Silhouetten im Gegenlicht.
02. November 2015 Lesezeit: ~7 Minuten

Kuba, Land meiner Kindheit

Ich habe lange gebraucht, bis ich Kuba, das Land meiner Kindheit, fotografieren konnte. Im Juni 1991 kam ich nach Deutschland und erst nach fünf Jahren besuchte ich meine Eltern. Für die Familienfotos hatte ich eine Kompaktkamera und drei Farbfilme im Gepäck.


Ich habe lange gebraucht, um das Land meiner Kindheit fotografieren zu können. Und das nicht, weil ich fünf Jahre warten musste, bis ich das Geld zusammen hatte. Ich fand schlicht und einfach nichts auf Kuba, was mir ein Foto wert gewesen wäre.

Ich hatte keine Lust, Marodes und Morbides, Stehengebliebenes und Degeneriertes zu fotografieren. Wahrscheinlich war ich damals zu sehr Kubaner und schämte mich für das, was nach fünfzig Jahren Isolation von unserem Land übrig geblieben war.

Wo die anderen Reisenden Pittoreskes sahen, sah ich nur Misere. Ich hatte im Gepäck keine Romantik und demzufolge auch keine vernünftige Kamera.

Beine ragen unter einem Auto hervor.

Mit Trophäen zurück

Meine Festplatte sagt, 2005 reiste ich das erste Mal mit fotografischer Ambition nach Kuba. Wenn ich mir meine ersten Kubabilder anschaue, empfinde ich sie als viel zu ästhetisierend. Um Unerwünschtes zu vermeiden, zoomte ich das Umfeld fast vollständig aus.

Die Bilder, die ich in diesem Beitrag präsentiere, entstanden im Februar 2013 und sind dagegen ganz anders gelagert. Ich zeige mehr vom Land und demzufolge mehr von meinem eigenen soziokulturellen Hintergrund.

Ein Mädchen rennt am Fotografen vorbei.

Wie kommt es, dass ich acht Jahre später einen Sinn für das Pittoreske im Land meiner Kindheit entwickelte? Ich kann es mir nur so erklären: Der Mann, der 2013 nach Kuba reiste, war zur Hälfte ein Deutscher. Er war gewillt, Trophäen aus seiner ausländischen Heimat nach Hause mitzubringen. Er sah Kuba aus der Distanz.

Das ist es: Ich sah Kuba plötzlich aus einer viel gelasseneren und unbeteiligten Perspektive. Kurzum, mein Schwerpunkt hatte sich verlagert und meine Beteiligung am Inselgeschehen halbiert.

Zwei Jungen und ein Motorradfahrer.

Straßenmaskeraden

Februar 2013. Ich streife mit einer Spiegelreflexkamera durch meine Stadt. Mich kennen nur wenige Leute in Sancti Spiritus. Von meinen Tanten leben nur noch Elia und Concha. Sie gehen aber nicht mehr aus dem Haus.

Eine Handvoll Cousinen und Cousins habe ich noch. Die treffe ich hin und wieder im Zentrum. Meine Schulkameraden sind in der ganzen Welt verstreut wie dieSplittern einer Granate.

Ein Hund sitzt am Treppenrand.

Ich laufe meine Straße, die Calle Independencia, Richtung Zentrum herunter. Zum Parque Serafín gehen wir Spirituaner herunter, zum Paseo Norte dagegen laufen wir dann hinauf. Unsere Arriba und Abajo sind im Sprachgebrauch unmissverständlich verankert. Wer diese Sprachregelung nicht einhält, ist kein Spirituaner.

Die anonyme Masse, die mir entgegenkommt, kann sich nicht im Entferntesten vorstellen, dass ich, dieser Ausländer mit Kamera um den Hals, feiner Brille auf der Nase und einem mörderischen Sonnenbrand auf der Haut, auch dort geboren und aufgewachsen bin.

Für sie bin ich ein Yuma, so sagt man im heutigen Kuba zu den Westlern, egal aus welchem Land sie kommen.

Ein Mädchen lehnt sich an den Bauch seiner Großmutter an.

Ich merke, dass meine Landsleute, Spirituaner wie du und ich, gern vor der Kamera des Fremden posieren. Eine Oma lässt sich mit ihrer Enkelin fotografieren. Ihr Bauch ist das Zuhause des Kindes.

