Konzerte fotografieren
Ich habe das ungeheure Glück, dass ich mir aussuchen kann, welche Band ich fotografiere und welche nicht. Und weil das so ist, suche ich mir natürlich nur die Bands aus, mit deren Musik ich auch etwas anfangen kann. Denn bestenfalls ist der Konzertfotograf während des Konzerts ein Teil der Band, was nur geht, wenn er sich auf das einlässt, was auf der Bühne passiert.
Und damit wären wir auch schon mitten drin in meiner persönlichen Sichtweise der Konzertfotografie. Ich komme selbst von der Musik, spiele Klavier und Chapman Stick, habe selbst in unterschiedlichsten Projekten und Bands mitgewirkt und damit auch schon einige Bühnen bespielt.
Ich kenne also die Abläufe, das immer gleiche Prozedere. Die Vorbereitungen vor einem Konzert, die Anspannung aller Beteiligten, den Aufbau, Soundcheck und dann das Warten auf den großen Moment, wenn die Show endlich losgeht. Der Moment, auf den sich alle Energie fokussiert: Der Konzertbeginn.
Als Fotograf versuche ich, Teil des Ganzen zu werden. Bestenfalls kann ich vor dem Konzert mit den Musikern ein paar Worte wechseln, um herauszufinden, was sie sich vorstellen, was sie von sich gern sehen möchten und vielleicht auch, ob bemerkenswerte Stellen in der Show geplant sind, auf die ich mein Augenmerk richten soll.
Und wenn dann der erste Ton erklingt, dann entspanne ich mich und lasse mich treiben. Ich höre der Musik zu, schaue mir an, wie die Musiker auf der Bühne miteinander spielen, miteinander kommunizieren. Ich versuche, ihre Blicke untereinander einzufangen, finde heraus, wer mit wem spielt.
Deute die Spannungen in der Musik, die auf eine kommende musikalische – und damit auch visuelle – Entspannung hindeuten. Bei Konzerten mit hohem improvisatorischen Anteil ist die Kommunikation auf der Bühne meist augenscheinlicher, einfacher zu verfolgen. Die musikalischen Bälle, die sich die Mitspieler gegenseitig zuspielen, finden sich häufig auch in Gestik und Mimik wieder.
Ich hänge mich an die Fersen jedes einzelnen und versuche, zu folgen, stelle mir vor, was gerade in ihm vorgeht, was er als nächstes tun wird. Ich studiere, wie der Musiker sein Instrument hält, wie er es bedient, wie er sich mit ihm bewegt. Ich suche nach den Eigenarten, die jeden einzelnen von allen anderen abheben.
Jeder Gitarrist hält seine Gitarre anders, hat eine andere Handhaltung beim Ziehen der Saiten, hält das Plektrum auf eine leicht andere Art und Weise. Jeder Pianist sitzt anders vor seinem Instrument, damit ergeben sich vollkommen unterschiedliche Winkel in Armen und Beinen.
Jeder Schlagzeuger hält seine Stöcke oder Besen anders und auch jedes Schlagzeug ist – den Vorlieben des Trommlers folgend – unterschiedlich aufgebaut. All diese Eigenarten versuche ich, zu bemerken und festzuhalten. Versuche, sie in Szene zu setzen und dann auf bestmögliche Weise im Bild einzufangen.
Das muss nicht unbedingt spektakulär aussehen, wichtig ist mir vor allem, das der Bildbetrachter später erkennen kann, worum es mir in dem Moment ging.
Interlude: Meine Ausrüstung für das Fotografieren eines Konzertes ist relativ überschaubar. Leica M Monochrom, Objektive in den Festbrennweiten 24, 35, 50 und 90 mm. Alles in einer kleinen Fototasche verpackt. Mehr brauche ich nicht. Zoom-Objektive gibt es für das Leica-M-System prinzipbedingt nicht, aber ich habe auch eigentlich nie das Gefühl, dass mir bei diesen vier Festbrennweiten etwas fehlen würde.
Die Zeit des Objektivwechsels sehe ich als notwendige Kreativpause an, die ich gern dazu nutze, einfach mal zuzuhören. In seltenen Fällen begleitet mich noch ein 15-mm-Objektiv, aber das auch nur, wenn ich vorher weiß, das ich wirklich nah an die Musiker herankommen werde.
Die visuelle Flut bei einem Konzert ist in der Regel immens. Wenn man nicht gerade nachmittags eine Band bei einem Open Air vor sich hat, sondern in einer dunklen Halle eine Bühne mit entsprechender Lichtshow bespielt wird, dann sind visuell spektakuläre Momente schnell eingefangen.
Aber ich versuche, dieser Versuchung nicht zu lange zu erliegen, das wird schon schnell langweilig und die Fotoserien werden eintönig und austauschbar. Zuerst verschaffe ich mir einen Überblick über die gesamte Bühne, aus ein wenig Entfernung und meistens mittels meines 24-mm-Objektivs.
