Die 5 Artikel des Monats
Liebe Leser*innen, Fotografieren ist nicht nur stumpfes Auslösen. Losgelöst vom vielbeschworenen „entscheidenden Augenblick“ eines Cartier-Bresson ist das Fotografieren insbesondere ein Akt gebündelter Intentionen, Lebensgeschichten und Prägungen, die in Fotoprojekten und -serien physikalische Form annehmen.
Es ist dieser Komplex, der nicht in die lila glitzernde 10-Tipps-Kategorie passt, der maßgeblich dafür verantwortlich ist, wie, wo, und was Menschen fotografieren. Persönlichkeit ist das Stichwort – und darum geht es in den monatlich von uns erlesenen Artikeln, die wir Euch auch heute unterbreiten wollen.
Vorschlag: Lest nicht alle Artikel, sondern pickt Euch einen der vorgeschlagenen heraus, denkt laut mit Freundinnen und Freunden darüber nach oder schreibt Gedanken, die Euch dazu einfallen, in ein Notizbuch. Oder in unser nettes Kommentarformular.
Straßenfotografie in der Krise
Ein sehr kritischer Text über die aktuelle lage der Straßenfotografie, der laut Michael Ernest Sweet die Visionen fehlen und die nur noch ein diffuses Rauschen ist. Provokant und gut, unbedingt lesen!
Wim Wenders
Einen sehr ausführlicher Artikel über Wim Wenders haben wir bei The Telegraph entdeckt. Gespickt mit Zitaten von Wenders selbst ist der Text für jeden interessant, der sich näher mit dem Regisseur und Fotografen auseinandersetzen möchte.
Don McCullin: Leid fotografieren
Was geht in einem Menschen vor, der über Jahrzehnte hinweg Kriege fotografiert hat? Wie fühlt es sich an, so viel Leid ausgesetzt zu sein? Ein kurzer Bericht über den englischen Fotojournalisten Don McCullin gibt Antworten – und zeigt ein paar seiner wichtigsten Aufnahmen.
Sexuelle Belästigung
Sexismus in der Fotografie ist kein deutsches Phänomen, sondern wird auch auf internationaler Ebene wahrgenommen und diskutiert. Der englische Fotograf Colin Pantall hat auf seinem Blog Gedanken dazu aufgeschrieben und denkt laut darüber nach, warum Frauen immer wieder darunter leiden.
Guido Karp über Bilderklau
Ein sehr gutes Interview mit Guido Karp über Bilderklau, Fair Use und Urheberrecht hat der Anwalt Karsten Gulden auf seinem Blog veröffentlicht. Sehr ehrlich und emotional erklärt Karp seine Position und regt zum Nachdenken an.
Habt Ihr den dritten Artikel gelesen? Sind die Implikationen Pantalls nicht nachdenkenswert? Was haltet Ihr von den Aussagen Guido Karps? Stimmt Ihr seinen Aussagen zu?
Zu Michael Ernest Sweets „Straßenfotografie in der Krise“:
Das, was er schreibt, stimmt sicherlich, aber Sweets eigene Streetfotos sind ja keineswegs ideenreicher als die derer, die er kritisiert – im Gegenteil: sie fallen mir nicht durch gekonntes Arbeiten mit Licht und Schatten auf oder durch besonders ausgeklügelte Kompositionen oder durch nicht zuvor gesehene Bildideen, sondern vor allem durch eine krasse (und immer-gleiche) s/w-Bearbeitung.
Andere Genres, wie die „Landschaftsfotografie“ leiden unter derselben Krankheit: nichts Neues unter der Sonne.
Mir geht es allerdings oft genauso … es ist so schwer, neue Ideen zu haben.
Das sehe ich ganz genauso. Auch ich kann mich für die Fotos von Sweet nicht recht begeistern, ich finde weder eine ansprechende Komposition noch eine Aussage emotionaler oder rationaler Art, wenn man vom plumpen „dokumentieren des Alltags“ o.ä. mal absehen will, worauf sich wahrscheinlich viele Straßenfotografen berufen könnten. Sweets Kritik kommt für mich deshalb aus klarer Abseitsposition.
Und generell kann ich seine Kritik auch nicht nachvollziehen. Wenn man Straßenfotografie als das definiert, was unter dem Hashtag #streetphotography in irgendwelchen sozialen Netzwerken landet, so muss man sich vielleicht nicht wundern, dass durch Digitaltechnik und immer weiteres Eindringen des Internets in unser Leben eine riesige Bilderflut unsere Ufer überschwemmt. Wenn Henri Cartier-Bresson jeden Tag 15 Fotos hochgeladen hätte, hätten wir in seinem Datenmüll aus der Nähe möglicherweise auch keinen großen Meister entdeckt.
Vielleicht steckt Fotografie ja insgesamt in der Krise. Malerei und Musik schöpfen ihre Werke vollständig aus der Fantasie und können somit auf unendlichen Weiden der Kreativität und des Ausdruckes grasen. Die Fotografie tut das aber nun mal nicht, ihre Quelle ist per Definition die Realität. Vielleicht ist bald ja jedes mögliche Bild gemacht worden, und es gilt nur noch Nischen und Nuancen zu füllen.
Für mich persönlich ist Fotografie, besonders auf der Straße, in erster Linie eine Wahrnehmungsschulung und muss sich deshalb von Fotomüllkippen im Internet oder Krisenkritikern nicht beeindrucken lassen. Wenn man Bilder in erster Linie macht, um eine Aussage hineinzustecken, dann ist das natürlich auch OK. Bloß sollte sich jeder Fotograf mal fragen, ob es notwendig ist (außer fürs Ego), seine Ergebnisse irgendwo zu präsentieren, und ob dieses Irgendwo zwangsläufig im Internet sein muss. Die Fotografie hat nun mal sehr stark unter der Inflation durch Technik und Internet gelitten, und ich persönlich bin mittlerweile auch sehr müde, Bildchen am Bildschirm anzugucken.