lotus nachbilden. Um dies zu erreichen, wurden den Mädchen bereits in der Kindheit mit etwa 8 bis 11 Jahren die Füße nicht nur eng eingebunden, sondern auch gebrochen. In Bandagen, die nach und nach enger gebunden wurden, wuchsen die Füße so in die gewünschte Form.
Die Füße wurden dabei mit Kräutern einbalsamiert und stark parfümiert, um den Geruch fauliger Haut zu überdecken. Die erduldeten Schmerzen sollten die Mädchen stark und zu guten Ehefrauen machen. Die kleinen Füße und der wacklige Gang galten als Schönheitsideal. Ziel war eine Fußgröße von 10 cm, was einer deutschen Schuhgröße von etwa 17 entspricht. Erreicht wurde jedoch meist nicht so wenig.
Die Mütter und Großmütter selbst banden den Mädchen die Füße ein. Die Fotografin betont, dass dies immer aus der gesellschaftlichen Notwendigkeit heraus entstand. Die Frauen wollten das Beste für ihre Kinder. Mädchen mit großen Füßen wurden verachtet und bekamen oft keinen Mann. Sie hofften so auf ein besseres Leben für ihre Kinder.
1911 wurde der Brauch verboten, jedoch noch eine Weile eingeschränkt fortgeführt. Unter Mao Zedong wurde das Füßebinden dann auch bestraft, wodurch es entgültig beendet wurde. Die portraitierten Frauen sind entsprechend alt: zwischen 80 und 100 Jahren. Sie stammen aus den Provinzen Shandong und Yunnan. In den ländlichen Gebieten mussten sie trotz gebundener Füße oft harte Arbeit auf den Feldern verrichten.
Die Suche nach den Frauen war für Jo Farrell nicht einfach. Selbst in China wussten viele Einwohner nicht, dass es noch Frauen gibt, die diesen Brauch als Mädchen ertragen mussten. Durch einen Zufall fand sie die erste Frau für ihr Projekt bei einer Taxifahrt. Die Großmutter des Fahrers, Zhang Yunying hatte gebundene Füße und willigte ein, sich fotografieren zu lassen. Jo besucht sie seitdem jedes Jahr erneut.
Die Fotografin nennt sie auch die „vergessenen Frauen“. Ihr ist es wichtig, mit den Bildern nicht nur den Brauch zu dokumentieren, sondern diese Frauen zu feiern, die so viel ertragen haben. Seit dem Beginn des Projektes sind drei der 50 portraitierten Frauen gestorben. Für Jo eine Bestätigung der Wichtigkeit ihrer Arbeit, die sie selbst finanziert.
Der Brauch klingt grausam und der Anblick der Füße ist nicht leicht zu ertragen. Was damals ein Schönheitsideal war, wirkt gerade auf uns Westeuropäer heute nahezu absurd. Auch in China ist die Tradition nach so wenigen Jahren fast vergessen. Viele der portraitierten Frauen zeigen ihre Füße selbst nahen Familienangehörigen nicht.
Für Jo sind die Füße schön, denn sie zeigen, wie stark diese Frauen sind. Als die erste Frau Zhang Yunying ihr die Füße zeigte und sie in ihre Hände legte, war für sie der einprägsamste Moment des Projektes.
Es handelt sich bei den Aufnahmen um anthropologische Portraits. Die Bilder wurden alle auf Schwarzweißfilmen aufgenommen. Ein Buch mit den Bildern und Geschichten der 50 Frauen ist über die Seite der Fotografin für rund 49 € erhältlich. Ihr könnt ihr auch auf Facebook und Twitter folgen.