Weimar – Die ersten Bauhausjahre 1919 bis 1925
Das Bauhaus feiert seinen 100. Geburtstag. Grund genug für mich, die schöne Stadt Weimar anzusteuern und den Ursprüngen des Bauhauses und seinen fotografischen Wurzeln nachzuspüren. Neben dem (Pflicht-)Besuch des erst kürzlich eröffneten und wirklich sehenswerten neuen Bauhausmuseums habe ich auch das nur wenige Gehminuten entfernte erste Schulgebäude des Bauhauses besichtigt, das seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und heute die Bauhaus-Universität beherbergt.
Das Staatliche Bauhaus, das der Architekt Walter Gropius 1919 gegründet hatte, spielt nicht nur eine zentrale Rolle in der Design-, Architektur- und Kunstgeschichte, sondern beeinflusste auch in wesentlichem Maß die Fotografie des 20. Jahrhunderts. Der ungarische Fotograf und Bauhausmeister László Moholy-Nagy begegnete mir bereits in meinem Studium und ist für mich untrennbar mit seinen Fotogrammen verbunden.
Auch seine Frau, Lucia Moholy, ist durch ihre fotografische Arbeit am Bauhaus bekannt geworden. Ihre Hauptaufgabe dort war es, die Werke dokumentarisch zu bewahren. Der neue avantgardistische Stil – das Neue Sehen – der Bauhausfotograf*innen war gekennzeichnet durch Motive aus Technik und Industrie, extreme perspektivische Ansichten, angeschnittene Motive und die Beschäftigung mit Materialien, Strukturen und Formen.
Das Bauhaus nutze nahezu von Beginn an die Fotografie als Mittel für interdisziplinäre und experimentelle Versuche. Als eigene Ausbildungsrichtung am Bauhaus etablierte sich die Fotografie jedoch erst 1929 in Dessau. Der Fotograf Walter Peterhans leitete diese Fotoklasse.
Bauhausmuseum
Das neue Bauhausmuseum am Stéphane-Hessel-Platz erinnert mich nicht an die von Fotos bekannten Bauhaus-Gebäude aus Deutschland, USA und Israel. Es fehlen die langen ununterbrochenen Fensterbänder, der weiße Anstrich und die sehr oft verschachtelt und versetzt übereinander gesetzten Gebäudeelemente. Ich stehe vor einem grauen, mit leichten Linien durchzogenen Betonkubus mit zwei kleinen Fenstern im Erdgeschoss und einer Eingangstüre. Naja, es könnte auch der Geldspeicher von Dagobert Duck sein.
Vom Inneren des Museums bin ich jedoch freudig überrascht. Es ist alles so, wie ich mir ein Bauhausmuseum vorstelle. Hell, trotz fehlender Fenster aufgeräumt, sachlich, gut strukturiert und kein bisschen verspielt. Bauhaus eben. Ich fühle mich sofort wohl darin. Und es gibt kein Fotografieverbot!
Auf den drei Etagen sind 200 Exponate aus der insgesamt 13.000 Objekte umfassenden Bauhaussammlung ausgestellt. Es ist ein aus meiner Sicht gut ausgewählter Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum der Bauhauswerke und -produkte aus der Vorlehre und den Bauhauswerkstätten Stein- und Holzbildhauerei, Tischlerei, Metall, grafische Druckerei, Keramik, Glasmalerei, Bühne, Fotografie, Druck und Reklame, Wandmalerei und Weberei.
Ich entdecke auf meinem Museumsrundgang einige berühmte Bauhaus-Objekte wie etwa die legendäre Wagenfeld-Tischlampe, die silberne Teekanne von Marianne Brandt, der Lattenstuhl von Marcel Breuer, die keramischen Küchengefäße von Theodor Bogler, einen Teppich von Gunta Stölzl, den Classic-Chair von Mies van der Rohe und vieles mehr. Ich kann und möchte natürlich an dieser Stelle nicht alles aufzählen, was es im Bauhaus Museum zu sehen gibt. Ein eigener Besuch soll schließlich ja noch eine Überraschung bleiben.
Bauhaus-Schulgebäude (heutige Bauhaus-Universität Weimar)
Das staatliche Bauhaus war die erste nach dem Krieg reformierte Kunstschule, die in der neuen Weimarer Republik den Lehrbetrieb aufnahm. Kunst und Handwerk sollten hier nicht separat unterrichtet, sondern als Einheit verstanden werden. Deshalb wurde für jede Kunstrichtung eine eigene Werkstatt eingerichtet, in der die Lernenden von einer Fachkraft der Form und einer Fachkraft des Handwerks angeleitet wurden.
