Im Gespräch mit Sophie Caretta
Die Kollodium-Nassplatten-Fotografie ist ein technisch anspruchsvolles und geschichtsträchtiges Verfahren, das ein einzigartiges Positivbild erzeugt. Die Arbeit mit dieser Technik führt oft zu unerwarteten Bildfehlern, die es Sophie Caretta ermöglichen, eigentlich klare Bilder mit weiteren Ebenen unerwarteter Bedeutungen aufzuladen.
Im Gespräch mit ihr hat sie außerdem wunderbar in Worte gefasst, was ich in meiner eigenen künstlerischen Praxis bisher nur erspüren, aber noch nicht formulieren konnte: Wie kreatives Schaffen in der Wurzel völlig universell ist – ganz gleich, ob man nun fotografiert, schneidert, töpfert oder alles miteinander verbindet.
Hallo Sophie! Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview nimmst. Zuerst, erzähl uns doch einmal etwas über Dich: Wer bist Du und was machst Du?
Ich bin französisch-amerikanische Fotografin und Werbe-Regisseurin. Zurzeit lebe und arbeite ich zwischen New York und Paris. Meine künstlerische Praxis kombiniert meine vielen Leidenschaften von Architektur und Kinematografie bis hin zu Textil-, Keramik-, Schmuckherstellung und Fotografie.
Ich mag die Idee sehr, den Bau eines Sets zu planen oder das Schnittmuster für ein Kleidungsstück zu entwerfen, um ein Kostüm zu nähen oder Fotos zu machen, um einen Raum zu entdecken und Schauspieler*innen und Modelle anzuleiten. Ich sehe mich als Alchemistin verschiedener Medien und Geschichten.
Die Forschung, die sich mit der Auswahl der richtigen Materialien, Farben und so weiter befasst, ist meiner Meinung nach medienübergreifend oft gleich. Diese vielseitigen Themen vereinen sich sofort in den Geschichten, die ich erzähle, und locken einen in ein düsteres und poetisches Universum hinein.
Welche Rolle spielt die Fotografie in Deinem Leben?
Meine künstlerische Sprache ist die Fotografie. All meine Ideen, Inspirationen und Hobbys werden beim Kreieren filmischer Bilder verwirklicht. Die Fotografie ist eine künstlerische Praxis, die niemals aufhört. Mein Leben und meine Karriere sind eng mit dem verbunden, was mich in der Gegenwart inspiriert.
Es verbindet mich mit meiner Familie, mit der Welt, mit den Gefühlen der Geschichten der Menschen. Das Fotografieren mit meinem Handy ist immer eine der ersten Handlungen meines jeden Tages. Ich suche und experimentiere immer wieder mit neuen Materialien, die meinen eigenen alternativen Prozess inspirieren.
Wann bist Du zum ersten Mal mit Fotografie in Kontakt gekommen und warum bist Du bei ihr geblieben?
Mein Vater machte mich mit der Fotografie vertraut, als ich noch sehr klein war. Meine Familie hat unser Leben, unsere Erinnerungen, unsere Gefühle immer auf Fotos und Filmen dokumentiert. Glücklicherweise ist der Blick durch die Linse ein ansteckendes Geschenk, das uns allen gegeben wurde.
Ich habe unvergessliche Erinnerungen an improvisierte Laborsitzungen im Badezimmer, in denen ich den magischen Prozess der langsam erscheinenden Bilder entdeckte. Meine Bilder sind das Zeugnis meines Lebens, meine Kamera verlässt nie meine Seite und ich bin immer bereit, die Welt, die mich umgibt, einzufangen.
Warum schwarzweiß?
Schwarzweiß hat sich ganz natürlich aus der Wahl dieses alten Prozesses ergeben. Die Grauwerte ermöglichen es mir, mich auf das Wesentliche wie die Komposition, die Linien, den Kontrast, das Licht, die Texturen und den negativen Raum zu konzentrieren. Die Schwarzweißfotografie hat etwas Magisches, das unvergleichlich ist.
Sie ermöglicht es dem Werk, zeitlos zu sein und Emotionen zu vermitteln. Ich liebe es aber auch, mit Farbe zu arbeiten. Ich war sogar in der Lage, ein eigenes Objektiv herstellen, um es an einer Digitalkamera einzusetzen. Meine Absicht dabei war, den Geist der Kollodiumfotografie wiederzufinden, aber mit Farben!
Was inspiriert Dich?
Ich bin inspiriert und fasziniert von dem, was die Leute mir vor der Kamera geben. Ich nehme ihre Offenheit an, mir ihre Geschichten zu erzählen. Ich möchte sie erweitern, indem ich ihnen den Raum gebe, ihr eigenes Leben vor mir zu bewohnen. Wir teilen von Natur aus Ähnlichkeiten und knüpfen Bindungen über das, was uns das Leben gegeben hat. Diese Momente sind intim, kostbar und ziehen meine volle Aufmerksamkeit auf sich.
Abgesehen davon haben die trivialsten Dinge auch die Kraft, mich zu inspirieren: Ich kann von der Glätte eines schönen Keramikstücks, der sinnlichen Krümmung des Nackens, der Falte in einem durchscheinenden Kleid und den zarten Bewegungen einer Hand beeindruckt sein. Ich suche geheime Botschaften, Fantasien, Vergänglichkeit, das Unwahrscheinliche, das Schöne – was auch immer es sein mag, ich suche immer nach den Emotionen darin.
Du arbeitest mit dem Kollodium-Nassplatten-Verfahren – warum hast Du diesen speziellen Prozess gewählt?
