10. Mai 2011 Lesezeit: ~5 Minuten

Im Gespräch mit Frank Schott

„1993 wurde ein verurteilter Mörder hingerichtet. Sein Körper wurde für wissenschaftliche Zwecke segmentiert und fotografiert. 2011 haben wir ihn mit Hilfe der Fotografie wieder zusammengefügt.“

So wird auf www.project1231.com beschrieben, was Croix Gagnon und Frank Schott unternommen haben, um die folgenden Fotografien zu erstellen.

Auf den Fotos sieht man geisterhafte Gestalten, schwebend an verschiedenen Orten. Sie wirken wie Nebel, der gespensterhaft verschiedene Körperformen angenommen hat. Dass es sich bei diesem Nebel in der Tat um einen Toten handelt, ist kaum zu glauben. Mit Hilfe von Langzeitbelichtungen wurde ein Leichnam aus dem Visible Human Project genutzt, um diese Bilder zu erzeugen.

Der Körper stammt von Joseph Paul Jernigan. Er wurde am 5. August 1993 um 12:31 Uhr wegen Mordes durch eine tödliche Injektion hingerichtet. Die Uhrzeit wurde zum Titel des Projektes „12:31“.

Uns ist beim Besichtigen der Fotos ein langer, kalter Schauer über den Rücken gelaufen und wir konnten nicht anders, als Frank Schott, den Fotografen „Löcher in den Bauch“ zu fragen.

Tree

Hallo Frank. Wie kommt man auf die Idee, einen Leichnam in ein Foto zu integrieren?

Das Konzept für 12:31 kam vom Art Director, der Zugang zu den Daten des Visible Human Projects hatte. Mich hat eher die Fototechnologie interessiert – eine neue Umsetzung von Langzeitbelichtungen mit Hilfe von Motion Video.

Gab es Momente, in denen Du gedacht hast: „Nee, das kann man doch nicht machen!“ Oder warst Du von Anfang an ohne Zweifel begeistert?

Ich war eigentlich von Anfang an begeistert – von den visuellen Ergebnissen der Videosequenz als Lichtmalerei. Dass die Motion-Video-Sequenz des Visual Human Projects so genaue Abbildungen des menschlichen Körpers zeigen würde, war uns anfangs nicht bewusst – und wir haben deshalb schlussendlich die abstrakteren Abbildungen ausgewählt…

Aber ab und zu ist es Dir sicher auch kalt den Rücken runtergelaufen, oder?

Manchmal schon. Ich hatte vom Visible Human Project bis dahin noch nichts gehört und die Story des Spenders zusammen mit den Bildergebnissen ist doch etwas unheimlich – aber eben auch faszinierend.

Für uns war das Visible Human Project anfangs nur neutrales Arbeitsmaterial, aber nach den ersten Fotoversuchen und den detaillierten Abbildungen haben wir das Projekt erweitert auf die Story des Körperspenders und die ethischen Fragen der Todesstrafe. Deshalb auch der Zusammenhang mit Amnesty International: Der gesamte Erlös der Print-Edition geht an AI…

House

Tunnel

Ist das Projekt abgeschlossen oder wird es Folgebilder/Projekte von Eurer Seite geben?

Projekt 12:31 ist soweit abgeschlossen. Die Fotoausstellung läuft diesen Monat in San Francisco, weitere Ausstellungsorte sind danach im Gespräch…

Weil wir viele Leser haben, die sich gar nicht vorstellen können, wie so ein Foto entsteht: Erklär mal. ;)

Die Daten des Visual Human Projects existieren als Motion-Video-Segment, eine Diashow “von Kopf bis Fuß” sozusagen. Dieses Video lief auf einem Bildschirm, den wir dann in Langzeitbelichtung bewegt haben. Je nach Bewegung wurden die Körpersilhouetten detaillierter oder abstrakter.

Wie habt ihr den Bildschirm bewegt? Schließlich sieht man davon gar nichts.

Wir haben anfangs Versuche gemacht mit dem Laptop auf einer Kameraschiene, die resultierenden Bilder waren dann aber doch zu “creepy”: Schwebender Körper in allen Details. Letztendlich haben wir uns für abstraktere Motive entschieden: Der Laptop wurde von Hand frei bewegt, bei Langzeitbelichtungen von mehreren Minuten und in dunklem Outfit ist der “Lichtmaler” dann nicht zu sehen.

Verstehe. Und sicher habt ihr auch viele Fotos gemacht, die es dann nicht ins finale Projekt geschafft haben, oder?

Wir haben fast ein halbes Jahr an dem Projekt gearbeitet. Viele lange Nächte auf Location und diverse Versuche mit Technik und Langzeitbelichtungen im Studio und on Location. Da kam einiges Material zusammen, dann erst haben wir die sieben finalen Kompositionen ausgewählt.

Trees

Street

Wie reagiert die Öffentlichkeit auf Euer Projekt?

Mit mehr Interesse als erwartet! 50.000 Besucher aus 140 Ländern auf der Project Website bisher, redaktionelle Anfragen und Printbestellungen aus aller Welt. Das Projekt scheint zu unterschiedlichen Aspekten Aufmerksamkeit zu erregen: Die Fototechnik, der medizinische Hintergrund des Visible Human Projects – aber auch ethische Fragen zu Todesstrafe und medizinischer Forschung.

Na das gönn‘ ich Euch, Frank. Wenn wir schon beim Thema Todesstrafe sind: Hat das Projekt Eure Einstellung geändert/verstärkt oder anderes?