Das gibt einen guten Gesamteindruck vom Geschehen. Nebenbei haben Bands auch gern Bilder, auf denen alle Musiker gleichzeitig zu sehen sind. Danach gehe ich direkt vor die Bühne oder an den rechten und linken Bühnenrand. Dort nehme mir jeden Musiker einzeln vor. Mit den 24 mm und der Devise „wenn man zu wenig sieht, bist Du zu weit weg“.
Ich versuche, die Winkel zu nutzen, die sich mir aus dem Fotografengraben vor der Bühne anbieten. Arbeite Monitorboxen, Kabelsalat und Pedalboards sorgfältig in meine Bilder mit ein. So bekomme ich gleich am Anfang ein Stimmungsbild von jedem Musiker. Später wechsle ich dann nach Lust und Laune die Linse, um mich den Gegebenheiten und dem weiteren Verlauf der Show anzupassen.
Übrigens: Zwischen den Stücken haben nur die Musiker Pause! Gerade in diesen kurzen Momenten sprechen sich die Musiker auf der Bühne ab, werfen sich ein Lächeln zu oder konzentrieren sich auf den nächsten Song. Diese flüchtigen Momente gilt es, zu finden und für die Ewigkeit einzufangen.
Denn das ist das Wichtigste, was ein Konzertfotograf in meinen Augen tut: Er verwandelt den flüchtigen Moment auf der Bühne in etwas Greifbares, das auch Jahre später diesen Moment wieder erinnerbar macht, für Musiker und Fans gleichermaßen.
Danke für den Artikel!
Schön, wenn man bei den Konzerten den „Fluss“ finden kann und sich als Teil des Ganzen sieht. Jedoch ist es doch leider meistens so, dass man lediglich 3 Songs fotografieren darf und dann tschüss. Was immer wieder schwer verständlich ist, da die Action ja meistens erst danach richtig los geht.
Ja Connie, die Regel mit den ersten drei Stücken. Eine der vielen Absurditäten in der Konzertfotografie. Ich habe bewusst diesen Bereich ausgespart – über dieses Thema könnte man locker noch zwei weitere Artikel schreiben. Zum Beispiel auch, welche Kameras bei Konzerten „zugelassen“ sind, und welche nicht. Megapixel-Smarrtphone OK, aber analoge Leica nicht.
Ich suche vor den Konzerten den Kontakt zu den Musikern und lasse dann abklären, das ich das ganze Konzert shooten darf. Und vor allem, das das dann auch mit den entsprechenden Leuten kommuniziert wird (Securities etc). Meistens der beste Weg, aber auch dann ist man vor Überraschungen nicht sicher…
Ja, natürlich ist es absurd, wenn man dem zahlenden Publikum nicht zumuten will, die ganze Zeit einen Knipser im Blick und unter Umständen auch im Ohr zu haben, der ihnen das Erlebnis ruiniert, nur damit er über die volle Konzertlänge hunderte Bilder schießen kann, die keiner benötigt, da es ja ohnehin bei jedem Auftritt die Möglichkeit gibt, über drei Songs hinweg Bilder zu machen.
Hallo Marc,
guter Artikel. Leider liest man nicht so viel über den speziellen Bereich der Fotografie. Ich fotografiere auch gerne auf Konzerten und da war von kleinen, lokalen Bands in Clubs, über riesige Hallenshows bis zu Festivals alles dabei.
Ich war am Anfang (und bin es eigentlich immer noch) ebenfalls erstaunt über die „drei-Songs-ohne-Blitz“ – Regel. Ich erkläre es mir damit, das man eine Band eventuell stört, wenn die ganze Show über, 10 Fotografen vor einem rumrennen und permanent jede Bewegung verfolgen.
Ich habe aber schon sehr seltsame „Auslegungen“ dieser regel erlebt, z.B. nur den 1., 3. und 4. Song zu fotografieren! Dafür habe ich bisher keine Erklärung gefunden… ;-)
Was in diesem Zusammenhang Spaß macht, ist, Konzerte von sog. „Post-Rock Bands“ (im speziellen die rein instrumentalen Gruppen) zu fotografieren, da deren Songs oft jenseits der 7-8 Minuten Grenze liegen und man selbst bei der 3-Songs-Regel noch richtig viele Zeit hat!
Bei einem anderen Konzert der Band DOWN (Phil Anselmo, ehem. PANTERA), hatte ich das Glück, das Phil mich und 2-3 andere nach dem 2. Stück vom Graben auf die Bühne gezogen hat und wir die komplette Show weiter fotografieren konnten. Dabei sind wirklich coole Bilder der Interaktion mit dem Publikum entstanden.
