Fotograf, Karlsruhe, Mütze
03. April 2014 Lesezeit: ~10 Minuten

Sieh, das Gute liegt so nah

Letzte Woche erreichte mich unter meinem fotografischen Rückblick folgender Kommentar von Tobias Weisserth. Bezug nehmend darauf, dass ich in Karlsruhe wohne und Menschen auf der Straße fotografiere, schrieb er unter anderem Folgendes:

Für Fotografie braucht man Inspiration. Inspiration ist auch, wenn nicht vor allem, vom Ort abhängig. In deutschen Kleinstädten findet man das weniger. Ich weiß das, weil ich auch in sehr vielen deutschen Kleinstädten gelebt habe: Brühl, Kaiserslautern, Zweibrücken und einige andere. Karlsruhe fällt für mich auch in diese Kategorie. Ich habe mich nach dem Studium bewusst für eine Großstadt entschieden, auch wenn hier die Mieten dreimal bis viermal so teuer sind wie in einer Kleinstadt.

Nichts würde mich aus Hamburg in eine Stadt wie Karlsruhe bewegen können. Außerdem führt mich mein Beruf beinahe monatlich in Städte wie London, Paris, San Francisco, Las Vegas, Washington D.C., New York, Seattle, Turin. Ich war dieses Jahr bereits in Seattle und Las Vegas und werde im April wieder Zeit in Las Vegas, New York und San Francisco verbringen. DAS bringt Inspiration!

Auch wenn ich nicht hauptberuflich Fotograf bin, habe ich mein Leben und meinen Beruf nach meinen fotografischen Bedürfnissen ausgerichtet. Der wesentliche Bestandteil dieser Ausrichtung ist das heimische Umfeld und die Möglichkeit, regelmäßig an verschiedene Orte der Welt zu reisen.

Statt einer fotografischen Pause würde ich einfach mal einen fotografischen Ortswechsel empfehlen und Karlsruhe Karlsruhe sein lassen und andere Bühnen erkunden, vielleicht auch längerfristig mit einem Umzug in andere Stadt oder gar in ein anderes Land.

Warum ich hier darauf eingehe

Als ich letzte Woche von einem Bekannten auf Tobias’ Kommentar angesprochen wurde, merkte ich im Gespräch darüber, wie viel das Thema eigentlich hergibt. Denn es geht hier nicht um Tobias, sondern um die Aussage, die nicht selten in fotografischen Kreisen kursiert.

Doch damit ich das Thema nicht irgendwie mit metaphorischem Herumgeschwurbel erklären muss, habe ich mich entschieden, das letzte Drittel seiner Worte hier zu zitieren. So kann niemand behaupten, dass „sowas doch keiner denkt“.

Wichtig: Das Zitat oben behandelt nur den letzten Teil des Kommentars, den ganzen Kommentar könnt Ihr hier nachlesen.

Spezifikationen des Artikels

Ich bin kein Profi. Weder mag ich die Bezeichnung, noch bin ich der Schlaumeier vom Bau. Zwar geben sich „Profi-Fotografen“ gerne als solche aus, doch – oder gerade weil – die Erwartungen an mich oft in dieser Form geäußert werden, möchte ich mich direkt davon distanzieren.

Ich argumentiere hier als Mensch und kann deshalb nur von mir und meinen subjektiven, bruchstückhaften Erfahrungen sprechen.

Kommentierung des Kommentars

Ich werde nun einzelne Aussagen von Tobias herausgreifen und besprechen.

Für Fotografie braucht man Inspiration. Inspiration ist auch, wenn nicht vor allem, vom Ort abhängig.

Zu allererst wird hier die Argumentationsgestaltung von Tobias deutlich. Er setzt eigene Erfahrungen absolut, er spricht (wenn auch unbewusst) von „man“. Und „man“ wird im deutschen Sprachgebrauch stellvertretend für ich/wir benutzt. Oder auch als gedachte Person, die nach eigenem Ermessen richtig handelt1.

Im ersten Satz mag das noch passend sein, doch schon ab dem zweiten wird es haarig. Inspiration ist seiner Aussage nach vom Ort abhängig. Für alle.

Ich möchte an dieser Stelle im oben aufgeführten Kontext bleiben: Straßenfotografie. Diese findet an Orten statt, an denen sich Menschen aufhalten. Dörfer, Kleinstädte, Großstädte. Sogar in der Natur.

Daher würde ich sagen: Straßenfotografie ist natürlich vom Ort abhängig, aber von welchem ist – Gott sei Dank – jeder Person selbst überlassen. Und somit auch die …

Inspiration

Wer sich von welchem Ort inspiriert fühlt, ist so offen, wie Oma Friedas Scheunentor morgens um fünf. Inspiration hat so viele Gesichter, dass sie sich eben nicht an einen Ort binden lässt.

Um bei mir zu bleiben: Inspirierend ist für mich das Leben, wie es ist. Gespräche mit Freunden, Bücher und vor allem Bildbände. Diese führen mir vor Augen, wo Fotografen gelebt haben und wie sie damit umgegangen sind.

Und ganz besonders fühle ich mich inspiriert, wenn ich durch Karlsruhe laufe. Hier bin ich zuhause, kenne mich aus und fühle mich auf gewisse Weise mit den hier lebenden Menschen verbunden. Das Wörtchen Heimat kommt hier auch ins Spiel.

In deutschen Kleinstädten findet man das weniger. Ich weiß das, weil ich auch in sehr vielen deutschen Kleinstädten gelebt habe: Brühl, Kaiserslautern, Zweibrücken und einige andere. Karlsruhe fällt für mich auch in diese Kategorie.

In deutschen Kleinstädten findet man das (= Inspiration) weniger. Aha? Nochmal: Hätte Tobias „ich“ statt „man“ geschrieben, kein Problem.

