Mit Warmherzigkeit gegen das Trauma
Vom englischsprachigen Magazin „Perspective“ der norwegischen Flüchtlingshilfe, dem Norwegian Refugee Council (NRC), bin ich im Juli 2013 angefragt worden, ob ich für einen Auftrag in die Demokratische Republik Kongo (DRC) reisen möchte.
Ich lebe derzeit im Nachbarland der DRC, Uganda, und hatte zu diesem Zeitpunkt immer schon einmal in den Kongo gewollt. Schnell kam meine Autorenkollegin Hilary Heuler (USA) als Autorin mit an Bord.
Anfangs war der Auftrag sehr geheimnisvoll, wir wurden bis zum Schluss nicht 100% gebrieft und mussten am Ende gar eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Denn nicht nur das NRC, sondern selbst die UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) war als Auftraggeber und Organisator mit an Bord.
Die Geschichte war top secret, ging es doch um die diesjährige und noch geheime Gewinnerin des Nansen-Flüchtlingspreises, des renommierten Preises der UN, der Menschen ehrt, die sich um die Sache der Flüchtlinge besonders verdient gemacht haben. Er wird einmal im Jahr unter den Augen der Weltöffentlichkeit vergeben. Bis es soweit war, mussten wir also unsere Mission selbst später vor Ort in Dungu noch streng geheim halten.
Nach weiteren Briefings und der Organisation der benötigten Visa ging es also im August vom Flughafen Entebbe in Uganda aus mit dem UN-Helikopter in Richtung Nord-Kongo, an die Grenze zur Zentralafrikanischen Republik, in einen kleinen Ort namens Dungu.
Dort kümmert Angelique Namaika, eine kongolesische Ordensschwester, sich aufopfernd um junge Frauen, die von den Rebellen der berüchtigten ugandischen Rebellengruppe LRA („Widerstandsarmee des Herrn“) in den Busch entführt und zu Kindersoldaten und Sexsklaven gemacht worden sind. Als Rückkehrer leiden sie unter dem Trauma der Gewalt, aber auch der Stigmatisierung durch die eigene Gesellschaft.
Da nicht alle Straßen, die nach Dungu führen, sicher genug sind, dass UN-Fahrzeuge auf ihnen fahren dürfen, wurden wir in einem Militär-Helikopter zusammen mit in Dungu stationierten Blauhelmsoldaten aus Bangladesch und Ägypten eingeflogen. Während des langen Fluges überquerten wir stundenlang dicht bewachsenes Buschland ohne Zeichen menschlichen Lebens.
Ich bekam eine Vorstellung von der Größe, aber auch der natürlichen und unerwarteten Schönheit eines Landes, das normalerweise eher mit Krieg und Verderben assoziiert wird. Die Rebellen selbst sind nicht mehr unmittelbar in Dungu anzutreffen, machen aber immer noch in Splittergruppen das Buschland um Dungu herum unsicher.
Das sind allerdings mehr Überfälle auf kleine Gehöfte, um den eigenen Hunger zu stillen und weniger tatsächliche Entführungen. Daher kommen aber immer noch Vertriebene auf der Suche nach Schutz in Dungu an. Dort bewacht die UN die Stadt, also konnten wir uns relativ sicher fühlen. An die Ausganssperre ab 18 Uhr hielten wir uns natürlich dennoch strikt.
In Dungu angekommen, begann dann auch schon gleich die Arbeit und wir lernten Schwester Angelique Namaika kennen. Ihre Warmherzigkeit und die hingebungsvolle Arbeit für die jungen Frauen sind mir heute noch in Erinnerung. Sie war auch sehr professionell im Umgang mit uns und das, obwohl sie von den Medien geradezu belagert wurde. Gerade war ein spanisches Fernsehteam da gewesen, nach uns hatte sich direkt das nächsten Autoren- und Fotografenteam angekündigt.
Dennoch war sie eine große Hilfe, nahm uns überall mit hin, zeigte uns ihre Projekte und Schützlinge und verlor nie die Geduld. Auch nicht nach stundenlangem Interviewen und Fotografieren. Ihrem einzigartigen Draht zu den jungen Frauen ist es auch zu verdanken, dass ich trotz der schwierigen Rahmenbedingung (ich durfte einige Frauen aus Sicherheitsgründen nicht mit dem Gesicht zeigen) zu tollen Portraitaufnahmen kam.
Ohne den Kontakt über die Schwester wäre das für mich allein natürlich nie möglich gewesen. In der Zeit, die wir mit der Schwester, der Preisträgerin des diesjährigen Nansen-Flüchtlingspreises verbrachten, ist mir auch vor allem eines aufgefallen: Die Einfachheit der Mittel, mit denen die Schwester so Großes bewirkt.
Da wird kurzerhand eine kleine Kirche in ein Klassenzimmer verwandelt: Eine Tafel und ein paar Holzbänke auf den Sandboden gestellt und los geht es mit dem Alphabetisierungsunterricht. Mehl, Öl, ein wenig Zucker und eine Bratpfanne reichen im Kochkurs aus, um den Frauen das Brotbacken zu lehren. Schon durch eine einfache Fähigkeit wie diese ist es den Frauen möglich, ihre Kinder in die Schule zu schicken, sodass sie lesen und schreiben lernen und später einmal auf eigenen Füßen stehen können.
Bei den Bildern war es mit somit wichtig, dass sie einfach, mitfühlend und nah am Menschen sind, gleichzeitig von einer Ehrlichkeit und Direktheit, wie ich sie auch in der Arbeit der Schwester wiedergefunden habe.
Viele der Schicksale der Frauen sind sehr hart und es ist für mich nach all den Interviews und der Arbeit am Thema sowohl in der DRC als auch in Uganda immer noch weitestgehend ein Rätsel, wie die Frauen das Trauma bewältigen und dann scheinbar zumindest nach außen hin wieder mit beiden Beinen auf dem Boden landen.
Auch, wenn ich mich auf diese Reisen als Fotografin begebe, die einen guten Job machen will, komme ich oft als Mensch wieder, der etwas Neues gelernt hat. Ich glaube, das ist es, was mir dabei mit am meisten gefällt.
Hilary und ich haben zwar nur drei Tage in Dungu verbracht, doch die Begegnung mit Schwester Angelique Namaika, die unerwartete Schönheit von Dungu mit seiner saftig grünen Natur sowie den alten Kolonialbauten aus der Zeit der Belgier werde ich wohl so schnell nicht vergessen.
Geblieben sind wie immer die Fotos, die hoffentlich vielen Leuten erzählen werden, dass es auch an scheinbar hoffnungslosen Orten Menschen gibt, die einen Unterschied machen.