Gruß, Jens
Für die Bands und aus künstlerischer Sicht ist die „drei Lieder“ Regel vollkommener Quatsch. Keine Frage. Je nach Location ist es für Band und Publikum sicherlich angenehmer, wenn die Fotografen aus der Schneise verschwinden. Wirklich interessant ist es daher, nicht für irgendwelche Auftraggeber zu fotografieren, und an Regeln gebunden zu sein, sondern für die Bands selbst zu fotografieren. Dann macht man seine Regeln in Absprache mit der Band selbst und darf bestenfalls auch auf die Bühne, und was dort passiert ist dann ganz grosses Fotografenkino, durftest du ja auch schon erleben… ;-)
Der Artikel gefällt mir gut!
Dass man als Fotograf Teil des Ganzen wird ist wohl Vorraussetzung für tolle „greifbare Momente“, meiner Meinung nach.
Mich selbst erkenne ich, besonders bei der „Sichtweise“ also der Objektivwahl wieder. Selbst nutze ich am liebsten mein 28 mm und wechsele dann gerne auf 50 oder 150 bis 200 mm, je nach Location.
Gruß Achilles
Passt gut zu dem, wie ich es selbst mache und erlebe. Bin zwar kein professioneller am Schnüffelbalken, hab aber in letzter Zeit so meine Erfahrungen gesammelt. Selbst von den Bildern her denke ich, haben wir ähnliche Ansichten. Gefällt mir!
Ich komme bislang nicht in den Genuß wirklich große Bands zu fotografieren, hab dadurch aber die Chance, die Bands persönlicher kennen zu lernen und sie überall hin zu begleiten. Meist ist erst auf dem Klo schluss, bekomme aber mehr als die ersten drei Tönchen – meist ;)
Ein guter Artikel, der das wiedergibt, was wichtig ist in der Konzertfotografie. Die Bilder gefallen mir sehr. Den Pressegraben mochte ich nie. Darum fotografiere ich lieber in kleinen Clubs. Man ist viel näher dran am Geschehen.
Tolle Bilder, aber auch tolles Equipment;
Ich hatte bei meinem letzten Konzert ewig um eine Akkreditierung gekämpft, letztendlich wurde mir diese kurz vor Konzertbeginn entzogen, weil ich für mein eigenes Fotoprojekt und nicht kommerziell nutzbar fotografieren wollte; somit raus mit der Canon und aus dem Graben.
So schnell aufgeben geht aber nicht, also Rucksack verstaut und die Fuji X-100 ausgepackt.
Die war erlaubt, zumindest im Publikum.
Und so kam ich zu Bildern, die ich über die gesamte Konzertlänge machen konnte.
Ich hatte Zeit, mir die Momente heraus zu picken, die 3-Song-Regel hat für mich nicht gegolten.
Und wieder einmal bin ich glücklich, die X-100 zu besitzen und auch die Hartnäckigkeit, wirklich alles auszuschöpfen, was „drinnen ist“ !
Obwohl ich vom Musizieren eigentlich keine Ahnung habe, knipse ich doch auch gern mal auf Konzerten. Bei den kleine, lokalen Veranstaltungen ist das kein Problem. Ich frag vorher, z. Bsp. über FB, ob es OK ist und zahle meine Eintritt selbst. Zu den größeren Sachen konnte man früher noch über lokale Online-Portale, aber das klappt heute leider nicht mehr so. Da bleibt mir nur meine „Kompakte“ (X100) einzupacken und damit ein paar Bilder zu machen, ohne den Leuten hinter mit zu sehr auf den Senkel zu gehen. Die nehm ich auch gerne mit auf Konzertbesuche, wo ich gar nicht weiß, ob ich fotografieren will. Ansonsten kommt die OMD mit 24,50 und einem Tele mit. Ich schätze das neue Fisheye wird demnächst auch mit dabei sein.
Ich muss aber wieder mehr versuchen das Konzert als Ganzes aufzunehmen. Nicht nur Musikerfotografie, sonder auch das Event an sicht. Wie gesagt, ich kenne vom Musik machen nichts, bin aber sehr wohl Teil des Publikums. Daher sind meine Lieblingsbilder eigentlich die mit der Menge in Action. Leider funktioniert das nicht bei jedem Konzert.
Was ist der Geheimtrick mit den störenden Mikroständern, die bei den Soli immer im Weg stehen ;)
Entweder versuchen, den Mikroständer irgendwie interessant ins Bild zu bringen, oder den Solisten von Links oder Rechts aufnehmen, am Mikro vorbei. Ist aber stark Situationsabhängig.
LG, Jens
Ich finde zwar, dass auch schwarz-weiße Konzertfotos durchaus ihren Reiz haben, mag diese Kategorie in Farbe allerdings noch ein wenig lieber.
Letztes Jahr habe ich auf einem Festival fotografiert (http://www.sagtmirnix.net/?id=125), bei dem ich mir kaum vorstellen könnte, die Bilder in schwarz-weiß zu veröffentlichen. Wobei das natürlich auch eine ganz andere Situation war. Zoom-Objektive habe ich aber zu diesem Zweck ebenfalls nie benutzt.
Blogartikel dazu: Konzert – Katzkidz Blog