Jedoch möchte ich dem Ganzen mal eines entgegensetzen: Ich mag deutsche Kleinstädte. Sehr sogar. Sie mögen trist und karg sein, vielleicht sogar hässlich. Manche Ecken sind wunderbar architektonisch gestaltet, andere brutal versifft, vernachlässigt und kaputt.

Was ist daran nicht liebenswert? Warum kann mich das nicht inspirieren? Gerade die Interaktion der dort wohnenden Menschen mit urbanen Elementen festzuhalten, kann sehr herausfordernd sein.

Außerdem führt mich mein Beruf beinahe monatlich in Städte wie London, Paris, San Francisco, Las Vegas, Washington D.C., New York, Seattle, Turin. Ich war dieses Jahr bereits in Seattle und Las Vegas und werde im April wieder Zeit in Las Vegas, New York und San Francisco verbringen. DAS bringt Inspiration!

Schön! Auch ich war schon in diversen „Weltstädten“ wie New York, Paris, Barcelona und und und. Ich liebe es, mir unbekannte Kulturen kennenzulernen. Das ist erfrischend, neu und wirklich spannend. Jedoch sind sie für mich nicht per se besser oder schlechter zum Fotografieren geeignet als Karlsruhe.

Ich mag Karlsruhe sehr. Warum? Weil es mir auch emotional nahe ist, weil ich meine eigene Geschichte damit verbinde, weil es ein bisschen zu mir gehört. Gerade das ist für mich (wohlgemerkt: für mich) fotografische Herausforderung und zugleich Arbeit an meiner handwerklichen Kompetenz.

Ganz nebenbei bin ich nicht so reich, dass ich regelmäßig Ausflüge in allerlei Weltstädte buchen könnte. Ich kann es mir schlicht und einfach nicht leisten. Und wenn ich ehrlich bin, will ich auch nicht. Ich habe hier die besten Freunde und meine Familie. Und das spielt für mich eine große Rolle.

Umzug?

Statt einer fotografischen Pause würde ich einfach mal einen fotografischen Ortswechsel empfehlen und Karlsruhe Karlsruhe sein lassen und andere Bühnen erkunden, vielleicht auch längerfristig mit einem Umzug in andere Stadt oder gar in ein anderes Land.

Wir sind also an der Spitze der Argumentation angekommen. Tobias rät mir, umzuziehen. Zur Not sogar in ein anderes Land.

Nun, ich werde mal die Inspiration Inspiration sein lassen und hier keine Haarspalterei betreiben.

Wenn die Konsequenz des Fotografierens jedoch sein sollte, dass ich nicht mehr dort leben kann, wo ich zuhause bin, dann male ich lieber kitschige Bilder von Bachblüten oder suche mir ein anderes Hobby.

Jedoch ist die Fotografie für mich exakt das Gegenteil. Sie bedeutet, achtsam und – Achtung, antiquiertes Wort – dankbar für das zu sein, was um mich herum ist. Hinter die Dinge und Personen zu schauen und selbige nicht als selbstverständlich zu sehen.

Ich für meinen Teil ziehe es jedenfalls vor, so zu arbeiten, als der Inspiration hinterherzureisen. Denn auch – man glaubt es kaum – ein Paris, New York oder Frisco kann irgendwann langweilig werden.

Und dann?

Langeweile

Vor nicht allzu langer Zeit hat mir ein ambitionierter New Yorker Straßenfotograf gestanden, dass er New York inzwischen schrecklich langweilig fände. O-Ton: „It bores the hell out of me.“

Er kenne mittlerweile jede Straße auswendig (und das muss was heißen), es gäbe nichts Neues mehr und außerdem wäre es seiner Ansicht nach nichts Außergewöhnliches, in solch einer Weltstadt zu fotografieren. Das könne jeder.

Immer, wenn ich ihm von Karlsruhe erzählte, bekam er große Augen. Wollte mehr davon hören. Für ihn war dieses unbekannte Karlsruhe, das er nur von meinen Bildern kannte, überhaupt nicht langweilig.

Mir hat das zu denken gegeben.

Ich glaube, dass ich als Straßenfotograf die Aufgabe habe, meine Heimat zu dokumentieren. Den Ort, an dem ich lebe, zu karikieren, einzufangen, plastisch zu machen. Damit sich Menschen in 30 Jahren daran erinnern können, wie es damals war.

Für mich ist das Inspiration. Und ich muss nur zur Haustür hinauslaufen und es kann losgehen. Ist das nicht toll? Finde ich schon.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Mihály Csíkszentmihályi, einem emeritierten Professor für Psychologie an der University of Chicago, aus seinem Buch „Creativity: Flow and the Psychology of Discovery and Invention“*:

[…] creative individuals are remarkable for their ability to adapt to almost any situation and to make do with whatever is at hand to reach their goals.

Dieses Zitat schließt beides mit ein: Menschen, die sich an neuen Orten schnell anpassen können und diejenigen, die auch in der Heimtatstadt klarkommen. Kreativ zu sein, ist nicht entweder oder. Es ist mehr. Denn es hat etwas mit Persönlichkeit zu tun.

1 Quelle: Wiktionary zu „man“

* Das ist ein Affiliate-Link zu Amazon. Wenn Ihr darüber etwas kauft, erhält kwerfeldein eine kleine Provision, Ihr zahlt aber keinen Cent mehr.