Eigentlich nicht. Ich habe mich schon immer gegen die Todestrafe ausgesprochen, aber es gab schon ein paar neue Gesichtspunkte, die erst mit der Recherche zum Visible Human Project zutage kamen: Fragen zu Organspende und Todesstrafe sind in den USA schon länger in den Medien und die Coverage zu 12:31 hat diese Diskussion noch mal angefacht.

Ocean

Lamp

… warauf ihr sicherlich stolz sein könnt. Vielen Dank, Frank! Für Deine Zeit und die Bereitschaft, uns ein paar Fragen zu beantworten.

15 Kommentare

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  1. ohh damit habt ihr von kwerfeldein genau meinen geschmack in sachen „spooky“ getroffen.

    ist es gut oder nicht die frage stelle ich mir gerade und komme dabei für mich zum entschluß das ich es gut finde denn es ist ja eine „freiwillige“ art der darstellung von joseph paul jernigan, die zwar sehr abstrakt und dennoch arg hart daher kommt. ich mag solch projekte und auch mir läuft es gerade eiskalt an der erpelpelle entlang den rücken runter.

    die zweite frage die sich mir stellt ist die…es ist ein verurteilter und hingerichteter mörder …wie stehen und was sagen die hinterbliebenen der opfer dazu das nun joseph paul jernigan für immer und ewig „umher geistert“ im netz. das ist für mich der einzige kleine tropfen „harter tobak“ an dem projekt denn die fotos wirken teilweise sehr lebendig und …ja ich empfinde sie sogar teilweise trotz der spooky-igkeit als „fröhlich“ weil leicht beschwingt durch die „flugeigenschaften….

    ich hätte über das projekt gerne noch mehr gelesen und gewußt und ihr habt bestimmt die antworten darauf …denn wie ich euch kenn habt ihr frank schott mehr als nur löcher in den bauch gefragt…logisch…ich hoffe da kommt noch mehr….ich werde das projekt dank eurer guten recherche nun verfolgen und muß jetzt erstmal meine erpelpelle in den griff kriegen und mich loseisen von den fotos…

    gruß vom doc
    martin

  2. Wow. Die bilder sind echt schön, mir fällt leider kein treffenderes Wort ein.
    Sehr faszinierendes Bilder.
    Mich sprechen die Bilder an, und die Geschichte dahinter lässt mich an meinen USA Aufenthalt vor zehn Jahren denken. Da haben wir ständig darüber diskutiert, ob die Todesstrafe die letzte Instanz sein darf oder nicht.
    Danke für diesen Artikel.

  3. Wow, selten sieht man eine geniale Idee technisch so clever umgesetzt. Die Bilder wirken so eindringlich wie selten ein Foto, das ich so sehe. Endlich mal etwas Neues!
    Die Anerkennung kommt zurecht.

  4. Das Projekt war mir zwar (wenn auch nicht unter dem Namen) bekannt, allerdings sehe ich die Umsetzung zu diesen Fotos zum ersten Mal. Daher erst einmal danke für diese Auswahl! Eine rundherum gelungene Arbeit, die durch sehr professionelle Aufnahmen besticht. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viel harte Arbeit in dieser Bilderreihe steckt. Wer schon mal Langzeitbelichtungen im Dunkeln mit Lichtmalereien probiert hat, kennt bestimmt die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Daher Chapeau zu diesem außergewöhnlichen Projekt.

  5. Ich bin echt hin und her gerissen, kann ich es nachvollziehen, finde ich das gut? Geht das zu weit oder ist es eine Möglichkeit, zum Tode verurteilten Menschen (die es m. E. nirgendwo geben sollte!!!) einen Raum zu geben….. *grübel*….

    • ich sehe es wie du….mir geht das ganze nicht mehr aus dem kopf selbst gestern abend beim einschlafen habe ich darüber gegrübelt und ich komme immer wieder zu dem resultat….was denken die hinterblieben der opfer über die aktion das ist ein thema welches mich daran interessiert.

      der zweite punkt der mich dabei beschäftigt ist der wie kommt man auf eine solche idee…ist sie zu vertreten denn es ist ja nach meiner meinung nichts wirklich wissentschaftliches an der fotoserie…und sie spielt mit dem betrachter denn durch die bewegungen kommen die fotos sehr „spielerisch“ und leicht verträumt rüber und da hängt es dann bei mir…

      darf ein verurteilter mörder einem dazu bringen zu sagen..wundervoll..oder gar stark…hmmm…es ist das erste mal das ich so hin und her bin und meine eigene moral hinterfrage….

      ich denke jedoch wenn es ein „normal“ verstorbener wär dann …keine ahnung…

      • Diese Gedanken habe ich auch. Aber ich denke auch, dass gerade die Tatsache, dass es ein von Menschen hingerichteter Mensch ist, dem Projekt diese brisante Note verleiht. Der Mann wurde von Menschen getötet, dann von Menschen in Scheiben geschnitten und nun von Menschen wieder „zum Leben erweckt“ (im weiteren Sinne). Das zeigt wieder einmal auf erschreckende Weise, wie viel Macht Menschen über andere Menschen haben können. Bei einem natürlich verstorbenen Menschen wäre das Projekt sicher von wissenschaftlicher und fotografischer Seite ebnso interessant aber etwas weniger spektakulär.

        Wie sich die Angehörigen der Opfern dabei fühlen und ob man einem Straftäter mit diesem Projekt unberechtigt Raum gibt, konnte ich für mich aber auch noch nicht abschließend beantworten. Die Gedanken kreisen noch …