Zehn Jahre lang habe ich es genossen, mich der Straßenfotografie zu widmen, bevor ich begann, mit einer Großformatkamera im Studio zu arbeiten. Es war der Wunsch, diesen herausfordernden Prozess zu erlernen und zu entdecken, der mich dazu veranlasste, speziell mit einer frühen fotografischen Methode namens Kollodium-Nassplatten-Verfahren aus dem Jahr 1851 zu arbeiten. Ich habe mich in seine Technik und flüchtigen Ergebnisse verliebt.
Die Kollodium-Fotografie verfügt über eine unglaubliche Bandbreite von zufälligen Texturen wie Kratzern, Erosionen, Lochfraß und Flecken, die auf faszinierende Weise erscheinen und verschwinden können. Man beginnt, die Idee der „Unvollkommenheit“ auf eine andere Art und Weise zu betrachten, wenn man versucht, diese Momente gezielt ausfindig zu machen.
Die ästhetischen Eigenschaften chemischer Reaktionen im Kollodiumprozess bestimmen die Stimmung und den Stil meiner Fotografie. Dieser Prozess basiert auf den historischen und physikalischen Charakteristika der Fotografie. Die Körperlichkeit von Kollodium-Aufnahmen hat etwas ganz Besonderes: Das Foto wurde auf einer fotoempfindlich beschichteten Metallplatte aufgenommen, die nur einmal belichtet wird, was der heutigen fotografischen Welt sehr widerspricht.
Das Zusammenspiel all dieser Parameter entlockt den Bildern gleichzeitig Klarheit, seltsame Trübung und traumhaftes Geheimnis. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – so klischeehaft es auch sein mag, beschreibt das am besten die Ergebnisse dieses Prozesses, weil so vieles in die Belichtung nur einer einzigen Bildplatte hineinfließt.
Wie sieht Dein Arbeitsprozess normalerweise aus, wie entwickelt sich eine Idee in ein Konzept, eine Fotosession und das fertige Bild?
Ich arbeite gleichzeitig an einer Vielzahl von Themen, abhängig von den Menschen oder Dingen, die meinen Weg kreuzen. Manchmal kann ein Objekt einer Sitzung den Antrieb geben oder jemand möchte für mich posieren und alles beginnt und endet auf sehr schnelle, intuitive Weise.
Meine Ideen entwickeln sich mit der Zeit und gelegentlich können sie dafür auch länger brauchen. Meine Sessions sind wie ein Schmelztiegel von Ideen, Inspirationen, Musik und Accessoires und vor allem der Wunsch, etwas mit anderen zu teilen und zu spielen.
Im Studio ist die Kollodium-Fotografie wirklich lichthungrig, es ist eine außerordentlich umfangreiche Ausrüstung erforderlich, um zu steuern, was man sehen kann. Es unterscheidet sich erheblich von der Arbeit bei Sonnenlicht, unter dem alles sichtbar ist. Während einer Sitzung können wir nur ein Dutzend Fotos aufnehmen, es kann also eine echte Herausforderung sein, auch nur ein erfolgreiches Bild zu erzielen, das Eindruck hinterlässt.
Die Fotografie ist einer der ersten Schritte, die ich in meinem Prozess mache. Ich arbeite gerne mit anderen Medien zusammen, um das Geschichtenerzählen fortzusetzen. Ich möchte die Bilder mit alternativen Verfahren replizieren und auf andere Materialien übertragen wie etwa Pflanzenpapier, diverse Metalle, Schmuckstücke, Stoffe, Porzellan oder Eierschalen. Der Medienwechsel ermöglicht eine neue Interpretation der Bilder.
Für mich sind alternative Prozesse genauso wichtig wie das Ergebnis. Dies ist die Zeit, in der ich spiele, experimentiere und mich von meinen Themen inspirieren lasse. Wenn ich meine Fähigkeiten vom Labor bis zum Keramik- und Schmuckstudio üben kann, kann ich neue Verbindungen herstellen und Prozesse mischen, um unerwartete Ergebnisse zu erzielen.
Gibt es Themen, zu denen Du immer wieder zurückkommst?
Ich nehme mich der Anliegen an, die mich direkt ansprechen. Eine Frau zu sein ist eine Identität, die immer da sein wird und die sich immer in meinen Fotografien zeigt. Die Weiblichkeit ist ein komplexes und herausforderndes Thema. Wir werden ständig an unsere Rolle als Ernährerinnen und Trägerinnen erinnert, womit ich mich immer wieder auseinandersetze.
Ich spiele mit den Themen Kindheit, Mutterschaft und Weiblichkeit und den vielen Arten, wie wir sie sehen. Ich möchte die härteste und weichste unserer Realitäten einfangen. Die Absurdität des Todes, Traumata und die Tabus der Gesellschaft sind Themen, die mich faszinieren.
Ich verbringe viele Stunden damit, nach Objekten, Landschaften und Requisiten zu suchen, die komplizierte vergangene Leben beinhalten. Sie sind wie die Träger von Erinnerungen, die dann von den Menschen, die für mich posieren, geteilt werden, sodass man mit ihnen interagieren kann. Diese Arbeit wirft meistens Fragen ohne Antworten auf.
Was mich interessiert, ist nicht so sehr das Erzählen, sondern die Herausforderung, universelle Emotionen zu entdecken, die jeder Mensch in sich trägt. Das oberste Ziel in meiner Arbeit ist es, die Grenzen meiner Fotografie über die bloße Technik hinaus zu verschieben und den Prozess als Mittel zu nutzen, um eine tiefere, bedeutsamere Geschichte zu erzählen.