Ole Marius Joergensen – Aura der guten alten Zeit
Ole Marius Joergensen, geboren 1976, ist ein norwegischer Fotokünstler, der durch seine akribisch inszenierten Arbeiten auffällt. Ihre Wirkung ist schon auf den ersten Blick so filmisch, dass ich mich beim Betrachten direkt in einen Kinosessel versetzt fühle, wo ich im Dunkel des Saals mit meinem Blick die weite Landschaft erkunde, in der sich gerade eine seltsam bedrückende Szene abspielt.
Durch die Verwendung von auf bühnenhafte Art und Weise künstlich wirkendem Licht und lebendigen Farbgegenüberstellungen betonen seine Bilder die Geheimnisse und die Dualität des ländlichen Lebens in der modernen Welt. Obwohl alles etwas zeitlos wirkt, lässt sich das Arrangement doch anhand seiner großen Vorbilder einsortieren.
„Finding The Red“ ist eine unmittelbare Würdigung der Einflüsse, die seit der Kindheit des Künstlers bestehen. Diese Bilder sind Konstrukte von Kindheitserinnerungen, von Familie und Freund*innen bis hin zu Regisseur*innen und Künstler*innen, die ihn inspiriert haben und nun subtil – oder prominent – in seinen Werken vertreten sind.
In jedes Werk ist eine zärtliche Ode an das amerikanische Kino gewoben, die durch den Einfluss von Hitchcock und das einfühlsame Werk Edward Hoppers demonstriert wird. Sie sind ein ständiges Summen im Ohr des Künstlers, der in die amerikanischen Landschaften der Mitte des Jahrhunderts verliebt ist.
Aufgewachsen im ländlichen Norwegen der 80er Jahre, faszinierte ihn das vorstädtische Amerika, wie es etwa Steven Spielberg auf der Leinwand oder Stephen King in seinen Büchern zeichnet. Von dieser beschreibenden Erzählweise und Qualität des Lichts angezogen, verspürte er schnell den Drang, seine eigenen Geschichten zu kreieren.
Beeinflusst von der Arbeit des Malers Hopper und der Regisseure Alfred Hitchcock, David Lynch sowie der Maltraditionen von Caspar David Friedrich aus dem 19. Jahrhundert, zeigt seine Arbeit häufig allzu tägliche Situationen, die allerdings von einer Seltsamkeit durchdrungen sind, die unerwartete Geheimnisse andeutet – all das fühlt sich gleichzeitig vertraut und doch neuartig an.
Im Jahr 2014 erschien er mit seiner ersten großen Serie namens „No Superhero“ auf der Bildfläche, die eine Ode an die Helden seiner Kindheit war, in ihr verband sich das Spielerische mit düsteren Untertönen. Ein Jahr später entdeckte er die Landschaften seiner Heimat neu, indem er sie durch die Augen eines Astronauten betrachtete.
Dieses Konzept entstand, als ich Norwegens weite Natur für mich wiederentdeckte. Also habe ich einen Astronauten als Entdecker benutzt. Es ist eine Erzählung, die vom Gefühl angetrieben wurde, an einem Ort gefangen zu sein und sich nach einem neuen Abenteuer zu sehnen, das unerreichbar ist.
Seit diesen Anfängen hat Ole Marius Joergensen mit seinen Arbeiten eine beachtliche Entwicklung durchlebt. Nicht nur die technische Qualität der Bilder hat sich noch einmal gesteigert, auch die Feinheiten in seinen visuellen Erzählungen haben sich eingependelt. Statt das offensichtlich Skurrile darzustellen, ist das Unbehagen deutlich subtiler geworden, zwischen die Zeilen gewandert.
Seine Arbeiten erinnern zuweilen an die gewisse Launenhaftigkeit eines Wes Anderson, der es ebenfalls versteht, verspielte, bezaubernde Geschichten zu erzählen, aus denen doch eine Einsamkeit spricht, über die bunte Farben nicht hinwegtrösten können. Wo die Farbtupfer aus Gelb und Rot es nicht schaffen, eine Szene aufzuwärmen, die etwa von kalten, ausgewaschenen Farben und der Klaustrophobie eines Raumes beherrscht wird.
„Vignettes Of A Salesman“ ist der Liebesbrief an die einfacheren Zeiten im Skandinavien der 1950er und 1960er Jahren. Die Serie folgt dem Hauptdarsteller auf einer stillen, einsamen Reise und den komplexen Gefühlen, von dunkel bis exzentrisch, die mit dem unerfüllten Leben eines Fremden verbunden sind.
Viele Traditionen gehen verloren, da neue Technologien unsere Welt erobert haben. Der von Haus zu Haus gehende Verkäufer ist ein Relikt aus den 50er Jahren. In „Vignettes Of A Salesman“ folgen wir einem gesichtslosen Verkäufer, der allein auf seinen endlosen Runden ist … der letzte seiner Art.