45 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. Sehr richtig, Martin, gute Worte! Inspiration ist da oder nicht da! Manche Menschen machen geniale Bilder lediglich in ihrer eigenen Wohnung und finden dort Tag für Tag neue Inspiration für fantastische Bilder. Einige lassen sich durch Menschen inspirieren, derer es sowohl in Klein- als auch Großstätten sehr sehr viele gibt – und gerade in Kleinstätten sind die Menschen oftmals sehr charaktervoll und interessant! Und von Makro-Fotografen will ich gar nicht erst schreiben! *lach*

    Auch Deinen dokumentarischen Ansatz zur Straßenfotografie mag ich sehr, denn gerade das macht den Reiz ja aus, sich die Bilder anderer Straßenfotografen anzusehen. Bilder des Erfahrungshorizontes DIESER Fotografen, sei dies Paris, Karlsruhe oder Anrath! ;)

    Für manche mag dies bedeuten, Ihrer Inspiration hinterherreisen zu müssen, und auch da ist nichts falsches dran, aber es ist eben wie immer nicht der einzige Weg, den zu beschreiten es gibt! Tolle Inspiration gibt es überall – in jeder Wohnung, jeder Stadt und jedem Land – behaupte ich einfach mal allumfassend! :D

    Und nun warte ich gespannt auf die kommende Leseraktion!! (Bisspuren und Kratzer, welche durch Aufregung meine Tischplatte verunzieren, gehen also völlig auf Euer Konto, liebe Kwerfeldein-Crew!) :D

    Einen wundervollen und inspirierenden Tag Euch allen! :)

  2. Als ein (geborener, also im Herzen immer noch) Grossstadtmensch, kann ich zwar das Sentiment bzgl. Grosstädte und Inspiration, was der Originalschreiber geschrieben hat, im Grunde nachvollziehen – aber, ich denke, da hat er Inspiration und Motiv durcheinander gebracht. Inspiration regt den Gedankengang in dem Fotograf oder Künstler an. Um die daraus entstandene Idee am vorgegebenen Motiv zu finden und an den Betrachter weitergeben zu können, braucht es einen weiteren Schritt, finde ich – Du hast ihn sehr zutreffend beschrieben: Achtsamkeit und Dankbarkeit. (Jetzt verallgemeinere ich absichtlich ;)) Man braucht sie in der Strassenfotografie vermutlich mehr als in anderen Genre und genau da liegt die eigentliche Kunst. Ansonsten wäre es reines Abfotografieren eines Motivs – ein Handwerk sozusagen…

    In diesem Sinne möchte ich mich bei Dir, Martin, und anderen kwerfeldein-Teammitglieder bedanken für die tägliche Inspiration – sowohl in Bilder als auch in Wörter!

    D.

  3. Interessante Diskussion, die nur auf den ersten Blick wirklich was mit Fotografie und Bildern zu tun hat. „Inspiration, inspiriert sein, sich inspirieren lassen“ ; all das hat mit dem Leben, Menschen, Haltungen, Meinungen, Bildung und Wissen und wesentlich mehr zu tun.

    Was mich vor allem an dem Kommentar gestört hat, war die darin enthaltende Verallgemeinerung, die du ja auch kritisierst. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Haltung, die zum Dogma stilisiert wird. – Das ist dann wirklich uninspiriert.
    Danke für den Anstoß dieser Diskussion.
    Lg,
    Werner

  4. William Eggleston fotografiert in der Regel in der Umgebung seiner Heimat Memphis, Tennessee und Mississippi, und dort in Kleinstädten, die selbst nach unseren kleinstädtischen Massstäben öd sind. Seine Aufnahmen zeigen meist unspektakuläre, banale Motive. Fotografieren kann ich überall, so ich die Motive auch sehe – darauf kommt es meiner Meinung nach an. Von der Wüste – auf den ersten Blick das Ödeste überhaupt – gibt es tolle Fotos.

    • Ja, nur landen dank der Handy-Knipserei täglich ca. 20.000.000 unspektakuläre und banale Bilder im Netz. Sicher, fotografieren kann man überall, aber es gibt eben bereits ein riesiges Meer nichts sagender Bilder und warum sollte man noch einen Tropfen Banalitäten hinzufügen?

      • Du musst Dir ja nicht alle 20.000.000 angucken. ;) Das setzt nämlich auch unter Druck, mit allen Mitteln „besser“ zu sein, als die anderen „banalen“. Nicht gut. Außerdem: wer entscheidet denn, was nichts sagend ist und was nicht?

      • @Martin Gommel:

        Ja, das setzt einen unter Druck. Ich finde das aber gar nicht so schlecht, denn das führt letztlich dazu, die Messlatte immer ein wenig höher zu setzen. Ob man seinen eigenen Erwartungen gerecht wird, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. Aber als ambitionierter Amateur sollte man schon versuchen, sich von der Masse ein wenig abzuheben. Ich mein, wozu kauft man sich all das teure Zeug, wenn man am Ende die gleichen Schnappschüsse macht wie die 14jährige Lisa-Marie mit ihrem Smartphone? ;)

      • Die vergleichen sich nicht! Das ist ein sehr wahrer Satz. Man muss doch zusehen, was man selbst herausholt. Das muss nicht neben, unter oder über etwas anderem sein. Es muss vor den eigenen Augen zuerst bestehen.

  5. Ich teile da deine Ansichten voll und ganz allerdings finde ich es schade das du deine Zeit dafür verschwendest einem Amateur und selbst ernannten „Profi“ zu Beweisen wie falsch er mit seiner Argumentation liegt, du hättest in der Zeit einen Text über Inspiration und Kreativtät schreiben können denn das ist weniger Streitbar und ich denke auch deutlich Interessanter für alle Leser.

    @Tobias Weissereth:
    Ich bezweifle das du in der Professionellen Fotografie Fuss gefasst hast denn mit dieser Einstellung würdest du in den meisten Job’s (auch außerhalb der Fotografie) kläglich versagen denn in der Fotografie muss man aus „scheiße“ Gold machen an jedem Ort das schöne sehen und Wissen wie man es Betrachter zeigt und vermittelt auch in Karlsruhe und das jeden Tag.
    Ein paar Tipps für die Zukunft: das Anders auf dem Turmberg in Karlsruhe (hat sogar einen Michelin Stern und zwar nicht für Pizza&Döner) und achte mal bitte genauer auf das was du schreibst und wen du damit beleidigst.

