Unterwasser mit Cheng Han
Ich war vor ein paar Jahren Scubatauchen in Ägypten, was in mir den Wunsch weckte, Unterwasser zu fotografieren. Umgeben vom Meeresleben schwebte ich zwischen den unbekannten Tiefen und dem hellen Licht des Himmels und fühlte eine absolute Ruhe als Besucher dieser verborgenen Welt. Es war ein surreales und tranceähnliches Gefühl. Ich war in einem Zustand zwischen Wirklichkeit und Traum.
Ich schwamm schwerelos, wurde von der unsichtbaren Strömung sachte getragen und sah mich in dieser fremden Welt um. Ich war getrennt von der Welt über mir nur durch eine unglaublich dünne Schicht, die die wilde, undurchsichtige Oberfläche des Meeres bildete – papierdünn, aber durch einen Trick des Lichts verbirgt sie jegliche Existenz Unterwasser. Dieser Gedanke entfachte eine Neugier und einen starken Wunsch in mir, diesen kurzen Moment des emotionalen Entfliehens durch den Einsatz der Fotografie neu zu erleben und zu kommunizieren.
Der Prozess, Unterwasser zu fotografieren, bietet mir ein sehr intimes Bild. Alles was ich hören kann, sind die Blasen der Luft aus meiner Atmung. Ich war wieder schwerelos und schwebte in Zeitlupe. Auch meine Modelle hören nur ein kurzes Spritzen von Wasser, wenn sie durch die Oberfläche brechen – gefolgt von Schweigen. Desorientiert, unfähig zu sehen und zu atmen, bewegen sie sich dann aber innerhalb eines vorbestimmten Tanzes und versuchen, einen beabsichtigten Punkt im dreidimensionalen Raum zu finden, die perfekte Position für nur einen winzigen Moment.
Ich bin bereits Unterwasser, still und warte auf diese Millisekunde, wenn alles an der richtigen Stelle ist. Der perfekte Moment ist so kurz und flüchtig, dass das Drücken des Verschlusses unbewusst passiert.
Ein heller Blitz ist der erste und einzige Moment, den das Modell eine Kommunikation erhält und weiß, dass ein Bild aufgenommen wurde und es vorbei ist. Sie kann es jedoch noch nicht auf der Kamera sehen. Wir ringen nach Atem und alles beginnt von vorn.
Es ist ein Prozess, den ich inspirierend, therapeutisch und erhebend finde. Ich bin fasziniert von den Eigenschaften des Wassers. In einigen meiner Bilder ist das Wasser absichtlich durch das Vorhandensein von Blasen sichtbar oder indem ich die Wasseroberfläche zeige.
Ebenso fasziniert bin ich von den sich ständig verändernden Formen des Meereslebens, insbesondere der Quallen. Sie bilden komplexe organische Formen, die sich von Moment zu Moment verlagern und verwandeln und ihre vorherige Form niemals wiederholen. Diese Elemente der sich verschiebenden Formen halte ich ebenfalls oft in meinen Bildern fest, sei es in der Kulisse oder auf dem Modell.
Meine Arbeitsweise am Beispiel des Bildes „Silent Sirens“
Für mein Bild „Silent Sirens“ erstellte ich zunächst ein Moodboard, das die richtigen Emotionen wiedergab. Das Projekt sollte eine imaginäre, schöne Lebensform darstellen, sie sollte in einer anderen Welt leben – versteckt, geheimnisvoll, neugierig und schön. Ihre Umgebung sollte ein weiches und sicheres kokonähnliches Haus sein, ausgeleuchtet mit einem weichen, warmen Glühen. Den Titel „Silent Sirens“ wählte ich, um einen Moment des Friedens und der Unschuld im Leben einer mythologischen Kreatur zu suggerieren.
Mein Kreativdirektor und ich recherchierten die Formen des Lebens im Meer, insbesondere der Quallen und andere Kreaturen mit Antennen. Um die Schwerelosigkeit festzuhalten, mussten wir weiche Materialien verwenden, die schwerelos fließen konnten. Ich verwendete deshalb große Mengen Stoff, um das kokonähnliche Zuhause für die „Sirene“ zu schaffen.
Für das Styling und als Kontrast zu den Texturen dachten wir entweder an hautenge Bodys, die durch eine Bemalung aussehen sollten wie ein farbenfroher Fisch oder, wenn das Modell sich damit wohlfühlen würde, an Bodypainting direkt auf der Haut. Für die Ähnlichkeit von Antennen (wie man sie bei Garnelen und einigen Fischen kennt), haben wir rund 80 m Silikonschlauch in verschiedenen Farben verwendet.
Diese großen Mengen Material Unterwasser sind ein großartiger Weg, um Formen zu schaffen, aber fordern das Modell auch stark, denn sie muss sich auf bestimmte Weise bewegen, um Spuren zu hinterlassen und die gewünschten Formen zu bilden. Wir arbeiteten für das Bild mit dem Maskenbildner Jo Harley und fanden das Modell Lauren Kristel für das Foto. Ich habe viel Respekt und Bewunderung für die Modelle, die in der Lage sind, unter Wasser zu arbeiten, denn es ist unglaublich schwierig, entspannt unter Wasser auszusehen, während man nichts sehen kann und kämpfen muss, nicht zu atmen.
