Vom Bruch mit der Gewohnheit
Er hat mich auch irgendwann ereilt – der Fall ins HDR-Loch. Und auch, wenn ich die Technik gern nutze, wuchs meine Unzufriedenheit über meinen Untergang im fotografischen Mainstream und ließ mich für neue Einflüsse empfänglich werden. Die Inspiration, mein Schaffen zu überdenken und zu wandeln, traf mich an einem unerwarteten Ort und hat meine Herangehensweise an Fotografie nachhaltig verändert.
Doch von vorn: Mein Interesse für Fotografie wurde schon in meiner Kindheit geweckt, weil jedoch irgendwann andere Dinge wichtiger wurden, war sie für einige Jahre aus meinem Tätigkeitsspektrum verbannt. Aber man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Fotografie kreuzte irgendwann wieder meinen Weg. Und dieses Mal war die Wechselwirkung zwischen mir und ihr eine intensivere.
Die Anschaffung einer DSLR-Kamera und hohe Ambitionen, ein besserer Fotograf werden zu wollen, führten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen und technischen Möglichkeiten.
Dabei stieß ich irgendwann auf die Option, mittels High Dynamic Range (HDR) den begrenzten Dynamikumfang des Kamerasensors zu umgehen und den gesamten Belichtungsumfang einer Szenerie einzufangen, was insbesondere dem Physiker in mir eine große Genugtuung verschaffte.
HDR wurde bald eine meiner liebsten Aufnahmetechniken und beeinflusste maßgeblich den Stil meiner digitalen Fotografien.
Obwohl ich durch meinen Wiedereinstieg ein Kind der digitalen Fotografie geworden bin, wollte es der Zufall so, dass irgendwann ein Kollege auf mich zukam, der keine Verwendung mehr für seine analoge Spiegelreflexkamera hatte und sie jemandem vermachen wollte, der damit etwas anfangen kann.
Einerseits weckte dies meinen Spieltrieb, andererseits war ich so sehr auf meinen digitalen Arbeitsablauf eingeschossen, dass es mich fast ein Jahr kostete, den ersten Film zu belichten. Der Wendepunkt kam jedoch, als mir ein Freund aus dem Fotoclub, in dem ich aktiv bin, zeigte, wie man selbst Filme entwickelt und Bilder ausbelichtet.
Ungewissheit, ob die Entwicklung des Films funktioniert hat, kurz bevor man die Dose öffnet und die Magie des sich manifestierenden Bildes auf dem belichteten Fotopapier in der Entwicklerschale nahmen mich gefangen. In der Folge dessen war ich mindestens immer zweigleisig (analog und digital) auf Fototouren unterwegs. So auch im Sommer 2012 auf meinem Fototrip nach Rotterdam, der einen Bruch mit meinem bisherigen fotografischen Stil zur Folge haben sollte.
Auslöser dafür war ein Besuch des Nederlands Fotomuseum, in dessen Ausstellung „The Darkroom“ die Entstehungsgeschichte eines Bildes des niederländischen Fotografen Aart Klein dargestellt wurde.
Dieser nahm aus einem größeren Negativ nur einen kleinen Ausschnitt, auf dem Arbeiter auf einem Gerüst zu sehen waren und belichtete dies auf Papier mit hohem Kontrast, so dass nur schwarze Silhouetten auf weißem Grund übrig blieben.
Die Ausdrucksstärke dieses Bildes führte mir urplötzlich vor Augen, welches Potential im provozierten Verlust der Details in Lichtern und Schatten schlummert und dass es wert wäre, meine Technik des Alles-erfassen-Wollens zu überdenken. Und ein erster digitaler Versuch, den Detailverlust zu wagen, motivierte mich, diese Idee weiter voranzutreiben
Meinem zu dieser Zeit gesteigerten Interesse an analoger Fotografie geschuldet, wurde ich auch bald auf der Suche nach einem Film fündig, mit dem ich den gewünschten Effekt erzielen konnte.
Mit einer Empfindlichkeit von 12 ASA, orthochromatischer Sensibilisierung, extremem Kontrast, aber dafür äußerst feinem Korn ist dieser Dokumentenfilm eigentlich gar nicht für bildmäßige Fotografie gedacht. Jedoch überzeugten mich einige Ergebnisse der ersten beiden Testfilme, mit denen ich den Umgang mit dem Material erprobte.
Und auch wenn der Film keinerlei Belichtungsspielraum aufweist und damit manchmal etwas unberechenbar ist, ist die Befriedigung, die entwickelten Negative aus der Dose zu holen und zu sehen, dass es funktioniert hat, die Bilder aus meiner Vorstellung aufs Negativ zu bannen, mit nichts zu vergleichen, was ich in der digitalen Fotografie je erlebt habe.
Und auch wenn ich weiß, was ich tun müsste, um die gleichen Ergebnisse digital zu erzielen, scheue ich mich davor, die stetige Kontrollmöglichkeit des Fotos auf dem Kameradisplay zurück zu erlangen und diese Befriedigung zu verlieren.
Aber auch wenn mich die Ergebnisse dieses Projekts immer wieder begeistern, so spüre ich sie dennoch bereits wieder wachsen – die Unruhe, etwas anderes machen zu müssen. Die Ideenliste für den geplanten Bruch mit meiner derzeitigen fotografischen Gewohnheit hängt bereits an meiner Wand.