  6. Hi Martin, ich finde rein akademisch gesehen hast Du natürlich recht: Inspiration kann ich auch immer wieder neu am immer gleichen Ort finden; vielleicht ist der Ort ja für meine Art der Fotografie nicht wichtig (sondern nur die Menschen), vielleicht ist meine Stadt aber auch ähnlich wichtig wie die Menschen und ich empfinde sie auch nach vielen Jahren noch spannend. Und persönlich hast Du natürlich sowieso recht, dann Fotografie und die dazugehörige Inspiration ist eine sehr subjektive Angelegenheit und richtig oder falsch gibts da ohnehin nicht.
    Mir persönlich geht es allerdings ähnlich wie Tobias: In einer fremden Stadt atme ich (was die Fotografie betrifft) auf, platze vor Neugier, gerate in einen übermütigen Entdeckermodus. Diese Stimmung hat erstmal nichts mit Fotografie zu tun, wirkt sich allerdings gewaltig auf meine fotografische Inspiration aus (diesen Punkt hat Tobias nicht genannt). Da ich ein Augentier bin, manifestiert sich diese Hochstimmung darin, das alles in Bildern festzuhalten.
    Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Art von Straßenfotografie ich machen möchte: Mehr die reportagige (orts- und zeitgebunden) oder mehr die portraithafte (die ist näher am einzelnen Menschen dran und kann sich auch jahrelang im selben Stadtviertel abspielen).

  7. Hallo Martin, kann Dir in allen Punkten nur zustimmen. Wie Werner schrieb, hat die Diskussion wirklich nur am Rande etwas mit Fotografie zu tun. An dem Kommentar von Tobias Weisserth hat mich persönlich am meisten die Arroganz und Überheblichkeit gestört, die einem aus jedem seiner Sätze entgegen springt. Einfach nur bewunderswert zu was der Mann alles in der Lage ist: „extra in eine Großstadt ziehen, obwohl die Mieten dreimal so hoch sind, beinahe monatlich sich in einer anderen „Traumstadt“ aufhalten können“, und vor allem, „sein Leben und seinen Beruf nach seinem fotografischen Hobby ausrichten zu können“ usw. usw. Wie langweilig.
    Da fällt mir ein Zitat ein, was ich mal irgendwo im Internet aufgegabelt habe: „Arroganz ist die Perücke geistiger Kahlheit“.
    Einen schönen Tag noch :-)

  8. na, sooo gnadenlos schlecht ist KA nun auch nicht. Vielleicht muss „man“ auch diese Stadt erstmal etwas länger kennenlernen, um die schönen Seiten zu finden. Das geht bei einem nächtlichen Zwischenstopp aus dem Hotelzimmer heraus (wömöglich noch bei Nieselwetter) gar nicht.
    Wie trist ist HH bei Nieselregen, wenn ich durch Barmbek oder Eimsbüttel laufe… und wie genial bei Sonnenschein entlang der Elbe, an der Alter, oder auch in St. Pauli! (Im übrigen „meine“ Stadt!!!).
    Fazit: auch wenn ich hier, wo ich wohne, immer allen von HH vorschwärme und zu überzeugen versuche, dass es (neben CT) DIE Stadt schlechthin ist… ich muss Martin doch Recht geben ;-)

  9. ich bin schon so oft umgezogen und habe gemerkt, dass man Freunde und Familie nicht im Koffer mitnehmen kann. es bringt einen gar nichts, in der inspirierenden Großstadt zu wohnen, wenn man abends nicht den kühlschrank von freunden plündern kann. natürlich findet man in der neuen großstadt wieder neue freunde, doch das dauert und ist nicht automatisch so tief wie bei den alten Freunden. deshalb mein fazit aus 43 Lebensjahren und bestimmt 12 Umzügen: Lebe da, wo dein herz zu hause ist. Nicht dort, wo es am meisten motive gibt.

  10. Perfekt. Passt.

    Ich habe im letzten Jahr den Kreis meiner Heimat so eng gezogen, dass ich ein ganzes Jahr nur den Umkreis von vielleicht einem Kilometer um meinen Wohnort in einer Serie fotografiert habe. Ich kann so was jedem nur empfehlen. Das erzählt von mir, von dem Ort an dem ich lebe. Das wird auch in vielen Jahren noch von Belang für mich (oder meine Kinder sein) und war dennoch auch fotografische ein wichtiger Schritt für mich.

    Auf Reisen zu ’sehen‘ ist so einfach. Zu Hause zu ’sehen‘ ist ungleich schwerer, öffnet aber buchstäblich die Augen.

    Meine Serie: http://stefansenf.de/?cat=43

  11. Inspiration heißt auch Suchen und das geht für mich am einfachsten dort, wo ich auf Anhieb nichts finde. Am ehesten an unspektakulären Platzen. Ich nenne es das „Aufbäumen des Verborgenen“, wenn sich die Seele unscheinbarer oder auf den ersten Blick sogar hässlicher Orte auftut.

    Deswegen gebe ich dir mit dem „man“ als Verallgemeinerung recht. Es mag Fotografen geben, die benötigen den Input von außen (vor allem in Großstädten) um daraus für sich immer neue Ideen und Kraft zu ziehen, andere aber empfinden dasselbe eventuell als permanentes Störsignal.

  12. „“I think it’s exciting to make something extraordinary out of the banal. I’m not the kind of photographer that needs to travel to take pictures.“ – Jeff Mermelstein

  13. schöner Artikel.. ich finde es ja sogar spannender in „Kleinstädten“ zu fotografieren.. denn in tollen Metropolen schafft man es „leichter“ tolle Bilder hinzubekommen!

