Der Ursprung der Ideen
Die mexikanisch-amerikanische Fotokünstlerin Debora Francis arbeitet interdisziplinär mit alternativen analogen Verfahren wie Fotogrammen, Mordançage und anderen Dunkelkammer-Experimenten. Als therapeutischer Prozess der Selbsterkenntnis behandeln ihre handwerklich aufwändigen Arbeiten Themen wie Liebe, Trauma und Verlust.
Ihre Bildsprache mit traumähnlichen Naturelementen bis hin zu gänzlich abstrakten Formen und Strukturen ist der Ausdruck einer innerlichen Bewegung durch das Unterbewusste. Ihr Ansatz wurzelt in ihrem Hintergrund eines Studiums der Psychologie, deren Erkenntnisse sie auf die intensive Auseinandersetzung bei der Herstellung ihrer Werke anwendet.
Die fotografische Autodidaktin greift für ihren einzigartigen Prozess auch auf ihre eigenen, jahrelangen Studien in den Bereichen Mode- und Textildesign, Buchbinderei, Druckgrafik und Kinematografie zurück, die in ihre Begegnungen mit Licht und Schatten in der Dunkelkammer miteinfließen.
Ihre aktuelle, fortlaufende Serie „I’m Not Telling You a Story; I Am Showing You Who I Am“ zeigt kameralose Fotografien und setzt ihren bisherigen künstlerischen Weg mit erstaunlicher Konsequenz fort. Die Bilder sind das Ergebnis der Akzeptanz von Vergänglichkeit und Unvollkommenheit sowohl der eigenen Existenz als auch der fotografischen Prozesse.
Indem sie den Erfordernissen von Licht und Chemie folgt und ihre eigene Körperlichkeit dabei vorübergehend in den Hintergrund stellt, deckt sie Gedanken und Gefühle außerhalb der bewussten Wahrnehmung auf. Es wird offenbart, was sonst verborgen geblieben wäre.
Das Video zur Entstehung von „Likeness of the Glory“ zeigt den langen Prozess, in dem ein grafisches, sehr aufgeräumtes Fotogramm durch den Einsatz von Mordançage und ein intuitives Vorgehen zu einer detailreichen, organischen Landschaft wird. Mit viel Fingerspitzengefühl arbeitet Debora Francis an den kleinen Details auf den Weiten des großen Papierbogens, der am Ende die Illusion einer dreidimensionalen Oberfläche trägt.
Dabei stellt sie eine tiefe Verbindung zum Werk her, während sie durch die ausgeführten Handlungen selbst eine Verwandlung erlebt, die im entstehenden Bild wie in einer bezeugenden Aufzeichnung des Geschehens eingedruckt ist. Als wäre das Entwickeln, Fixieren und Wässern ein heiliges Ritual, bildet der Prozess einen Rahmen.
Innerhalb diesem ergeben sich Leerstellen im Geist, die es ermöglichen, eine Verbindung mit dem eigenen Inneren aufzunehmen und so eine Kommunikation zwischen bewusstem und unterbewusstem Geist zu ermöglichen. Jedes aufkeimende Gefühl darf sich in der ihm eigenen Dringlichkeit und Aufrichtigkeit entfalten.
Der Ursprung dieser Bildserie liegt im Wunsch, zu untersuchen, woher eigentlich Ideen kommen. Daher ist jedes Bild ein vollständig von Hand hergestelltes Unikat, es gibt keine verbindenden Parameter, keinen erzwungenen Zusammenhalt. Visuelle Formen können aus sich selbst heraus entstehen, ohne an eine einschränkende Erzählung gebunden zu sein.
So entstehen Werke, die die Kraft der Ideen ehren. Aus dem Unterbewussten fließen sie durch ausführende Hände aufs Papier und werden beim Betrachten wieder Teil des kollektiven Unterbewusstseins, unseres kreativen Hintergrundrauschens, das ein wesentlicher Teil des gesamten menschlichen Kulturschaffens ist.
Auch wenn ich Angst habe und mich unwohl fühle, wage ich mich ins Unbekannte, wo die Ideen darauf warten, dass ich sie ins Bewusstsein bringe. Indem ich die Wahrheit in jedes Kunstwerk einfließen lasse, sorge ich für authentische Momente. Ich zeige Dir, wer ich bin.
Ähnlich wie im Bereich der abstrakten Malerei sollen diese fotografischen Objekte vor allem erlebt werden – nicht vollständig verstanden. Als Betrachterin bin ich konfrontiert mit der direkten, ungefilterten Dokumentation einer intimen Begegnung der Künstlerin mit sich selbst.
Für Fotogramme werden Gegenstände direkt auf die Oberfläche von lichtempfindlichem Papier platziert und belichtet. Nach der Entwicklung des Bildes entsteht ein negatives Schattenbild – von den Objekten verdeckte Papierbereiche bleiben weiß, belichtete Teile erscheinen schwarz und Transparenzen erzeugen graue Zwischentöne.
Die Mordançage-Technik verwendet spezielle Chemie, die die schwarzen Bereiche der Emulsion vom Papier abhebt, sodass der Eindruck von Schleiern entsteht, wenn diese freigewordenen Bereiche sich im Wasser bewegen oder gezielt manipuliert werden. Sie lassen sich auch zerreißen oder entfernen, es handelt sich um ein fragiles Gebilde.
In diesen Gegebenheiten der fotografischen Prozesse lassen sich Parallelen zum Wesen der menschlichen Existenz finden. Verletzlich sind wir ebenso wie die Schleier des Mordançage. Zu akzeptieren, dass Verlust unvermeidlich ist, ermöglicht es, Ängste zu überwinden und Kontrolle abzugeben, ganz im Moment präsent zu sein.
So lernt Debora Francis bei der Manipulation von Bildteilen etwas über das eigene Selbst. Persönliche Probleme und Themen werden mit in die Dunkelkammer hineingenommen und in der geduldigen, hingebungsvollen Auseinandersetzung mit dem Material reflektiert der Prozess des künstlerischen Ausdrucks auf das eigene Leben zurück.
Debora Francis lebt und arbeitet in Brooklyn, New York. Ihr findet ihre Arbeiten auf ihrer Webseite und bei Instagram. Für alle, denen schon gefällt, was sie hier auszugsweise sehen können, empfiehlt sich ein tiefer Blick auch in das Archiv und die Filmarbeiten auf ihrer Webseite.