Als Lehrende engagierte Walter Gropius herausragende Persönlichkeiten der internationalen Kunstszene, wie zum Beispiel Wassily Kandinsky, Johannes Itten, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy und Paul Klee.
Heute ist in den Gebäuden des ehemaligen staatlichen Bauhauses die Bauhaus-Universität Weimar untergebracht. Es ist also kein Museum, sondern eine betriebsame Universität mit ca. 4.000 Studierenden. Das hat den Vorteil, dass man jederzeit und ohne Zahlung von Eintritt das alte Bauhaus-Schulgebäude betreten und besichtigen darf.
Selbstverständlich darf man das Gebäude von außen und von innen fotografieren. Die einzige Regel, die es zu beachten gilt: Der Lehrbetrieb darf nicht gestört werden. Also vor dem Betreten eines Atelierraumes sollte man sich vergewissern, ob nicht gerade eine Vorlesung darin stattfindet.
An der Vorderansicht des Schulgebäudes fällt mir insbesondere die gekrümmte Form der Atelierfenster des oberen Stockwerkes auf, die zur damaligen Zeit nur sehr schwer zu anzufertigen waren. Die Fenster kann man sehr gut im Detail ansehen, wenn man einem einen kurzen Blick in einen Atelierraum der oberen Etage wirft.
Im Inneren des Schulgebäudes beeindruckt mich vor allem die vom belgischen Architekten Henry van de Velde konstruierte ellipsenförmig aufsteigende Haupttreppe, in deren Mitte im Erdgeschoss die „Eva“ von Auguste Rodin steht. Die Treppe lässt sich am besten vom zweiten Stock aus fotografieren.
Im Nebentreppenhaus spricht mich die anlässlich der Ausstellung im Jahre 1923 an Kandinskys Farb-Form-Lehre angelehnte Wandbemalung von Herbert Bayer an.
Der Besuch des Bauhauses in Weimar hat für mich rückblickend gezeigt, wie sehr Kunst, Handwerk und Fotografie in enger Beziehung zueinander stehen und zusammengehören. Ich habe zahlreiche Beispiele dafür gefunden:
Die von Johannes Itten entwickelte Farbenlehre (Farbkreis von Itten) ist die Grundlage für die Farbkomposition in der fotografischen Bildgestaltung sowie in den zentralen Farbfunktionen von Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop und Co. 1919 wurden hierzu am Bauhaus die Grundlagen gelehrt und entwickelt!
Die Beziehung zwischen Handwerk und Kunst. Die Grundidee des Bauhauses war, dass Kunst und Handwerk untrennbar miteinander verbunden sind. Das erinnert mich an mein Fotostudium. Auch hier wurde uns gelehrt, dass eine der Voraussetzungen für die künstlerische Arbeit in der Fotografie ist, dass das Handwerk Fotografie – also der Umgang und das technische Verständnis mit der Kamera – zuvor erlernt werden muss.
Grafische Elemente wie Punkt, Linie, Kurve, Dreiecke, Kreise und Rechtecke stellen in der Fotografie wichtige Grundlagen in der Bildkomposition und Motivgestaltung dar. Von Paul Strand stammt das Zitat „…wie man ein Bild aufbaut, woraus ein Bild besteht, wie die Formen zueinander stehen, wie die Räume gefüllt werden, wie das Ganze zur Einheit wird.“ Für Wassily Kandinsky war die Verwendung der grafischen Grundelemente zentraler Bestandteil in seinen Werken und in seinem Unterricht am Bauhaus.
Die heute in der modernen Fotografie größtenteils selbstverständlich eingesetzten Stilmittel, wie der Anschnitt von Bildmotiven, die Wahl von extremen Perspektiven und das Spiel mit Licht und Schatten sind in den 20er Jahren im Wesentlichen am Bauhaus unter dem Begriff das Neue Sehen entstanden. Die Bildsprache des Neuen Sehens hatte das Ziel, festgefahrene Strukturen in Bezug auf Komposition und Beleuchtung, bzw. Belichtung der Fotografie aufzulockern. Die Künstler und Fotografen László Moholy-Nagy und Walter Peterhans waren am Bauhaus die Wegbereiter dieser Stilrichtung.
Es ist für mich daher nur konsequent und folgerichtig, dass das Bauhaus nach seinem Umzug in Dessau auch eine eigene Fotoklasse einrichtete. Somit bekam das Medium Fotografie am Bauhaus einen noch höheren Stellenwert als noch zuvor in Weimar. Aus diesem Grund möchte ich im Juni Dessau besuchen und dem weiteren Verlauf der Bauhausgeschichte und der fotografischen Stilrichtung das Neue Sehen nachforschen. Mehr dazu in einer zweiten Reportage: Dessau – Das Bauhaus von 1925 bis zu seinem Ende.