  14. Ich sehe das allerdings ähnlich wie der im Artikel zitierte Tobias. Ich lebe auf dem „platten Land“, zwar mit einer kleinen Großstadt (knapp über 300.000 Einwohner) in der Nähe, aber eigentlich ist das alles Provinz hier. Und ja, auch ich finde das wenig inspirierend.

    Als ich dagegen noch im Außendienst für eine IT-Firma unterwegs war und deshalb wirklich alle Großstädte Deutschlands teils mehrfach besuchte, fühlte ich dieses gewisse „Etwas“. Wenn ich am Abend Zeit hatte, bin ich oft noch in den Städten unterwegs gewesen, überwiegend zu Fuß natürlich und nicht nur in den Zentren, um das Flair aufzunehmen. Ich habe festgestellt, dass jede Großstadt ihr eigenes „Feeling“, ihre eigene Atmosphäre hat, eine Mischung aus Geräuschen, Gerüchen, Farben und Formen. Wie ein Fingerabdruck. Eine solche Stadt ATMET und pulsiert. Das ist Inspiration und verursachte bei mir teilweise sogar ein gewisses Prickeln, auch wenn es sich blöd anhört. Eine Großstadt verändert sich permanent, täglich prasseln neue Eindrücke auf einen ein, die Zahl der Menschen, mit denen man zusammen kommt, ist deutlich größer als auf dem Land oder auch in Kleinstädten. Die Vielfalt der Architektur und unterschiedlichster Baustile ist teils enorm. Täglich kann man neues entdecken. Ich habe auch eine Weile in Essen gelebt, und obwohl Essen beileibe keine schöne Stadt ist, vermisse ich einiges doch sehr.

    Da können Kleinstädte in der Regel einfach nicht mithalten. Sie sind, was sie sind: provinziell, langweilig und öde. Und zwar in jeder Hinsicht. Wobei, es mag Ausnahmen geben, vielleicht gehört Karlsruhe dazu.

  15. Du sprichst mir aus der Seele, Martin! Ich bin eigentlich kein großer „Fan“ von Streetfotografie, aber deine Bilder verfolge ich schon länger und sie gefallen mir nicht zuletzt deswegen so gut, weil mich fast jedes Bild irgendwie an Karlsruhe erinnert. (Habe in Karlsruhe studiert und war auch danach noch oft dienstlich dort. Ich mag Karlsruhe.) Deshalb: Weiter so!

    Florian

  16. Sicher hast du Recht Martin, aber das ist doch etwas über die Strenge geschlagen. Ich finde es nicht in Ordnung, dass du den Kommentar vor der versammelten Kwerfeldeingemeinde samt gesamten Namen des Verfassers auseinanderrupfst. Sicher dreht sich bei manchen Kommentaren mal der Magen herum und da ich keine Bloggerin bin, weiß ich auch nicht, wie viele dämliche Sachen du dir anhören/durchlesen musst. Aber der Inhalt dieses Artikels wäre in der Kneipe am Tisch mit Freunden besser aufgehoben als hier. Wenn ich mal Mist im Internet verzapfe hoffe ich sehr, dass niemand meinen Kommentar entdeckt und ihn vor mehreren tausend Menschen zerpflückt und mein voller Name mit im Spiel ist.

    • Ich weiß, was Du meinst, Anne. Und ich habe ehrlich gesagt auch kurz überlegt, ob das okay ist. Ich habe mich dafür entschieden, Argument für Argument zu besprechen und nüchtern Stellung zu nehmen, weil (wie man sieht) das Thema nicht nur für mich relevant ist, sondern auch für andere. Für mich wäre das was anderes, hätte ich den Kommentar privat bekommen und dann öffentlich gemacht. Jedoch war der Kommentar schon vorher öffentlich zu lesen…

      • Du schreibst:

        „Ich habe mich dafür entschieden, Argument für Argument zu besprechen und nüchtern Stellung zu nehmen, weil (wie man sieht) das Thema nicht nur für mich relevant ist, sondern auch für andere.“

        Sorry, von „Nüchtern Kommentierend“ bist du für mein Empfinden sehr weit weg.

        Für den Einen heißt Fotografieren das Haus verlassen, für den Anderen heißt es, die Welt erkunden.

        „Willst Du ein Fotograf werden verlass dein zu Hause!“
        Steve McCurry (National Geographic Fotograf)

        „Um Bilder zu machen brauche ich Orte, in die ich eintauchen kann, in denen ich eins bin mit der Realität.“
        Antoine d’Agata (Magnum Fotograf)

  17. Zuerst einmal vielen Dank für jeden einzelnen Diskussionsbeitrag. Sehr interessant und aufschlussreich.
    Ich möchte hier noch folgenden Beitrag liefern, weil er mir persönlich in der Beantwortung der Frage „was, wo, und warum photographiere ich“ sehr weitergeholfen und zu meinem photographischen Selbstbewustsein beigetragen hat, und für mich jedenfalls viele Fragen und Zweifel wie „Inspiration – woher ?“… „Motive: langweilig oder nicht, und für wen ?“ … „Großstadt- oder Kleinstadt-„feeling“?“ beantwortet oder zumindest in den Hintergrund hat treten lassen.
    Harry Callahan (1912-1999), versuchte sich 1946 mit einem Exposé für ein Stipendium vom Museum of Modern Art in New York zu bewerben. Er musste sein „Projekt“ beschreiben:
    „My project could only be to photograph as I felt and desired; to regulate a pleasant form of living; to get up in the morning – free, to feel the trees, the grass, the water, sky or buildings, people – everything that affect us; […] This, I know, is not a definite project because life itself is not definite, but it could be part of a lifetime project […].
    (Zitat aus: Dirk Luckow, Sabine Schnakenberg (Hg): “Harry Callahan” Retrospective, Kehrer Verlag, 2013 )
    Das mag hier für den ein oder anderen etwas schwülstig klingen. Für mich war dieses Zitat und die Beschäftigung mit Harry Callahans Werk und Antrieb jedenfalls ein kleiner Befreiungsschlag, nämlich die Erkenntnis (1) es geht um nichts weniger als meine Emotionen und mein Leben, und meine Vorlieben und die Art mich (photographisch) auszudrücken – wann, wo und wie ich es möchte, und (2) vorgenanntes ist in einem „lebenslangen“ Wandel unterzogen.
    Harry Callahan hat das Stipendium nicht bekommen. Trotzdem hat er sich zu einem herausragenden Pionier der amerikanischen Fotografie im 20. Jahrhundert entwickelt. Seine häufigsten Sujés sind: Seine Frau (Eleonore), seine Stadt (in der er gerade wohnte), und die Natur die ihn umgab.
    Das oben zitierte Buch beginnt mit dem Zitat:
    „I wish more people felt that photography was an adventure the same as life itself and felt that their individual feelings were worth expressing”