Die persönliche Verzweiflung der Charaktere ist in ihrer eindringlichen Präsenz oft unheimlich. Daraus spricht vielleicht auch Ole Marius Joergensens Blick auf die Welt, der sich in den letzten Jahren mit der allgemeinen politischen Lage verändert hat. Mehr und mehr ist er davon überzeugt, dass die Menschheit den Planeten vor die Wand fährt. Noch sieht man zumindest ein wenig Hoffnung aufglimmen.
Doch die Leiden unserer Gegenwart verschärfen sich zu ihren logischen Schlussfolgerungen. Ole Marius Joergensen greift ganz alltägliche Ereignisse auf und lädt sie mit einer rätselhaften Angst auf. Diese Fotos versprechen, dass das, was wir für das normale Leben halten, unbeaufsichtigt gelassen, uns verletzen kann und wird.
Der Horror lauert sowohl in der unbarmherzigen Natur als auch in den Mitmenschen. Wird es Nacht, beginnen beide, ihr zuweilen schreckliches zweites Gesicht zu zeigen. Diese Bilder zeigen den Moment, ganz kurz bevor es wirklich beginnt, sichtbar und greifbar zu werden. Bevor seine Protagonisten verzagen oder des Unaussprechlichen gewahr werden.
„Icy Blondes“ – Der bekannte US-Filmkritiker Roger Ebert bemerkte, dass Alfred Hitchcocks Hauptdarstellerinnen „immer wieder die gleichen Eigenschaften widerspiegelten: Sie waren blond. Sie waren eisig und unnahbar. Sie waren in Kostümen eingesperrt, die auf subtile Weise Mode und Fetischismus verbanden. Sie faszinierten die Männer, die oft körperliche oder physiologische Behinderungen hatten.“
Die nostalgischen Anleihen bei seinen Vorbildern hauchen den Bildern, obwohl Anfang des 21. Jahrhundert aufgenommen, eine Aura der guten alten Zeit ein; genauer eingegrenzt der 50er bis 70er Jahre, die von heute aus besehen sich so unbeschwert angefühlt haben müssen. Die großen Kriege längst überwunden, der Wirtschaftsaufschwung in voller Blüte.
Das Problem mit dieser romantisierten Vorstellung der Vergangenheit ist allerdings, dass wir die Vergangenheit gar nicht neu aufleben lassen wollen – was wir wirklich wollen, ist die Vergangenheit ohne all die Probleme, die wir vergessen oder verdrängt haben. Ohne die nuklearen Bedrohungen, den Rassismus, die tödlich gelangweilten Hausfrauen.
Obwohl Ole Marius Joergensens Arbeiten die Nostalgie berühren, thematisieren sie auch diese Probleme, die die Gesellschaft im Laufe der Jahre überwunden oder zumindest verbessert hat, zu seinem Vorteil. Angesichts all dessen sollten wir darüber nachdenken, was der beste Weg in die Zukunft wäre.
Die europäischen Künstler*innen begannen in der Romantik der Mitte des 19. Jahrhundert, sich auf die Schönheit und Pracht der Natur sowie der alltäglichen Szenen des ländlichen Lebens zu konzentrieren. „A Long Forgotten Nocturne“ ist nicht nur eine Ode an die Romantik, sondern eine Fortsetzung der künstlerischen Bewegung, die mit einem zeitgenössischen Auge aufgenommen wurde.
Wie die alten Meister reiste Ole Marius Joergensen durch sein ländliches Norwegen und eroberte abgelegene, übersehene Orte, um die einzigartige Schönheit dieser Orte hervorzuheben, bevor sie verschwinden. Alte Bauernhöfe und Häuser, die in der heutigen Moderne vergessen wurden, werden mit Licht und der Magie der Natur wiederbelebt – sie bilden ein idyllisches und mysteriöses Bild.
Ähnlich wie die Romantische Bewegung ist diese Serie ebenfalls Reaktion auf eine Revolution, in diesem Fall die digitale Revolution, die einen grundsätzlichen Wandel in unserer Gesellschaft kennzeichnet. Eine Gesellschaft, die wenig Wert auf die Einfachheit und Schönheit des ländlichen Lebens legt, sondern sich auf das Unmittelbare und Vergängliche konzentriert, das in der heutigen Gesellschaft zu finden ist.
Eine Auswahl vor allem aktueller Arbeiten findet Ihr auf der Webseite des Künstlers. Ihr könnt ihm auch auf Instagram folgen, wo er neben ganz neuen, sonst bisher unveröffentlichten Arbeiten auch immer wieder alte Schätze aus seinem Archiv zeigt. Dieses Gegenüber- und Nebeneinanderstellen erlaubt, sein künstlerisches Reifen nachzuverfolgen.