Nachdem das Set-Design in der Theorie abgeschlossen war, musste es in die Tat umgesetzt werden. Alles begann mit der Konstruktion eines großen metallenen Rahmens, um den Hintergrund, das Unterwasserlicht und alles, was während des Shoots schweben sollte, zu befestigen. Wir sind in der glücklichen Lage, ein Unterwasser-Studio in einem Pool unserer Eigen nennen zu können und so in der Lage zu sein, viele Stunden mit dem Grundgerüst beschäftigt sein zu können.
Der Unterwasserbau dauerte etwa fünf Stunden in Tauchausrüstung. Danach begannen wir mit den Belichtungstests mit Hilfe einer Schaufensterpuppe. Wir sind immer extrem vorsichtig mit Licht Überwasser (das nicht wasserfest ist) und befestigen jedes Lichtstativ an einer Stange, die vom Boden bis zur Decke gesichert ist, um jedes Risiko auszuräumen, dass ein Licht versehentlich ins Wasser fallen kann.
Belichtungsänderungen sind daher ein sehr langsamer Prozess und es gibt am Shootingtag nicht genügend Zeit, den Lichtaufbau nochmals zu ändern. Die Vorbereitung ist für eine solche Session elementar, da es vier bis fünfmal so lange dauert, wie eine normale im Studio.
Überraschungen kommen dennoch nicht zu kurz – jede einzelne Unterwasseraufnahme, die ich bisher gemacht habe, war voller Unberechenbarkeiten. Es gibt so viele Variablen, die nicht genau kontrolliert werden können, etwa der Stoff, der ständig in Bewegung ist und immer wieder eine Anpassung benötigt. Die Posen des Modells sind unmöglich perfekt zu kontrollieren und die Beleuchtung ändert sich je nach Ausrichtung des Modells, während sie unkontrolliert schwebt.
Im Gegensatz zu den meisten Studioblitzen sind Unterwasserblitze nicht sehr schnell und das Modell neigt dazu, nach jedem Auslösen Luft zu holen. Danach muss sie neu in Position gehen, posieren, wieder Luft holen und alles beginnt von vorn. Im Bestfall hat man drei Fotos pro Minute.
Zudem ist es sehr schwer für Modelle, Unterwasser zu bleiben, denn die natürliche Tendenz ist es nun einmal, nach oben zu treiben. Wenn sie große Outfits tragen, kann man kleinere Gewichte darunter verstecken, aber bei minimaler Kleidung ist der Auftrieb eine große Herausforderung.
Wir waren auch nicht in der Lage, die Silikon-Antennen so effektiv, wie ich es geplant hatte, einzusetzen. Wir hatten die Schläuche in den Haarteilen befestigt und während sie Überwasser nicht wegen ihres Gewichtes halten konnten, hielten sie Unterwasser perfekt. Das Modell musste, damit die Schläuche sich so um ihren Körper legten, mehrfache Salti Unterwasser schwimmen, was leider dazu führte, dass ihr bei jedem Versuch Wasser in die Nase floss – stell Dir vor, Du müsstest friedlich und ruhig aussehen, während Du gerade erstickst.
Nach jedem Bild musste Lauren über der Wasseroberfläche husten, während ich in meiner Position blieb, durch die Tauchausrüstung atmete und wartete, bis sie wieder bereit war. Ich habe viel Respekt vor ihr, dass sie sich immer wieder überwunden und es nochmals versucht hat. Das Fotoshoot hat etwa sechs Stunden gedauert mit Pausen für Lauren, in denen sie etwas Warmes trinken konnte. Am Ende hat sie gezittert vor Kälte und Erschöpfung und ihre Augen waren rot durch das Chlor im Wasser.
Also, warum nehmen wir all diese Schwierigkeiten und Unberechenbarkeiten auf uns, warum machen wir uns all die Mühe? Es ist gerade diese Unberechenbarkeit, die zu den unerwarteten und schönsten Ergebnissen führt. So ein Shoot bedeutet viel Planung, Aufbau und Tests, aber jede Vorbereitung bietet auch den Rahmen für die lohnendsten und unwiederholbaren Bilder. Die Kulisse ist bei jedem einzelnen Foto anders, die Position des Modells ist immer etwas anders und selbst im Zeitalter der Digitalfotografie wird es nicht möglich sein, das Ergebnis zu wiederholen.
Bei diesem Foto wollte ich die Wasseroberfläche nicht mit im Bild haben, um bei einer Drehung des Bildes völlig frei zu sein. Das Konzept der Schwerelosigkeit bedeutet auch, dass es kein oben oder unten gibt. Ich wollte in der Lage sein, die endgültige Ausrichtung des Bildes während der Bearbeitung zu wählen.
Ich entschied mich für dieses Bild als Aufmacher meiner Serie, denn es spiegelt am besten meine beabsichtige Stimmung wieder und zeigt die Imagination einer Sirene in dem Moment, in dem sie aus dem Schatten ans Licht aus ihrem Haus kommt, ohne zu bemerken, dass sie fotografiert wird. Das Bild gibt mir ein Gefühl von Schönheit, Friedlichkeit und Einsamkeit.
Dieser Artikel würde für Euch von Redakteurin Katja Kemnitz vom Englischen ins Deutsche übersetzt.