  18. Da sind viele Gedanken dabei die ich schon sehr Früh bei der Street-Fotografie hatte. Und viel Street hab ich noch gar nicht fotografiert.

    Man sieht seine eigene Stadt nicht mehr, weil man sie jeden Tag sieht. Bei uns sagt man so schön: Man sieht den Wald vor lauter Bäume nicht mehr!

    Und genau so ist es, man muss erst wieder lernen zu sehen. Für mich ist New York, Istanbul, usw. sehr interessant, ich war dort noch nicht, kenne es nur von Fotos. Wien ist für mich mehr oder weniger langweilig, genau aus dem oben genannten Grund: Ich wohne hier.

    Und dennoch gäbe es viel Moment in denen ich ein Foto machen könnte, wenn ich nur wollte. In den meisten Fällen freue ich mich schlichtweg darüber, die Szene gesehen zu haben. Ich ärgere mich nicht das Foto nicht gemacht zu haben.

    Inspiration – die kann ich mir in der Natur, einem Buch, aus einer Unterhaltung, aus einem Film, einem Coputerspiel, einen Comic und selbst beim Sex holen. Die Frage ist nur, wie wach gehe ich durch die Welt um zu sehen?! Wie viel nehme ich wahr das mich umgibt und wie gut bin ich darin, dinge zusammenzuführen, also kreativ zu sein?

    Am Ende muss jeder das tun vom dem er glaubt das es für ihn das Richtige ist. Einen goldenen Weg, den gibt es hier nicht.

  19. …von beiden Seiten natürlich interessante Sichtweisen.
    Aber wird das hier jetzt eine neue Serie unter dem Motto:
    Diskutiere und rechtfertige Dich mit einem jeweils besseren Argument,
    zu Deiner jeweiligen Sichtweise?

    Bevor ich die Kommentare zu diesem Beitrag gelesen habe, habe ich mich gefragt: Was sagt eigentlich der hier direkt bezogene „Tobias“ dazu? Habt Ihr euch auch ausserhalb dieses Artikels nochmals ausgetauscht?

    Wenn ich ehrlich bin, habe ich den eigentlichen Kommentar von Tobias im weitestes Sinne nicht ernst genommen. Er ist sehr stark emotional geprägt, und lässt für ihn keine weitere Toleranz zu.
    Und so entschied ich für mich: Wie will man bitte eine Stadt, in der man jeweils nur eine Nacht übernachtet, in der man nur mal kurz um den Block läuft, und in der man nur in der Innenstadt unterwegs ist, kennen lernen?
    Das er gleich zum Umzug rät halte auch ich für etwas übertrieben.
    Aber wenn er uns verraten hätte, in welchem Hotel er genächtigt hat,
    dann könnte man ihm auch aufzeigen, wo es eventuell besser gewesen währe…

    Tobias hat in seinem Kommentar einen für mich entscheidenden Satz geschrieben: „…am frühen Abend war schon fast kein Mensch mehr auf der Straße (nach Ladenschluss) und das kulinarische Angebot im Zentrum rund ums Hotel beschränkte sich überwiegend auf Dönerläden und Pizzabuden. Deprimierend. …“

    Wenn ich nach diesem Satz gehe, dürfte ich nie in eine (Klein)Stadt gehen.
    Egal an welchem Ort auf der Welt.
    Ich dürfte mich nur in Großstädte aufhalten, welche sozusagen niemals schlafen.
    Ich hatte das Glück und durfte in den vergangenen Jahren auch zumindest etwas herumkommen. Wenn man nunmal nur eine Nacht, oder nur wenige Nächte, in einer Stadt verbringt,
    wird man nicht viel sehen. Man wird ausserhalb eines gewissen Radius um das Hotel nichts weiter kennen lernen. Man kennt die Stadt nicht. Und bevor man sie kennenlernen kann, reist man schon wieder ab. Deswegen verstehe ich Tobias…

    Martin hingegen kennt seine Stadt.
    Ich glaube jeder würde wie Martin reagieren, da man sich in seiner Umgebung wohl fühlt,
    da man seine Umgebung kennt, und man den jeweilig anderen auch davon Überzeugen möchte.
    Ich glaube auch, dass auch ich so reagieren würde.
    Ich würde insbesondere auch wie Martin im Bezug auf Karlsruhe reagieren.
    Ich würde aber auch so reagieren, wenn jemand diesen Text über mein
    „500-Seelen- und 3-Straßen-Dorf“ schreiben würde.
    Karlsruhe hat seine schöne Seiten,
    Karlsruhe hat auch seine hässlichen Seiten.
    Karlsruhe ist eben doch eine Stadt wie jede andere.
    Deswegen verstehe ich Martin & jeden anderen, der seine Stadt und Heimat „verteidigen“ möchte…

  20. Blogartikel dazu: Straßenfotografie in Deutschland: Anregungen und Tipps › kwerfeldein - Fotografie Magazin | Fotocommunity

