15. November 2022 Lesezeit: ~5 Minuten

Geisterschiffe – Im Gespräch mit Jonas Dahm

Der Bildband „Geisterschiffe“ führt in eine Welt, die den meisten Menschen verschlossen ist. Teilweise über 100 m tief in der Ostsee liegen Schiffswracks verschiedenster Epochen. Der Historiker Carl Douglas und Fotograf Jonas Dahm haben sie besucht und gewähren mit diesem aufwändigen Projekt einen Blick in diese kalte, dunkle Welt.

Die beeindruckenden Bilder werden im Buch in verschiedenen Texten eingeordnet. Sie geben nicht nur einen Einblick in die geschichtlichen Hintergründe der Schiffe und Katastrophen. Jonas Dahm hat mir auf Nachfrage einige weitere Fragen beantwortet.

Taucher an einem Wrack

Der deutsche Dampfer Otto Cords wurde von einem russischen U-Boot torpediert und sank an einem Sommertag im Zweiten Weltkrieg mitsamt der Mannschaft. 75 Jahre lang lag es unbemerkt am Meeresgrund.

Ihr habt für das Buch 400 Wracks lokalisiert und allein in den letzten 12 Jahren 3.000 Tauchgänge hinter Euch gebracht. Das klingt nach einem Vollzeitjob. Wie wird ein solches Projekt finanziert?

Ich arbeite für ein Unternehmen, das sich stark auf den Bereich Marine und Umwelt konzentriert. Die Geschichte der Ostsee zu erzählen, gehört mit dazu. Der Eigentümer des Unternehmens hat in den letzten Jahren auch eine Stiftung gegründet, VOTO (Voice of the Ocean), bei der es um die Geschichte und andere Aspekte des Meeres geht.

Was macht die Ostseewracks für Dich selbst so besonders?

Die Ostsee ist einer der besten Orte der Welt, um intakte und ungestörte Schiffswracks zu finden. Und das Wasser ist manchmal extrem klar. Ideale Voraussetzungen für die Erkundung und Dokumentation. Zudem stammen die Schiffswracks, die man finden kann, aus allen Epochen.

Unterwasseraufnahme Kajüte eines gesunkenen Wracks

Trotz ihres dramatischen Untergangs ist die Aachen noch erstaunlich intakt. Das Foto zeigt eine Kajüte mit Tisch und Stühlen, rechts ein Schrank und links ein Bett.

Im Buch schreibt Ihr, dass Ihr nichts auf den Schiffen verändert oder bewegt. Wie schwer fällt Euch das? Ich bin ein so neugieriger Mensch. Von der Livonia gibt es zum Beispiel ein Foto, auf dem noch der Schlüssel in einem geschlossenen Schrank steckt. Bei diesem Anblick möchte ich den Schlüssel umdrehen und in den Schrank sehen.

Wenn Du versuchst, den Schlüssel zu drehen, könnte er brechen, und dann verpasst Du die Gelegenheit, ein weiteres Foto zu machen. Also lässt man ihn am besten in Ruhe.

Wie sieht die Fotoausrüstung bei einem solchen Tauchgang aus?

Ich nutze eine normale Landkamera in einem wasserdichten Gehäuse. Zudem einige Unterwassertaschenlampen und starke Unterwasserlichter.

Unterwasserwrack mit Taucher

Ein sowjetisches U-Boot der S-Klasse, das im Zweiten Weltkrieg gesunken ist.

Die Fotos sind unglaublich klar. Wie geht das 100 m unter der Wasseroberfläche?

Die Ostsee ist manchmal sehr klar, wenn man tiefer geht. Aber das Wasser ist sehr unterschiedlich, es gibt verschiedene Schichten – einige, in denen die Sicht sehr gut ist, und andere, in denen es wirklich schlecht ist. Diese Schichten ändern sich ständig, man muss tauchen und sehen, wie die Sichtverhältnisse am Wrack sind. Wenn das Wasser nicht klar genug ist, dann ist es unmöglich, die gewünschten Bilder aufzunehmen.

Wir waren über 15 Mal am selben Wrack, um die perfekten Bedingungen zu bekommen. Bei anderen Gelegenheiten bekommen wir das Bild beim ersten Tauchgang. Das Wichtigste ist also, wirklich stur und hartnäckig zu sein.

Oft sieht man in den Fotos auch Taucher, die das Wrack besser ausleuchten und die Dimensionen begreifbar machen. Wie spricht man solche Bilder Unterwasser ab?

Es ist eine Teamleistung und wir planen meistens vor dem Tauchgang, wie wir das Bild an Bord des Wracks machen wollen. (Wir können nicht miteinander kommunizieren, wenn wir dort unten sind). Das Licht ist eine Kombination aus Taschenlampe und Dauerlicht. Dazu kommt noch das natürliche Licht der Sonne, es ist das grüne Licht auf den Bildern (der Grünton entsteht dadurch, dass das Licht durch die Wasserschichten gefiltert wird). Bei den meisten Tauchgängen sind wir nur zu zweit, manchmal zu dritt und selten zu viert.

Schuh in einem Unterwasserwrack

Das Foto stammt von einem Wrack, mit dem besonders viele Totesopfer in Verbindung stehen – sowohl Streitkräfte als auch Zivilpersonen. Zu sehen: Ein Damenschuh, eine Handtasche und ein Militärgürtel mit Pistole.

Mit jedem Tauchgang bist Du konfrontiert mit der Geschichte der Schiffe, mit den Katastrophen und Kriegen. Was machst Du, um diese Tragödien nicht zu nah an Dich heranzulassen und nach einem Tauchgang auf andere Gedanken zu kommen?

Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Einige Wrackstellen sind emotional aufgeladener als andere. Ich weiß nicht genau, wie es dazu kommt. Ich denke, wenn man eine Sache oft genug macht, gewöhnt man sich wohl mehr an die Situation und man tut einfach, wofür man gekommen ist.

Aber mir ist sehr wichtig, diesen Orten mit Respekt zu begegnen und die Tragödien nicht zu vergessen, die sich vor Ort ereignet haben. Der Versuch, diese Bilder zu machen, ist eine Möglichkeit, nicht zu vergessen, was passiert ist und, wenn möglich, aus unserer Geschichte zu lernen.

Detailaufnahme eines versunkenen Schiffs

Das schwedische Segelkriegsschiff Svärdet („Schwert“) ging bei einer Seeschlacht am 1. Juni 1676 vor der Insel Ödland unter.

Informationen zum Buch

„Geisterschiffe“ von Carl Douglas und Jonas Dahm
Einband: Hardcover
Sprache: Deutsch
Seiten: 272 Seiten
Maße: 33 x 25 cm
Verlag: Piper
Preis: 45 €

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