17. Juli 2017 Lesezeit: ~7 Minuten

Als Fotograf beim Race Across America

Das Race Across America bezeichnet sich selbst als das härteste Radrennen der Welt und übertreibt dabei nach Ansicht vieler Radfahrer*innen nicht. Es erstreckt sich von Oceanside in Kalifornien nach Annapolis in Maryland. Die mehr als 5.000 km von der Pazifik- an die Atlantikküste der Vereinigten Staaten müssen die Teilnehmenden auf einer vorgegebenen Route im normalen Straßenverkehr zurücklegen.

Unterstützt werden sie dabei von einem Team, das aus bis zu zwölf Personen besteht. Im Juni 2017 begleitete ich Guido Löhr aus Gießen als Fotograf und erlebte ein rund zweiwöchiges Abenteuer mit wenig Schlaf, vielen extremen Momenten und einem Happy End.

Ein Rennradfahrer fährt durch das Ziel

Ein Radfahrer auf einer Straße mit Schild

Das Race Across America: „This ain’t no tour“

Circa 3.000 Meilen und 13 amerikanische Bundesstaaten liegen zwischen den beiden Städten Oceanside und Annapolis. Umgerechnet rund 5.000 Kilometer, die während des jährlich stattfindenden Race Across America (kurz: RAAM) zu bewältigen sind. Der Unterschied zu Radklassikern wie der Tour de France: Es handelt sich nicht um eine Tour, die aus verschiedenen Etappen besteht, sondern ist vielmehr eine einzige große Etappe, die es am Stück zu bewältigen gilt.

Die wenigen Schlaf- und Verpflegungspausen müssen die Teilnehmenden zusammen mit ihrer Crew individuell festlegen. So schlafen die Athlet*innen meist zwischen einer und drei Stunden pro Tag. Die Crew begleitet sie in Schichten in einem Auto, das sich zum Schutz vor dem Verkehr meist direkt hinter dem Fahrrad befindet. Ein begleitendes Wohnmobil versorgt Crew und Fahrer*in und dient zum Ausruhen und Schlafen.

Landkarte

Radfahrer mit Auto

Die Strecke ist nicht nur der Feind der Radfahrer*innen

Die über 5.000 Kilometer in zirka zehn Tagen mit dem Fahrrad zurücklegen zu wollen, klingt für viele und auch für mich immer noch surreal. Aber selbst im begleitenden Auto bedeuten ungefähr 500 Kilometer am Tag, dass man viel Zeit im Auto verbringt und ausgedehnte Ruhezeiten Mangelware sind. So bedeuten beispielsweise vier Stunden Schlaf, dass der*die Radfahrer*in in dieser Zeit mindestens 100 Kilometer vorausgefahren sein kann.

Will man möglichst viele Rennabschnitte fotografieren, braucht man dafür eine straffe Planung der eigenen Ruhezeiten. Denn wer möchte schon die Fahrt durch das legendäre Monument Valley verpassen, weil man sich am Nachmittag eine Stunde zu lang hingelegt hat. Für mich hieß das gerade zu Beginn, dass ich ähnlich wenig schlafe wie das Team, da Guido Löhr die erste Nacht keine Pause macht, es aber gerade zu Beginn viele sehenswerte Orte an der Strecke gibt.

Gegen Mitte und Ende der von Guido benötigten knapp zehn Tage gibt es immer wieder Situationen, in denen ich vorausfahren kann, um Berichte zu schreiben, Fotos zu entwickeln und hochzuladen oder zu schlafen.

Crew mit RadfahrerRadfahrer wird angefeuert

Radfahrer an einem Verkehrsschild

Der Reiz für Fotografen: Grenzen verschwimmen

Anders als in anderen Bereichen der Sportfotografie liegt der Reiz einer Unternehmung wie dem Race Across America darin, dass es um weit mehr geht als nur darum, eine*n Sportler*in bei der Arbeit zu fotografieren. Gerade in der ersten Hälfte besteht die Strecke aus einer Aneinanderreihung landschaftlicher Höhepunkte: Zunächst die Wüste hinter Borrego Springs, dann das Monument Valley und die Rocky Mountains. Dann verliert die Strecke in Kansas etwas an landschaftlicher Vielfalt und wird erst mit den Appalachen wieder abwechslungsreicher.