  21. Ha! Kaum versäumt man mal seinen Feedreader ein paar Wochen regelmäßig und tiefgründig zu filtern, schon findet man sich ungefragt und ohne Kenntnis auf persönlichster Ebene mit voller Namensnennung in einer öffentlichen Debatte wieder, die wochenlang hinter meinem Rücken stattfand. Martin, findest Du nicht, es wäre anständiger gewesen mir eine kurze Email zu schreiben, etwa so: „Hi Tobias, Dein Kommentar war wirklich interessant und anregend, aber ich würde das gerne in einem Blogpost kommentieren und debattieren. Hier ist der Link zum Blogpost.“?! Du hattest ja schon auf meinen Kommentar mit einem Kommentar Deinerseits geantwortet und meine Emailadresse hattest Du auch. So bleibt erst mal der fade erste Eindruck, dass es Dir mit diesem Blogpost eher um ein letztes Wort ohne Widerwort als um eine offene Debatte mit zwei Seiten ging. Eine öffentliche Aburteilung sozusagen. Mit Ankündigung und Gelegenheit zum Kommentar wäre das alles cool gewesen, aber so wirkt das einfach nur hinterpfotzig. Da hätte ich mehr erwartert, Herr Herausgeber. Ich hoffe, Du hast jetzt wenigstens ein klein bisschen ein schlechtes Gewissen.

    Ich hatte nie die Absicht, allgemein gültige, absolute Thesen aufzustellen. Du hast Deine Leserschaft in einem Blogbeitrag danach gefragt, was sie *Dir* empfiehlt, um Motivation und Inspiration aufzufrischen. Ich gab *Dir* *meine* Antwort für *Dich* darauf. Das war der Kontext der ursprünglichen Diskussion. So wie Du die Frage in Deinem ursprünglichen Beitrag gestellt hast, solltest Du einzelne Leserkommentare auch als persönliche Empfehlungen an Dich bewerten und nicht als absolute Thesen, die jemand gegen den Rest der Welt in den Raum stellt. Das war nie meine Absicht und auch nicht im Kontext Deines ursprünglichen Beitrags und die Art und Weise, wie Du das Satz für Satz in meinen Kommentar interpretierst, hat schon etwas davon wie die Zeugen Jehovas die Bibel auslegen. Das hat erst mal geschockt. Respekt. Hättest Du mich dazu interviewt bevor Du dazu eigenmächtig und unter Nennung meines Names veröffentlichst, wäre Dir das nicht passiert und Du hättest einen ausgewogenen Beitrag, der nicht nach Lynchjustiz riecht. Journalistisch geht anders, Herr Herausgeber. Wenn Du Bildmaterial anderer Autoren redaktionell einbindest, trittst Du doch auch erst mal in Kontakt mit ihnen, warum gilt nicht dasselbe für den Text, den ich geschrieben habe?

    Aber ich verzeihe Dir. Ehrlich. Weil ich glaube, dass Dich mein ursprünglicher Kommentar in einen Nerv getroffen hat, auf ganz persönlicher Ebene. Sonst würdest Du nicht nach einem bereits beantworteten Kommentar mit so einem Blogpost ausholen (und das hinter meinem Rücken ohne Notiz tun). Es muss also etwas dran sein, an meiner These, aus Deiner ganz persönlichen Erfahrung heraus.

    Und weil ich Dir verzeihe, bekommst Du auch noch ein paar sachliche Argumente nachgeschoben, damit Dein Beitrag nicht so einseitig im Raum steht. Das steht einer Debatte nämlich schlecht.

    Ich bleibe bei meiner These, dass ein Ortswechsel, temporär oder dauerhaft, ein guter Schritt zu persönlichem Wachstum als Künstler ist. Ganz allgemein. Es schadet niemandem, mal die Perspektive zu wechseln. Wir Fotografen machen das doch ständig – Perspektive wechseln. Genau darum geht es nämlich beim Ortswechsel. Man wechselt die Perspektive, denn Perspektive ist nichts anderes als der Abstand des Betrachters zur Szene.

    Es gab schon immer Orte, die künstlerisch mehr hergaben als andere. Oder Orte, die Sehnsuchtsorte von Künstlern waren/sind. Goethe war schon lange genial bevor er seine berühmten Studienreisen nach Italien unternahm. Ups, jetzt habe ich die Katze zu früh aus dem Sack gelassen. Richtig, geniale Künstler wie Goethe entflohen der deutschen Provinz ins Sehnsuchtsland der Kunstszene jener Zeit: Italien. Wohl kaum, um dort Badeurlaub oder Ballermann Sausen zu feiern, sondern für die Inspiration, die sie sich von einem solchen Ortswechsel erhofften.

    Dasselbe Verhalten prägt durchgehend die Geschichte der Fotografie. Wenn man sich durch die bekanntesten Fotografen der Fotografiegeschichte wühlt, wird man feststellen, dass die meisten etwas gemeinsam haben (also alle, die nicht ohnehin schon Paris oder New York als ihre Heimat nennen konnten – bitte diesen Beisatz mit Augenzwinkern verstehen) – Ortswechsel, die massiven Einfluss auf das künstlerische Schaffen hatten:

    Eugène Atget, geboren in Libourne, aufgewachsen in Bordeaux, nach Paris gezogen (um Schauspieler zu werden). Heute kennt man seine Paris Arbeiten. Wisst Ihr eigentlich wo Libourne auf einer Karte zu finden ist?!

    Edward Steichen, geboren in Bivange, Luxembourg, später ansässig in Milwaukee. Welche Motive Steichens aus Milwaukee sind irgend jemandem in Erinnerung? Seine New York Arbeiten kennt jeder Fotografie Begeisterte.

