Meine Mama hat Brustkrebs
Alles fing an mit einer Nachricht vom 29. Juni 2017 in unserer WhatsApp-Gruppe, in der C. ein Foto ihrer sehr langen Haare mit folgendem Kommentar versah:
Leider muss ich den ganzen guten Nachrichten eine schlechte dazugeben. Dieses Bild ist zum Abgewöhnen, spätestens in drei Wochen sind dort keine Haare mehr. Brustkrebs. Chemo und danach OP und Bestrahlung. Wenn alles nach Plan läuft, habe ich Weihnachten wieder eine Stoppelhaarfrisur. Zu meinem Glück habe ich Euch alle und weiß, dass ich auf jeden einzelnen zählen kann, wenn’s drauf ankommt.
Wir sind eine Gruppe von Eltern, die sich aufgrund der Geburt unserer Kinder 2012 kennen und sehr schätzen gelernt haben. Nicht nur wir Eltern, sondern auch unsere Kinder sind untereinander sehr vertraut. Eine solche Nachricht möchte man nicht erhalten. Von niemandem. Sie bringt so viel Grauen mit sich, so viel Angst, so viel Klarheit und so enorm viel Unklarheit. Sie reißt alles nieder und übrig bleiben vorerst nur ein tiefsitzender Schmerz und die Frage nach dem Grund.
Ein oder zwei Tage später rief C. mich an und fragte mich, ob ich bereit wäre, sie mit meiner Kamera zu begleiten, wenn sie zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter (5 Jahre) ihre Haare abschneiden würde, bevor sie die Kontrolle darüber abgeben müsse, wann die Haare weg kämen. Na klar, das mach ich gerne, sagte ich. Und dachte: Ich bin ja Profi, das bekomme ich schon hin. Irgendwie.
C. wollte, dass ihre Tochter später einmal besser begreifen könne, was in dieser Zeit eigentlich vor sich ging. Wie das damals so war mit dem Krebs. Diesem Unbegreiflichen. Und dass sie im schlimmsten Fall Erinnerungen in der Hand halten könne an die letzte gemeinsame Zeit. Aus dieser Idee heraus entstand dieses Langzeit-Fotoprojekt, das bis heute noch nicht abgeschlossen ist.
Die Ereignisse überschlagen sich nach einer solchen Diagnose; nicht nur für die Erkrankten – für alle drum herum. Und entsprechend lückenhaft und verzerrt ist oft die Wahrnehmung einer solchen Extremsituation.
Vor allem Betroffene stehen in dieser Zeit neben sich und nehmen sich selbst kaum wahr. Ihr Denken und Handeln ist reduziert auf das pure Durchhalten und Funktionieren. Sie spüren in dieser intensiven Zeit nur wenig in sich hinein, denn da lauert der große Schrecken. Das Fotografieren selbst und letztlich die Bilder erden Betroffene und ihre Nächsten. Denn sie zeigen die bitter-liebevollen Seiten der Krankheit.
Letztlich ist es nun ein Projekt geworden, das tiefe Einblicke gibt in eine Familie, die den Krebs auf ihre ganz eigene Art angeht. Ihn ins Leben integriert und gemeinsam eine unbändige Kraft und Lebensfreude entwickelt hat. So besteht der Alltag viel weniger aus Kampf und Angst, sondern viel mehr aus Zusammenhalt und Mut. Aus Hoffnung. Die Bilder zeigen, dass Krebs nicht nur Grauen und Leid bedeutet, sondern auch Liebe, intensives Leben und außergewöhnliche Nähe.
Für mich war es beim ersten Shooting, entgegen meiner eigenen Einschätzung, unheimlich schwierig, bei meiner Arbeit mit C. professionelle Distanz zu wahren. Aus Nervosität machte ich viele Anfangsfehler, war fahrig, unkonzentriert und fühlte mich wie eine miese Schwimmerin in unruhigem Gewässer.
Und beim Selektieren der ersten Bilder war es dann vorbei, da hat es mich richtig umgehauen. Aber ich bin seither gewachsen. Und ich habe von C. unglaublich viel übers Menschsein, über Familie und Zusammenhalt, über Mut und über den Lebenswillen gelernt.
Mit diesem Projekt möchte ich zeigen, dass der Krebs kein Monster sein muss. Zumindest nicht durch und durch. Er schafft sogar etwas: Ein neues Lebensbewusstsein, Nähe, Zeit füreinander, offenere Herzen, Verständnis und viel Wärme.
berührend…. Und ich sende herzliche Genesungswünsche an C. …
Sehr bewegend ! Respekt !
Liebe Patrizia
ich habe deinen „einblick“ mit einem dicken Klos im Hals gelesen.
C. ist noch so jung und hat ein kleines Kind und natürlich auch ihren Mann. Es muss unglaublich schwer sein, wenn man befürchten muss, dass man seinem Kind nicht mehr weiter ins Leben helfen kann. Ich wünsche ihr und ihrer Familie alles Glück dieser Welt. So ein Schicksal bietet aber auch die Möglichkeit und Chance, den „Sinn des Lebens“ neu zu entdecken und zu leben, ohne die Situation zu verdrängen.
Meine Frau ist vor ca. einem halben Jahr nach über 13 Jahren an ALS gestorben. Sie konnte endlich sterben. Ihr Leiden kann man sich kaum vorstellen.
Was ich dazu schreiben möchte: ich habe ihr manchmal die Haare geschnitten, und beim letzten Mal (ich wusste nicht, dass es das letzte Mal war) habe ich sie behalten und in eine kleine Tüte gelegt. Es ist das Einzige von ihr, dass ich von ihr noch habe neben den vielen Bildern und Erinnerungen. Die 300 Gramm Asche auf dem Friedhof sind nicht sie.
„Er schafft sogar etwas: Ein neues Lebensbewusstsein, Nähe, Zeit füreinander, offenere Herzen, Verständnis und viel Wärme.“
So kann man es sehen und so habe ich es auch gesehen (und gelernt).
Vielen Dank auch an Katja und kwerfeldein, dass ihr solche Beiträge bringt!
LG dierk
Lieber Dierk, von Herzen Danke für deine bewegenden Worte.
Ich hab hier ein Zitat für dich. Das bin so sehr ich und das bist auch du wie ich sehen kann:
We must bring
our own light
to the
darkness.
(Charles Bukowski)
Alles Liebe für dich,
Patrizia
Sehr bewegend. Mehr kann ich eigentlich gar nicht schreiben. Das ergreift mich. Bilder und Text. Und auch von meiner Seite die besten Genesungswünsche. Aber vielleicht sind gerade solche Bericht wichtig, denn sie zeigen, dass das Leben endlich ist. Und man die Zeit, die man zur Verfügung hat, nutzen soll. Mit der Familie. Es ist einfach das wichtigste Gut. Gerade in der heutigen Zeit, gibt Sie einem Halt.
Viele Grüße
markus
Hallo Markus,
ja, ich sehe es wie du.
Und es ist so wichtig der Familie einen Raum zu geben, trotz und eben wegen dieser starken Belastung.
Familie – was für ein schönes Wort. :)
Herzlich,
Patrizia
Blogartikel dazu: Veröffentlichungen ~ Patrizia Iaconisi
Blogartikel dazu: Meine Mama hat Brustkrebs - Eine Familie überwindet den Krebs