Zusätzlich zur Landschaft, die einen ständig umgibt, finde ich mich als Fotograf eingebettet in eine Gruppe aus Menschen, die in der Regel unentgeltlich für zehn Tage ihre eigenen Interessen vollkommen zurückstellen und die Teilnehmenden als Crew-Mitglieder unterstützen. Mein Ziel ist es daher nicht nur, Guido Löhr während des Rennens zu zeigen, sondern auch, die einzelnen Crew-Mitglieder und ihre Aufgaben zu dokumentieren.

So ist es die Kombination aus Sport-, Landschafts- und Reportage-Fotografie, die das Race Across America besonders macht. Und gerade die Interaktion von Crew und Guido Löhr lassen viele interessante und emotionale Momente entstehen, die in ihrer Wirkung oft stärker sind als ein landschaftlich gelungenes Bild.

Ein Mann wird versorgt

Ein Mann liegt

Nur Fotos machen allein reicht nicht

Da der Großteil des Budgets für die Teilnahme am Rennen von den Fahrer*innen selbst und nicht von Sponsor*innen bereitgestellt wird, wird auch im Bereich der Medienbegleitung auf maximale Effizienz geplant. Während es bei aufmerksamkeitswirksameren Veranstaltungen von Presse nur so wimmelt, ist beim RAAM jede*r selbst für seine*ihre mediale Präsenz zuständig. Ein offizielles RAAM-Media-Team gibt es, aber allein schon der Länge des Rennens wegen ist der Anteil der Berichterstattung an den einzelnen Fahrer*innen relativ gering.

So besteht für mich die Arbeit zusätzlich zum Fotografieren aus dem Schreiben von Blog-Artikeln und dem Bespielen sämtlicher Social-Media-Kanäle mit Bildern, (Live-)Videos oder kurzen Statusmeldungen. Nur so können Fans und Bekannte, die das Rennen von zu Hause verfolgen, auf dem Laufenden gehalten werden. Für uns entpuppt sich diese Rolle als tolle Möglichkeit, eine Interaktion zwischen Guido und seinen Fans herzustellen, indem ihm über Funk Reaktionen auf meine Berichterstattung vorgelesen werden.

Radfahrer im Sonnenuntergang

Radfahrer auf der nächtlichen Straße

Die Macht des Moments

Das Schöne und gleichermaßen Tragische am Fotografieren ist die Tatsache, dass Momente kommen und gehen und dazwischen oft nur wenige Zehntelsekunden zum Auslösen der Kamera liegen. Schön, da die Momente durch die Reproduzierbarkeit ihre Besonderheit verlören; tragisch, da man nicht in jeder Situation das Foto macht, das man im Kopf hatte.

So fotografiert man ständig im Wissen, dass Situationen nicht mehr wiederkommen, was mich zuerst sehr nervös, nach einer gewissen Zeit aber auch etwas gelassen macht. So bieten sich auf einer 3.000 Meilen langen Strecke wesentlich mehr Möglichkeiten als in vielen anderen Situationen, die man als Fotograf*in kennt.

Ein Radfahrer vor einem Felsen

Ein Radfahrer auf einer Waldstraße

Was bleibt?

Abschließend lässt sich sagen, dass mich das Race Across America sowohl fotografisch als auch menschlich bereichert hat. Im Bereich der Fotografie habe ich meinen Workflow noch effizienter gestaltet und darauf geachtet, dass ich unterwegs möglichst wenig Zeit vor dem Laptop verbringe. Darüber hinaus habe ich versucht, schon vor dem Fotografieren meine Bildidee möglichst konkret im Kopf zu visualisieren, um abschätzen zu können, ob bestimmte Orte an der Strecke fotografisch lohnenswert sind.

Ein Radfahrer hebt sein Rad am Ziel nach oben

Abseits der Fotografie habe ich durch die Crew viele Dinge über mich und andere erfahren und so hinterlassen über zwei Wochen in den Vereinigten Staaten einen bleibenden Eindruck bei mir. Dass Guido Löhr nach 9 Tagen, 22 Stunden und 40 Minuten Annapolis erreicht, damit seine Altersklasse gewinnt und insgesamt Dritter wird, ist dabei nur ein Grund dafür, dass mein Fazit trotz aller Strapazen durchweg positiv ausfällt.

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