    Paul Strand, geboren in New York City, liess sich spät in seinem Leben in Orgeval, Frankreich nieder. Vielleicht hatte er genug von New York? Kannte jede Strasse? Vielleicht war der Ortswechsel eine gute Quelle der Inspiration für ihn?

    André Kertész, geboren in Budapest, 1925 nach Paris emigriert. Obwohl Kertész schon lange in seinem Heimatland fotografierte und veröffentlichte, sind es seine Paris Bilder, die ihn bekannt gemacht haben und in der kollektiven Erinnerung halten.

    Brassaï, in Brasov, Romänien geboren, als Kind nach Paris gezogen, spätere Stationen in der Karriere: Berlin, New York. Zu behaupten, Brassaïs Inspiration und Motivation für seine künstlerische Karriere speiste sich nicht aus der Pariser, Berliner oder New Yorker Umgebung, wäre einfach gelogen. Ohne Paris, ohne Berlin, ohne New York hätte es keinen Brassaï gegeben.

    Weegee (Arthur Fellig), geboren in Złoczów, heutige Ukraine. Früh in seinem Leben nach New York ausgewandert, dort als Fotograf berühmt geworden. In seiner letzten Schaffensphase Arbeiten aus ganz Europa für den Daily Mirror.

    Walker Evans, geboren in St. Louis, Missouri, verbrachte seine Jugend in Chicago und New York. Seine bekanntesten Arbeiten sind die fotografischen Berichte für die Farm Security Administration unter dem Eindruck der Great Depression und seine Bildberichte aus Kuba von 1933. Beides hätte es nicht gegeben, wenn er nicht bereit gewesen wäre über den Tellerrand zu springen.

    Robert Capa (Endre Friedmann), geboren in Ungarn, verbrachte seine ersten 18 Lebensjahre in seinem Heimatland, bevor er in Berlin zur Fotografie kam. Vor den Nazis nach Paris geflohen, setzte er dort seine Karriere fort. Es gab wohl kaum jemanden in der Geschichte der Fotografie (oder Kunst im Allgemeinen), der so kompromisslos dorthin ging, wo er als Fotograf und Berichterstatter am meisten ausrichten konnte.

    Robert Frank, geboren und schon als Fotograf heimisch in der beschaulichen, neutralen Schweiz, wanderte nach dem Krieg nach New York aus, um dort Modefotograf zu werden. Heute kennen wir alle sein bekanntestes Werk: The Americans. Alternativ bin ich mir nicht so sicher, ob er zuhause in der Schweiz die gleiche Inspiration für „Die Schweizer“ gefunden hätte…

    Elliott Erwitt, aufgewachsen in Mailand und Paris, ging als junger Erwachsener nach New York, um dort Film zu studieren. Das hätte er auch in Paris oder Mailand tun können. Heute kennt man ihn überwiegend für seinen humoristischen Blick auf New Yorks Straßenszenen.

    Lee Friedlander, geboren, aufgewachsen und künstlerisch-akademisch ausgebildet in Pasadena, Kalifornien, ging nach New York, um dort Jazz Musiker für Plattencover zu fotografieren. Heute ist er wohl weitgehend für seine Arbeiten aus „America by Car“ bekannt, die nicht entstanden wären, wenn er in seiner Heimat geblieben wäre.

    William Eggleston, geboren und aufgewachsen auf einer Baumwollplantage (Mayfair) in Mississippi ist heute einer der bekanntesten und kommerziell erfolgreichsten Fotografen der Welt, weil sich in New York in der Kunstszene vernetzt hat und Arbeiten in aller Welt erstellt hat.

    Alle diese Fotografen haben eines gemeinsam: die fotografischen Arbeiten, die man heute als ihr Lebenswerk definiert, entstanden ausserhalb ihrer ursprünglichen Heimat. Alle diese Fotografen wurden zu dem, was sie als Künstler ausmacht, weil sie sich bewegt haben, neue Perspektiven gesucht haben und ihr angestammtes Umfeld verlassen haben.

    Das ist heute nicht anders. Ein zeitgenössischer Strassenfotograf, dessen Arbeiten ich sehr schätze, stammt ebenfalls aus Hamburg. Andreas Herzau hat gerade mal ein einziges Buch zum Thema Strassenfotografie mit Bildern aus Hamburg oder Deutschland im Allgemeinen veröffentlicht. Alle seine anderen Veröffentlichungen zum Thema Strassenfotografie stammen von Sehnsuchtsorten der Strassenfotografie: Moskau, Istanbul, Indien, New York.

    Wenn man genau hinschaut, wird man feststellen, dass die erfolgreichsten Fotografen der Geschichte ihre stärksten Arbeiten an den Orten entstehen liessen, die eben nicht ihre Heimat waren. Das Gegenteil zu behaupten wäre fahrlässig falsch, auch wenn meine These garantiert nicht absolut ist und auf alle erfolgreichen und relevanten Fotografen zutrifft. Aber sie ist wahrscheinlicher, begründeter und mit ausreichend Beispielen belegt. Als ich Dir die Anregung gab, doch einfach mal über einen Ortswechsel nachzudenken, war das kein Befehl zur Entwurzelung. Ein Umzug ist extrem, aber meine Anregung beinhaltete keine Angabe zu einem Zeitraum. Man kann auch mal für drei Monate irgendwo hingehen. Es gibt heute Sabbaticals, Elternzeit usw. In der modernen Welt ist Mobilität wesentlich einfacher. Aber nach Deinem Beitrag hier habe ich fast den Eindruck, dass Dich das beleidigt hat. Warum? Du bist Fotograf und in der Fotografie sind diese dauerhaften oder temporären Ortswechsel eher häufiger als weniger Katalysator künstlerischen Erfolgs gewesen. Dass ich Dir das als Anregung in einem Kommentar mitgegeben habe, wurmt Dich? Warum? Weil es sachlich falsch ist? Wenn Du ehrlich bist, weist Du, dass das nicht wahr ist.