Sie denkt, ich bin ein Tourist. Wir kommen ins Gespräch und bald stellt sich heraus, dass ihre Tochter, die Tante des Mädchens, in Deutschland lebt. Ich verspreche ihr, die aufgenommenen Bilder nach Bayern zu schicken.

Einblick in eine Schneiderei.

Ein anderes Mal stecke ich den Rüssel meiner Kamera durch ein offenes Fenster und fotografiere das Innenleben einer staatlichen Schneiderei. Die Frauen dulden mich, aber an ihren Blicken erkenne ich ein unmissverständliches Misstrauen. Ein impertinenter Ausländer ist aus mir geworden!

Am Rande sei erwähnt, dass ich Spanisch immer noch mit kubanischem Kolorit spreche. Würden Kubaner nur meine Stimme hören, stünde ich hinter einem Vorhang, würde kein Mensch auf der Insel über meine Diktion stolpern. Aber sprechen hilft mir selten, Kleider machen bekanntlich Leute. Gerade auf Kuba!

Offensichtlich habe ich die letzten Reste der kubanischen Grundierung verloren und einen deutschen Anstrich auf meine Haut bekommen. Mir glauben die wenigsten, dass ich hier kein Fremder bin. Diese Sandalen, die Brille und dazu die Kamera – was erwartest Du?, fragt meine Schwester.

Ein Mann zeigt wütend in eine andere Richtung.

Ich bin auf Motivsuche und ich habe Geld. So denkt man über mich. In Havanna verfolgt mich ein Typ. Er will für Geld posieren. Ich will ihn nicht fotografieren. Der Typ nervt, tänzelt immer wieder vor meiner Kamera herum.

Irgendwann werde ich wütend, hebe die Kamera hoch und schieße ein Foto. Da hast Du Dein Foto!, sage ich auf etwas ordinärem Spanisch und verschwinde mit der Menschenmasse Richtung Parque Central.

Ein Mann mit Basecap bearbeitet das Fleisch eines Schweines.

Als Tourist maskiert

Ich bin ein Fremder, ich trage eine Kamera um den Hals und habe einen Sonnenbrand. Ich habe bestimmt auch Geld. Auch der Fleischer auf dem Markt hat meine Impertinenz geduldig ertragen. Wer weiß, dachte er womöglich, vielleicht nimmt er mich mit ins Ausland, als Modell oder Liebhaber …

Ich stand mit drei oder vier Metern Abstand zu ihm und machte zehn Bilder hintereinander weg. Draufgehalten. Mich faszinierte sein hübscher Kopf, nicht der hässliche Schweinekopf daneben. Erst zu Hause in Deutschland bemerkte ich die groteske Dissonanz zwischen Schönheit und Hässlichkeit in diesem Bild.

Ein Mann mit Mütze hält sich die Nase.

Die meisten meiner Kubabilder wurden mit Maske aufgenommen. Ich trug die Touristenmaske, als ich den Auslöser betätigte. Es gibt aber auch Bilder, die aus der Interaktion heraus entstanden sind. In diesem Fall habe ich die Maske vorsichtig abgenommen und ein Gespräch mit den abgebildeten Personen versucht. Seltsam, diese Bilder gehören nicht unbedingt zu meinen besten.

Eine Maske zu tragen im eigenen Land – macht mich das traurig? Ja und nein. Ich bin gern Kubaner und manchmal überkommt mich die Lust, meine konservierte, dennoch lebendige Identität zur Schau zu stellen.

Diese Freude ist mir nur im Kreise von Familie und Freunden vergönnt. Da lege ich los, laut, wendig und dezent ordinär, wie nur ein gebildeter Kubaner sich auf Spanisch artikulieren kann. Doch die Vorzüge meiner Straßenmaskerade weiß ich zu schätzen.

Als Ausländer darf man auf Kuba ungeniert fotografieren, denn wir Kubaner sind geboren als Schauspieler und verzeihen Touristen manche Impertinenz. Ich kenne die Grenze des Ausländerbonus und, wenn es darauf ankommt, kann ich mich im feinsten kubanischen Jargon aus der Situation heraus manövrieren. Als Fotograf finde ich die deutsche Maske komfortabel und die Doppelbesetzung durchaus von Vorteil.

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